Erwerbsneigung und Recht auf Arbeit

Peregrinus diskutiert die nicht ganz neue Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens und schlägt ein Recht auf Arbeit vor. Ich frage mich, wohin dieser Zug eigentlich fahren würde.

Es wird vielleicht überraschen, aber es gab in Deutschland noch nie so viele Erwerbstätige wie heute. Gerade haben wir die Schwelle von 40 Millionen Erwerbstätigen überschritten. Das ist nahezu jeder zweite Einwohner, vom Kleinkind bis zum Greis.

Es waren also noch nie so viele Menschen ins Erwerbsleben eingebunden wie heute, und es gibt nur deshalb Arbeitslose, weil die Erwerbsneigung noch stärker angestiegen ist als die Beschäftigung. (Von Problemen wie Fachkräftemangel und fehlender Qualifikation möchte ich hier absehen.)

Die hohe Erwerbsneigung ist keinesfalls unproblematisch, sie sägt nämlich am Ast, auf dem wir alle sitzen. Ein Recht auf Arbeit ist de facto nichts anderes als ein Förderungsprogramm zur weiteren Erhöhung der ohnehin schon hohen Erwerbsneigung. Ob das gut wäre?

Was war (3): Eva und die Wölfe

Was mich an der Aufregung der letzten Wochen über Eva Herman am meisten gestört hat, war die Geringschätzung, ja Verachtung der Mutterschaft, die in vielen Wortmeldungen zum Ausdruck kam. Mutter zu sein ist in Deutschland inzwischen etwas völlig Nachgeordnetes, das hinter allem Möglichen zurückstehen muss. Wer Mutter wird, hat offensichtlich nichts Besseres zu tun. Oder ist zu blöd zum Verhüten.

Eine zynische, menschen- und frauenverachtende Haltung scheint Allgemeingut geworden, jedenfalls in der veröffentlichten Meinung. Sie korrespondiert aufs Genaueste mit der jüngst veröffentlichten Abtreibungsstatistik und der Berichterstattung darüber. Angesichts von 42 Millionen Kindstötungen jährlich scheint die ganze Sorge den Zehntausenden Frauen zu gelten, die bei Abtreibungen ums Leben kommen.

Selbstverständlich ist das eine berechtigte Sorge, aber ist es nicht zynisch und menschenverachtend, die getöteten Kinder keines einzigen Gedankens zu würdigen? Und nimmt sich nicht die als Holocaust (Ganzopfer, Brandopfer) bezeichnete industrielle Ermordung der europäischen Juden im Vergleich zu 42 Millionen getöteten Kindern pro Jahr fast mickrig klein aus?

Eva Herman wird für ungeschickte Äußerungen zur nationalsozialistischen Familienideologie von mediokren Talkmastern öffentlich hingerichtet und in die Nähe zum Nationalsozialismus gerückt – während die Ideologie, gegen die sie sich wendet, Jahr für Jahr eine Zahl von Opfern fordert, die an die des Zweiten Weltkriegs heranreicht. Diese Ideologie ist die Geringschätzung des Lebens selbst und die Unterordnung des Lebens der nächsten Generation unter unsere Wünsche und Bedürfnisse.

Es ist in Deutschland fast schon rechtfertigungspflichtig geworden, Kinder aufzuziehen statt sie zu verhüten oder abzutreiben. Werte wie Liebe, Familie und Kinder waren einmal selbstverständlich und sind es in jeder gesunden Gesellschaft. In Deutschland nicht.

Abrechnung mit 68

Thomas Hoof, ehemaliger Landesgeschäftsführer der Grünen in Nordrhein-Westfalen, hat das von ihm gegründete Unternehmen Manufactum an Otto verkauft und zieht sich Ende des Jahres aus der Geschäftsführung zurück. In seinen letzten Hausmitteilungen rechnet er mit seiner Generation ab:

1968: zum bevorstehenden 40sten.
In meiner Generation gibt es zahlreiche glühende Verklärer ihrer eigenen Jugend – das bevorstehende Jubiläumsjahr 2008 wird’s wieder mal bezeugen.

Die Generation der um und ab 1950 geborenen wird wahrscheinlich in die Sozial- und Mentalitätsgeschichte eingehen als eine, die ihre raison d‘être in den Begriffen „Vergangenheitsbewältigung“ und „Selbstverwirklichung“ gefunden zu haben meinte. Das ist, so zeichnet sich ab, ein bißchen wenig für ein ganzes Leben.

Denn auch dieser Generation wird die Erfahrung nicht erspart bleiben, irgendwann vom moralisch urteilenden Nachfahren zum moralisch beurteilten Vorfahren zu werden – und als solcher daran gemessen zu werden, wie er die Gegenwart bewältigt und die Zukunft vorbereitet hat. Daß wir da sehr gut aussehen, ist durchaus zweifelhaft, denn das Ergebnis unseres „Durchmarsches“ sind Institutionen, die – von der Schule bis zur Uni, von der Justiz bis zum Staatshaushalt, von der Familie bis zur Meinungsfreiheit – allesamt aussehen wie ein antikes Seeräuberschiff, das soeben Kaperbesuch von den Bewohnern eines kleinen gallischen Dorfes hatte.

Nur mit der Rätedemokratie scheint es noch was zu werden; die nimmt Formen an als ein unüberschaubares Geflecht von Europäischen und Welt-Klima-und-diesund-das-Räten, im überstaatlichen Jenseits residierend, dort von jeder Legitimations- und Rechenschaftspflicht befreit und demokratisch völlig unantastbar. Das war, wenn ich mich recht entsinne, von ihren basisdemokratischen Anhängern auch mal andersrum gemeint.

Wir werden sie im nächsten Jahr noch nicht erleben, die überfällige Abrechnung mit 68. Denn die Zinnen der Medienburgen sind von jenen besetzt, die den Marsch durch die Institutionen angetreten und erfolgreich durchgestanden haben.

Sie werden sich 2008 noch einmal kollektiv auf die Schultern klopfen und sich gegenseitig loben für ihr großes Werk. Die Abrechnung kommt dann 2018. Und sie wird derjenigen von 1968 in nichts nachstehen.

Realitätsabgleich für eine Ministerin

Wer kümmert sich schon um lästige Details, wenn es um hehre Ziele wie die Verdreifachung der Krippenplatzversorgung geht? Manfred Spieker, Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Universität Osnabrück, ist verblüfft:

Niemand scheint die Berechnungen der Familienministerin nachgeprüft zu haben. Niemand konfrontiert ihre Forderungen mit den Geburtenzahlen des Statistischen Bundesamtes einerseits und den Wünschen der betroffenen Mütter andererseits.

  1. In Deutschland werden keine 700.000 Kinder mehr pro Jahr geboren (2006: 673.000, 2005: 686.000). Preisfrage: Wie viele Kinder bis zu drei Jahren kann es dann maximal geben?
  2. Für das erste Jahr bzw. die ersten 14 Monate gibt es Elterngeld – werden auch Krippenplätze für jedes dritte Kind im ersten Lebensjahr gebraucht?
  3. Die Zahl von 500.000 neuen Krippenplätzen ist mithin höchst unplausibel. Die lästigen Details können bei Spieker nachgelesen werden.

Das von-der-Leyensche Krippenprojekt missachtet aber nicht nur die Geburtenzahlen des Statistischen Bundesamtes, sondern auch die Wünsche der Frauen. Gerade einmal 17 Prozent sind nach einer Untersuchung des Ipsos-Instituts vom März 2007 der Meinung, dass die Kinder in einer Krippe am besten aufgehoben seien, während 81 Prozent die Erziehung durch die Eltern für das Beste halten.

Wäre die Familienpolitik an echter Wahlfreiheit der Eltern interessiert und würde sie die 1000 Euro, die ein Krippenplatz durchschnittlich im Monat kostet, direkt an die Mütter auszahlen, also Subjekt- statt Objektförderung betreiben, dann würden 69 Prozent der Mütter in den ersten drei Jahren zu Hause bleiben und ihr Kind selbst erziehen.

Noch Fragen?

Römische Verträge

Es war kein Zufall, dass die Römischen Verträge vor 50 Jahren genau am Fest der Verkündigung des Herrn unterzeichnet wurden, geschweige denn, dass dies just in Rom geschah. Adenauer und Schuman waren schließlich Katholiken, die wussten, was sie taten.

Fünfzig Jahre später darf in der Berliner Erklärung nicht einmal Gott erwähnt werden.

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Gesegnete Ostern!

Lebenslügen

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – wie eine tibetanische Gebetsmühle klappern die Beschwörungen aus dem Munde von Politikern aller Parteien. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine der großen Lebenslügen der meisten westlichen Gesellschaften.

Familie und Beruf sind unter den Bedingungen der spätkapitalistischen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft eher ein Antagonismus als eine Symbiose. Sie sind nicht miteinander vereinbar. Berufstätigkeit geht auf Kosten der Familie und umgekehrt.

Daran kann auch verbesserte außerhäusliche Kinderbetreuung nichts ändern. Denn die steht genauso im Gegensatz zur Familie wie der Beruf. Sie macht Berufstätigkeit möglich, nicht Familie. Eine Familie ist nur dann auf zusätzliche Kinderbetreuung angewiesen, wenn alle Bezugspersonen gleichzeitig einem Beruf nachgehen oder aus anderen Gründen abwesend sind.

Es ist kein Zufall, dass seit Anfang der siebziger Jahre gleichzeitig die Geburtenrate gesunken ist und die Erwerbstätigkeit zugenommen hat. 1970 waren in Westdeutschland 26,589 Millionen Menschen erwerbstätig und leisteten durchschnittlich 1.966,4 Arbeitsstunden pro Jahr. Das entspricht bei 46 Arbeitswochen pro Jahr genau 42,75 Stunden pro Woche und Arbeitnehmer.

1991 leisteten 31,261 Millionen Erwerbstätige in Westdeutschland durchschnittlich 1.558,8 Stunden, also 33,9 Stunden pro Woche. Die Gesamtsumme der Arbeitsstunden sank von 52,285 (1970) auf 48,730 Milliarden (1991). Immer mehr Menschen leisten immer weniger Stunden. Im vierten Quartal 2006 waren in Deutschland 39,716 Millionen Menschen erwerbstätig, 1991 waren es 38,621.

Die zunehmende Erwerbstätigkeit wird seit den 70er Jahren von kontinuierlich angewachsener Arbeitslosigkeit begleitet. Arbeitslos ist, wer arbeitswillig ist, aber keine Stelle findet. Demnach würde in Deutschland sogar mehr als jeder zweite Bürger, vom Säugling bis zum Greis, einem Beruf nachgehen, wenn es dafür nur Beschäftigung genug gäbe.

Vor die freie Wahl zwischen Familie und Beruf gestellt, entscheiden sich also seit mehr als einer Generation immer mehr Menschen für den Beruf und damit gegen eine Familie. Tendenziell steigt so das Arbeitskräfteangebot auf dem Arbeitsmarkt, und sofern die Nachfrage dem nicht Schritt hält, sinkt tendenziell der Preis – die Reallöhne schrumpfen.

Die gesamte Lohnsumme, ein erheblicher Teil des Bruttosozialprodukts, wird zudem unter immer mehr Köpfen aufgeteilt. Der einzelne Arbeitnehmer erhält einen kleineren Teil der Lohnsumme als zuvor. Solange die Wirtschaft wächst und die Löhne steigen, fällt dieser Prozess der schleichenden Umverteilung nicht ins Gewicht.

Kritisch wird es, wenn die Wirtschaft stagniert und mit ihr die Löhne. Denn die Lebenshaltungskosten steigen weiter, mithin schrumpft das ohnehin geringe frei verfügbare (also nicht durch laufende Verpflichtungen und Fixkosten gebundene) Monatseinkommen der meisten Familien oder wird gar negativ – Schulden laufen auf.

Diese säkularen Trends verschlechtern die Situation der Familien. In immer mehr Fällen reicht ein Einkommen nicht aus, um davon eine Familie zu ernähren. Was als höhere Erwerbsneigung begann, wird zum Zwang zur Erwerbstätigkeit.

Auch im Berufsleben entstehen neue Ungleichheiten. Wer keine familiären Rücksichten nehmen muss, kann sich vollständig dem Beruf widmen. Ein neuer Typus des Arbeitnehmers tritt auf: der kinderlose, immer verfügbare Arbeitnehmer, der seine Erfüllung allein im Beruf findet.

Dieser Typus wird immer häufiger. Noch vor zwei Generationen gab es ihn so gut wie gar nicht. Evolutionär betrachtet ist er zwar ein Auslaufmodell, da er keine Nachkommen hat. Doch er beeinträchtigt die Karrierechancen für Eltern.

Gegen die DINKs, Doppelverdiener ohne Kinder, haben Familien wirtschaftlich keine Chance. Selbst wenn beide Eltern in Vollzeit arbeiten, fressen bei Normalverdienern die Kosten der Kinderbetreuung große Teile des zweiten Einkommens auf.

Daran würde sich nur dann etwas ändern, wenn die Kinderbetreuung komplett vom Staat finanziert würde. Doch auch dann müssten diese Kosten aus dem Bruttosozialprodukt bestritten werden, und es ist wenig wahrscheinlich, dass Familien dann keine höhere Steuern zahlen oder nicht auf andere staatliche Leistungen verzichten müssten.

Die höhere Erwerbsneigung untergräbt so die wirtschaftliche Basis der Familie. Familien geraten gegenüber der übrigen Bevölkerung ins Hintertreffen. Die freie Wahl zwischen Familie und Beruf mag frei sein für den, der sie ausübt – sie schafft Unfreiheit für andere.

Historisch gesehen ist diese freie Wahl zwischen Familie und Beruf für breite Bevölkerungsschichten ein neuartiges Phänomen. Erst die Adenauersche Rentenreform vor 50 Jahren hat die wirtschaftliche Abhängigkeit von eigenen Nachkommen gelockert – und damit die Möglichkeit geschaffen, auf Nachkommen zu verzichten.

Und erst die breite Verfügbarkeit von künstlichen Verhütungsmitteln seit den 60er Jahren hat es möglich gemacht, diesen Verzichtswunsch in die Tat umzusetzen und trotzdem nicht ehelos oder enthaltsam zu leben. Beides zusammen hat seit dem Pillenknick eine immer stärkere Unwucht in der Lastenverteilung zwischen den Generationen und innerhalb der einzelnen Generationen geschaffen.

Mit Rentenbeiträgen beteiligen sich alle Erwerbstätigen am Unterhalt für die Eltern- und Großelterngeneration. Der Unterhalt der Kinder bleibt hingegen allein den Eltern überlassen. Eltern verzichten dafür nicht nur auf Erwerbseinkommen, sondern auch auf Rentenansprüche.

Kinderlose erwerben in dieser Zeit Rentenansprüche, die später von den Kindern anderer Leute bedient werden müssen – die selbst meist geringere Rentenansprüche haben, obwohl sie die Kosten jener Kinder überwiegend allein getragen haben.

Dem wäre allenfalls durch massive Umverteilung von Kinderlosen zu Familien entgegenzuwirken. Das jedoch kehrte die heutige Lage vollständig um. Seit fünfzig Jahren wird massiv von Familien zu Kinderlosen umverteilt.

Mit der diskutierten Kürzung von Familienleistungen zugunsten der staatlichen Finanzierung von Kinderkrippen würde sich an diesem Ungleichgewicht überhaupt nichts ändern. Es würde im Gegenteil weiter verschärft.

Die Umverteilung von Familien zu Berufstätigen tritt damit in eine neue Phase: Genommen wird den Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen (und dafür auf Erwerbseinkommen verzichten), gegeben den Eltern, die Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen, um Erwerbseinkommen zu erzielen.

Eine gerechte Lösung wäre zum Beispiel ein erheblich höheres Kindergeld, das die Kosten von Krippen, Kindergärten, Horten und Berufsausbildung ausgleichen könnte. Es wäre das fehlende Gegenstück zur Rente und müsste wie die Rente aus Sozialbeiträgen oder aus Steuermitteln finanziert werden. Die Höhe müsste sich am Ziel orientieren, die heutige Umverteilung von Familien zu Kinderlosen zu kompensieren.

Von solchen Zielen allerdings ist die gegenwärtige Familienpolitik weit entfernt. Sie suggeriert das Unmögliche – die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – und vergrößert die wirtschaftliche Benachteiligung von Familien, statt sie zu verringern.

Lakonisch referiert Rudolf Maresch in Telepolis einige Thesen von Norbert Bolz:

Während die Kluft zwischen dem Lebensstil von Eltern und dem von Kinderlosen stetig wächst, schreitet der Zerfallsprozess, den Funktionalisten beschreiben, munter voran. Sein Ende ist am Horizont schon zu beobachten. Ganz nüchtern müsse man daher feststellen, dass Kinderaufzucht und Erziehung nicht mit der modernen Wirtschaft kompatibel sind. Mit Kindern kann der moderne Kapitalismus, außer sie konsumieren, wenig anfangen. Eine Familie zu gründen, ist mittlerweile eine törichte Entscheidung mit ungewissem Ausgang. Wer sich dazu bekennt, handelt ökonomisch dumm, weil er sich unnötige Kosten aufbürdet, die er besser anderweitig ausgibt, aber auch kulturell fahrlässig, weil er sich freiwillig eigener Chancen und persönlicher Bewegungsfreiheit beraubt.

Kinder haben keinen Wert, in sie zu investieren, macht keinen Sinn, sie bleiben unkalkulierbare Fixkosten hinsichtlich Ausbildung, Sozialisation und Beruf. […] Der „Vorsorgestaat“ (Francois Ewald) oder „vorsorgende Sozialstaat“, wie es im SPD-Programm jetzt heißt, lügt sich in die Tasche, und mit ihm all jene Kohorten rotgrüner Besserverdiener, die glauben, den „Kinderschwund“ durch eine „Verstaatlichung der Kinder“ beikommen zu können. Sie in soziale Bewahranstalten zu sperren, wird kaum für Abhilfe sorgen. Sie bieten vielleicht Betreuung, aber keine Hingabe und liebevolle Zuwendung. Und sie bieten Kompensation, um das schlechte Gewissen und Schuldgefühle von Eltern zu betäuben. Was die Gesellschaft im innersten zusammenhält: Handlungen zu begehen ohne Gegenleistung zu erwarten, kann weder vom Markt noch vom Staat organisiert werden.

Dem ist wenig hinzuzufügen.

Wertfragen

Am Ende, wenn die Debattenmaschine einmal stillsteht, bleibt eine ganz einfache Frage: Was ist höher zu bewerten – Familie oder Beruf? Vermutlich ist es ein Zeichen für den sicheren Niedergang einer Gesellschaft, wenn sie Beruf höher bewertet als Familie. Denn nur die Familie kann ihren eigenen Fortbestand und damit den jeder Gesellschaft sichern.

Der Beruf kann der Familie gegenüber nur den zweiten Rang haben. Er trägt durch das damit erwirtschaftete Einkommen zum Fortbestand der Familie bei, aber mehr eben auch nicht. Kein Beruf bringt Kinder hervor. Jedes Berufsleben ist irgendwann zuende, eine Familie besteht fort. Berufliche Positionen können wechseln, Familie braucht Stabilität. Es ist kein Zufall, dass die Geburtenrate unter die Schwelle von 2,1 Kindern pro Frau sinkt, wenn der Beruf höher bewertet wird und die Familie nicht mehr stabil ist.

Die CDU/CSU steht am Scheideweg. Seit ihrer Gründung hatten die Unionsparteien eine klare Wertehierarchie: Die Familie ging vor. Davon ist nicht mehr viel übrig. Gleichen Rang können Familie und Beruf nicht gut haben. Denn Werte sind ja gerade dann wichtig, wenn eine freie, nicht durch Zwänge bestimmte Entscheidung ansteht. Wer zwischen zwei Alternativen wählen kann, wählt die höherwertige.

Insofern ist die Wahlfreiheit, die jetzt allenthalben beschworen wird, nicht viel mehr als ein Popanz. Denn die Doppelverdiener-Ehe mit (kleinen) Kindern ist ein fragiles Modell. Soll ein nennenswertes Familienleben übrigbleiben, dann ist sie allenfalls auf Teilzeitbasis möglich. Zwei Teilzeitjobs reichen indes in den seltensten Fällen aus, um eine Familie zu ernähren (und die höheren Kosten einer doppelten Berufstätigkeit zu bestreiten) – womit das Dilemma hinreichend beschrieben ist.

Es bleibt eine Wertentscheidung zwischen Familie und Beruf, und wer dem Beruf den Vorzug gibt, legt die Lunte an die Familie. Scheidungsquoten und Abtreibungszahlen schreien zum Himmel. Die Einverdiener-Ehe ist hingegen besser als ihr Ruf. Sie verteilt die Lasten zwar nicht gleich, aber jedenfalls nicht ungerecht. Sie ist unter den heutigen Bedingungen des Berufslebens praktikabel und überfordert niemanden. (Und nein, es ist nicht zwingend der Mann, der das Geld nach Hause bringt.)

Kinderkrippen sind ein Notbehelf für jenes Drittel junger Mütter (oder Väter), die schon in den ersten drei Lebensjahren ihrer Kinder zur Arbeit gezwungen sind oder sich frei dafür entscheiden, weil sie den Beruf höher bewerten als die Familie. Der aktuelle Streit, reduziert um allerlei ideologisch motiviertes Getöse, tobt um die Finanzierung dieser im Wesentlichen unumstrittenen gesellschaftlichen Aufgabe.

Bischof Mixa hat mit scharfen Worten die Pläne gegeißelt, zu dieser Finanzierung einseitig die Familien selbst heranzuziehen. Der Präzedenzfall dafür war das Elterngeld, das zu großen Teilen durch die Streichung des Erziehungsgeldes und die Kürzung der Kindergeldbezugsdauer finanziert wird. Die aktuellen Vorschläge der SPD für den Krippenausbau sehen genau das vor: Das Kindergeld soll nicht erhöht und die dadurch freiwerdenden Mittel umgeschichtet werden. Das lehnt Ministerin von der Leyen zwar ab, hat aber keine anderen Vorschläge.

Nun zahlen Normalverdienerfamilien das seit Jahren nicht mehr erhöhte Kindergeld ohnehin schon aus eigener Tasche. Der Fiskus nimmt uns das Geld zunächst über die Steuer weg, um es anschließend durch das Arbeitsamt wieder auszahlen zu lassen. Einfacher wäre es, gleich den Steuerabzug um die Höhe des Kindergeldes zu kürzen.

Aber statt die Familien tatsächlich nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu besteuern, nimmt der Staat mehr, als viele Familien entbehren können – nur um das Geld anschließend auf verschlungenen Wegen als Sozialleistung zurückzuzahlen.

Der Hort, den mein schulpflichtiger Sohn besucht, wird von einer Elterninitiative getragen und aus öffentlichen Kassen kaum unterstützt. Für den kirchlichen Kindergarten zahlen wir happige Beiträge. Wahrscheinlich reichen unsere Steuern auch noch, um damit die Schule und öffentliche Zuschüsse für den Kindergarten zu bestreiten.

Uns jetzt noch mehr Geld zu nehmen, um damit Kinderkrippen zu bezahlen, ist weder recht noch billig. Diese Aufgabe muss aus dem allgemeinen Steueraufkommen (plus Beiträgen der Eltern von Krippenkindern) bezahlt werden. Dann tragen auch wir gern unseren Anteil.

Es geht eben nicht um ein paar Grenzfälle, sondern um die gerechte Verteilung der Lasten. Und es geht um Werte (Familie oder Beruf?) und Normen: Ein- oder Doppelverdiener? Fremdbetreuung oder Familie?

Mixa und die Gebärmaschinen

Er hat Recht, gar keine Frage. Und die Kritik an der Kritik des Augsburger Bischofs an der Familienpolitik der CDU zeigt alle Symptome des Bellens getroffener Hunde.

Die CDU ist nicht erst seit gestern dabei, sich von den Grundlagen ihrer eigenen Existenz zu verabschieden. Und die CSU hält zwar verbal daran fest, nicht aber in der Praxis.

Von deutschen Bischöfen erhält Mixa jetzt Unterstützung. Wolfgang Huber jedoch fällt ihm in den Rücken, sein telegenes Fähnchen flattert im Wind. Die Debattenmaschine kreißt.

Als einen „gesellschaftspolitischen Skandal“ bezeichnete Bischof Mixa Planungen des Familienministeriums, zur Finanzierung neuer Kinderbetreuungseinrichtungen andere Familienleistungen zu kürzen.

Ist das kein Skandal? Sicher doch.

„Die Familienpolitik von Frau von der Leyen dient nicht in erster Linie dem Kindeswohl oder der Stärkung der Familie sondern ist vorrangig darauf ausgerichtet, junge Frauen als Arbeitskräfte-Reserve für die Industrie zu rekrutieren“, sagte Mixa.

Vielleicht erinnern wir uns für einen kleinen Moment an das Elterngeld, zu dessen Finanzierung das Erziehungsgeld gestrichen wurde. Das gab es immerhin für bis zu 24 Monate – jetzt ist nach maximal 14 Monaten Schluss (und auch nur für den, der sich dem Diktat einer vorgeblich gerechten Aufteilung der subventionierten Elternzeit beugt).

Der Druck zur frühzeitigen Arbeitsaufnahme steigt. Und das war nicht die einzige Umverteilungsentscheidung der regierungsamtlichen Finanz- und Familienpolitik. Das Familiennetzwerk kommt in einer Analyse zu diesem Schluss:

Schon unter Rot-Grün und vom Tempo her von Schwarz-Rot sogar noch verschärft, entzieht die Bundesregierung systematisch den Familien die Grundlage jeglicher (Wahl-)Freiheit – nämlich ihre materielle Basis!

Um es mal ganz platt zu sagen: Das Geld für den Ausbau der (staatlichen) Kinderbetreuung wird den Familien genommen, die so zu mehr Erwerbsarbeit gezwungen werden – und damit die Nachfrage nach Kinderbetreuung ankurbeln.

„Dass in einer Wohlstandsgesellschaft junge Mütter ihre kleinen Kinder in staatliche Fremdbetreuung geben müssten, um selbst wirtschaftlich überleben zu können, ist das Gegenteil einer modernen und humanen Familienpolitik“, sagte Mixa.

Die Doppelverdiener-Ehe werde von der CDU-Ministerin geradezu zum ideologischen Fetisch erhoben. Wer aber mit staatlicher Förderung Mütter dazu verleite, ihre Kinder bereits kurz nach der Geburt in staatliche Obhut zu geben, degradiere die Frau zur „Gebärmaschine“ und missachte alle wissenschaftlichen Erkenntnisse über die besondere Mutter-Kind-Beziehung in den ersten Lebensjahren, betonte Mixa.

Brave new world. Brought to you by CDU/CSU.

Völkerverständigung

Der Papst ist zu Gast in der Türkei. Wie es aussieht: eine große Reise in Sachen Völkerverständigung. Es ist im Grunde das zweite Mal, dass der Papst bei Türken zu Besuch ist, nach dem Weltjugendtag hier in Köln.

Benedikt XVI. hat gesagt: Er wünscht der Türkei viel Glück bei den Beitrittsverhandlungen mit der EU. Die EU auch.

Harald Schmidt, 29. November 2006