Die besten Reformer

The best reformers the world has ever seen are those who commence on themselves.
George Bernard Shaw, Kalenderspruch vom Tage, zit. nach QuotationsBook

Most people either say that they agree with Bernard Shaw or that they do not understand him. I am the only person who understands him, and I do not agree with him.
Gilbert Keith Chesterton, George Bernard Shaw

Geburtenrückgang im Oktober

Gewisse Zweifel an den Erfolgsmeldungen der Familienministerin hatten mich schon früher beschlichen. Doch nun macht der Spiegel die Sache amtlich: Im Oktober 2008 wurden fast 8.000 weniger Kinder als im Oktober 2007 geboren. Da der Zuwachs von Januar bis September im Jahresvergleich nur 3.400 Kinder betrug, ist die Bilanz nach zehn Monaten also deutlich negativ. Frau von der Leyen, ich warte auf die Pressekonferenz zum Thema.

Mehr Kinder?

Familienministerin Ursula von der Leyen hat den Familienbericht in Familienreport umbenannt und einen PR-Coup gelandet. „Deutsche bekommen mehr Kinder“, titelt zum Beispiel die Zeit.

So sind laut Report im Jahr 2007 12.000 Kinder mehr zur Welt gekommen als 2006. Bis September 2008 waren es 3400 Kinder mehr als im gleichen Zeitraum 2007. Das Statistische Bundesamt schätzt die Zahl der Geburten 2008 auf bis zu 690.000, 2007 wurden in Deutschland genau 684.862 Kinder geboren.

Beim Statistischen Bundesamt hingegen liest sich das etwas anders:

Nach vorläufigen Berechnungen hat sich die Zahl der Geburten im Vergleich zu 2007 kaum verändert und die der Sterbefälle leicht erhöht: Es wird mit wiederum etwa 680 000 bis 690 000 Geburten und mit etwa 835 000 bis 845 000 Sterbefällen gerechnet. Das sich aus der Differenz aus Geburten und Sterbefällen ergebende Geburtendefizit wird dadurch von gut 142 000 im Jahr 2007 voraussichtlich auf etwa 150 000 bis 160 000 ansteigen.

Mit anderen Worten: Es kann gut sein, dass die Zahl der Geburten 2008 wieder leicht zurückgegangen ist. Klar ist nur: Das Geburtendefizit steigt weiter an.

Deutschland hat eine Staatsreligion

Die Formulierung mag überraschen, aber es ist die Summe aus den Ereignissen der letzten Wochen. Das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland ist neu definiert worden. Das Christentum ist nun die Religion einer unterdrückten und in mehrere Gruppen gespaltenen Minderheit, während die Mehrheit sich eine Zivilreligion gegeben hat, deren oberste Sachwalterin zugleich Kanzlerin ist.

Wer wie Bischof Richard Williamson den Massenmord an den Juden oder jedenfalls die Existenz von Gaskammern leugnet, stellt damit nach Ansicht von Eckhard Fuhr den zentralen Bezugspunkt der westlichen Zivilreligion infrage. Diese ist auch nach Auffassung meines Altbischofs das Fundament der Europäischen Union.

Die Anerkennung des Holocaust ist nach Ansicht des emeritierten Hildesheimer Bischofs Josef Homeyer die Eintrittskarte nach Europa. Daher sei die Europäische Union (EU) auch eine Antwort auf die „tragische Geschichte dieses Kontinents“ so Homeyer bei einer Tagung in Potsdam „Europas zukünftige Identität“. Für Juden war noch 1825 die Taufe das „Entreebillet“ nach Europa, wie Heinrich Heine damals schrieb. Eine ironische Wendung der Geschichte habe aber dazu geführt, dass heute die Vernichtung der Juden die einschlägige europäische Bezugsgröße geworden sei, so Homeyer. Dass sich die Präsidenten von Polen und Rumänien zur Mitschuld ihrer Länder an der Judenvernichtung bekannten, habe deren Beitritt zur EU erleichtert.

Noch deutlicher wird Stephan Detjen in seinem Kommentar [via]:

Eine Bundeskanzlerin, die das Gedenken an den Holocaust zu einem Bestandteil deutscher Staatsräson erklärt, darf sich selbstverständlich dazu äußern, wenn der Papst einen notorischen Holocaust-Leugner und Antisemiten auf spektakuläre Weise in seine Kirche re-integriert. […]

Im Fall Williamson ergibt sich eine zusätzliche Verbindung zur deutschen Staatsgewalt, weil der reaktionäre Bischof seine jüngsten Äußerungen, in denen er den Holocaust leugnete, ausgerechnet auf deutschem Boden tat. Die Staatsanwaltschaft Regensburg ermittelt gegen ihn. Die Kanzlerin bewegt sich mit ihrer Papst-Kritik indes auf einer ganz anderen Ebene. Sie liegt jenseits von Recht und Politik. Es ist die Sphäre der Zivilreligion, zu der sich die Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden im Nachkriegsdeutschland ausgeprägt hat.

Merkels Redewendung vom Holocaust als Teil der Staatsräson ist der Versuch, die Kultivierung und Dogmatisierung historischer Erinnerung in die Sprache der Politik zu übersetzen. Im Strafrecht findet die zivilreligiöse Qualität des Holocaust-Gedenkens ihren Ausdruck in der einzigartigen Kriminalisierung einer historisch unwahren Tatsachenbehauptung. Über vieles lässt sich in unserem Land verhandeln: Die plurale und multiethnische Gesellschaft integriert Menschen aller Hautfarben, Weltanschauungen und Religionen. Antisemitismus und Versuche, nationalsozialistische Verbrecher zu rehabilitieren aber liegen jenseits einer absoluten Grenze. Hier haben Toleranz und Diskursbereitschaft ein Ende, hier steht das zur Disposition, was den Kern kollektiver Identität der Nachkriegsdeutschen ausmacht. Es geht deshalb in der Debatte um die Papst-Kritik Merkels nicht allein um rational begründbare Formen des Umgangs miteinander.

Genau das macht die Auseinandersetzung zwischen Benedikt und Merkel so pikant: Der absolutistische Herrscher der Kirche trifft auf die Hohepriesterin der Zivilreligion.

Hier wird die Grenzüberschreitung Merkels deutlich sichtbar, auch wenn Detjen dies gar nicht zu erkennen scheint. Die Kanzlerin hat sich in einer Glaubensfrage über den Papst gestellt und verdient deshalb die Bezeichnung Hohepriesterin völlig zu Recht.

Welche Folgen es für das Christentum hat, wenn Auschwitz zur Zivilreligion erhoben wird, bringt Claude Lanzmann auf den Punkt:

Wenn Auschwitz etwas anderes ist als ein Schrecken der Geschichte, wenn es sich der ‘Banalität des Bösen’ entzieht, dann erbebt das Christentum in seinen Grundfesten. Christus ist der Sohn Gottes, der bis zum Ende des Menschenmöglichen gegangen ist, wo er die entsetzlichen Leiden erduldet hat … Wenn Auschwitz wahr ist, gibt es ein menschliches Leiden, das sich mit jenem Christi überhaupt nicht auf eine Stufe stellen läßt … In diesem Fall ist Christus falsch, und nicht von ihm wird das Heil kommen. Fanatismus des Leidens! Wenn nun Auschwitz weitaus extremer als die Apokalypse ist, weitaus schreckerregender als das, was der Johannes in der Apokalypse erzählt (denn die Apokalypse ist beschreibbar und gemahnt sogar an ein großes, hollywoodähnliches Spektakel, während Auschwitz unaussprechbar und undarstellbar ist), dann ist das Buch der Apokalypse falsch, und das Evangelium desgleichen. Auschwitz ist die Widerlegung Christi.

(Aus: Claude Lanzmann, Les Temps modernes, Paris, Dez. 1993, Seite 132,133. – Zitiert nach: http://www.kreuzforum.net/showthread.php?tid=2383) [via]

Und was es heißt, den systematischen Völkermord der Nazis an den Juden “das entsetzlichste Menschheitsverbrechen” zu nennen, fragt Dr. Gunther Maria Michel in seinem Blog karmelblume:

Wenn Sie das Wort “entsetzlichst” elativisch verstehen im Sinne von extrem entsetzlich, dann verstehe ich diese Formulierung und stimmen Ihnen voll zu. Wenn Sie “entsetzlichst” aber superlativisch im Sinne von “entsetzlicher als alle anderen Menschheitsverbrechen” verstehen, dann verstehe ich Sie nicht. Ich vermute jedoch fast, dass Sie es im letzteren, heute allgemein verbreiteten Sinne meinen, so etwa wie das ARD den Holocaust als das “präzedenzlose Verbrechen” und “größte Verbrechen der Geschichte” beschrieben hat.

Ich frage: War der Völkermord an den Sinti und Roma durch die Nazis weniger entsetzlich als der an den Juden? War der Völkermord an den Armeniern und an den Suryoye im Osmanischen Reich in den Jahren 1915 bis 1917 weniger entsetzlich? War der Völkermord in Ruanda im Jahre 1994 weniger entsetzlich? Waren der Holodomor 1932-1933 (früher Hunger-Holocaust genannt) und der Völkermord der Zwangskollektivierung und Kulakenverfolgung durch Josef Stalin, deren Opferzahl von Wissenschaftlern auf 14,5 Millionen Menschen geschätzt wird, weniger entsetzlich? Wenn ja, in welcher Hinsicht?

Hochwürdigster Herr Bischof, bitte helfen Sie mir, Sie zu verstehen. In quantitativer Hinsicht kann das Verbrechen doch nicht entsetzlicher gewesen sein, wie aus der größeren Zahl der Opfer in der Sowjetunion ersichtlich ist. Inwiefern aber in qualitativer Hinsicht? War der Mord an den Juden grausamer als an andern Genozidopfern? Wer wagt es, das Leiden zu vergleichen? War die Absicht der Nazimörder niederträchtiger als die anderer Völkermörder? Wer ist imstande, die Gesinnungen zu beurteilen? Waren die Opfer der Schoah unschuldiger als andere Mordopfer?

Wäre dann nicht jeder Mord an einem ungeborenen Kind entsetzlicher als ein Völkermord, denn ein ungeborener Mensch ist zwar befleckt vom Makel der Erbsünde, aber frei von jeder persönlichen Schuld? Aber wie wir wissen, beträgt die Anzahl der unschuldig ermordeten Kinder weltweit nach offiziellen Schätzungen jährlich mehr als vierzig Millionen! Was also bedeutet Ihr Wort vom entsetzlichsten Menschheitsverbrechen?

Aber vielleicht wollten Sie damit keine geschichtliche, sondern eine metaphysische oder theologische Aussage machen? Sind die Juden allein aufgrund ihrer Geburt andere Menschen als die übrigen Menschen? Etwa nach dem Credo des Südafrikaners in dem Film “München” von Steven Spielberg: “Das einzige Blut, das für mich zählt, ist jüdisches Blut”?

Ich glaube nicht, dass Sie das meinen, hochwürdigster Herr Bischof. Aber was dann? Unter theologischem Aspekt komme ich als Christ nicht umhin, an die Ermordung unseres Herrn, wahren Gottes und Heilands Jesus Christus zu denken, den der Hohe Rat der Juden zum Tode verurteilt und an die Römer zur Hinrichtung ausgeliefert hat. Ist dieser Mord, mit den Augen des christlichen Glaubens betrachtet, nicht entsetzlicher als alle Morde der Menschheitsgeschichte, denn Er, Christus, war doch der einzige unschuldige Sohn Adams, der jemals über diese Erde gegangen ist? Und Er, das unschuldige Lamm Gottes, war, wie Sie und ich und wie auch die Bischöfe und Priester der Piusbruderschaft glauben, das einzige reine und makellose Opfer, das je Gott dargebracht wurde? Was ist dann nach christlichem Glauben präzedenzlos und singulär: Golgotha oder Auschwitz?

All das heißt, dass es hier letztlich um zwei konkurrierende Wahrheitsansprüche geht: Entweder ist der verabsolutierte und zum Götzen erhobene Holocaust wahr oder das Christentum. Man kann nicht zwei Herren dienen. Unterwerfen sich die deutschen Bischöfe etwa deshalb mehrheitlich der Merkelschen Holocaustvergötzung, weil sie Konkordate und Kirchensteuer nicht riskieren wollen?

Die protestantische Pfarrerstochter Merkel als Hohepriesterin einer antichristlichen Zivilreligion? Ein ungewohnter Gedanke. Aber womöglich werden wir uns daran gewöhnen müssen. An unserer neuen Staatsreligion werden wir jedenfalls noch viel Freude haben.

Ein Dialog mit Volker Beck

Es gibt zwei Gründe, die Parteien wählbar oder unwählbar machen: das Programm und das politische Personal. Als ehemaliger, langjähriger Stammwähler der Grünen ist für mich heute Volker Beck einer der Gründe, die diese Partei für mich unwählbar machen. Nicht weil er homosexuell wäre, sondern weil er ein Demagoge ist.

Gestern und heute hatte ich Gelegenheit zu einem Dialog mit ihm per Twitter. Dort schrieb er gestern:

Der Papst ist ein Heuchler: Respekt sieht anders aus /Ablehnung eines französichen Botschafter wegen dessen Homosexualität

Meine Antwort:

Not sure if I like to listen to your dumb propaganda. Considering to unfollow you.

Ein paar Stunden später hatte Volker Beck eine Pressemitteilung im Netz:

03.10.2008
Der Papst ist ein Heuchler: Respekt sieht anders aus

Französische Medien haben berichtet, dass der Vatikan den Botschafter Jean-Loup Kuhn-Delforge als Vertreter der Französischen Republik gegenüber dem Vatikanstaat wegen seiner Homosexualität abgelehnt hat. Auch ein geschiedener Botschafter wurde von Rom abgelehnt (http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,581713,00.html).

Dazu erklärt Volker Beck, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer:

Der Papst ist ein Heuchler: Respekt sieht anders aus.

Der Papst hält sich meines Erachtens nicht an den eigenen Katechismus. Dort heißt es unmissverständlich:
“Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen sind homosexuell veranlagt. Sie haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt; für die meisten von ihnen stellt sie eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen.“

Was von den Gläubigen verlangt wird, sollte zu allererst das Oberhaupt der katholischen Kirche beherzigen. So entwertet der Papst selbst diese Sätze im Katechismus: Dass dort von Achtung, Mitleid und Takt gesprochen wird, ist angesichts dieses Vorfalls nur noch Heuchelei.

Die Nichtakzeptanz eines homosexuellen Botschafters ist ein Dokument der Herabwürdigung, das Gegenteil von Achtung und Respekt. Die katholische Kirche beleidigt mit der Zurückweisung von geschiedenen und homosexuellen Botschaftern so alle Geschiedenen und Homosexuellen. Dass man unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Lebensführung und sexuellen Identität einen Botschafter eines anderen Staates zurückweist, ist ein Übergriff der Religion auch in die staatliche Sphäre.

Beck argumentiert mit dem Katechismus, braucht also keinen mehr.

Einen Tag später ist seine Antwort da:

Das steht jedem frei, wem er hier folgen will. Was hier „dumb propaganda“ ist erschließt sich mir nicht.

Dem Manne kann geholfen werden.

You insult dissenters as hypocrites („Heuchler“), but don’t bother to provide a link. That’s what I call dumb propaganda.

Und weiter:

Beck: Der off. Widerspruch zwischen „Achtung“ im Katechismus und Ablehnung eines Botschafters oder Kündigungen bei Caritas verdient dies.

me: Can’t see a contradiction. Diplomats must be trusted by both parties. Trust can’t be enforced. That’s why diplomats have to be approved. What would you do if your employee left the green party and switched to the CSU? Fire him?

Beck: Sexual identity is not a choice. So your example doesn’t match. And a french ambassador is not the employee of the pope.

me: Don’t be confused, please. My example was referring to your argument about Caritas, not the french ambassador. It’s not a question of sexual identity, but of trust. The pope can’t be forced to trust a gay activist as ambassador. And if you think that insulting dissenters can be justified, think again. The catechism may be a help.

Beck: This is the same argument: Saudi Government can’t be forced to trust a woman or a christian as ambassador.

me: No government can be forced to trust a particular person as ambassador.

Beck: The insult is not in my word it is in the behavior of Pope Benedict.

me: You insulted the pope as hypocrite, not the other way around. Let’s simply stay with the facts.

Beck: This hypocrite insulted all homosexuals by acting like he did. the catechism speaks about respect, the pope just doesn’t care. Nobody wanted to force the pope to do anything. But he has to be judged by his actions.

me: No, that’s simply not true. In this case it’s pretty clear that you are the offender who insults dissenters, not the pope.

Der Dialog zeigt aufs Schönste den demagogischen Diskussionsstil des Politikers. Beck fordert allen Ernstes, einen Aktivisten der Homosexuellenbewegung zum Botschafter Frankreichs beim Heiligen Stuhl zu machen. Es soll also ein Propagandist der Sünde die diplomatischen Beziehungen eines ehemals katholischen Kernlandes Europas zum Vatikanstaat pflegen. Geht’s noch? Was hat das mit Respekt zu tun?

Und dann dreht er schlicht das Argument um. Er beleidigt den Papst, und hält man ihm dies vor, so behauptet er schlicht, der Papst habe ihn und seinesgleichen beleidigt. Nein, selbstverständlich wolle er den Papst zu nichts zwingen, aber wenn er nicht tut, was Beck will, so ist Beck beleidigt.

Dieser Diskussionsstil ist schlicht zum Kotzen. Ich mag das Schlagwort Politikverdrossenheit nicht, aber nach diesem Dialog ist mir klar, woher sie kommt. Es sind Leute wie Beck, die den Wähler verdrießen.

Beck ist mit seinen Argumenten heute Mainstream, was die veröffentlichte Meinung betrifft. Der Papst spricht zwar für eine große Gruppe, vertritt aber gegenüber jener veröffentlichten Meinung eine Minderheitsposition. So haben sich die Verhältnisse längst umgekehrt. Beck ist zwar der Sprecher einer Minderheit, vertritt aber eine Mehrheitsposition. Und attackiert Andersdenkende skrupellos.

Wer ist hier eigentlich der Heuchler?

I don’t believe in Obama

Das Messiashafte an der politischen Inszenierung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten ging mir schon auf die Nerven, als Barack Obama noch gegen Hillary Clinton kämpfte. Auch Obama ist nur ein Politiker, und ein fehlbarer noch dazu. Zu den Fehlleistungen gehört die flapsige Antwort auf die in amerikanischen Wahlkämpfen eminent wichtige Frage, ab wann ein Baby Menschenrechte habe:

Whether you are looking at it from a theological perspective or a scientific perspective, answering that question with specificity is, you know, above my pay grade.

Über seiner Besoldungsklasse? Aha. Nancy Pelosi, demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses und Katholikin, legt sich zur gleichen Frage mit bis jetzt 27 Bischöfen an, als sie behauptet, das könne niemand sagen, die katholische Kirche diskutiere darüber seit Jahrhunderten.

I would say that as an ardent, practicing Catholic, this is an issue that I have studied for a long time. And what I know is, over the centuries, the doctors of the church have not been able to make that definition. And Senator–St. Augustine said at three months. We don’t know. The point is, is that it shouldn’t have an impact on the woman’s right to choose. […] I don’t think anybody can tell you when life begins, human life begins. […] So again, over the history of the church, this is an issue of controversy. But it is, it is also true that God has given us, each of us, a free will and a responsibility to answer for our actions. And we want abortions to be safe, rare, and reduce the number of abortions.

Am vergangenen Sonntag hat nun auch Obamas Vize Joe Biden, ebenfalls Katholik, auf die gleiche Frage geantwortet:

I’d say, „Look, I know when it begins for me.“ It’s a personal and private issue. For me, as a Roman Catholic, I’m prepared to accept the teachings of my church. But let me tell you. There are an awful lot of people of great confessional faiths–Protestants, Jews, Muslims and others–who have a different view. They believe in God as strongly as I do. They’re intensely as religious as I am religious. They believe in their faith and they believe in human life, and they have differing views as to when life–I’m prepared as a matter of faith to accept that life begins at the moment of conception. But that is my judgment. For me to impose that judgment on everyone else who is equally and maybe even more devout than I am seems to me is inappropriate in a pluralistic society.

Das sind mir schöne Katholiken.

Wahre Freiheit

Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Woche über Ausnahmen vom Rauchverbot in Gaststätten entschieden. Richtig so. Im Geiste dieser wegweisenden Entscheidung schlage ich vor, als nächstes dem staatlichen Kinderkrippenwesen die Grundlage zu entziehen. Auch hier greift der Staat weiter in den persönlichen Bereich ein als wünschenswert.

Meint übrigens auch Volker Kauder. Sich um sich selbst zu kümmern, das sei nicht nur Bürde, sondern auch Freiheit, zitiert ihn die Zeit. Doch Freiheit ist in Deutschland ein schwieriges Thema, wie Alan Posener treffend feststellt:

Dass die wahre Freiheit nicht Hemmungslosigkeit sei, sondern bedeuten könnte, sich freiwillig einem durchaus strengen sittlichen Regiment unterzuordnen, erkannte zuerst Paulus; dieser Gedanke ist auch der Kern des Protestantismus. Aber schon Martin Luther hielt das nicht durch und erklärte die „Freiheit eines Christenmenschen“ (sprich: eines Deutschen) zur Freiheit, sich seinem Fürsten zu unterwerfen, was etwas völlig Anderes ist.

Heilige Einfalt

Da wählt die Deutsche Bischofskonferenz einen neuen Vorsitzenden, und wen befragt dazu der Deutschlandfunk aus dem katholischen Köln? Christian Weisner, Sprecher einer verschwindend kleinen Minderheit, die von sich kontrafaktisch und untheologisch behauptet, Kirche zu sein. [MP3]

Das Deutschlandradio Kultur aus dem heidnischen Berlin hingegen spricht am gleichen Tag mit dem Hamburger Erzbischof Dr. Werner Thissen – allerdings über die Kritik des Hilfswerks Misereor an der Verwendung von Entwicklungshilfegeldern. [MP3]

Ich habe die Wahl

Am kommenden Sonntag werde ich meiner Bürgerpflicht nachkommen und meine Stimmen bei der Wahl zum Niedersächsischen Landtag abgeben. Auch wenn ich ratlos wie selten bin, wem ich meine Stimmen geben werde. Ein schneller Test mit dem Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung ergab die größte Übereinstimmung mit der FDP.

Am wenigsten stimme ich demnach heute mit den Positionen jener Partei überein, der ich zwanzig Jahre lang bei jeder Bundes- und Landtagswahl mindestens meine Zweitstimme gab. Die Grünen vereinten von Anfang an zwei unvereinbare Richtungen unter ihrem Parteidach.

Da war die Umwelt- und Friedensbewegung der 70er und 80er Jahre, die zu ihren Hochzeiten bis weit ins katholische Milieu hinein ausstrahlten. Auf den selbstverständlich umweltpapiergrauen Briefumschlägen der Bezirksstelle der katholischen Jugend prangten damals Picassos Friedenstaube und der Slogan „Frieden und Gerechtigkeit“. Jugendmessen hatten die Bewahrung der Schöpfung zum Thema. Die Umweltbewegung trägt konservative, bewahrende, oft bis ins Kleinbürgerliche reichende Züge.

Und dies verträgt sich kaum mit dem libertären Revoluzzertum der Erben von 1968, das sich gegen Staat, Wirtschaft und Familie als Institutionen der Unterdrückung richtete. Die Ideologie jener Erben kann mit Begriffen wie Materialismus, Kommunismus, Sozialismus oder Nihilismus skizziert werden.

In der Partei der Grünen hat sich dieser Grundwiderspruch bis heute in den Gegensätzen von Land und Großstadt, von Fundis und Realos oder Ost und West erhalten. So kämpfen die Grünen gegen Umweltzerstörung und zerstören gleichzeitig die Innenwelt (Jürgen Borchert).

Der Wahl-O-Mat vergleicht anhand von 30 Thesen die Meinung des Nutzers mit den Positionen der Parteien. Dadurch ergibt sich durchaus ein erkennbarer Trend. Um der Wahlentscheidung näher zu kommen, bietet sich der Überblick der Bundeszentrale für politische Bildung über die Wahlprogramme der Parteien an. Bei kandidatenwatch.de stellen sich die Direktkandidaten auch meines Wahlkreises den Fragen der Wähler. Nicht alle jedoch antworten dort auch.

Der Ruf nach dem starken Staat

Nach dem Tod der fünfjährigen Lea-Sophie sind die Rufe nach Behörden und Kontrollen wieder laut geworden. Der starke Staat soll richten, was in Familien zu Bruch geht.

Einmal davon abgesehen, dass Behörden damit in der Regel überfordert sind, frage ich mich auch, ob das überhaupt eine gute Idee ist. Wollen wir wirklich Jugend-, Gesundheits- und andere Ämter, die jede einzelne Familie kontrollieren? Und lenkt nicht der wohlfeile Ruf nach dem starken Staat vom Versagen der Gesellschaft im Großen und vieler Familien im Kleinen ab?