Zu notwendigen Reformen bei den Grünen

Klaus Kelle hat letzte Woche in seiner Kolumne „Politisch inkorrekt“ einen originellen Vorschlag gemacht:

Das „Handelsblatt“ gibt der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth breiten Raum für ihr gewohntes Sexualmoral-Zölibat-Frauenordination-Erneuerungs-Geweine. Mitglied der Kirche ist sie nicht. Ob die Zeitung nun wenigstens Kardinal Meisner mal etwas zu notwendigen Reformen bei den Grünen schreiben lässt?

Zwar bin ich nicht Kardinal Meisner. Als ehemaliger Stammwähler der Grünen drängt es mich dennoch, den Vorschlag aufzugreifen. Worin bestehen also die notwendigen Reformen? Es muss dabei um eine Überwindung der ökologischen Halbierung der Grünen gehen. Papst Benedikt gab dazu 2011 in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag den entscheidenden Hinweis:

Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muß und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.

Während die Grünen zwar die Umwelt des Menschen zum Bezugspunkt nehmen, ignorieren sie weitgehend seine eigene, die menschliche Natur. Die Familie ist der blinde Fleck der grünen Weltanschauung. Das hat mit der Gründungsgeschichte der Partei zu tun. Damals verschmolz die Umwelt- und Friedensbewegung mit den Überresten der marxistischen Revolte von 1968. Deren erklärtes Ziel war die Zerstörung der Familie, die als repressiv und reaktionär galt.

Da der Mensch nun aber seit Urzeiten in Familien lebt, da ohne Familie die Fortpflanzung und das Überleben des Menschen prekär wird, mit einem Wort: da die Familie zur Natur des Menschen gehört, liegt hier der Grundwiderspruch der Grünen. Nur wer diesen Widerspruch aushalten oder verdrängen kann, der kann sich vehement für bedrohte Tierarten einsetzen, aber das ungeborene Leben für nicht weiter schützenswert halten. Nur so können die gleichen Menschen zusammen mit der SPD an der weiteren Verstaatlichung der Kinderbetreuung arbeiten und gleichzeitig für artgerechte Tierhaltung kämpfen.

Dass die Partei angesichts dieser Widersprüche nicht zerbricht, liegt einzig und allein an den Zwängen der Macht. Die Aussicht auf Macht und die Teilhabe daran hält die Grünen zusammen. Der Druck der Machtverhältnisse zwingt logisch inkonsistente und selbstwidersprüchliche Positionen in ein Parteigehäuse.

Wird das auf Dauer so bleiben? Wahrscheinlich nicht. Irgendwann wird zerbrechen, was nicht zusammengehört. Es sei denn, die Grünen könnten sich zuvor zu notwendigen Reformen entschließen, i.e. sich von ihrem marxistischen Erbe trennen. Angesichts der breiten Mehrheitsfähigkeit ökologischer Themen wäre damit der Weg zur bürgerlichen Volkspartei frei. Und zur Koalition mit der CDU/CSU.

Der künftige Titel Joseph Ratzingers

Wie wird Papst Benedikt XVI. nach dem Ende seines Pontifikates heißen? Welchen Titel wird er tragen? Diese Frage beschäftigt offensichtlich viele Medien und auch Menschen, die es wissen müssten.

Doch die Frage scheint geklärt:

Benedikt XVI. wird wieder Seine Eminenz Kardinal Ratzinger werden und wird keine Vorrechte mehr ausüben können, wie die Unfehlbarkeit, die zuinnerst mit der päpstlichen Leitungsgewalt verbunden sind.

Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls Roberto de Mattei in einem längeren Aufsatz zur Demission des Papstes. Er zitiert einen Präzedenzfall:

Gregor XII. (1406-1415), der rechtmäßige Papst, sandte – um das Abendländische Schisma (1378 bis 1417) zu beenden – seinen Bevollmächtigten Carlo Malatesta nach Konstanz, um seine Bereitschaft zum Rücktritt bekanntzugeben. Der Verzicht wurde offiziell am 4. Juli 1415 von der Konzilsversammlung angenommen, die gleichzeitig den Gegenpapst Benedikt XIII. absetzte. Gregor XII. wurde wieder als Kardinalbischof von Porto in das Heilige Kollegium aufgenommen und damit mit dem höchsten Rang nach dem Papst. Nachdem er seinen Namen und seine Insignien abgelegt und wieder seinen Namen Angelo Kardinal Correr angenommen hatte, zog er sich als Päpstlicher Legat in die Marken zurück und starb am 18. Oktober 1417 in Recanati.

Abschied von einem Papst, der lebt

Unwirkliche Bilder kamen heute aus Rom: Bilder des Abschieds von einem Papst, der lebt.

In meinen 43 Lebensjahren habe ich bis jetzt vier Päpste erlebt. Drei von ihnen starben und wurden begraben, bevor ein neuer gewählt wurde. Zweimal kam der Abschied nicht unerwartet, einmal überraschend nach nur 33 Tagen.

Diesmal ist alles anders. Der Papst verzichtet auf sein Amt mit zweieinhalb Wochen Vorlauf, was Gelegenheit zum Abschied gibt.

Das Timing ist exzellent. Zum Monatsende am 28. und Büroschluss um 20 Uhr gibt er sein Amt auf, das klingt wie eine Pointe deutscher Gründlichkeit und Pflichterfüllung.

Das Konklave fällt dadurch in die Passionswoche, voraus gehen viereinhalb Wochen Fastenzeit, inlusive Exerzitien. Die Wahl des neuen Papstes wird gründlich durch Fasten und Beten vorbereitet sein.

Und vermutlich wird er am Palmsonntag in sein Amt eingeführt werden. Der Einzug unter Palmzweigen in Jerusalem, mit einem Esel wie einst Coelestin V. – wer kann sich so etwas ausdenken?

Der Abschied heute im violetten Gewand der Buße und mit dem Aschenkreuz – ein weiteres Zeichen der Demut. So wird Benedikt XVI. in Erinnerung bleiben.

Wo die 80er bis heute fortleben

Das Heidentum sitzt heute in der Kirche selbst, schrieb der junge Theologe Joseph Ratzinger 1958 in einem Aufsatz, den jüngst das Vatican-Magazin wieder zugänglich gemacht hat. Wer wie ich seine Jugend in einer noch stark katholisch geprägten Gegend verbracht hat, der konnte sehen, was die äußere Deckung von Kirche und Welt bedeutet, die nur noch zum Schein besteht.

„Frieden und Gerechtigkeit“ stand damals in den 80ern unter Picassos Friedenstaube auf den ökopapiergrauen Briefumschlägen, in denen die Bezirksstelle der Katholischen Jugend ihre Post verschickte. An Mail war noch nicht zu denken. Meine Jugend begann mit Friedens- und Umweltbewegung, Nachrüstungsdebatte und der geistig-moralischen Wende der Ära Kohl.

Während sich die Generation unserer Eltern noch selbstverständlich hinter Helmut Kohl scharte, tobte innerhalb der Kirche schon der Kampf verschiedener Fraktionen. Wir Jugendlichen fühlten uns als christlicher, katholischer Teil der Friedens- und Unweltbewegung und gerieten so in Widerspruch zu unseren CDU-Eltern und dem katholischen Establishment.

Unsere Opposition war also eine innerkirchliche. Wir schauten kritisch auf alles, was unserer Meinung nach dem Evangelium widersprach, gerade in der Kirche. Und wir experimentierten mit unserer jugendlichen Art des Kircheseins. „Wir sind Kirche“, lautete Mitte der 80er das Motto einer großen Jugendwallfahrt mit Bischof Josef Homeyer nach Vierzehnheiligen. Mit der gleichnamigen Splittergruppe hatte das aber nichts zu tun.

Mir scheint, die 80er leben bis heute fort, wenn ich mir die heutige innerkirchliche Opposition ansehe. Sie arbeitet sich an Themen ab, die uns schon damals nur am Rande interessierten, und das auch nur, weil davon so viel gesprochen wurde. Dabei gerät völlig aus dem Blickfeld, was die eigentlichen Herausforderungen der Zeit sind.

Das Evangelium ernstzunehmen muss mit dem innerkirchlichen Heidentum, das nur noch pro forma am Christentum festhält, notwendigerweise in Konflikt geraten. Mir scheint aber, dass sich die heutigen Kritiker eher auf Seiten eben jenes Heidentums befinden. Sie nehmen ihre Maßstäbe aus der Welt, nicht aus dem Evangelium, und sie hätten die Lehre der Kirche gern zeitgemäß, was heißt: der Welt gemäß.

Genau hier setzt der von Papst Benedikt im vergangenen Herbst geprägte Begriff der Entweltlichung an. Sie ist das Gegenteil jener Verweltlichung, die unweigerlich in einem neuen Heidentum enden muss. Entweltlichung ist nicht der Abschied von der Welt, sondern der Wechsel der Maßstäbe, weg von denen der Welt, hin zu jenen des Evangeliums.

Viel spannender als die müde innerkirchliche Opposition mit den immergleichen Langweilerthemen ist die Kirche in Opposition zur Welt, nicht grundsätzlich, aber dort, wo die Welt heillos geworden ist. Das Heil kommt nicht aus der Welt, sondern nur von Christus. Daran wird die Kirche notwendigerweise immer festhalten.

Fronleichnam in Rom

Zwei Nächte in Rom, beruflich, zum ersten Mal überhaupt. Und dann Fronleichnam als Haupttag. Eine selten glückliche Fügung.

Mein erster Weg am Mittwoch führte mich gleich zu Fuß durch das Stadtzentrum zum Petersplatz. Kaum zu glauben, aber beinahe rechtzeitig zur ersten Vesper von Fronleichnam war ich nahe am Hochaltar, an der Cathedra Petri von Bernini, wo das Domkapitel des Bischofs von Rom die hochfestliche Vesper feierte.

Die Sonne tauchte den Petersdom in ein wunderbares Nachmittagslicht. Es war unbeschreiblich schön. Ich blieb nicht zur anschließenden Messe, weshalb die Ordner mich samt einer größeren Gruppe nachdrücklich hinter die Absperrungen zurück beorderte.

Überhaupt wird im Dom ein ordentliches Regiment geführt, um der Touristenströme Herr zu werden. Und das scheint im Rahmen des Möglichen auch ganz gut zu gelingen. Es gibt Platz zum Beten, die Beichte kann in zahllosen Sprachen abgelegt werden, für Gottesdienste wird der Altarraum großzügig abgesperrt.

Auch das Grab des seligen Papstes Johannes Pauls des Zweiten liegt hinter einer solchen Absperrung, unter dem Altar des Heiligen Sebastian. Auch dort konnte ich eine Zeit im Gebet verweilen.

Die Vatikanische Post war so freundlich, mir etwas Strom für den Akku des iPhones zu schenken. Damit kam ich immerhin etwas weiter, denn Stadtplan oder Reiseführer in Papierform hatte ich nicht dabei.

Das Abendessen nahm ich gegenüber der Kirche Santa Maria dell’Anima ein, die passend zu Tiramisu und Kaffee ihre Türen für ein Konzert öffnete. So konnte ich noch einen schnellen Blick in die Kirche der deutschen Gemeinde Roms werfen.

Das Pantheon sah ich an diesem Abend – wie alle weiteren Kirchen – nur von außen, denn es war inzwischen etwas später geworden. Nach einem kurzen Blick in den Trevi-Brunnen (habe ich schon die Brunnen auf der Piazza Navona erwähnt?) nahm ich die Abkürzung durch den schrecklich lauten Straßentunnel unter dem Quirinalspalast zurück zum Hotel.

Am Abend des Fronleichnamstages kam ich so rechtzeitig zur Piazza San Giovanni, dass ich dort noch einen Sitzplatz ergattern konnte. Die Wartezeit ließ sich durch die still gebetete Vesper trefflich verkürzen.

Doch von einem pünktlichen Beginn um 19 Uhr konnte keine Rede sein. Die päpstliche Festmesse begann mit einem akademischen Viertel Verspätung, was sich wie ein ironischer Wink in Richtung des Professors Ratzinger lesen lässt. Der Vorteil der kleinen Verzögerung war, dass die Sonne inzwischen hinter San Giovanni versunken war und uns nicht mehr blenden konnte.

Zur päpstlichen Liturgie gibt es wenig zu sagen. Das Ordinarium aus der Missa de Angelis konnte ich fröhlich zusammen mit dem wackeren Priester schmettern, der zu meiner Rechten Platz genommen hatte. Links saßen drei Damen reiferen Alters, die mit dem Latein weniger vertraut schienen.

Überhaupt Latein. Es gab relativ viel Italienisch für meinen Geschmack, eine Sprache, der ich leider nicht mächtig bin. Auf Latein waren das Hochgebet, das dritte in diesem Fall, und die meisten Gesänge, wenn auch bei weitem nicht alle.

Zu den liturgischen Höhepunkten möchte ich die Sequenz zählen, die in voller Länge und Schönheit im Wechsel zwischen Schola und Volk gesungen wurde. Ist die eigentlich im aktuellen Messbuch vorgesehen? Egal, es war phantastisch und übrigens durchaus anspruchsvoll zu singen, da das Volk des öfteren gerade nicht die Melodie des vorangegangenen Scholaverses wiederholen kann, sondern eine andere Melodie zu singen hat.

Die Predigt werde ich wohl mal nachlesen müssen. Was übrigens leicht nervte, waren die metallenen Absperrgitter, die der Ordner regelmäßig mit lautem Krachen zur Seite rückte, um das rege Kommen und Gehen abzuwickeln.

Der Römer an sich lässt sich auch durch eine Papstmesse nicht davon abhalten, im Straßenverkehr durch häufiges Hupen schlimmere Unfälle als kleinere Blechschäden zu vermeiden. So war immer klar, dass ich nicht träume. Denn irgendwie unwirklich war die Szene an diesem wunderbaren Frühsommerabend: die große Menschenmenge vor der festlich geschmückten Fassade der Lateranbasilika, der prächtige Altar und der zierliche Papst mit seinen weißen Haaren, alles unter einem strahlend blauen Himmel bei stetig abnehmendem Tageslicht.

Die Kommunionausteilung führte leider zu einem ziemlichen Gedränge. Der wackere Diakon, der an unserem Ende die Kommunion spendete, begann der großen Nachfrage wegen irgendwann damit, die Hostien zu halbieren. Er musste am Ende von einem Ordner zur Ordnung gerufen werden, weil er der letzte war, der noch die Kommunion spendete. Übrigens nur Mundkommunion, die scheint inzwischen bei päpstlichen Messen wieder selbstverständlich zu sein.

Dann war die Messe vorbei, und nun wurde die Lage etwas unübersichtlich. Wie ich später sah, hätte ich wohl einfach innerhalb der Absperrungen bleiben sollen, um mit den übrigen Gläubigen hinter dem Wagen mit dem Allerheiligsten und dem Papst zur Basilika Santa Maria Maggiore ziehen zu können. Der gesamte Weg dorthin war nämlich komplett abgesperrt.

Doch der Herdentrieb verleitete mich dazu, außerhalb der Absperrungen neben dem schier endlosen Zug kirchlicher Würdenträger an den zahlreichen Zuschauern vorbei zu gehen. Meine Kerze war schnell erloschen, weil ich keinen bunten Windschutz abbekommen hatte.

Von Priestermangel konnte an diesem Abend wohl keine Rede sein. Nicht nur zog eine unabsehbare Reihe von ihnen vor dem Allerheiligsten her, auch außerhalb der Absperrungen wimmelte es nur so von Römerkragen und Soutanen. Eine wahre Demonstration des Katholischen, rund um den auferstandenen Christus in der Monstranz.

Der Papst kniete dahinter, mit seinem etwas zerzaust wirkenden weißen Haar, wie von den Zeitläuften zerknittert. Die Prozession wirkte auf mich wie eine große Kundgebung der Solidarität mit dem Papst, der wiederum durch sein Knien zeigte, dass es nicht zuerst um ihn geht, sondern um Christus.

Die Texte und Gesänge zur Prozession waren nun fast ausschließlich auf Italienisch, und das Begleitheft verzichtete, anders als bei den Texten der Messe, auf Übersetzungen. Der Zug erreichte Santa Maria Maggiore, bevor der Vorrat an Wort und Musik erschöpft war. Sogar das letzte Evangelium entfiel.

Es gab auch keine Zwischenaltäre, wahrscheinlich aus Platzgründen, denn auch die Piazza Santa Maria Maggiore platzte aus allen Nähten, als der Zug dort ankam, und zwar auf beiden Seiten der Absperrgitter. Mit dem Tantum Ergo und dem Eucharistischen Segen endete die Feier.

Dem Begleitheft war zu entnehmen, dass ich einen Ablass hätte gewinnen können, wenn ich die üblichen Bedingungen erfüllen würde. Hätte ich das vorher gewusst, so wäre ich vermutlich am Vortag im Petersdom zur Beichte gegangen. Geschadet hätte das jedenfalls nicht.

Der hochfestliche Abend klang für mich im Antico Caffe Santamaria aus, das direkt gegenüber der Basilika Santa Maria Maggiore liegt. Nachdem die Feier samt Prozession rund drei Stunden gedauert und ich zuvor nichts gegessen hatte, war es Zeit für ein spätes Abendessen. Als ich Platz nahm, leuchteten noch die sechs hohen Kerzen auf dem Freialtar vor der Basilika in die warme römische Nacht.

Der Papst setzt Maßstäbe

Den Stereotypen der in Deutschland veröffentlichten Meinung gilt Papst Benedikt XVI. als Konservativer. Doch spätestens mit seinen Reden beim jüngsten Deutschlandbesuch hat er sich eher als Reformer zu erkennen gegeben. Allerdings nicht in einem vordergründig-aktionistischen Sinn, wie er der platten Reformrhetorik vorschwebt, die trotz ihres langandauernden Niedergangs gerade ein weiteres Mal ihr hässliches Haupt erhob.

Nein, dieser Papst reformiert, indem er Maßstäbe setzt, an denen sich das konkrete Handeln messen lassen muss. So hat er mit seinen Freiburger Reden Pflöcke eingehauen, an denen der deutsche Dialogprozess nur noch um den Preis seiner eigenen Bedeutungslosigkeit vorbeikommen kann. Dem spießigen Strukturkonservatismus, der sich hinter der Reformagenda verschanzt, hat er eine an Deutlichkeit kaum zu überbietende Absage erteilt.

Ganz ähnlich verfährt er in Sachen Liturgie, indem er mit seinen päpstlichen Messfeiern ein Beispiel für die würdige und sinnerfüllte Feier in der ordentlichen Form gibt – und ihr zugleich die alte Messe als überkommenen Maßstab an die Seite stellt. Beides sind keine kurzfristigen, aktionistischen Reformen, sondern einfache Maßnahmen mit langfristiger Wirkung. Dem verbreiteten liturgischen Missbrauch hilft diese päpstliche Praxis nicht kurzfristig ab, doch entzieht er ihm Schritt für Schritt die vermeintliche Legitimation.

Maßstäbe hat Papst Benedikt auch längst für die Ökumene gesetzt, und zwar am Beispiel der Anglikaner. Während für die Orthodoxie mit den katholischen Ostkirchen längst eine Blaupause vorlag, gibt es nun auch eine für die Rückkehr der westlichen Schismatiker, die es zur Einheit mit Rom drängt. Nach dem Vorbild der anglikanischen Ordinate lassen sich in Zukunft auch Strukturen für Lutheraner denken, die ihrer ökumenischen Rhetorik endlich Taten folgen lassen wollen.

Auch dies sind keine hastigen Reformen, sondern Weichenstellungen mit Langzeitwirkung, die weit über das aktuelle Pontifikat hinausreichen werden. Dieser Papst hat es nicht nötig, irgendetwas zu überstürzen. Die Zeit arbeitet für ihn, trotz oder gerade wegen seiner 84 Jahre. Auch dies ist eine wunderbare Ironie unserer Gegenwart.

Gottesknecht

In dieser Stunde tritt die Hoffnung auf den „Neuen Bund“ hervor, der nicht mehr auf der immer brüchigen Treue menschlichen Wollens gegründet, sondern unzerstörbar in die Herzen selbst eingeschrieben ist (vgl. Jer 31,33). Der Neue Bund muss, mit anderen Worten, auf einen Gehorsam gegründet sein, der unwiderruflich und unverletzlich ist. Dieser nun in der Wurzel des Menschseins gründenden Gehorsam ist der Gehorsam des Sohnes, der sich zum Knecht gemacht hat und allen menschlichen Ungehorsam in seinem bis in den Tod gehenden Gehorsam aufnimmt, durchleidet und überwindet.

Gott kann den Ungehorsam der Menschen, all das Böse der Geschichte nicht einfach ignorieren, nicht als belanglos und bedeutungslos behandeln. Eine solche Art von „Barmherzigkeit“, von „bedingungsloser Vergebung“ wäre jene „billige Gnade“, gegen die sich Dietrich Bonhoeffer vor dem Abgrund des Bösen in seiner Zeit mit Recht gewandt hat. Das Unrecht, das Böse als Realität kann nicht einfach ignoriert, nicht einfach stehengelassen werden. Es muss aufgearbeitet, besiegt werden. Nur das ist die wahre Barmherzigkeit. Und dass Gott nun, weil die Menschen es nicht zustande bringen, es selber tut – das ist die „bedingungslose“ Güte Gottes, die nie gegen die Wahrheit und die ihr zugehörige Gerechtigkeit stehen kann. „Wenn wir untreu sind, bleibt er doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen“, schreibt Paulus an Timotheus (2 Tim 2,13).

Diese seine Treue besteht darin, dass er nun nicht nur als Gott gegenüber den Menschen handelt, sondern auch als Mensch gegenüber Gott, und den Bund so unwiderruflich fest gründet. Deshalb gehört die Figur des Gottesknechtes, der die Sünden vieler trägt (Jes 53,12), mit der Verheißung des unzerstörbar gegründeten Neuen Bundes zusammen. Diese nicht mehr zu zerstörende Eingründung des Bundes im Herzen des Menschen, der Menschheit selbst, geschieht im stellvertretenden Leiden des Sohnes, der Knecht geworden ist. Von da an steht der ganzen schmutzigen Flut des Bösen der Gehorsam des Sohnes entgegen, in dem Gott selbst gelitten hat und dessen Gehorsam daher immer unendlich größer ist als die wachsende Masse des Bösen (vgl. Röm 5,16-20).

Joseph Ratzinger, Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth, Band II, S. 152f.

Mein Fastenprogramm 2011

Im Prinzip hat sich mein zuletzt vor zwei Jahren neu justiertes Fastenprogramm bewährt. Nun allerdings muss ich es wieder anpassen. Denn im vergangenen Sommer haben wir unsere Ernährung auf die Logi-Methode umgestellt.

Diese Umstellung hat nicht nur mein körperliches Wohlbefinden deutlich erhöht, sie hat auch dazu geführt, dass ich pro Monat etwa ein Kilo Gewicht verliere (und mir wieder anfuttern muss, um nicht immer weiter abzunehmen). Nun war ich noch nie wirklich übergewichtig. Jetzt aber liegt mein Gewicht in der Nähe des langjährigen Minimums, konkret unter 70 Kilo bei etwas mehr als 1,80 Meter Körpergröße.

Das entspricht einem Body-Mass-Index von 20,5. Meinem Alter entsprechend läge der optimale BMI bei 21-26. Ich sollte also nicht weiter abnehmen. Würde ich das Fasten nach den Regeln der Kirche auf die volle Zeit der 40 Tage ausdehnen und die Ernährung nach der Logi-Methode beibehalten, dann wäre ein weiterer Gewichtsverlust kaum zu vermeiden.

Ich werde also in der kommenden Fastenzeit auf Alkohol und Süßigkeiten verzichten sowie den Fleischkonsum reduzieren, aber nicht komplett einstellen. Ansonsten bleibt es bei drei Mahlzeiten am Tag. Sonntage und Hochfeste sind ab der ersten Vesper vom Fasten ausgenommen.

Als Fastenlektüre nehme ich mir in diesem Jahr den zweiten Band Jesus von Nazareth (Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung) aus der Feder von Papst Benedikt XVI. vor. Das Buch erscheint übermorgen, einen Tag nach Aschermittwoch, sicher kein Zufall.

Außerdem werde ich ab morgen dieses Notizbuch unter meinem vollen Namen führen und es auch mit meinen übrigen Netzaktivitäten verbinden, soweit das sinnvoll ist.

Zum Schluss noch ein Tipp für Hörer: Father Z. hat heute die erste Folge seines LENTCAzT publiziert. Er verspricht eine tägliche Kurzbetrachtung zur Fastenzeit, u.a. mit der jeweiligen Stationskirche des Römischen Messbuches und den Tagesgebeten der ordentlichen wie auch der außerordentlichen Form.

Die Lebenslügen der Generation 68

Das Theologenmemorandum, der kleine Volksaufstand gegen Stuttgart 21 und die Sarrazin-Debatte haben eines gemeinsam: Es sind Schlachten, die im Namen der politischen Korrektheit geschlagen werden. Dabei ist „politisch korrekt“ im Kern eine contradictio in adiecto.

Denn Korrektheit setzt voraus, dass es richtig und falsch gibt und dass dies objektiv erkennbar ist. Politisch hingegen ist gerade das, was nicht eindeutig richtig oder falsch ist. Politisch muss entschieden werden, wo es kein objektives richtig oder falsch gibt, wo sich die Empfehlungen der Fachleute widersprechen, wo ein Kompromiss zwischen sich widersprechenden Positionen gefunden werden muss.

So sieht die Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung aus. Wenn die Verwaltung mit ihrem Latein am Ende ist, wenn der Umweltdezernent und das Bauamt mit jeweils guten Gründen für das genaue Gegenteil votieren, dann muss die Politik entscheiden, was getan oder auch unterlassen werden soll.

„Politisch korrekt“ wäre also das eindeutig Richtige, zu dem es keine Alternative gibt. Alternativlos, wie zuletzt in der deutschen Politik des öfteren zu hören. Was aber alternativlos ist, das ist nicht politisch. Es sei denn, wir hätten es mit einer Diktatur zu tun.

Die memorierenden Theologen, die schwäbischen Wutbürger und die Gegner Thilo Sarrazins wähnen sich auf der richtigen, der politisch korrekten Seite. Sie stemmen sich mit aller Kraft gegen unerwünschte und für sie unerfreuliche Realitäten.

Ihre Gegner sind klar: eine Kirche, die sich dem Diktat der politischen Korrektheit nicht beugen will und kann, ein Infrastrukturgroßprojekt, das sich nicht mit dem Idyll verbürgerlichter Altrebellen verträgt, ein Analytiker, der verdrängte und ignorierte Probleme ans Tageslicht holt.

In Stuttgart waren vor allem die ergrauten Grünen die Träger des Aufstands, mit Unterstützung bis weit ins bürgerliche Lager hinein. Das Memorandum ist ebenfalls das Projekt jener Generation, die im Gefolge von 68 sozialisiert wurde. Und im Fall Sarrazin sind es die Lebenslügen der Multikulti-Ideologen, die als solche entlarvt wurden.

Wir sollten uns in den kommenden Jahren auf weitere Schlachten nach diesem Muster einstellen. In einer alternden Gesellschaft, in der Rentner, Pensionäre und Sozialleistungsempfänger den Ton angeben, ist sehr viel Raum für Schattenboxen dieser Art. Und einige Anlässe lassen sich auch leicht vorhersehen.

So jährt sich 2012 der Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils zum fünfzigsten Mal. Für die Jahre bis 2015 gibt es jede Menge Gelegenheit, über die Themen des Konzils zu streiten. Man kann sich übrigens auf diese Debatten vorbereiten und schon jetzt mit der Rezeption der Konzilsdokumente beginnen. Vielleicht werden auch die Lehrgespräche der Piusbruderschaft mit Rom rechtzeitig bemerkenswerte Ergebnisse liefern.

2017 steht der fünfhundertste Jahrestag der Reformation an. Zu diesem Termin wird es jede Menge Streit um den Ökumenismus geben. Zur Vorbereitung könnte es sich lohnen, zum Beispiel Mortalium animos zu lesen. (Mit Dank an Father Z.)

Und schließlich folgt 2018 der fünfzigste Jahrestag der Revolte von 1968. Bis dahin stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich die 68er sämtlich im Ruhestand befinden und ihre Meinungsmacht endgültig gebrochen ist. Damit wäre der Weg frei für eine erste echte Schadensbilanz.

Die Lebenslügen der Generation 68 gegen die harte Realität zu verteidigen kostet jede Menge Energie. Energie, die jener Generation langsam, aber sicher abhanden kommt, nicht zuletzt aus biologischen Gründen. Die Heftigkeit der Debatte um die Thesen Thilo Sarrazins, aber auch die Reaktionen auf das Theologenmemorandum haben gezeigt, dass die Deutungshoheit bereits kräftig bröckelt. Was in sich widersprüchlich ist, wie die politische Korrektheit an sich, lässt sich auf Dauer nicht aufrechterhalten.

Doch auch 2011 stehen noch einige bemerkenswerte Ereignisse ins Haus. Die Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. im Mai dürfte ein Großereignis mit bis zu 2,5 Millionen Pilgern werden. Auch darauf können wir uns vorbereiten.

Und schließlich folgt im September der Staatsbesuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland. Wir haben es in der Hand, daraus einen Erfolg zu machen. Denn ein Erfolg wäre es bereits, wenn sichtbar würde, wie groß die Unterstützung für den Heiligen Vater in Deutschland ist – und wie klein die Zahl seiner Gegner.

Mit der Petition ist zum ersten Mal seit langer Zeit die Schweigespirale durchbrochen. Das ist ein gewaltiger Fortschritt. Weitere Schritte sollten folgen.

Johannes Paul II. wird seliggesprochen

Und mich freut diese Nachricht. Johannes Paul den Großen hat man ihn seinerzeit nach seinem Ableben genannt, aber das war vielleicht etwas voreilig und konnte sich bis dato nicht durchsetzen. Nun also Seliger Papst Johannes Paul II., demnächst, von jenem Sonntag der Barmherzigkeit an, den er selbst als Fest in den liturgischen Kalender eingefügt hat und an dessen Vorabend er 2005 selbst den Weg zum Haus des Vaters antrat.

Klar scheint mir, dass in den nächsten Monaten vor allem in den deutschen Medien ein heftiges Ringen um die Deutungshoheit über diesen großen Mann Gottes ausbrechen wird. Im Jahr 2005 hatte die plötzliche Wiederkehr der Religion in den Hauptstrom der Diskurse einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft die meisten Meinungsführer kalt erwischt. Man war nicht vorbereitet auf diesen plötzlichen Einbruch des Transzendenten in eine Welt, die sich in der Immanenz bequem eingerichtet hat.

Knapp sechs Jahre später sieht das etwas anders aus. Nach der rauhen Wegstrecke des aktuellen Pontifikats sind die Messer allenthalben gut gewetzt. Allerdings könnte auch dieses Jahr etwas anders ausfallen, als es sich die professionellen Meinungsmacher ausrechnen. Ein sich über Monate aufbauender Begeisterungsschub für die bevorstehende Seligsprechung Johannes Pauls, und dann ein Staatsbesuch seines Nachfolgers im Papstamt – steht uns etwa eine Neuauflage jenes monumentalen Jahres 2005 ins Haus?