Differenzverlust

Wirklich schade und ein großer kultureller Verlust ist ja, dass der Unterschied zwischen Advent und Weihnachten verloren scheint. Das Fest selbst verblasst, wenn es wochenlang quasi vorweggenommen wird, statt es voller Vorfreude zu erwarten.

Die Kirche hat ein Führungsproblem

In letzter Zeit ist mir noch klarer geworden, was ich schon länger ahnte, ja eigentlich wusste: Die hiesige Kirche hat ein Führungsproblem, und zwar ein gewaltiges. Es handelt sich, und das ist der neue Teil dieser Erkenntnis, um ein systemisches Problem. Was insbesondere heißt, dass dieses Führungsversagen nicht in erster Linie einzelnen handelnden Personen anzulasten ist.

An dieser Stelle ist ein Hinweis auf ein sehr gelungenes Blogprojekt mit dem Namen Kirchenentwicklung angezeigt. (Nebenbei sagt es übrigens auch einiges aus, dass diese Domain offensichtlich noch 2015 zu haben war. Aber das steht auf einem anderen Blatt.) Einen der Autoren dieses Blogs kenne und schätze ich aus der Zeit meiner Ausbildung zum Diakon, und im Unterschied zu mir hat er die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und ist heute Diakon.

Das Blog pflegt einen systemisch orientierten Blick auf den derzeitigen Stand der Kirchenentwicklung in Deutschland. Was dort geschrieben wird, ist sprachlich relativ weit entfernt vom üblichen Pastoraljargon, der ja auch, geben wir es ruhig zu, nur schwer erträglich ist. Mir ist schon klar, dass dort ebenfalls ein Jargon kultiviert wird, nur halt ein anderer – in diesem Fall eben der Jargon der Organisationsberatung. Das schafft jedoch einen gewissen Verfremdungseffekt und dadurch frische Erkenntnis.

Dass und warum die hiesige Kirche ein Führungsproblem hat, ist mir bei der Lektüre des Buches „Exponential“ von Dave und Jon Ferguson aufgefallen. Die Autoren sind amerikanische Freikirchler, was so seine Vor- und Nachteile hat. Sie beschreiben jedenfalls Führung als einen sehr systematischen, also systemischen Prozess. Schon auf der, einmal abgesehen von der Familie, kleinsten Ebene der Gemeindebildung, nämlich in den small groups, gibt es Führung und Führungspersonen, weil es sie geben muss. Das setzt sich dann über alle Ebenen hinweg fort, und dabei denken die Fergusons alles andere als klein. Im Gegenteil, wie der Name des Buches schon anzeigt, geht es hier um sehr große Strukturen und entsprechende Ambitionen.

Einen weiteren Hinweis in die gleiche Richtung bekam ich aus Episode 87 des exzellenten Rebuilt Podcast. Tom Corcoran spricht in dieser Folge mit Matt Manion, dem Direktor des Catholic Leadership Institute. Dieses Institut hat sich der Ausbildung von Führungskräften für die katholische Kirche verschrieben. Diese Führungskräfte sind zunächst einmal Bischöfe und Priester. Wir kommen ja historisch aus einer sehr stark hierarchisch geprägten Führungskultur. Diese Kultur ist etwa seit dem II. Vatikanischen Konzil einigermaßen erodiert, ohne jedoch eine stabile und funktionale neue Führungskultur hervorzubringen.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass nun jeder – Bischof, Priester, Laie, vielleicht auch der Papst – tun kann, was er will, und das zum Teil auch tut. Das Resultat ist Chaos, Verwirrung und Verfall. Alte Strukturen lösen sich auf, ohne dass neue Strukturen entstehen würden. Systemisch betrachtet ist das ein Desaster, weil es eben auch die einzelne handelnde Person innerhalb des erodierenden Systems strukturell überfordert. Strukturen und Führung entlasten ja gerade den Einzelnen von Entscheidungen, die er nicht zu treffen hat. Gleichzeitig legen sie fest, was von wem zu entscheiden ist.

Wir haben noch eine schwache Ahnung, dass Führung auf jeder Ebene gefordert ist. Es gibt noch Gruppenleiter für Gruppen aller Art, es gibt Führungsgremien mit Namen, die auf -rat oder -vorstand enden und Vorsitzende haben. Doch was fehlt, ist ein durchgängiges Verständnis von Führung. Besonders krass fällt mir dieses Fehlen in den Lokalen Leitungsteams auf. Der Begriff enthält ja drei Elemente: Lokal ist zunächst ganz schlicht der jeweilige Ort des Handelns, also meistens die Gemeinde, die nun nicht mehr wie früher mit der Pfarrei zusammenfällt. Leitung ist ein anderes Wort für Führung, doch was genau da wie geleitet werden soll, erscheint eher unklar. Geht es um einen Ersatz für den nicht mehr vorhandenen Pfarrer? Oder eher um die Nachfolge des früheren Pfarrgemeinderates? Und das Wort Team verschärft noch einmal das Problem.

Denn ein Team hat, dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend, ein gemeinsames Ziel. Ein Gemeindeleitungsteam braucht eine Vision und ein Leitbild für die lokale Gemeinde, sonst kann es nicht arbeiten. Und damit sind wir nun beim Kern des systemischen Versagens. Denn in der Praxis werden solche Teams, soweit ich das beurteilen kann, mit diesen Fragen alleine gelassen. Das kann schon aus rein systemischen Gründen nicht funktionieren. Denn Lokale Leitungsteams arbeiten nicht im luftleeren Raum. Sie sind Teil der Gemeinde, der Pfarrei, des Dekanates, des Bistums und sonstiger kirchlicher Strukturen. Eine Vision und ein Leitbild, die ein lokales Leitungsteam entwickelt, müssen daher kompatibel zu den Visionen und Leitbildern der anderen Ebenen sein.

Und das heißt: Ein lokales Leitungsteam muss sich mit den Leitbildern der Pfarrei und des Dekanates ebenso auseinandersetzen wie mit den entsprechenden Vorgaben der übrigen Führungsebenen. Tatsächlich gibt es diese Vorgaben ja, jedenfalls auf den höheren Ebenen. Im Bistum Hildesheim wäre da das Hirtenwort zur österlichen Bußzeit 2011 zu nennen, in dem Bischof Norbert Trelle für Lokale Kirchenentwicklung wirbt. Die Deutsche Bischofskonferenz hat 2015 ein Wort zur Erneuerung der Pastoral mit dem Titel „Gemeinsam Kirche sein“ veröffentlicht. Und Papst Franziskus hat seinen Plan 2013 im nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute vorgelegt.

Nun ist Papier bekanntlich geduldig. Was noch fehlt, sind die entsprechenden Prozesse und eine Führungskultur, die das Hören auf diese Worte befördern würde. In Deutschland steht uns dabei nach wie vor der gute, alte antirömische Affekt im Wege. Auch die enorme Popularität von Papst Franziskus hat daran im Grunde nicht viel geändert. Bestenfalls wird selektiv wahrgenommen, was aus Rom kommt. So leben es auch die deutschen Bischöfe vor, und so setzt es sich systemisch über die Ebenen hinweg fort. Der Diözesanbischof schert sich nicht groß um Papiere der Bischofskonferenz. Hildesheim ist weit weg, denkt man sich im Dekanat. Und auch die einzelnen Gemeinden innerhalb der Pfarrei wollen am liebsten nichts miteinander zu tun haben. Schlimm genug, dass man sich den Pfarrer teilen muss und keinen „eigenen“ Priester mehr hat. Jeder macht seins.

Pfarrer sind häufig keine überzeugenden Führungskräfte. Liegt es an der mangelnden Ausbildung, am Menschenschlag oder fehlen einfach nur überzeugende Rollenmodelle? Damit wird es schwierig. Wie wollen Laien in dieser Situation Führung übernehmen? Führung wird im Grunde nicht goutiert. Dabei möchte ich, um Missverständnisse zu vermeiden, keineswegs einer autoritären Führung alten Stils das Wort reden. Führung hat viel damit zu tun, Verantwortung zu delegieren. Das muss aber sauber geschehen und passiert nicht einfach im Vakuum fehlender Führung von alleine. Bottom-up geht das nicht.

Für Laien sehe ich da nur eine Option: Kleine Christliche Gemeinschaften zu gründen und dort Führung einzuüben und zu lernen. Solche Gemeinschaften brauchen jeweils einen Leiter und einen Stellvertreter, der die Aufgabe hat, selbst zum Leiter zu werden und dann die Leitung einer anderen Gemeinschaft zu übernehmen oder eine neue Gemeinschaft zu gründen. Auf diese Weise entstehen regelmäßig neue Gemeinschaften, die zugleich über personelle Verflechtungen miteinander vernetzt sind. Aus dem Pool der Leiter lassen sich dann auch Führungskräfte für höhere Aufgaben rekrutieren. So bildet sich mittelfristig eine Führungskultur von unten, die auch Auswirkungen auf das etablierte, führungsschwache System hat.

Die Bordkapelle auf der Titanic

Erhard Eppler prägte 1975 den Gegensatz zwischen Wertkonservatismus und Strukturkonservatismus. Das war damals strategisch geschickt und mit einem gewissen Maß an Polemik gewürzt. Mir kam dieser Gegensatz wieder in den Sinn, als ich den Pfarreibesuch von Christian Hennecke und Christiane Müßig in Stade Revue passieren ließ. Der Leiter der Hauptabteilung Pastoral im Bischöflichen Generalvikariat Hildesheim und die Referentin für Lokale Kirchenentwicklung besuchen derzeit alle Gemeinden Pfarreien unseres Bistums, um über den Stand der Lokalen Kirchenentwicklung zu sprechen.

Christian Hennecke kann sehr charmant sein. Er formuliert so elegant, dass es den Angesprochenen vermutlich nicht einmal auffiel, was er ihnen sagte. Im Grunde hielt er nämlich den ängstlichen, um die Zukunft ihrer priesterlosen Gemeinde besorgten engagierten Katholiken entgegen, dass er sich um die Zukunft der Kirche keine Sorgen mache. In Zukunft, so Hennecke, werden halt ganz andere Leute Gemeinde sein als die, die er da vor sich hatte.

Das zu prognostizieren ist leicht, denn diese Leute, die er da vor sich hatte, strahlen so wenig Begeisterung aus, dass sie niemanden mehr für ihre Gemeinde gewinnen werden, die etwa 30 Kilometer von Stade entfernt mitten im Elbe-Weser-Dreieck liegt. Sie wenden alle verfügbaren Kräfte dafür auf, den Status quo möglichst lange zu erhalten, wissen aber genau, dass diese Kräfte zu Ende gehen. Die Stimmung ist so ähnlich wie auf der Titanic nach der Kollision mit dem Eisberg. Das Schiff gerät langsam in Schieflage, aber immerhin spielt die Bordkapelle noch. Näher, mein Gott, zu Dir!

Das ist ein gutes Beispiel für Strukturkonservatismus, wie ihn Eppler kritisierte. Dieser Gemeinde fehlt nach dem Selbstverständnis der engagierten Laien im Grunde nichts außer dem „eigenen“ Priester. Ach ja, und die Jugend gibt es auch nicht. Junge Erwachsene und Familien – ebenfalls Fehlanzeige. Ist überhaupt noch jemand unter 40 dabei? Hier wird es langsam knifflig, denn damit fehlen nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch schon deren Eltern.

Es bleibt die Generation der Großeltern, die zum Teil noch mit Druck dafür sorgt, dass ihre Enkel getauft werden, zur Erstkommunion gehen und die Firmung empfangen. Wobei meine eigenen Beobachtungen aus über zehn Jahren Taufkatechese ergeben, dass dieser Fall inzwischen recht selten geworden ist. Die Gründe liegen auf der Hand, denn die heutigen Eltern im Alter von Mitte 20 haben meistens selbst Eltern, die um die 50 sind. Diese Generation junger Großeltern steht selbst schon nicht mehr so eng zur Kirche, dass sie noch Druck ausüben würde. Darum ist es auch nicht schade.

Wie sehen wir eigentlich jene 95 Prozent der auf dem Papier stehenden Gemeindemitglieder, die sonntags nicht zur Messe kommen? Wie können wir ihnen dienen? Zwei Fragen, die Christian Hennecke an diesem Abend stellte. Dabei geht es ihm nicht so sehr um den sakramentalen Service, auf den ein guter Kirchensteuerzahler schließlich Anspruch zu haben meint, also um Taufe, Erstkommunion und Firmung für den Nachwuchs, kirchliche Heirat und schließlich Beerdigung durch einen Priester, festliche Messe zu Weihnachen und vielleicht noch Ostern. Sondern wirklich um die Frage, was wir für diese Menschen tun können, die doch zu uns gehören.

„Es kommt ja keiner“, lautet ein häufig in diesem Kontext geäußerter Satz. Wir sind ja eine offene Gemeinde, die jeden mit offenen Armen aufnehmen würde, aber es kommt ja keiner. Doch warum sollte jemand kommen? Der Auftrag des Herrn an seine Jünger lautet schließlich, zu allen Völkern zu gehen und alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen (Mt 28,19). Gehen! Nicht darauf warten, dass jemand kommt. Und übrigens – alle vier Pfarreien im Dekanat Unterelbe wachsen von Jahr zu Jahr. Vermutlich dank Zuzug in den Speckgürtel Hamburgs, der die Verluste durch Tod und Kirchenaustritt überkompensiert.

Es kommt also doch jemand. Der Herr schickt uns Wellen des Wachstums, so ähnlich formuliert es der kalifornische Baptistenpastor Rick Warren. Unsere Aufgabe ist es, diese Wellen zu reiten. Eine gesunde Gemeinde wächst. Unsere Aufgabe ist es, gesund zu bleiben. Dann stellt sich das Wachstum quasi von selbst ein. Uns gelingt es bis jetzt nicht, die Neuankömmlinge zu Gemeindemitgliedern zu konvertieren. Unsere Strukturen stehen dem im Wege. Wie sehen gesunde Strukturen aus? In jedem Fall gehört dazu die sakramentale Struktur der Kirche, die durch den allgemeinen Rückgang zusehends unter Druck gerät.

An dieser Stelle hilft die Unterscheidung zwischen Wertkonservatismus und Strukturkonservatismus nicht weiter. Die soziale Struktur der Kirche kann, muss und wird sich ändern. Die sakramentale Struktur nicht. Sie konstituiert die Kirche. Die Botschaft bleibt stets die gleiche, und der Auftrag des Herrn für seine Kirche ebenfalls. Lokale Kirchenentwicklung läuft Gefahr, den mehr oder weniger zufälligen Ideen mehr oder weniger zufälliger engagierter Katholiken anheim zu fallen. Es sind aber nicht die Ideen, auf die es ankommt, sondern die Umsetzung. Daran mangelt es meistens.

Das erstaunlich schwache Niveau zeitgenössischer Religionskritik

Ich bin immer wieder erstaunt über das Niveau zeitgenössischer Religionskritik. Im Grunde verdient sie diesen Namen gar nicht. Da wird in völliger Unkenntnis des Gegenstands fröhlich daherschwadroniert, dass es nur so kracht. Das jüngste, wenn auch etwas angejahrte Beispiel, das gerade wieder durch die Netze gereicht wird, ist ein Vortrag eines Berliner Grundschullehrers aus dem Jahre 2011.

Jeder Religionsunterricht, jeder Glaubenskurs und jedes Theologiestudium beginnt mit den Gegenargumenten, den Einwänden gegen den Glauben, die in angemessener Ausführlichkeit gewürdigt und diskutiert werden. Die heutige Religionskritik scheint umgekehrt auf die Kenntnis ihres Gegenstands völlig verzichten zu können. Folglich bleibt sie auf dem Niveau allgemeinen Geschwafels.

Es ist erschreckend, wie viele ansonsten intelligente Leute darauf hereinfallen. In anderen Lebensbereichen würden sich die gleichen Leute niemals mit solch oberflächlicher Rhetorik zufriedengeben, sondern völlig zu Recht ein gewisses Mindestmaß an Sachkenntnis einfordern. Warum nicht auch hier?

Lagertheorie und Lagerwahlkampf

Zuletzt habe ich mich an dieser Stelle über binäres Denken und die zunehmende Polarisierung beschwert. Doch wie fast alles im Leben hat auch die Polarisierung zwei Seiten.

Ich kann mich noch gut an den Bundestagswahlkampf 1976 erinnern. Damals war ich sieben Jahre alt und großer Fan von Bundeskanzler Helmut Schmidt. „Freiheit statt Sozialismus“ lautete seinerzeit der zentrale Slogan der CDU. Bei der CSU hieß die Formulierung „Freiheit oder Sozialismus“. Das waren doch mal Alternativen.

Political_chart_DEMan kann sich das heute vielleicht nur noch schwer vorstellen, aber wir hatten Mitte der 70er ein Dreiparteiensystem aus CDU/CSU, SPD und FDP. Die SPD war wie heute im linksautoritären Feld positioniert, die FDP seit Beginn der sozialliberalen Koalition in meinem Geburtsjahr 1969 im linksliberalen Feld. CDU/CSU deckten die beiden rechten Politikfelder ab. Dank eines Bundeskanzlers, der auch bürgerliche Wähler ansprach, und der rechtsliberalen Restbestände in der Wählerschaft der FDP hatten SPD und FDP zusammen eine knappe Mehrheit gegen CDU/CSU.

„Freiheit statt Sozialismus“ war als Slogan ganz klar auf jene Wähler der Mitte gemünzt, die sich mit dem linksliberalen Projekt (das damals nicht so hieß) gerade wegen seines linksautoritären Übergewichts nicht anfreunden konnten. Fast hätte es zu einer Mehrheit für den Kanzlerkandidaten Helmut Kohl gereicht. Die Polarisierung war damals ähnlich krass wie heute, und es ging ja auch um etwas. Dieser Slogan brachte das ganz gut auf den Punkt, auch weil sich die SPD damals wie heute zu einem gewissen Demokratischen Sozialismus bekannte.

Nach 1989 brachte dieses Bekenntnis die SPD zunehmend in Schwierigkeiten, als sich eine weitere Partei mit den gleichen drei Buchstaben in anderer Reihenfolge etablierte, die sich ebenfalls dazu bekannte. Gerhard Schröder musste seinerzeit, Ende der 90er, um seine Partei regierungs- und mehrheitsfähig zu machen, weit in die bürgerliche Mitte rücken und die „Neue Mitte“ ausrufen. Linke Wähler zog damals die PDS ab, die wiederum keine Machtperspektive zur Ablösung der Regierung Kohl bot.

Als die SPD 2005 den Mittekurs Schröders nicht mehr mittragen wollte, war seine Kanzlerschaft beendet. Da sich in einem Fünfparteiensystem nicht mehr ohne Weiteres Zweiparteienkoalitionen bilden lassen, kam es damals zu einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD unter Kanzlerin Angela Merkel. Das war im Prinzip eine Mitte-Links-Koalition.

In den 80ern hatte Heiner Geißler als Generalsekretär der CDU die Lagertheorie entwickelt. Das Parteiensystem hatte sich damals durch das Erscheinen der Grünen zum Vierparteiensystem erweitert. Die FDP war mit ihrer Wende 1982 ins bürgerliche Lager gewechselt und hatte Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt. Das linke Lager bestand damit aus SPD und Grünen, das rechte, bürgerliche Lager aus CDU/CSU und FDP. Der Lagertheorie zufolge musste es darum gehen, Wählerstimmen der Mitte für das eigene Lager zu gewinnen, statt Stimmen innerhalb des eigenen Lagers zu verschieben, was ein Nullsummenspiel wäre.

Wir sehen hier ein Muster. Polarisierung dient letztlich dazu, die Mitte zu gewinnen und die Frontlinie von dort ins jeweils gegnerische Lager zu verschieben. Was heißt das nun für die gegenwärtige politische Situation? Bei der Bundestagswahl 2013 ist das Parteiensystem durch das Scheitern der FDP auf vier Parteien geschrumpft. Da auch die AfD nicht in den Bundestag einzog, sind nun drei linksautoritäre Parteien und eine Partei der Mitte im Parlament vertreten.

Diese Konstellation bildet das Wählerspektrum nur unvollkommen ab, zumal auch die Merkel-CDU stark sozialdemokratisiert erscheint und von den Wählern inzwischen als linke Partei wahrgenommen wird. Es gibt also im Bundestag ein Mitte-Links-Lager, das die Regierung stellt, und eine schwache linke Opposition. Die stärkere Opposition befindet sich außerhalb des Parlaments und nennt sich kongenial Alternative für Deutschland.

Diese Situation erklärt, dass wir momentan eine Lagerbildung zwischen Mitte-Links-Parlament einerseits und einer außerparlamentarischen Opposition andererseits sehen. Eine solche Situation gab es in der deutschen Nachkriegsdemokratie zuletzt 1968, damals allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Es regierte das Kabinett Kiesinger mit Willy Brandts SPD als Juniorpartner der ersten Großen Koalition. Die parlamentarische Opposition war schwach und bestand nur aus der damals noch rechtsliberalen FDP.

Die SPD konnte seinerzeit das linke Aufbegehren nicht aufnehmen, da sie selbst an einer Regierung mit deutlichen rechtsautoritären Anteilen beteiligt war. Im Unterschied zu heute war damals allerdings nur ein politischer Sektor unbesetzt, der linksliberale nämlich. Diese Lücke konnte die FDP mit ihrem ersten Wendemanöver hin zur linksliberalen Koalition im Jahr 1969 füllen. Es sollte dann noch ein Jahrzehnt bis zur Gründung der Grünen und damit zur vollständigen Integration der 68er ins parlamentarische System dauern.

Aus all dem folgt, dass wir 2017 mit hoher Wahrscheinlichkeit die Rückkehr der FDP in den Bundestag sehen werden. Sie müsste sich schon sehr dumm anstellen, um das brachliegende liberale Wählerpotential nicht wenigstens anzapfen zu können, sodass es für den Sprung über die Fünfprozenthürde reicht. Nun ist allerdings bei der FDP bekanntlich alles möglich, also auch ein erneutes Scheitern, was dann früher oder später zur Herausbildung einer neuen liberalen Partei führen dürfte.

Ebenso wahrscheinlich ist der Einzug der AfD in den Bundestag, sofern sie sich nicht bis dahin selbst zerlegen sollte. Das Resultat wäre ein Sechsparteiensystem, ein viertes Kabinett Merkel – sofern die Kanzlerin die laufende Legislaturperiode im Amt übersteht – und eine Fortsetzung der gegenwärtigen Koalition als der einzig möglichen Zweiparteienregierung. Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün sind unwahrscheinlich, wenn die AfD in den Bundestag kommt.

Für eine linksgrüne Dreierkoalition ist keine Mehrheit zu erwarten. SPD, Linke und Grüne haben sich im linksautoritären Politikfeld eingemauert und sind für Wähler der Mitte eher unattraktiv. Es wird also 2017 zwei Lager mit jeweils drei Parteien geben, doch koaliert wird weiterhin in der Mitte. Was mittelfristig eher zur Stärkung der Oppositionsparteien führen dürfte.

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Binäres Denken

Der linksautoritäre Habitus, der zahllose Diskursverbote zu verhängen trachtet, hat uns ein binäres Denken beschert, früher auch als Schwarz-Weiß-Denken oder Lagerdenken bekannt.

Es gibt nur noch gut oder böse, Freund oder Feind, Gutmensch oder Nazi, richtig oder falsch, politisch korrekt oder Hetze. Für Grauzonen und Zwischentöne ist kein Platz mehr. Schlimmer aber: Es gibt nur noch eine vermeintlich legitime Art zu denken und zu diskutieren, alles andere ist Autobahn.

Political_chart_DEWie konnte es dazu kommen? Zunächst einmal hat die Ausgrenzung des rechten und des liberalen Sektors dazu geführt, dass tendenziell bis zu 75 Prozent aller Wähler sich plötzlich außerhalb des vermeintlich akzeptablen Bereiches wiederfinden.

Auf diese Weise bastelt man sich seinen Rechtsruck selbst. Man erklärt das linksautoritäre Politikfeld zum Dogma und alles andere zur „rechten“ Häresie, und schon befindet man sich im Kampf mit der Mehrheit der Gesellschaft, die erstaunlicherweise nun irgendwie alle zu Nazis geworden sind. So muss man sich in der linksautoritären Wagenburg einmauern wie die Gallier bei Asterix in ihrem Dorf.

Spätestens an dieser Stelle bricht der offene Diskurs ab. Von nun an dominiert Freund-Feind-Denken. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wer das linksautoritäre Dogma leugnet, ist Nazi. Diese Grenze verläuft inzwischen mitten durch die Gesellschaft und führt zu absurdesten Debatten. Vor allem führt sie aber zu einer grotesken Polarisierung.

Wo normalerweise die Mitte der Gesellschaft ist, verläuft nun eine Kampflinie, die dort nicht hingehört. Abgrenzungen sind an den Rändern der Gesellschaft nötig, und zwar zum Rechts- wie zum Linksfaschismus und zu latent oder offen gewaltbereiten Gruppen. Aber nicht in der Mitte.

Wer hingegen versucht, einen Keil mitten in die Gesellschaft zu treiben, der kann eigentlich nur verlieren. Jedenfalls in einer funktionierenden Demokratie wie der unsrigen. Denn in einer solchen lassen sich allenfalls Minderheiten ausgrenzen (und auch das halte ich für keine gute Idee), nicht aber die Mehrheit.

Binäres Denken muss aber auch deshalb scheitern, weil es die Unterscheidung zwischen Person und Argument aufgibt. Wer dem falschen Lager angehört, der kann sagen, was er will, es kann nur falsch sein. Umgekehrt muss alles richtig sein, was von den richtigen Leuten kommt. Es ist leicht zu erkennen, dass beides nicht stimmen kann.

Ähnlich verhält es sich mit der Zuordnung von Personen zu Lagern. Bestimmte Aussagen führen quasi automatisch zur Einordnung in ein bestimmtes politisches Lager. Damit verbunden ist die Unterstellung, auch andere diesem Lager zugeordnete Aussagen zu teilen. Für differenzierte Positionen bleibt da wenig Platz. Es fehlt an der Bereitschaft, Argumente ohne Ansehen der Person zu betrachten und offen, an der Sache und nicht an vermeintlichen Lagern orientiert zu argumentieren.

Es muss nicht eigens betont werden, wie schädlich dieses binäre Denken für eine freie, demokratische Gesellschaft ist. Es fließt sehr viel Energie in Abgrenzungen und Scheindebatten, in einen Kampf zwischen zwei Lagern, die eigentlich durchlässig wären. Wenn nicht eine lautstarke linksautoritäre Minderheit die Polarisierung vorantriebe.

Man muss nicht alles gut finden, was sich in den vier Sektoren des politischen Feldes bewegt. Keine Frage. Das meiste bewegt sich aber im Rahmen dessen, was in einer Demokratie gedacht und gesagt werden darf.

Und übrigens auch sollte, denn der Ausschluss relevanter Bevölkerungsgruppen und ihrer Themen schadet der Demokratie selbst. Mit außerparlamentarischer Opposition hat dieses Land noch niemals gute Erfahrungen gemacht. Wenn relevante Bevölkerungsgruppen ihre Interessen nicht mehr parlamentarisch vertreten sehen, erodiert die Demokratie.

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Diskursverbote

Was mich am linksautoritären Habitus, der sich seiner selbst nicht bewusst ist, fast am meisten nervt, ist die lange und immer länger werdende Liste von Diskursverboten, die er verhängt. Mehr und mehr Positionen, Publikationen und Publizisten werden auf den Index gesetzt und aus dem legitimen Meinungsspektrum auszugrenzen versucht. Dies verengt die Debatte völlig unnötigerweise und steht in keiner guten Tradition.

Die katholische Kirche kannte bis in die 60er Jahre hinein den Index Librorum Prohibitorum. 1933 wurden in Deutschland Bücher verbrannt, wie auch, ebenfalls im 20. Jahrhundert, in der Sowjetunion. Die katholische Kirche hatte immerhin gute Gründe, nämlich das Seelenheil, was sich von linken und rechten Sozialisten nicht gerade behaupten lässt.

Political_chart_DEHeute trifft es sowohl liberale als auch rechte Positionen, also praktisch alles, was nicht dem links-autoritären Dogma gehorcht oder sich wenigstens noch irgendwie in der ominösen Mitte bewegt. Doch selbst die Mitte ist ein gefährlicher Ort geworden, da zu ihr auch (gemäßigt) rechtsautoritäre, rechtsliberale und linksliberale Anteile gehören.

Am härtesten geht der linksautoritäre Habitus mit profilierten rechtsliberalen Positionen ins Gericht. Das ist klar, weil sich hier auf beiden Achsen Abstoßungsreaktionen zeigen. Dem Linken ist der Rechte nicht geheuer, und dem Autoritären missfällt der Liberale.

Das prominenteste Beispiel dafür ist die Junge Freiheit, zugleich ein gutes Beispiel, weil sie sowohl relativ weit rechts als auch relativ liberal positioniert ist. Diese beiden Positionierungsmerkmale schließen sich tatsächlich nicht aus, auch wenn das linksautoritäre Dogma dafür blind ist.

Dieses Dogma glaubt im Kern an den starken Sozialstaat, dem sich die freie Gesellschaft ebenso unterzuordnen hat wie Recht und Ordnung sowie die freie wirtschaftliche Betätigung der Bürger. Die liberale Idee der Meinungsfreiheit ist dem linksautoritären Dogma ein Greuel, jedenfalls soweit sie andere Meinungen als die eigene betrifft.

Ein typisches liberal-konservatives Blatt ist der Cicero, dem zwischenzeitlich sogar einmal ein Linksruck bescheinigt wurde und der neuerdings eines Rechtsrucks bezichtigt wird. Die taz, die diesen Vorwurf erhebt, ist selbst eher ein Projekt des linksautoritären Habitus mit entsprechendem Standbein, hatte aber immer auch ein linksliberales Spielbein.

The European wird in der englischsprachigen Wikipedia als „moderate“ geführt und hat laut Gründungschefredakteur Alexander Görlach keine eigene politische Position. Obwohl dort regelmäßig rechtsliberale Autoren publizieren, scheint The European bis jetzt noch vom Diskursverbot ausgenommen zu sein – wahrschein­lich, weil dort auch Liane Bednarz zum Autorenkreis zählt. Nicht so das libertäre eigentümlich frei, das als rechtsliberales Blatt zu genau ins Beuteschema des linksautoritären Dogmas passt.

Interessanterweise befindet sich der Rechtsfaschismus ja gerade nicht im rechtsliberalen Politikfeld, sondern stellt das rechtsautoritäre Extrem dar (was wiederum näher am linksautoritären Extrem – dem Linksfaschismus – liegt als es auf den ersten Blick scheint). Weil dem so ist, greift der gern gebrauchte Faschismusvorwurf für das rechtsliberale Politikfeld auch nicht.

Dass er trotzdem gebraucht wird, hat mit mangelnder Differenzierungsfähigkeit entlang der Achse liberal-autoritär ebenso zu tun wie mit der Blindheit des linksautoritären Habitus, der sich seiner selbst nicht bewusst ist. Alles, was nicht ins linksautoritäre Dogma passt, rührt er zu einer einzigen Soße zusammen. Eine sinnvolle Analyse sieht anders aus.

Was auf der autoritäten Seite nicht verstanden und auch anders gehandhabt wird: Wirkliche Liberale lassen auch die Gegenseite zu Wort kommen und bewerten den freien Austausch auch konträrer Meinungen höher als dogmatische Linientreue. Weshalb in rechtsliberalen Blättern eben auch rechtsautoritäre, aber ebenso linke Autoren zu Wort kommen.

Mir persönlich würden zwei Ausschlusskriterien genügen. Da wäre zum einen der Faschismus, aber bitte in beiden Varianten, Links- wie Rechtsfaschismus, also die links- und rechtsautoritären Extreme. Das zweite Kriterium ist die latente oder offene Gewaltbereitschaft, die zum größten Teil wahrscheinlich bereits durch den Ausschluss des Faschismus ausgeschlossen ist.

Mir jedenfalls sind keine gewaltbereiten links- oder rechtsliberalen Extremisten bekannt. Doch wer weiß, ich mag mich irren.

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Die ominöse Mitte

In den letzten Monaten habe ich mich recht intensiv mit dem Politischen Kompass und seiner Anwendung auf die aktuelle politische Situation in Deutschland befasst. Dabei habe ich den vier Feldern jeweils einige Aufmerksamkeit gewidmet. Bis jetzt zu kurz gekommen ist allerdings die Mitte.

Dies verwundert, da dort bekanntlich Wahlen gewonnen werden. Angela Merkel hat die CDU erfolgreich in die Mitte gerückt und damit der SPD die Luft zum Atmen genommen. Die SPD muss im links-autoritären Politikfeld mit der Linken und großen Teilen der Grünen konkurrieren, während die Grünen selbst wiederum in die von Merkel besetzte Mitte drängen.

Political_chart_DEWas ist also diese ominöse Mitte? Die Mitte ist zunächst einmal definiert als Schnittpunkt der beiden Achsen links-rechts und liberal-autoritär. Wer sich politisch in der Mitte positioniert, versteht sich also weder als links noch als rechts und weder liberal noch autoritär. Aber was dann, so möchte man fragen.

Für Deutschland trifft wohl am ehesten der Begriff Soziale Marktwirtschaft auf diese Mitte zu. Sie vereint das eher links-autoritäre sozialstaatliche Umverteilungsmoment mit der eher rechts-liberalen freien Marktwirtschaft, die aber einer rechts-autoritär gedachten staatlichen Regulierung bedarf, ohne jedoch die links-liberal verstandene freie Gesellschaft unnötig einzuengen.

Das klingt wie das katholische „et-et“ (sowohl – als auch), eines der Grundprinzipien katholischen Denkens. So gesehen hat im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft jedes der vier Felder seine eigene Berechtigung, ohne die jeweils anderen ausschließen zu wollen. Die Mitte ist, dialektisch gedacht, quasi die zweidimensionale Synthese der beiden politischen Grundwidersprüche.

Für den Regulierungsgedanken gibt es den selbst wieder schillernden Begriff des Ordoliberalismus, der sich nicht leicht auf ein einzelnes Politikfeld festlegen lässt. Kerngedanke der sozialen Marktwirtschaft ist jedenfalls, dass der Staat sowohl den Ordnungsrahmen für die Wirtschaft setzen als auch für einen gewissen sozialen Ausgleich sorgen muss, ohne die freie wirtschaftliche Betätigung der Bürger unnötig einzuschränken.

Die so verstandene Mitte ist zahlreichen Gefährdungen ausgesetzt. Die autoritäre Gefahr ist eine mögliche Übermacht des Staates, der Gesellschaft und Wirtschaft stranguliert. Die liberale Gefahr ist eine Schwächung des Staates, die seine Aufgaben beeinträchtigt. Die linke Gefahr ist eine überbordende Umverteilung, die zulasten der wirtschaftlichen Entwicklung geht. Und die rechte Gefahr ist eine Überbetonung der Wirtschaft, die zulasten der wirtschaftlich Schwachen geht.

Die Mitte ist der Ort zahlloser Kompromisse, die widerstreitende Interessen ausbalancieren. Sie ist kein Ort für Links- oder Rechtsradikale, für autoritäre oder liberale Extremisten. Wenn sich die Verteilung der Wähler entlang der beiden Achsen jeweils in Form einer Gaußkurve bewegt, dann ist in relativer Nähe zur Mitte die große Mehrheit aller Wähler zu finden.

Volksparteien müssen sich daher in der Mitte aufhalten. Je mittiger die größte Partei positioniert ist, umso schwieriger wird es für andere Volksparteien. Um sich zu unterscheiden, müssen sie von der Mitte wegrücken. Dadurch verlieren sie allerdings Wähler. Sich ebenfalls mittig zu positionieren, führt zum Verlust des eigenen Profils.

Was diese Zwickmühle bedeutet, ist derzeit gut am Beispiel der SPD zu besichtigen. Auch die Grünen laufen mit einem Kurs Richtung Mitte Gefahr, ihr Profil zu verlieren. Doch für die Grünen wären 20 Prozent der Wählerstimmen ein großer Erfolg, während der gleiche Wert für die SPD nahezu einer Katastrophe gleichkommt.

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Der linksautoritäre Habitus

Es gibt einen linksautoritären Habitus, der sich seiner selbst nicht bewusst ist. Um ihn zu verstehen, ist noch einmal ein Blick auf den Politischen Kompass nötig. Diskurspolitisch verbinden sich im linksautoritären Habitus die Ausgrenzung des rechten und des liberalen Sektors gleichermaßen. Damit bleibt der linksautoritäre Sektor als einzig legitimes Politikfeld übrig.

Political_chart_DEDer rechte Sektor wird durch eine Gleichsetzung ausgegrenzt, die nicht mehr zwischen konservativ, rechts, rechtspopulistisch, rechtsradikal oder rechtsextrem unterscheidet. Alles rechts der Mitte gilt pauschal als „rechts“, und rechts heißt mindestens rechtspopulistisch, eher aber rechtsradikal und rechtsextrem. Die alte Unterscheidung gilt nicht mehr, nach der es die latente oder offene Gewaltbereitschaft war, die zum Ausschluss aus dem legitimen politischen Spektrum führte.

Ähnliches gilt für den liberalen Sektor. Hier fungiert der Neoliberalismus als Vehikel, um liberale Ideen per se zu verdammen. Angesichts einiger Auswüchse des Neoliberalismus ist die Kritik daran zwar verständlich und legitim. Allerdings überzieht der Diskursausschluss, indem er zum Beispiel geflissentlich übersieht, dass auch der Neoliberalismus nur eine Gegenbewegung zum starken Ausbau des staatlichen Sektors war. Dieser Ausbau geschah in den 70er Jahren als Antwort auf die Wirtschaftskrise.

Diese Pauschalisierung und Polarisierung hat sehr viel Raum für neue politische Parteien geschaffen. Das Spektrum der etablierten Parteien ist praktisch im linksautoritären Sektor plus der Mitte zusammengeschnurrt. In der liberalen Hälfte des politischen Feldes irrlichtert einsam die parlamentarisch nur schwach vertretene FDP umher, in der rechten Hälfte irrlichtert ebenso und ebenso einsam die AfD herum, die ursprünglich als rechtsliberales Projekt gestartet war und zwischenzeitlich ihren rechtsautoritären Flügel gestärkt hat.

Zur besonderen Ironie der Lage gehört, dass sich der linksautoritäre Habitus seines autoritären Gestus gar nicht bewusst ist, sondern „autoritär“ einseitig mit dem rechtsautoritären Sektor zu verbinden sucht. Dies macht blind dafür, dass die Einengung des akzeptablen politischen Raumes auf den linksautoritären Sektor selbst eine autoritäre Figur des Denkens und Handelns ist. Sie kann sich sogar antiautoritär geben, obwohl sie dies gerade nicht ist. Denn antiautoritär wäre ja liberal.

Diese Analyse fußt auf der Akzeptanz des Politischen Kompasses und damit der These, dass die Achse links-rechts orthogonal zur Achse liberal-autoritär steht. Wer hingegen links pauschal mit liberal gleichsetzt und rechts mit autoritär, wird meinem Argument nicht folgen können. Er hat dann allerdings das Problem, wie er die Ablehnung des Neoliberalismus erklären kann.

Dies kann dann wohl nur mit einer Argumentationsfigur der Uneigentlichkeit geschehen, der zufolge der Neoliberalismus kein wirklicher Liberalismus wäre, sondern eine Perversion des Liberalismus. Eine solche Argumentation scheint mir allerdings wenig haltbar zu sein. Ich würde den Neoliberalismus eher im rechtsliberalen Politikfeld ansiedeln.

Rechts- wie linksautoritäre Politik eint ihr Ruf nach einem starken Staat. Sie unterscheidet nur, was als vorrangige Staatsaufgabe angesehen wird. Während rechtsautoritäre Politik eher auf Recht und Ordnung besteht, verlangt linksautoritäre Politik nach mehr Sozialstaat und Umverteilung des Wohlstands.

Rechts- und linksliberale Politik eint hingegen ihr Misstrauen gegenüber einem übermächtigen Staatswesen. Während rechtsliberale Politik eher auf die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung setzt, fordert linksliberale Politik eher eine freie Gesellschaft, die weder durch den Staat noch durch die Wirtschaft dominiert werden soll.

In einer lebendigen Demokratie sind alle vier Felder parlamentarisch vertreten und ringen gemeinsam um Wählerstimmen sowie um politische Lösungen. So gesehen ist die Entstehung der AfD eher eine gesunde Reaktion auf die Räumung des rechten Sektors durch die CDU/CSU. Eine Neubesetzung des liberalen Sektors hingegen, den die FDP zuletzt praktisch verwaisen ließ, steht einstweilen noch aus.

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Der Wassermann war da

Am vorgestrigen Abend fiel uns plötzlich eine rote Lampe auf, die außen am Ferienhaus leuchtete. Wir dachten uns nicht viel dabei, bis schließlich gestern Abend kein Wasser mehr aus dem Hahn sprudelte. Da wurde uns klar, dass hier wohl ein Zusammenhang besteht.

Tatsächlich wird unser Ferienhaus aus einer eigenen Zisterne mit Wasser versorgt. Der Wasserstand darin war unter die Schwelle gesunken, bis zu der die Wasserpumpe noch ihren Dienst verrichten kann. Die Pumpe stellte also ihren Dienst ein.

So blieb der Abwasch vom Abendessen in der Küche stehen, wir konnten uns nicht mehr die Hände waschen, von einer Dusche ganz zu schweigen, die Waschmaschine wusch trocken weiter und beim Zähneputzen kam Mineralwasser zum Einsatz. Von einem Moment auf den anderen war klar, wie wichtig doch das fließende Wasser aus der Leitung ist.

Und wie wenig selbstverständlich es eigentlich ist, dass wir nur den Hahn aufdrehen müssen, um Trinkwasser bester Qualität in nahezu beliebiger Menge zu günstigen Preisen zu bekommen. Mallorca hat ein Wasserproblem. Das Wasser ist zwar trinkbar, schmeckt aber sehr salzig, weshalb in jedem Supermarkt Trinkwasser in großen Kanistern angeboten wird.

Unser kleines Wasserproblem war schon heute früh vor sieben Uhr gelöst, nachdem der Tankwagen mit frischem Trinkwasser die Zisterne wieder gefüllt hatte. Die Pumpe brauchte danach nur noch einen Tastendruck, um ihren Dienst wieder aufzunehmen.

Deo gratias.