Islam heißt Vernunft

Karim Aga Khan IV.

Aus einem Spiegel-Gespräch (Ausgabe von morgen) mit Karim Aga Khan IV., geistliches Oberhaupt von 20 Millionen Ismailiten:

Der Islam ist von den Religionen, die auf Abraham zurückgehen, diejenige, die am meisten Wert auf Wissen legt. Ein wesentliches Ziel des Islam ist, Gottes Schöpfung zu verstehen, und deshalb wird unser Glaube ganz erheblich von Logik geprägt. Islam heißt Vernunft.

Archivarbeit

Der Spiegel 41/2006 über die Öffnung des vatikanischen Geheimarchives für die Jahre bis 1939

Alexander Smoltczyk ist es wohl zu verdanken, dass der Spiegel vom kommenden Montag eine ganz lesbare Geschichte über erste Fundstücke aus dem vatikanischen Geheimarchiv der Jahre 1922 bis 1939 bringt. Die zentrale Passage:

Es finden sich die handschriftlichen Aufzeichnungen Pacellis über seine täglichen Treffen mit dem Papst – kurioserweise zwischen Benzin- und Stromrechnungen im Bestand „Stati Ecclesiastici“ verborgen, wo der Kirchenstaat seine Alltagsangelegenheiten ablegte. Es ist eine Entdeckung, welche die Seligsprechung von Pius XII. noch weiter hinausschieben dürfte.

Die Notate des Kardinals Pacelli, über dessen späteres Pontifikat der Schriftsteller Rolf Hochhuth sein Drama „Der Stellvertreter“ schrieb, zeigen eine Kirchenspitze, die den Aufstieg der Nazis zunächst mit Naivität, Ratlosigkeit, bisweilen Wohlwollen beobachtet. Gegenüber dem Kommunismus erschien ihr Hitler als das kleinere Übel.

Aus einer Audienz am 4. März 1933 etwa kommt Pacelli in offensichtlich gehobener Stimmung: „Adolf Hitler ist der erste und einzige Staatsmann, der sich öffentlich gegen die Bolschewisten stellt. Bis jetzt hat das nur der Heilige Vater getan“, so notierte der allmächtige Kardinal in seiner typischen Drei-Millimeter-Handschrift.

In einer anderen Schachtel liegt ein Zettel im DIN-A5-Format in derselben Handschrift. Es ist eine Aufzeichnung vom 1. April 1933, notiert nach der Audienz beim Papst, bei der über die beginnenden Judenverfolgungen in Deutschland gesprochen wurde. Einige Worte sind in eckige Klammern gesetzt, wohl als Kommentar zu einer Aussage des Papstes. Pacelli schreibt: „Es kann der Tag kommen, an dem man sagen können muss, dass etwas getan wurde.“ Ein Schlüsselsatz.

Es ist kein Satz eines Heiligen. Es geht nicht um richtig und falsch, nicht um Moral, sondern um diplomatisches Finassieren. Der Satz zeugt von ratloser Schwäche, Selbstlähmung, Feigheit.

Nur das Ohr leidet

Die FAZ notiert in ihren Buchmessen-Splittern unter der passenden Überschrift „Nietzsche“ wie folgt:

So ein zartes Gelb auf dem Umschlag schmerzt das Auge nicht, es stimmt zum Lindenblütentee bei der Bibelarbeit. Nur das Ohr leidet. Die „Bibel in gerechter Sprache“ ist nach fünf Jahren von 52 Übersetzern – „und Übersetzerinnen!“ schallt es aus dem Publikum – zum geplanten Termin fertiggeworden und wird im Lesezelt präsentiert. „Ich, Adonaj, deine Gottheit, bin eine eifersüchtige Gottheit.“ Denn schlicht vom „Herrn“ zu sprechen paßt nicht in die Zeit. So gibt es auch keine Priester mehr, sondern nur eine „mit dem Priesteramt betraute Person“. Woraus wir lernen, daß die gerechte Sprache immer auch um eine Nuance bürokratischer ist: Das Vorbild gibt der Politiker, der im Fernsehen seinen Wählerinnen und Wählern dankt. Sicher wäre es schön, wenn man bei den Vernichtungsdrohungen des Jeremia gegen die Philister künftig ein „und Philisterinnen“ zum Behuf größerer Klarheit mitlesen könnte. Und sollte der Islam nicht, wenn er denn wirklich dialogfähig bleiben will, schleunigst einen Koran in gerechter Sprache herausbringen? (L.J.)

Debil

Die Kunstfreiheit ist nahezu grenzenlos. Nahezu. Die Väter des Grundgesetzes machten eine Ausnahme: Die Kunstfreiheit hat dort ihre Grenzen, wo das religiöse Gefühl in einer Weile verletzt wird, dass es den „inneren Frieden“ gefährdet.

Jede Gesellschaft, jede Familie, jeder Mensch hat einen innersten Bezirk, einen Glaubenskern, der geachtet und geschützt werden muss. Gesellschaften, die ihn verloren haben, sind debil. Nun gibt es viele Anzeichen dafür, dass sich unsere Talkshow- und Plappergesellschaft, die fortwährend ihr Innerstes nach außen stülpt und alles trivialisiert, was sie berührt, durchaus debile Züge hat.

Dennoch besteht der Blasphemie-Paragraph in modifizierter Form fort. Und durch den Idomeneo-Streit werden wir erneut an ihn erinnnert. Wir werden daran erinnert, dass es Menschen gibt, denen etwas heilig ist.

Matthias Matussek, Spiegel Online [via fonolog]