Der Papst der Diakonie

Heute vor drei Monaten wurde Jorge Mario Bergoglio zum Papst gewählt. In dieser Zeit haben sich die ersten Konturen seines Pontifikates abzuzeichnen begonnen. Wie immer beim Amtsantritt eines neuen Papstes haben sich Begeisterung und Hoffnung wie auch allerlei Ängste und Befürchtungen geradezu überschlagen.

So mancher Beobachter leitete aus Stilfragen und Gesten gleich die Erwartung revolutionärer Veränderungen ab, sowohl im Positiven wie auch im Negativen, je nach Standpunkt. Stil ist wichtig, und Gesten haben ihre Bedeutung, keine Frage. Doch als Indikatoren größerer Umstürze taugen sie wenig.

Franziskus ist der erste Ordensmann auf der Cathedra Petri seit langer Zeit und der erste Jesuit überhaupt. Weil es so lange her ist, dass ein Ordensmann Papst wurde, ist weitgehend in Vergessenheit geraten, dass er auch als Papst ein Ordensmann bleibt. Das hat Konsequenzen für seine Kleidung, ja für sein ganzes Auftreten. Es ist deshalb kein Bruch mit Traditionen, wenn er keine Mozzetta und keine roten Schuhe trägt. Ordensleute im Papstamt haben ihre Besonderheiten.

Die Hoffnung oder, je nach Standpunkt, die Befürchtung, Papst Franziskus werde die Kirche auf den Kopf stellen, teile ich nicht. Er wird die Kirche im Stil eines Jesuiten regieren, das ist ein Novum an sich. Ihm wird der Einsatz für die Armen, die Diakonie, immer am Herzen liegen. Und das ist für mich persönlich ein großes Zeichen und eine Ermutigung.

Drei Päpste haben meinen bisherigen Weg geprägt. Johannes Paul II. war der Papst schlechthin, der Fels, der mit vollem Einsatz das Evangelium verkündete. Benedikt XVI. hat sich der Liturgie angenommen, in deren Krise er eines der größten Probleme unserer Zeit sah. Franziskus wendet sich nun der Diakonie zu. Nach den Päpsten der Verkündigung und der Liturgie nun ein Papst der Diakonie – ist das nicht schön?

Theologische Tugenden und Grundvollzüge

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Franziskus, unser neuer Papst, ist ein völlig anderer Typ als Benedikt XVI., der wiederum ein völlig anderer Typ ist als es Johannes Paul II. war. Diese Reihe ließe sich vermutlich fortsetzen. An Johannes Paul I. und Paul VI. kann ich mich noch erinnern, Johannes XXIII. starb schon deutlich vor meiner Geburt.

Das Bild oben zeigt, wie sich die letzten drei Päpste den theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe zuordnen lassen. Das ist ziemlich vereinfacht, man denke nur an Deus Caritas est und Spes Salvi. Aber dennoch trifft es den jeweiligen Akzent, wenngleich wir für Franziskus noch eher auf Mutmaßungen angewiesen sind.

Mir kamen spontan die drei Grundvollzüge Martyria, Leiturgia und Diakonia in den Sinn, die ich in genau dieser Reihenfolge den Päpsten Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus zuordnen möchte.

Liturgie ist, im krassen Unterschied zu seinem Vorgänger, erkennbar nicht das Kernanliegen des neuen Papstes. Ob wir ihn noch singen hören werden? Möglicherweise erlaubt ihm sein Lungenleiden keinen Gesang.

Hingegen Diakonie! Das scheint ihm ein zentrales Thema seines Lebens zu sein. Die Bilder, die ihn bei der Fußwaschung an Kranken zeigen, seine Aufforderung an argentinische Landsleute zu Spenden statt Transatlantikreisen zu seiner Amtseinführung – nur zwei Beispiele, denen weitere folgen werden.

Haben wir einen diakonischen Papst? Das ist eine wirkliche Überraschung, wie auch der von ihm gewählte Name und die weitere Novität, ein Jesuit auf dem Stuhl Petri zu sein. Unbefangen und unkompliziert wie seine ersten Auftritte wird wohl auch sein Umgang mit dem Vorgänger sein. Gerade weil er ein völlig anderer Typ mit eigenen Schwerpunkten ist, dürfte er über jeden Verdacht erhaben sein, im Schatten und unter ungebührlichem Einfluss seines Vorgängers zu stehen.

Möglich ist sogar, dass er zu einem großen Versöhner im Papstamt wird. Er erhält Zuspruch aus unerwarteten Ecken, quer durch das Spektrum kirchenpolitischer Lager. Zu seiner Amtseinführung wird der Ökumenische Patriarch Bartholomäus I. von Konstantinopel nach Rom kommen, auch das ein Novum. Selbst die Piusbruderschaft könnte er noch in die volle Einheit zurückführen. Den nötigen Pragmatismus scheint er zu haben.

Die Lebenslügen der Generation 68

Das Theologenmemorandum, der kleine Volksaufstand gegen Stuttgart 21 und die Sarrazin-Debatte haben eines gemeinsam: Es sind Schlachten, die im Namen der politischen Korrektheit geschlagen werden. Dabei ist „politisch korrekt“ im Kern eine contradictio in adiecto.

Denn Korrektheit setzt voraus, dass es richtig und falsch gibt und dass dies objektiv erkennbar ist. Politisch hingegen ist gerade das, was nicht eindeutig richtig oder falsch ist. Politisch muss entschieden werden, wo es kein objektives richtig oder falsch gibt, wo sich die Empfehlungen der Fachleute widersprechen, wo ein Kompromiss zwischen sich widersprechenden Positionen gefunden werden muss.

So sieht die Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung aus. Wenn die Verwaltung mit ihrem Latein am Ende ist, wenn der Umweltdezernent und das Bauamt mit jeweils guten Gründen für das genaue Gegenteil votieren, dann muss die Politik entscheiden, was getan oder auch unterlassen werden soll.

„Politisch korrekt“ wäre also das eindeutig Richtige, zu dem es keine Alternative gibt. Alternativlos, wie zuletzt in der deutschen Politik des öfteren zu hören. Was aber alternativlos ist, das ist nicht politisch. Es sei denn, wir hätten es mit einer Diktatur zu tun.

Die memorierenden Theologen, die schwäbischen Wutbürger und die Gegner Thilo Sarrazins wähnen sich auf der richtigen, der politisch korrekten Seite. Sie stemmen sich mit aller Kraft gegen unerwünschte und für sie unerfreuliche Realitäten.

Ihre Gegner sind klar: eine Kirche, die sich dem Diktat der politischen Korrektheit nicht beugen will und kann, ein Infrastrukturgroßprojekt, das sich nicht mit dem Idyll verbürgerlichter Altrebellen verträgt, ein Analytiker, der verdrängte und ignorierte Probleme ans Tageslicht holt.

In Stuttgart waren vor allem die ergrauten Grünen die Träger des Aufstands, mit Unterstützung bis weit ins bürgerliche Lager hinein. Das Memorandum ist ebenfalls das Projekt jener Generation, die im Gefolge von 68 sozialisiert wurde. Und im Fall Sarrazin sind es die Lebenslügen der Multikulti-Ideologen, die als solche entlarvt wurden.

Wir sollten uns in den kommenden Jahren auf weitere Schlachten nach diesem Muster einstellen. In einer alternden Gesellschaft, in der Rentner, Pensionäre und Sozialleistungsempfänger den Ton angeben, ist sehr viel Raum für Schattenboxen dieser Art. Und einige Anlässe lassen sich auch leicht vorhersehen.

So jährt sich 2012 der Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils zum fünfzigsten Mal. Für die Jahre bis 2015 gibt es jede Menge Gelegenheit, über die Themen des Konzils zu streiten. Man kann sich übrigens auf diese Debatten vorbereiten und schon jetzt mit der Rezeption der Konzilsdokumente beginnen. Vielleicht werden auch die Lehrgespräche der Piusbruderschaft mit Rom rechtzeitig bemerkenswerte Ergebnisse liefern.

2017 steht der fünfhundertste Jahrestag der Reformation an. Zu diesem Termin wird es jede Menge Streit um den Ökumenismus geben. Zur Vorbereitung könnte es sich lohnen, zum Beispiel Mortalium animos zu lesen. (Mit Dank an Father Z.)

Und schließlich folgt 2018 der fünfzigste Jahrestag der Revolte von 1968. Bis dahin stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich die 68er sämtlich im Ruhestand befinden und ihre Meinungsmacht endgültig gebrochen ist. Damit wäre der Weg frei für eine erste echte Schadensbilanz.

Die Lebenslügen der Generation 68 gegen die harte Realität zu verteidigen kostet jede Menge Energie. Energie, die jener Generation langsam, aber sicher abhanden kommt, nicht zuletzt aus biologischen Gründen. Die Heftigkeit der Debatte um die Thesen Thilo Sarrazins, aber auch die Reaktionen auf das Theologenmemorandum haben gezeigt, dass die Deutungshoheit bereits kräftig bröckelt. Was in sich widersprüchlich ist, wie die politische Korrektheit an sich, lässt sich auf Dauer nicht aufrechterhalten.

Doch auch 2011 stehen noch einige bemerkenswerte Ereignisse ins Haus. Die Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. im Mai dürfte ein Großereignis mit bis zu 2,5 Millionen Pilgern werden. Auch darauf können wir uns vorbereiten.

Und schließlich folgt im September der Staatsbesuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland. Wir haben es in der Hand, daraus einen Erfolg zu machen. Denn ein Erfolg wäre es bereits, wenn sichtbar würde, wie groß die Unterstützung für den Heiligen Vater in Deutschland ist – und wie klein die Zahl seiner Gegner.

Mit der Petition ist zum ersten Mal seit langer Zeit die Schweigespirale durchbrochen. Das ist ein gewaltiger Fortschritt. Weitere Schritte sollten folgen.

Johannes Paul II. wird seliggesprochen

Und mich freut diese Nachricht. Johannes Paul den Großen hat man ihn seinerzeit nach seinem Ableben genannt, aber das war vielleicht etwas voreilig und konnte sich bis dato nicht durchsetzen. Nun also Seliger Papst Johannes Paul II., demnächst, von jenem Sonntag der Barmherzigkeit an, den er selbst als Fest in den liturgischen Kalender eingefügt hat und an dessen Vorabend er 2005 selbst den Weg zum Haus des Vaters antrat.

Klar scheint mir, dass in den nächsten Monaten vor allem in den deutschen Medien ein heftiges Ringen um die Deutungshoheit über diesen großen Mann Gottes ausbrechen wird. Im Jahr 2005 hatte die plötzliche Wiederkehr der Religion in den Hauptstrom der Diskurse einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft die meisten Meinungsführer kalt erwischt. Man war nicht vorbereitet auf diesen plötzlichen Einbruch des Transzendenten in eine Welt, die sich in der Immanenz bequem eingerichtet hat.

Knapp sechs Jahre später sieht das etwas anders aus. Nach der rauhen Wegstrecke des aktuellen Pontifikats sind die Messer allenthalben gut gewetzt. Allerdings könnte auch dieses Jahr etwas anders ausfallen, als es sich die professionellen Meinungsmacher ausrechnen. Ein sich über Monate aufbauender Begeisterungsschub für die bevorstehende Seligsprechung Johannes Pauls, und dann ein Staatsbesuch seines Nachfolgers im Papstamt – steht uns etwa eine Neuauflage jenes monumentalen Jahres 2005 ins Haus?

Johannes Paul II. und die Theologie des Leibes

Völlig entgangen war mir bisher, dass das epochale Werk Menschliche Liebe im göttlichen Heilsplan von Johannes Paul II. schon seit fast zwei Jahren wieder lieferbar ist. Ich hatte seinerzeit das Buch Theologie des Leibes für Anfänger: Einführung in die sexuelle Revolution von Papst Johannes Paul II. von Christopher West mit Gewinn gelesen, dann aber vergeblich nach den Texten gesucht.

Rheinisch-katholisch hat übrigens schon im Februar angesichts der damals noch relativ frischen Missbrauchsdebatte auf die Theologie des Leibes und die beiden Bücher hingewiesen. Eine Einführung besonders für Jugendliche findet sich beim You-Magazin.