Das Klagegeschrei über Sodom und Gomorra

Das Klagegeschrei über Sodom und Gomorra, ja, das ist laut geworden, und ihre Sünde, ja, die ist schwer.
Gen 18, 20b

Ein Kommentar von Eva Herman schlägt in diesen Tagen jede Menge Wellen im Netz. Sie bezeichnet dort, passend zur ersten Lesung des vergangenen Sonntags, an dessen Vorabend die Katastrophe von Duisburg geschah, die Love Parade als „Sodom und Gomorrha“ und stellt eine provokante These in den Raum, an der vor allem sich der öffentliche Zorn entzündet:

Eventuell haben hier ja auch ganz andere Mächte mit eingegriffen, um dem schamlosen Treiben endlich ein Ende zu setzen.

Dass die Love Parade nicht erst seit Duisburg eine völlig verkommene Veranstaltung ist, diese Diagnose allein erklärt noch nicht die neuerliche Aufregung über Eva Herman. Aber mit ihrer These, es könnte sich bei der aktuellen Katastrophe um so etwas wie eine Strafe Gottes handeln, reizt sie die säkulare Mehrheitskultur bis aufs Blut. Dabei ist das tatsächlich ein interessanter Gedanke, nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Gen 18, 20-32, gestern als erste Lesung in jeder Messe zu hören, wenn örtliche Hochfeste, pastorale Gründe oder schlechte Gewohnheiten nicht dagegen sprachen.

Abraham verhandelt mit dem Herrn, der sich Sodom aus der Nähe ansehen möchte, wohl um es zu vernichten, wie Abraham fürchtet. Er fragt den Herrn, ob er Sodom verschonen würde, fänden sich dort nur fünfzig Gerechte. Als der Herr dies bejaht, handelt er ihn in mehreren Etappen auf schließlich nur zehn Gerechte herunter, die sich dort finden müssten. Abraham befürchtet die Vernichtung der Stadt zur Strafe für ihre Sünden und ringt um ihre Verschonung.

Der Salzburger Weihbischof Andreas Laun hat sich Anfang der 90er Jahre in einem lesenswerten Aufsatz* mit der Frage beschäftigt, ob AIDS eine Strafe Gottes sei. Er analysiert darin, warum sich der heutige Mensch so vehement gegen diesen Gedanken wehrt:

Denn wer von „Strafe“ redet, hat natürlich an Sünde gedacht und damit an ein Tabu der Zeit gerührt! Prophetisch hat ja schon Pius XII. gesagt, „daß die Sünde des Jahrhunderts der Verlust des Bewußtseins von Sünde ist“. Da aber weite Schichten unserer Gesellschaft den Gedanken, in ihrem Leben gebe es Sünde, kategorisch von sich weisen und darum auch dem Gedanken, Christus könnte sie von ihren Sünden erlöst haben, verständnislos gegenüberstehen, rührt die Rede von der Strafe an einen besonders empfindlichen Nerv:
In dem Begriff der Strafe steckt logisch die Behauptung von der Sündigkeit des Menschen, ein Stück Anklage also – und wer läßt sich das schon ohne weiteres gefallen!

Die Love Parade als sündige Veranstaltung zu bezeichnen, ist nicht so populär wie die Love Parade selbst, aber deshalb noch nicht falsch. Leid und Tod als Folge der Sünde zu deuten ist möglich, solange nicht ein linearer Zusammenhang zwischen der Schwere der Sünde und dem Ausmaß von Leiden und Tod konstruiert wird.

Aus Sünde folgen Leid und Tod, auch ohne dass es dazu des direkten Eingreifens Gottes bedürfte. Laun führt den auf den ersten Blick paradoxen Gedanken aus, dass eine Krankheit wie AIDS sich durchaus als Strafe Gottes verstehen (weil jedes Leid und jede Krankheit etwas mit der Sünde zu tun haben) und gleichzeitig nicht als Strafe Gottes verstehen lässt (weil es keine Entsprechung im Sinne einer „gerechten“ Strafe gibt).

Die Love Parade hielt der säkularen Mehrheitskultur über 20 Jahre den Spiegel vor, bis zum buchstäblich bitteren Ende. Auch deshalb ist das Erschrecken jetzt so groß, da wir in unsere eigene Fratze starren. Nun hat es Tote gegeben, und die Love Parade ist Geschichte. Ein viel zu hoher Preis.

In Sodom fanden sich am Ende wohl doch keine zehn Gerechten, sodass der Herr die Stadt durch Schwefel und Feuer vernichtete, die vom Himmel regneten (Gen 19, 24-25).

* In: Aktuelle Probleme der Moraltheologie. Wien 3.Aufl 1993, 157-176.

Dominica I Passionis

Verhülltes Kreuz in der Passionszeit (Pfarrkirche St. Martin in Tannheim, Baden-Württemberg)

An diesem Sonntag tritt die Kirche in die Passionszeit ein, zur der die letzten beiden Wochen der Fastenzeit gezählt werden. Kreuze und Bilder werden verhüllt, typischerweise in violett, der liturgischen Farbe entsprechend. Die Verhüllung bezieht sich auf den Schluss des Evangeliums, das in der traditionellen Form der römischen Ritus an diesem Sonntag gelesen wird (Joh 8, 46-59):

Da hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Jesus aber verbarg sich und verließ den Tempel.

Vorausgegangen war ein Streit zwischen Jesus, der Menge und den Hohenpriestern. Jesus wirft ihnen offen vor, dass sie ihn töten wollen, „weil mein Wort in euch keine Aufnahme findet“ (Joh 8,37). Und warum das Wort, das er selbst ist, keine Aufnahme findet, sagt Jesus in Vers 47, der Antiphon zum Benedictus:

Dicebat Jesus * turbis Judaeorum, et principibus sacerdotum: Qui ex Deo est, verba Dei audit: propterea vos non auditis, quia ex Deo non estis.
Jesus sagte zur Menge der Juden und zu den Hohenpriestern: Wer aus Gott ist, hört die Worte Gottes; ihr hört sie deshalb nicht, weil ihr nicht aus Gott seid.
Joh 8, 47

Romano Guardini schreibt dazu:

Der Mensch, wie er von sich aus ist, vermag nicht zu glauben. Glaube ist der Akt eines neuen Menschen. Der muß erst da sein, damit geglaubt werden könne. Er wird aber nur von Gott her; genauer im Heiligen Geist.

Jesus geht in diesem Streit mit den Juden bis zum Äußersten, er spricht von sich kaum verhüllt als dem Sohn Gottes, der schon Abraham kannte. In Vers 56, der Antiphon zum Magnificat, sagt Jesus:

Abraham pater vester * exsultavit ut videret diem meum: vidit, et gavisus est.
Euer Vater Abraham jubelte, weil er meinen Tag sehen sollte. Er sah ihn und freute sich.
Joh 8, 56

Sein Tag ist der Tag der Auferstehung, der an jedem Sonntag aufscheint und der nun nicht mehr fern ist. Doch auf dem Weg dahin liegt noch die Passion, die Gottesferne und die Gottverlassenheit.