Lokale Kirchenentwicklung und der Spagat zwischen Kern- und Papiergemeinde

Die Kirchensteuer schafft eine heikle Situation, da sie letztlich, ob formal oder nicht, Ansprüche auf kirchliche Dienstleistungen entstehen lässt. Wer zahlt, der hat Anspruch auf die Taufe seiner Kinder, auf eine schöne Erstkommunion, Firmung und Trauung sowie schließlich auch eine kirchliche Beerdigung. Eine regelmäßige Teilnahme am Gemeindeleben ist dafür hingegen keine Voraussetzung.

In der Pfarrei, der ich angehöre, besuchen an einem durchschnittlichen Zählsonntag etwa fünf Prozent der Gemeindemitglieder eine Heilige Messe. 95 Prozent nehmen also dieses seelsorgliche Angebot nicht wahr, obwohl sie – soweit dazu verpflichtet – Kirchensteuer zahlen und damit letztlich den Apparat finanzieren, der diese und andere Angebote erbringt.

Dies zwingt das kirchliche Personal zu einem Spagat zwischen schrumpfender Kerngemeinde und – relativ oder in unserem Fall sogar absolut – wachsender Papiergemeinde. Nur wenige tragen das Gemeindeleben, aber viele erheben Anspruch auf kirchliche Dienstleistungen.

Die schrumpfende Kerngemeinde, tendenziell überaltert, zahlt kaum noch Kirchensteuer, während die kirchensteuerzahlenden Familien nur noch punktuell am Gemeindeleben teilnehmen. Es soll sogar schon Familien geben, deren Steuerzahler aus der Kirche ausgetreten sind, um Steuern zu sparen, während der Rest formal weiterhin zur Gemeinde zählt und kirchliche Dienstleistungen in Anspruch nimmt.

Lokale Kirchenentwicklung steht hier vor der dringenden Frage, wer eigentlich ihr Subjekt ist. Ist es die schrumpfende Kerngemeinde – und damit eine kleine Minderheit innerhalb der Papiergemeinde? Oder ist es die Gesamtheit der Gemeinde, unabhängig von ihrer Präsenz im Gemeindeleben?

Und ist sich, unabhängig von der Antwort auf diese Fragen, dieses Subjekt lokaler Kirchenentwicklung eigentlich selbst genug oder richtet sich ein missionarischer Impuls nach außen, ist Wachstum das Ziel? Je nachdem, wie die Antworten auf diese Fragen ausfallen, entsteht ein völlig anderes Bild.

Eine Fünf-Prozent-Kerngemeinde hätte zunächst einmal die anderen 95 Prozent als mögliche Adressaten. Hier wäre die Frage, was die eigentlich vermissen oder was sie davon abhält, häufiger als nur gelegentlich am Gemeindeleben teilzunehmen. Müsste sich womöglich die Kerngemeinde selbst ändern oder ist sie im Recht, und alle anderen im Unrecht?

In einer Diasporasituation, wie wir sie hier im Norden vorfinden, ist aber auch die Gesamtheit der Gemeinde wiederum eine kleine Minderheit in einer ansonsten protestantisch, muslimisch oder neuheidnisch-atheistisch geprägten Umwelt. Ein missionarischer Impuls, der sich in dieses Umfeld richten würde, träfe noch einmal auf völlig andere Voraussetzungen.

Lokale Kirchenentwicklung steht also auch vor der dringenden Frage, wer eigentlich ihr Adressat ist. Wer seine Zielgruppe nicht beschreiben kann, der spricht letztlich niemanden an. Da sind alle Mühen vergebens.

Auf der Suche nach den Linksliberalen

Gibt es eigentlich eine linksliberale Partei in Deutschland? Der Politische Kompass mit seinen vier Feldern legt die Vermutung nahe, dass sich im linksliberalen Feld etwa ein Viertel aller Wähler aufhalten. Aber welche Partei ist dort klar positioniert?

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Die FDP ist nicht im Bundestag vertreten. Die SPD ist zwar nicht so autoritär wie die Linke, aber nicht gerade liberal. Die Grünen oszillieren je nach Thema und Parteiflügel zwischen autoritär und liberal, zum Teil sogar rechts (sic!), da konservativ.

Es bleibt die CDU, die zwar von den Wählern als links der Mitte wahrgenommen wird — aber wird sie auch als liberal betrachtet? Zum Teil vielleicht, aber sicher nicht durchgängig. Und für die CSU gilt dies in etwa ebenso.

In der Konsequenz sind also drei von vier Feldern des Politischen Kompasses derzeit quasi unbesetzt oder Spielfeld von FDP und AfD, während sich alle etablierten Parteien im links-autoritären Feld oder eben in der Mitte bewegen, also weder ausgeprägt autoritär noch besonders liberal erscheinen. So gesehen liegt das Wählerpotential für AfD, FDP und eventuelle andere, mehr oder weniger neue Parteien bei bis zu 75 Prozent. Das passt auch zu einer Umfrage, derzufolge fast drei Viertel der Befragten die etablierten Parteien für realitätsfremd halten.

Von diesen drei Vierteln, die den theoretischen Höchstwert bilden, sind die Wähler der Mitte abzuziehen, die von CDU/CSU, SPD und Grünen gebunden werden können. Das dürften schon noch einige Wähler sein. Allerdings war die Wahl des österreichischen Bundespräsidenten in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich. Es bedurfte einer ungeheuren Kraftanstrengung praktisch aller Parteien gegen eine, nur um einen hauchdünnen Vorsprung zu gewinnen.

Der grüne Kandidat war quasi das letzte Aufgebot gegen die FPÖ, die aus den unbesetzten Feldern rechts-autoritär, rechts-liberal und wahrscheinlich sogar links-liberal fast eine Mehrheit gewinnen konnte, während die Allianz des links-autoritären Politikfeldes inklusive der Reste jener einst dominanten Mitte dies nur mit Ach und Krach zu verhindern wusste.

Mit anderen Worten: Wenn praktisch das gesamte Parteienspektrum im links-autoritären Feld zusammenschnurrt und die anderen drei Felder mehr oder weniger freigibt, dann ist — zumal in einem Land mit quasi struktureller bürgerlicher Mehrheit — der Weg frei für neue Mehrheiten jenseits aller etablierten Parteien. Dass es einer einzelnen Partei wie der AfD oder der FPÖ gelingen wird, eine absolute Parlamentsmehrheit zu gewinnen, ist zwar unwahrscheinlich, aber eben auch nicht unmöglich.

Grafik: Church of emacs (Lizenz)

Einfach leben

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Einfach leben. Genießen,
was du hast.
Zufrieden sein mit dem,
wie es ist.
Stärken spüren.
Grenzen akzeptieren.
Herausforderungen annehmen.
Loslassen, was quält.
Annehmen, was hilft.
Weitergeben, was stärkt.
Einfach leben.
Da sein.
Du selbst sein.

Udo Hahn

Warum ich nicht an das bedingungslose Grundeinkommen glaube

Erstaunlich viele intelligente Menschen glauben an das bedingungslose Grundeinkommen. Mir will dies einfach nicht gelingen. Wahrscheinlich habe ich mich nicht genug darum bemüht.

Neuen Auftrieb, gerade in der digitalen Szene, bekommt das Thema derzeit durch die Erwartung oder Befürchtung, dass durch Automatisierung in den nächsten Jahren zahllose Jobs verloren gehen werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen soll dieser neuen Welle der Arbeitslosigkeit begegnen.

Nun ist es ja durchaus so, dass wir uns in den letzten 150 Jahren allmählich an einen expandierenden Sozialstaat gewöhnt haben, der immer größere Teile des Bruttoinlandsprodukts in Anspruch nimmt und innerhalb der Bevölkerung nach mehr oder weniger sinnvollen Kriterien umverteilt. Historisch entstand er als Antwort auf die soziale Frage, die sich mit der Massenarbeitslosigkeit der frühen Industrialisierung verband.

Massenarbeitslosigkeit ist in Deutschland heute kein Thema mehr. Wir sind heute nicht mehr überwiegend Landwirte oder Handwerker, und selbst Industriefacharbeiter arbeiten heute mehr am Schreibtisch als in der Produktion. Die Art der Beschäftigung hat sich verschoben, aber in der Summe jagt in Deutschland seit Jahren ein absoluter Beschäftigungsrekord den nächsten.

Ein Teil dieser Jobs liegt aus Gründen statistischer Logik im unteren Einkommensbereich, wo das Einkommen aus Erwerbsarbeit mit dem Einkommen aus staatlichen Transferleistungen konkurriert. Das ist ein Grundproblem des Sozialstaats und nur schwer zu lösen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird daran wenig ändern.

Es gibt jedoch einen starken Zusammenhang zwischen der Schaffung von Wohlstand und dem daraus erzielten Einkommen. Wer eine Leistung erbringt oder ein Produkt herstellt, für die andere zu zahlen bereit sind, der hat gute Chancen auf ein gutes Einkommen. Auch daran wird ein bedingungsloses Grundeinkommen wenig ändern.

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die nächste Automatisierungswelle diesen Zusammenhang aufheben wird. Dass bestimmte Produkte und Dienstleistungen durch die technische und wirtschaftliche Entwicklung entwertet werden, ist kein neues Phänomen.

Dass hingegen der menschliche Erfinder- und Unternehmergeist aufhören würden, neue Produkte und Dienstleistungen zu erfinden, die auf neuen, bis dahin ungekannten Möglichkeiten basieren, steht nicht zu erwarten. Menschen werden weiterhin Werte und Wohlstand schaffen und daraus Einkommen erzielen.

Es gibt allerdings einen Punkt, der an der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens plausibel erscheint: die mögliche Abschaffung großer Teile unserer Sozialsysteme. Ob das allerdings gewollt und bis in die letzte Konsequenz durchdacht ist? Ich weiß es nicht und bezweifle es.