Warum ich nicht an das bedingungslose Grundeinkommen glaube

Erstaunlich viele intelligente Menschen glauben an das bedingungslose Grundeinkommen. Mir will dies einfach nicht gelingen. Wahrscheinlich habe ich mich nicht genug darum bemüht.

Neuen Auftrieb, gerade in der digitalen Szene, bekommt das Thema derzeit durch die Erwartung oder Befürchtung, dass durch Automatisierung in den nächsten Jahren zahllose Jobs verloren gehen werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen soll dieser neuen Welle der Arbeitslosigkeit begegnen.

Nun ist es ja durchaus so, dass wir uns in den letzten 150 Jahren allmählich an einen expandierenden Sozialstaat gewöhnt haben, der immer größere Teile des Bruttoinlandsprodukts in Anspruch nimmt und innerhalb der Bevölkerung nach mehr oder weniger sinnvollen Kriterien umverteilt. Historisch entstand er als Antwort auf die soziale Frage, die sich mit der Massenarbeitslosigkeit der frühen Industrialisierung verband.

Massenarbeitslosigkeit ist in Deutschland heute kein Thema mehr. Wir sind heute nicht mehr überwiegend Landwirte oder Handwerker, und selbst Industriefacharbeiter arbeiten heute mehr am Schreibtisch als in der Produktion. Die Art der Beschäftigung hat sich verschoben, aber in der Summe jagt in Deutschland seit Jahren ein absoluter Beschäftigungsrekord den nächsten.

Ein Teil dieser Jobs liegt aus Gründen statistischer Logik im unteren Einkommensbereich, wo das Einkommen aus Erwerbsarbeit mit dem Einkommen aus staatlichen Transferleistungen konkurriert. Das ist ein Grundproblem des Sozialstaats und nur schwer zu lösen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird daran wenig ändern.

Es gibt jedoch einen starken Zusammenhang zwischen der Schaffung von Wohlstand und dem daraus erzielten Einkommen. Wer eine Leistung erbringt oder ein Produkt herstellt, für die andere zu zahlen bereit sind, der hat gute Chancen auf ein gutes Einkommen. Auch daran wird ein bedingungsloses Grundeinkommen wenig ändern.

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die nächste Automatisierungswelle diesen Zusammenhang aufheben wird. Dass bestimmte Produkte und Dienstleistungen durch die technische und wirtschaftliche Entwicklung entwertet werden, ist kein neues Phänomen.

Dass hingegen der menschliche Erfinder- und Unternehmergeist aufhören würden, neue Produkte und Dienstleistungen zu erfinden, die auf neuen, bis dahin ungekannten Möglichkeiten basieren, steht nicht zu erwarten. Menschen werden weiterhin Werte und Wohlstand schaffen und daraus Einkommen erzielen.

Es gibt allerdings einen Punkt, der an der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens plausibel erscheint: die mögliche Abschaffung großer Teile unserer Sozialsysteme. Ob das allerdings gewollt und bis in die letzte Konsequenz durchdacht ist? Ich weiß es nicht und bezweifle es.

Der Raum rechts der Mitte

Wer den aktuellen Zustand unseres Parteiensystems besser verstehen möchte, ist mit der folgenden Grafik gut bedient. Die Befragten haben sich selbst und die relevanten politischen Parteien auf einer Skala von 1 (links) bis 11 (rechts) eingeordnet. Ihre Selbsteinschätzung lag im Durchschnitt bei 6,64 und damit leicht rechts der Mitte, was sich mit der langjährigen Konstante einer bürgerlichen Mehrheit in Deutschland deckt.

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In dieser Grafik ist schlaglichtartig zu sehen, wie groß der politische Raum rechts der Mitte inzwischen geworden ist, jener konservative Sektor, der „zum politischen Brachland wurde, das die AfD wieder urbar macht“ (Berthold Kohler). Wenn selbst die CSU leicht links der Mitte und deutlich weiter links als der Durchschnitt der Wähler wahrgenommen wird, dann heißt das: Rechts ist Platz frei für mehr als eine Partei, egal ob neu oder nicht.

Nun lässt sich aus einem Durchschnittswert nicht ableiten, wie groß das dort brachliegende Wählerpotential ist oder wie es sich auf der Links-Rechts-Achse verteilt. Dazu wäre ein Blick in die Rohdaten erforderlich. Meine Annahme ist aber, dass die Verteilung sich etwa einer Gauss-Kurve nähert.

Es wäre nun hilfreich, diese Befragung um eine zweite Dimension zu erweitern, wie sie der Politische Kompass verwendet.

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Grafik: Church of emacs (Lizenz)

Aus Sicht der Wähler – und in einer Demokratie ist das letztlich die entscheidende Sicht – sind alle etablierten Parteien derzeit in den beiden Sektoren links der Mitte verortet, also links-autoritär wie die Linke sowie Teile der Grünen und der SPD oder links-liberal wie die FDP. Rechts findet sich ausschließlich die AfD sowie bestenfalls Teile der CSU, die ihren Schwerpunkt ansonsten ebenfalls leicht links der Mitte hat.

Rechts der Mitte wäre demnach Platz für mindestens zwei Parteien, eine rechts-liberale und eine rechts-autoritäre Partei. Die AfD wird seit ihrer Gründung, vergleichbar den jungen Grünen, durch heftige Kämpfe zwischen ihrem liberalen und ihrem autoritären Flügel geschüttelt. Dadurch bedient sie im Moment beide Segmente, was durchaus eine Erfolgsstrategie sein kann und durch die derzeitigen Wahlergebnisse und Umfragewerte gestützt wird.

Die Situation für die etablierten Parteien ist aber noch viel dramatischer. Bleiben wir bei der Annahme, dass die Verteilung der Wähler im politischen Spektrum von links nach rechts in etwa der einer Gauss-Kurve entspricht. In diesem Fall finden sich links und rechts der Mitte jeweils annähernd gleich viele Wähler. Wenn die Wähler nun alle etablierten Parteien links der Mitte verorten, dann liegt das Wählerpotential für Parteien rechts der Mitte in etwa bei 50 Prozent – wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann hat ihn die Bundespräsidentenwahl in Österreich erbracht.

Spannend ist nun die Frage, wie viel von diesem Potential CDU, CSU und FDP noch binden können, obwohl sie von den Wählern als Parteien des linken Spektrums eingeordnet werden. Das ist schwer abzuschätzen. Es handelt sich hier um die berühmte bürgerliche Mitte, in der hierzulande Wahlen gewonnen und verloren werden. Wenig hilfreich scheint mir eine bis dato dominante Kommunikationsstrategie zu sein, die in der NZZ wie folgt beschrieben wird:

Anstatt zwischen konservativ, rechts, rechtspopulistisch und rechtsextrem zu unterscheiden, wird der gesamte Kommunikationsraum, der sich in Opposition zum linksliberal-grünen Justemilieu zu etablieren beginnt, zu einer Zone des Bösen erklärt, die unter Quarantäne zu stellen ist.

Angesichts der oben beschriebenen Situation muss eine solche Strategie praktisch zwangsläufig scheitern, weil sie dazu geeignet ist, eine an sich durch die bürgerliche Mitte geprägte Gesellschaft zu polarisieren und zu spalten. Das rechte Lager, das ja angeblich bekämpft werden soll, wächst dadurch erst recht und schöpft sein Potential mehr und mehr aus.

Auf Basis der oben beschriebenen Wählerwahrnehmung bietet sich für zwei der etablierten Parteien die Chance, das derzeit von der AfD beackerte Brachland im konservativen Sektor zu besetzen: die CSU und die FDP. Eine rechts-liberale FDP und eine rechts-autoritäre CSU könnten so die AfD in die Zange nehmen.

Dabei läge es nahe, jeweils eine komplementäre Strategie zu wählen: Während die FDP den liberalen Aspekt stärken würde, um die Linksliberalen nicht abzuschrecken, könnte die CSU sich als rechtskonservative Partei profilieren, ohne sich zu stark auf eines der beiden Felder (autoritär/liberal) festzulegen.

Der Preis dafür könnte jedoch sein, die AfD in die rechts-autoritäre Ecke zu drängen, weil nur dort genügend Platz bliebe. Ob das wünschenswert ist, steht auf einem anderen Blatt. Außerdem kann die CSU als Regionalpartei nicht bundesweit Wähler binden. Sie kann allenfalls als Korrektiv der CDU wirken und Wählern einen Grund geben, die CDU zu wählen.

Jedenfalls drängt das politische Vakuum rechts der Mitte früher oder später zum Ausgleich. Dort werden entweder Parteien wie die AfD heranwachsen oder sich erneut die früher dort positionierten Parteien ansiedeln. Das ist nur eine Frage der Zeit. Der kommende Bundestagswahlkampf wird spannend.

Zur Politischen Geographie im Deutschland des Jahres 2016

Eine Replik auf Wolfgang Lünenbürger

Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: “Sie haben sich gar nicht verändert.”
“Oh!” sagte Herr K. und erbleichte.

Bertolt Brecht, Das Wiedersehen

An diese kurze Geschichte hat mich Wolfgang Lünenbürger erinnert, der einen meiner Tweets zum Anlass für eine umfangreiche Positionsbestimmung nahm.

Wolfgang liest in seinem Blog nach und beruhigt sich selbst mit der Feststellung:

Nein, ich habe mich politisch und im Blick auf dieses Land nicht wesentlich verändert seit 2003. Was ja schon eine längere Zeit ist. Wohl aber werde ich anders verortet. 2003 war ich noch (obwohl bei den Grünen) eher mittig und gehörte beispielsweise zum “rechten” Flügel meiner Partei. Heute befinden sich sehr viele bei den Grünen rechts von mir, in der politischen Diskussion insgesamt auch mehr als damals.

Was ihn hingegen um den Schlaf bringt, ist die Folgerung, dass die “Mitte der Gesellschaft” nicht nach rechts gedrängt wurde, sondern sich dahin begeben hat.

I. Wie ja das Brecht-Zitat schon andeutet, würde ich es nicht für einen Vorzug halten, mich seit 2003 nicht wesentlich verändert zu haben. Im Gegenteil — wie sich in meinem Blog nachlesen lässt, hat sich da einiges getan. Und das ist auch gut so.

Meine eigenen Glaubenssätze habe ich in einem langen Prozess im Grunde auf das Credo reduziert und auf das, was damit im katholischen Verständnis gemeint ist. Auf dieser Basis ruht alles andere, und alles andere ist up for debate.

In diesem Prozess sind nach und nach auch alle Glaubenssätze über Bord gegangen, die mir — als früherem Stammwähler der Grünen — nicht mit dem christlichen Menschenbild vereinbar erschienen. Schade für die Grünen, aber den umgekehrten Weg gehen ja schon genug Leute, die meinen, der Glaube der Kirche müsse sich nach dem Parteiprogramm der Grünen richten.

Im Angesicht der Ewigkeit erscheint mir das geradezu absurd.

II. Anders als Wolfgang habe ich Theologie nur auf Grundkursniveau im Würzburger Fernkurs studiert und abgeschlossen, mein Diplom hingegen in Politikwissenschaft erworben. Ich könnte jetzt biographisch noch etwas weiter ausholen, doch soll dies auf später vertagt werden.

Gerade in aufregenden Zeiten wie diesen fällt mir jedoch auf, dass mein Studium hilft, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Welt nicht mit einem moralistischen Überschuss zu betrachten. Moral ist wichtig und richtig, Moralismus nicht.

III. Die simple Einordnung des politischen Spektrums nach dem Schema links/rechts ist mir zu simpel. Besser funktionieren Modelle wie der Politische Kompass oder auch das Nolan-Diagramm. Ersterer fügt der Links-Rechts-Achse eine dazu orthogonale Liberal-Autoritär-Achse hinzu. Damit entstehen die vier Felder linksautoritär, linksliberal, rechtsliberal und rechtsautoritär sowie die berühmte Mitte.

Gegenwärtig ist im deutschen Parteiensystem die Mitte eindeutig von der CDU/CSU besetzt, mit nur noch leichter Tendenz ins rechtsliberale Lager, während das rechtsautoritäre Feld quasi geräumt ist. Leicht links von der Mitte bewegen sich SPD und Grüne, die Linke beackert das linksautoritäre Feld. Die FDP versucht gerade, sich als liberale Mitte neu zu positionieren.

Die CDU/CSU hat das rechtsautoritäre Feld — wir erinnern uns an Innenminister wie Manfred Kanther oder Friedrich Zimmermann — längst verlassen, um in der Mitte Wahlen zu gewinnen. Das war insbesondere dank einer linksliberal und grün dominierten Medienlandschaft eine überaus erfolgreiche Strategie, der SPD und Grüne bis dato nichts entgegenzusetzen haben.

Der Preis dafür ist allerdings, Platz zu schaffen für eine neue bürgerliche Partei. Die muss nicht einmal besonders rechtsautoritär ausgeprägt sein, da auch im rechtsliberalen Feld genügend Raum freigeworden ist. Wo genau sich die AfD am Ende positionieren wird, ist noch durchaus offen.

Derzeit zerrt es gewaltig an der jungen Partei, man fühlt sich erinnert an die heftigen Flügelkämpfe der jungen Grünen. Man darf nicht vergessen, dass dort linksautoritäre Kräfte wie die ehemaligen K-Gruppen mit rechtsautoritären Leuten wie Herbert Gruhl rangen oder dass später im Bündnis 90 auch durchaus konservative Positionen vertreten waren.

Solche Klärungsprozesse brauchen Zeit. Das wird bei der AfD nicht anders sein. Viele Parteineugründungen zerlegen sich auch wieder selbst oder schaffen es nicht, sich dauerhaft über der Fünfprozenthürde zu halten.

IV. Vieles von dem, was Wolfgang als Rechtsruck versteht, lässt sich auch als Realitätstest beschreiben. So mancher linke, liberale oder grüne (wahrscheinlich auch rechte oder autoritäre) Glaubenssatz zerschellt in entscheidenden Momenten an der harten Realität. In solchen Momenten gibt es zwei Möglichkeiten: Man kann entweder die Realität für richtig halten oder den Glaubenssatz, aber nicht beides zugleich.

Tendenziell entscheiden sich in Krisenzeiten mehr Menschen für die Realität und gegen damit unvereinbare Glaubenssätze, während in ruhigeren Zeiten Glaubenssätze den Vorzug bekommen, die keinen harten Realitätstest überstehen würden. Wenn der Realitätstest überwiegend linke, liberale oder grüne Glaubenssätze betrifft, dann sieht das Resultat wie ein Rechtsruck aus.

Im Grunde ist es normal und auch richtig, dass ein Parteiensystem alle vier Felder und die Mitte besetzen kann. Damit ist das politische Meinungsspektrum gut abgedeckt, der Wähler hat eine wirkliche Wahl und es gibt keinen Grund für außerparlamentarische, antidemokratische oder gewalttätige Oppositionsbewegungen.

V. Wer allerdings den rechten Teil der Matrix tendenziell unter pauschalen Faschismusverdacht stellt, der schafft sich seinen Rechtsruck selbst. Denn das kann und wird nicht unwidersprochen bleiben. Das politische Spektrum im Nachkriegsdeutschland ist im Gegenteil erstaunlich stabil und von einer starken Mitte geprägt.

Daran haben auch die großen Einschnitte der Nachkriegsära — als da wären 1968ff. bis zum Deutschen Herbst 1977 und die Deutsche Einheit 1990 — nicht sehr viel geändert. Wir haben die Grünen ebenso in Regierungsverantwortung genommen wie die linksautoritären Nachfolger der SED — und damit die Erben von 1968/77 und 1989/90 integriert.

Die gegenwärtige Flüchtlingskrise und ihre Ursachen haben durchaus das Zeug zu einem dritten großen Einschnitt, da sie ähnlich fundamentale Fragen aufwerfen. 1968/77 und 1989/90 hat sich jeweils das bestehende politische System des Nachkriegsdeutschlands durchsetzen können, weil eine starke Mehrheit, letztlich der Mitte, es genau so wollte.

2015/16 ist es wieder unser bestehendes politisches System, dessen weltweite Attraktivität in Kombination mit der von Angela Merkel ausgerufenen Offenheit für alle Mühseligen und Beladenen im Mittelpunkt steht. Und die Frage, an der sich momentan die Geister scheiden: Wird dieses System durch die Merkelsche Offenheit bedroht oder wird es dadurch eher stärker?

VI. Wo ist denn nun der Faschismus, den Wolfgang quasi an jeder Straßenecke zu beobachten meint? Dazu schlage ich vor, die Matrix auf eine Kugel zu legen. Am Äquator wandern wir dann auf der Suche nach den Faschisten so lange nach rechts, bis uns diejenigen begegnen, die uns entgegen nach links gewandert sind. Und von dort aus wandern wir gemeinsam zum autoritären Pol.

Dort ist es sehr kalt. An diesem Pol gibt es kein Rechts und kein Links mehr. Dort sind die Faschisten, die in Deutschland sehr treffend als nationale Sozialisten bezeichnet wurden. Von dort aus betrachtet sieht der Rest der Welt liberal aus, während vom liberalen Pol aus alles autoritär erscheint — und die wahren Faschisten irgendwo hinter der Erdkrümmung sitzen.

Zuerst erschienen auf Medium.

Zur Flüchtlingskrise

Ein paar Gedanken.

1. Warum hat sich im vergangenen Jahr gerade die Generation meiner Eltern so sehr für die Flüchtlinge engagiert? Kann das eine Kompensationshandlung sein, getrieben vom schlechten Gewissen jener ersten Generation, die es nicht geschafft hat, sich zu reproduzieren, und die nun statt der fehlenden Nachkommen Flüchtlinge quasi adoptiert?

Die damit gleichzeitig ihre eigenen Interessen bedient, nämlich die durch ihr eigenes Verschulden zu geringe Zahl der Rentenzahler und Pflegekräfte aufzubessern? Die letztlich also die Entvölkerung von kriegsgeplagten Ländern wie Syrien betreibt, um ihre eigenen Defizite auszugleichen? Es wäre nicht das erste Mal, dass diese Generation – die 68er gehören auch dazu – ihre eigenen Interessen rücksichtslos durchsetzt. Nach ihnen die Sintflut!

Diese These erklärt wenigstens das höchst irrationale Element der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik. Offensichtlich kann Deutschland nicht alle Menschen aufnehmen, die das wünschen. Denn diesen Wunsch haben nicht nur diejenigen, die es derzeit über die deutsche Grenze schaffen. Doch gerade ein rationaler Umgang mit dem Flüchtlingszustrom – dazu gehört eine Entscheidung darüber, wer kommen darf und wer nicht – scheint gegen das kollektive schlechte Gewissen nicht durchsetzbar zu sein.

2. Nächstenliebe ist immer konkret. Sie richtet sich an genau einen Nächsten, nicht an eine mehr oder weniger große Gruppe. Papst Franziskus hat vor einigen Wochen alle katholischen Gemeinden und Gemeinschaften dazu aufgerufen, jeweils genau eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen. Das ist ein gutes Beispiel für eine sehr konkrete und zugleich relativ einfach umsetzbare Hilfe. Würden alle, die er damit angesprochen hat, dieser Aufforderung folgen, dann wäre schon viel gewonnen.

Aber längst nicht alle Probleme gelöst. Insbesondere hat Papst Franziskus nicht gefordert, einfach pauschal alle aufzunehmen, die kommen mögen. Denn dies würde die Gemeinden überfordern, es wäre nicht umsetzbar und damit letzlich auch keine Hilfe. Es bliebe auf der Ebene abstrakter, wohlmeinender Desiderate ohne konkrete Handlungsperspektive.

Zur christlichen Nächstenliebe gehört untrennbar die Liebe zu sich selbst („Liebe deinen Nächsten wie dich selbst”) wie auch zu Gott. Nächstenliebe bewegt sich daher stets im Rahmen des jeweils Möglichen und trachtet danach, diesen zu erweitern.

3. Die päpstliche Aufforderung zeigt auch, in welche Richtung Lösungsansätze für die gegenwärtige Krise gehen können. Man beginne ganz am Ende der Kette bei den aufnehmenden Gemeinden, Kommunen und Gemeinschaften. Dort sollten Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge bestimmt werden.

Die Leitfrage wäre dann: Gibt es freie Wohnungen, in die Flüchtlinge einziehen können? Welche Familien, Gruppen, Vereine, Initiativen, Organisationen, Gemeinden können sich um sie kümmern? Welche Zahl ist verkraftbar?

Das gegenwärtige System würde so vom Kopf auf die Füße gestellt. Statt einfach jeden aufzunehmen, der die deutsche Grenze überschreitet, ohne Rücksicht auf geltendes Recht, würden Flüchtlingskontingente definiert – und für diese dann sichere Reisewege geschaffen.

Denn auch dieser Aspekt gehört zur Flüchtlingskrise – das derzeitige System begünstigt Schleuser, die den Flüchtlingen das Geld aus den Taschen ziehen und sie dafür unter Lebensgefahr über die EU-Grenzen bringen. Sinnvoll oder gar humanitär ist das nicht, sondern kriminell.

Dieser Lösungsansatz steht und fällt indes mit der Bereitschaft, das Heft des Handelns wieder selbst in die Hand zu nehmen und insbesondere selbst zu entscheiden, wen unser Land aufnehmen will und kann – und wen nicht. Diese Entscheidung sollte nicht Leuten wie Erdogan oder den Schleusern überlassen werden.

Islam, Satire und das Grundgesetz

An anderer Stelle habe ich mich gerade mit Fragen des Islam, der Islamisierung und des Islamismus, mit den Grenzen der Satire und damit befasst, was all das mit dem Grundgesetz zu tun hat. Conclusio:

Islamismus ist in jedem Fall ein Problem, und islamistische Muslime sind es auch. Islamisierung als Problem zu sehen ist legitim, und den Islam an sich für ein Problem zu halten ist in einer freien Gesellschaft vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

Satire indes darf nicht einfach alles.

Tucholsky starb schon 1935, also lange vor dem Grundgesetz. Seine berühmte Antwort auf die Frage, was Satire darf, gab er bereits 1919. Bis zum Grundrechtskatalog, wie wir ihn im Grundgesetz finden, war es damals noch ein weiter Weg.

Vielleicht hätte ich auch noch was zum Nonsense- und Kampfbegriff Islamophobie schreiben sollen, aber dazu eventuell zu gegebener Zeit mehr.

Pointierter und auf höherem Niveau schreibt zum gleichen Thema übrigens Josef Bordat.

Islamisierung des Abendlandes und was man da tun kann

Wir Katholiken sind hier ja mit reichlich Erfahrung gesegnet. Wir verdanken dem erfolgreichen Kampf gegen die Islamisierung des Abendlandes sogar zwei Feste im Kalender, die am 12. September (Mariä Namen) und am 7. Oktober (Rosenkranzfest) gefeiert werden.

Mariä Namen erinnert an die Befreiung Wiens von der Zweiten Türkenbelagerung durch die Schlacht am Kahlenberg am 12. September 1683. Das Rosenkranzfest wurde von Papst Pius V. als Gedenktag Unserer Lieben Frau vom Sieg und zum Dank für den Sieg der christlichen Flotte in der Seeschlacht von Lepanto 1571 gestiftet.

Vielleicht sollten wir uns daran mal wieder erinnern, bevor der letzte das Licht ausmacht. Immerhin verdanken wir es dem Einsatz unserer Vorfahren, dass wir heute überhaupt noch über das Thema diskutieren können. Sonst wäre das längst schon durch.

Zum Stichwort „Abendland“ lohnt auch noch mal die Lektüre dieser kleinen Begriffsgeschichte von Rainer Hank.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Dass Wahlen in Deutschland in der bürgerlichen Mitte gewonnen werden, ist an sich eine Binsenweisheit. Erinnert sei hier nur an die von Gerhard Schröder erfundene Neue Mitte, mit der er die Bundestagswahl 1998 gewann. 15 Jahre später ist die Mitte fest in der Hand von Angela Merkel, von CDU und CSU. So sehr, dass sich dort nicht einmal die FDP halten konnte.

Aber auch die Grünen haben hart umkämpften Boden in der politischen Mitte an Angela Merkel verloren. Von der SPD ganz zu schweigen, die nur noch ein gutes Viertel der Wähler erreicht. Sie wird zwischen CDU, Grünen und Linken zerrieben. Strategisch sitzt die Sozialdemokratie in der Falle. Auf absehbare Zeit fehlt ihr die Kanzlerperspektive.

Denn woher sollte die Mehrheit für einen SPD-Kanzler kommen? Nach Lage der Dinge müsste die SPD entweder die Linke absorbieren oder der CDU wenigstens acht Prozentpunkte ihrer Stimmen abnehmen. Beides gleichzeitig und jeweils ein bisschen wird kaum möglich sein. Über dieses schon schwer vorstellbare politische Wunder hinaus bräuchte die SPD noch einen Koalitionspartner, und auch der schwächelt gewaltig.

Nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag scheint durchaus möglich, dass es bei der nächsten Wahl die Grünen erwischt. Auch das wäre nicht unverdient. Die Partei ist personell wie programmatisch am Ende. Ihre Kernthemen – siehe Atomausstieg – hat Angela Merkel längst so weit wie möglich übernommen. Was übrig ist, reicht für keine Regierung und womöglich auch nicht mehr für das Parlament.

Die Linke – gemeint ist die Partei – war im Bund noch nie regierungsfähig und wird es wohl auch so schnell nicht werden. Mit Blick auf die absehbare Zukunft gilt dieser Satz auch für die Linke insgesamt. Dass SPD, Grüne und Linke eine hauchdünne Mehrheit der Sitze haben, ist allein der Tatsache zu verdanken, dass zwei bürgerliche Parteien knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind.

Bei der nächsten Wahl, egal ob sie schnell kommt, nach einer halben Legislaturperiode oder erst in vier jahren, wird sich das nicht wiederholen. Wenigstens eine der beiden Parteien wird ins Parlament einziehen, oder Angela Merkel zieht die Restwählerschaft der FDP auf ihre Seite. In jedem Fall wird es rechnerisch nicht wieder für Rot-Rot-Grün reichen. Politisch sowieso nicht. Es gibt keine linke Mehrheit der Stimmen – SPD, Grüne und Linke sind zusammen gerade einmal so stark wie CDU und CSU alleine.

Es gibt aber auch keine linke Mehrheit der Mandate, denn die Grünen sind – oder waren? – eine bürgerlich-liberale Partei. Gegen Angela Merkel kann bis auf Weiteres in Deutschland nicht regiert werden. Wer weiß, ob sie nicht zur nächsten Bundestagswahl wieder antritt? Ein vierter Wahlsieg, wie er zuletzt Helmut Kohl gelang, sollte drin sein.

Überlegungen eines Wechselwählers

Meine Wahlentscheidung war in diesem Jahr relativ einfach. Im meinem Wahlkreis treten für die beiden großen Parteien zwei neue Direktkandidaten an, nachdem die 2009 gewählte CDU-Abgeordnete Martina Krogmann ihr Mandat schon nach relativ kurzer Zeit zurückgegeben hatte. Beide Kandidaten erscheinen mir wählbar, ich habe mich für Oliver Grundmann (CDU) entschieden.

Bei der Zweitstimme ist die Überlegung auch nicht sehr kompliziert. Da auf der CDU-Landesliste Ursula von der Leyen auf Platz 1 steht, die ich nach wie vor für unwählbar halte, gebe ich meine Zweitstimme der FDP-Landesliste mit dem Katholiken Philipp Rösler an der Spitze, dem in Stade geborenen Patrick Döring auf Platz 2 und dem Stader Rechtsanwalt Serkan Tören an sechster Stelle. Sofern die FDP in den nächsten Bundestag einzieht, wird Serkan Tören mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit meine Region auch weiterhin im Parlament vertreten.

Da bei dieser Bundestagswahl mit keinem Kanzlerwechsel zu rechnen ist (was schon Anfang 2012 absehbar war), ist die wesentliche Frage, mit welchem Koalitionspartner Angela Merkel in ihre dritte Legislaturperiode als Kanzlerin gehen wird. Meine Zweitstimme für die FDP trägt dazu bei, die schwarz-gelbe Option zu erhalten. Aber auch eine Große Koalition scheint mir kein Beinbruch zu sein. Die Grünen werden völlig zu Recht ein schlechtes Wahlergebnis einfahren und nicht an der nächsten Bundesregierung beteiligt sein.

Generell erscheint mir das verbreitete parteienfeindliche Gerede wenig zielführend zu sein. Eine Bundestagswahl ist keine Liebesheirat. Letztlich geht es nur darum, für die kommenden vier Jahre ein arbeitsfähiges Parlament zu wählen, das dann eine ebensolche Bundesregierung installiert. Weder Parlament noch Regierung haben den Auftrag, die Gesellschaft zu verändern oder den Bürgern unnötige Detailvorschriften zu machen, wie sie ihr Leben zu führen haben.

So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört! (Mt 22,21) Eine Partei, die ich wähle, muss nicht in allen Punkten meiner Meinung sein. Exemplarisch zeigt der Wahl-O-Mat anhand von 38 Fragen, wie hoch der Grad der Übereinstimmung mit den Wahlprogrammen der Parteien ist. Immerhin 78,3 Prozent erreicht dabei in meinem Fall die am besten abschneidende Partei. Kein schlechtes Ergebnis.

In der Bundesrepublik des Jahres 2013 ist es nicht mehr sehr wahrscheinlich, eine Partei mit glasklarem christlichen Profil im Deutschen Bundestag zu finden. Das kann zwar traurig stimmen, aber es gibt auch eine gewisse Freiheit der Wahl. Schwierig wird es immer da, wo Gewissensfragen berührt sind. Das allerdings wird tendenziell bei immer mehr Parteien zum Problem.

Als ginge es um Macht

1.8.13 (Kipa) „Doch leider hat er in seinen Ämtern als Erzbischof, als Kardinal, als Vorsitzender der Glaubenskongregation, als Papst nicht durchgesetzt, was er vorher selbst in unzähligen Werken geschrieben hat. Ich finde es unglaublich schade, dass er seine eigenen Einsichten als Konzilstheologe später nicht umgesetzt hat, als er dazu die Macht hatte. Das kritisiere ich, aber nicht den grossen Theologen oder die Person.“
Der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Erwin Teufel, über den emeritierten Papst Benedikt XVI. in der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“ vom 1. August. Von Teufel erscheint im August das Buch „Ehe alles zu spät ist. Kirchliche Verzagtheit und christliche Sprengkraft“.
(kipa/kna/gs)

Als Berufspolitiker kann Erwin Teufel vermutlich nicht anders als in Machtkategorien denken. Anders lässt sich dieser Vorwurf nicht erklären. Der Papst hat nicht die Art von Macht, die dem ehemaligen Ministerpräsidenten hier vorzuschweben scheint. Er kann nicht einfach seine eigenen theologischen Ideen umsetzen. Das ist nicht seines Amtes Sache.