Apokalypse gelesen, jetzt folgt Lukas

In der Adventszeit die Offenbarung des Johannes zu lesen ist nicht die schlechteste Idee. Schließlich bereiten wir uns in dieser Zeit nicht nur auf die erste Ankunft des Erlösers in jenem Stalle zu Bethlehem vor, sondern auch auf seine Wiederkunft am Ende der Zeit.

Mit der Offenbarung ist meine (einigermaßen) tägliche Bibellektüre, begonnen mit den Paulusbriefen, gefolgt von den übrigen Briefen, nun am Ende der Heiligen Schrift angelangt. Die letzten Tage des Advent gehören nun den ersten Kapiteln des Lukasevangeliums, das ich mir passend zu Kirchenjahreszeit und Lesejahr als nächstes vorgenommen habe.

Bei Lukas beginnt alles mit der Verheißung der Geburt des Täufers.

Er wird mit dem Geist und mit der Kraft des Elija dem Herrn vorangehen, um das Herz der Väter wieder den Kindern zuzuwenden und die Ungehorsamen zur Gerechtigkeit zu führen und so das Volk für den Herrn bereit zu machen. (Lk 1, 17)

Paulusbriefe gelesen, Katholische Briefe folgen

Mein Projekt, im Paulusjahr sämtliche Paulusbriefe zu lesen, ging gestern mit einiger Verspätung und dem Hebräerbrief zuende. Es schritt erst dann einigermaßen voran, als ich begann, jeden Morgen nach den Laudes ein Kapitel oder wenigstens ein paar Verse zu lesen.

Als nächstes folgen nun die Katholischen Briefe, heute begonnen mit dem Jakobusbrief. Danach die Offenbarung des Johannes, anschließend die Evangelien und die Apostelgeschichte. Wenn das geschafft ist, werde ich mich dem Alten Testament zuwenden. Wo genau ich dann beginne, weiß ich noch nicht.

Ich lese übrigens die Einheitsübersetzung in Gestalt jener in dunkelrote Pappe eingebundenen Ausgabe, die ich ca. 1980/82 als Schulbibel bekam und die auch meine beiden Geschwister als solche verwendet haben. Sie trägt immer noch den durchsichtigen Plastikschutzumschlag aus jener Zeit. Das Papier ist schon nach knapp 30 Jahren ziemlich vergilbt.

Befreiung

Am letzten Donnerstag stand ich spätabends vor dem Kühlschrank und überlegte, ob ich noch ein Bier trinken sollte. Ich hatte Bierdurst, aber ich war auch müde, es war schon spät und am Freitag musste ich wieder früh raus. Spätabends noch ein Bier zu trinken ist eine Gewohnheit von mir. Zwar nicht jeden Tag, aber doch regelmäßig trinke ich abends noch ein Bier. Fast fehlt schon etwas, wenn ich keines trinke.

An diesem Abend war ich nicht sicher, ob es gut wäre, noch ein Bier zu trinken. Irgendwie ahnte ich schon, dass es mir am nächsten Morgen nicht gut gehen würde. Trotzdem griff ich zur Flasche, öffnete sie und trank sie aus. Es schmeckte gut, und ich ging ins Bett. Prompt hatte ich am nächsten Morgen Kopfschmerzen. Und nicht nur am Morgen, sondern auch am Vormittag und sogar mittags noch, obwohl ich eine Kopfschmerztablette genommen hatte.

Es war also nicht gut, noch ein Bier zu trinken. Eigentlich war dagegen ja nichts einzuwenden gewesen. Warum sollte ich am Ende eines langen Tages nicht eine Flasche Bier trinken? Es ist vielleicht nicht direkt mein Recht, aber jedenfalls liegt dieses Bier im Rahmen meiner persönlichen Freiheit.

Nun hatte mir diese Entscheidung allerdings geschadet. Ich hatte zwar meine Freiheit in Anspruch genommen, ich hatte mich mehr oder weniger frei entschieden, noch ein Bier zu trinken. Doch dieses eine, an sich harmlose Bier war von Übel. Das merkte ich am nächsten Tag.

Meine Freiheit ist also eine zweischneidige Sache. Sie ist einerseits gut und richtig und wichtig. Die Freiheit gehört zum Menschsein dazu. Aber ich kann meine Freiheit offensichtlich auch falsch einsetzen und mir damit schaden.

Der jüngere Sohn im Gleichnis, das wir heute in der Heiligen Messe gehört haben, erlebt genau dies. Er nimmt seine Freiheit in Anspruch, und der Vater gewährt sie ihm. Er zahlt ihm sein Erbteil aus, obwohl er vermutlich ahnt, was sein Sohn vorhat. Der zieht hinaus in die Welt und haut sein Erbe auf den Kopf.

Er will einfach genießen. Er will das Leben ausschöpfen bis zum Äüßersten, „Leben in Fülle“ haben, wie er meint. Er will keinem Gebot, keiner Autorität mehr unterstehen: Er sucht die radikale Freiheit; er will nur sich selber leben, keinem anderen Anspruch unterstellt. Er genießt das Leben; fühlt sich ganz autonom. (Joseph Ratzinger, Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Erster Teil, 243f.)

Doch seine Autonomie hat Grenzen. Es dauert nicht lange, bis das Erbe verbraucht ist. Ohne Geld ist er nicht mehr frei, im Gegenteil: Er wird zum Knecht, muss Schweine hüten und wäre froh, wenn er selbst Schweinefutter zu essen bekäme. Für Juden sind Schweine unreine Tiere. Der Sohn, der zum Knecht geworden ist, schließt sich also selbst aus der Gemeinschaft aus. Er ist ein Sklave und alles andere als frei.

An diesem Punkt ist die Freiheit in ihr Gegenteil umgeschlagen – in die völlige Unfreiheit, in die Knechtschaft. Der an sich freie Mensch hat sich gegen den Vater entschieden, ist seine eigenen Wege gegangen und endet als Knecht bei den Schweinen. Für diesen Zustand der Unfreiheit, der Abwendung von Gott, dem Vater gibt es ein altes Wort: Es lautet Sünde.

Doch an diesem Punkt kehrt der verlorene Sohn um. Seine Suche nach Freiheit hat ihn in eine Sackgasse geführt. Ihm bleibt keine andere Wahl als umzukehren, wenn er nicht dort bleiben will, wo er ist. Er kehrt zurück zum Vater, und man könnte diese Rückkehr für eine Niederlage halten. Tatsächlich aber ist sie ein Sieg, und zwar ein Sieg über das Böse. Der Sohn hat sich nicht nur vom Vater abgewandt, als er in die Fremde zog. Er hat sich von sich selbst entfernt, als er versucht hat, sich selbst zu verwirklichen. Mit den finanziellen Mitteln seines Vaters übrigens, und die waren offensichtlich nicht unbegrenzt.

Der Sohn kehrt also zum Vater zurück, und zugleich auch zu sich selbst. Der Vater freut sich, nicht weil er irgendwie Recht behalten hätte, sondern weil er seinen Sohn wiedergefunden hat:

Denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wieder gefunden worden. Und sie begannen, ein fröhliches Fest zu feiern. (Lk 15,24)

Schauen wir kurz auf den größeren Zusammenhang. Jesus erzählt hier insgesamt drei Gleichnisse, und er antwortet damit auf den Vorwurf von Pharisäern und Schriftgelehrten, dass er sich mit Sündern abgibt und sogar mit ihnen isst. Wie die Schweine als unreine Tiere gelten denen die Sünder als unreine Menschen, mit denen man sich nicht abzugeben hat.

Jesus sieht das anders. Im Markusevangelium sagt er auf den gleichen Vorwurf hin:

Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten. (Mk 2,17b)

Jesus wendet sich an die Sünder, nicht weil er die Sünde irgendwie kleinreden oder gutheißen will, sondern um die Sünder zur Umkehr zu rufen. Das ist sein Programm, dem er bis zum Äußersten treu bleibt. „Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat“ Jesus Christus „uns von der Sünde und von der Knechtschaft des Todes befreit“, heißt es in einer Präfation.

Die Umkehr eines Sünders ist deshalb ein Grund zur Freude – Gott hat sein Ziel erreicht. In allen drei Gleichnissen steht am Ende die Freude über den Sünder, der umkehrt:

Freut euch mit mir; ich habe mein Schaf wieder gefunden, das verloren war. Ich sage euch: Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren. (Lk 15,6b-7)

Und:

Freut euch mit mir; ich habe die Drachme wieder gefunden, die ich verloren hatte. Ich sage euch: Ebenso herrscht auch bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt. (Lk 15,9b-10)

Der Sünder, der umkehrt, das ist der Mensch, der sich vom Vater abgewandt hatte und nur noch sich selbst zum Maßstab nehmen wollte. Der damit scheitert und sein Scheitern erkennt. Der es bereut und zum Vater zurückkehrt. Und der vom Vater mit offenen Armen empfangen wird. Das ist die gute Nachricht: Gott empfängt den Sünder, der umkehrt, mit offenen Armen.

Doch was ist mit dem älteren Bruder? Im Unterschied zum jüngeren hat er nie gegen den Willen seines Vaters gehandelt. Er ist mit Gott im Reinen, er hält sich an seine Gesetze. Er ist kein Sünder. Aber nun empört er sich, wie es auch die Pharisäer und Schriftgelehrten gegen Jesus tun, über die Großzügigkeit seines Vaters.

Er hat seine Freiheit nicht so in Anspruch genommen, wie es sein jüngerer Bruder tat. Er ist nicht in die Ferne gezogen und hat nicht sein Erbteil durchgebracht, sondern dient schon viele Jahre seinem Vater, und nun klagt er über eine fehlende Belohnung für diesen Dienst. Auch er ist nicht wirklich frei. Er trägt seine „Freiheit eigentlich doch als Knechtschaft“ (Ratzinger, a.a.O., 252) und hat den Weg zur wahren Freiheit noch vor sich.

Er hält sich an die Gesetze, wie es auch die Pharisäer und Schriftgelehrten tun, und damit macht er sicher keinen Fehler. Aber Gott ist größer als das Gesetz. Die Bekehrung des älteren Bruders ist die Umkehr vom Gott des Gesetzes zum Gott der Liebe. Gott hat seinen Sohn gesandt, heißt es im Galaterbrief, „damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen“ (4,5). Auch der ältere Sohn muss umkehren. Er muss seine Bitterkeit ablegen und sich mit dem Vater freuen über seinen Bruder, der tot war und wieder lebt, der verloren war und wieder gefunden wurde.

Mittel der Entmündigung

Die protestantische Theologin und FAZ-Redakteurin Heike Schmoll befasst sich im Leitartikel der Ausgabe von morgen (Reformationstag) mit den Anliegen des Bibelübersetzers Luther. Und schlägt dann, scharf konstrastierend, einen Bogen zur jüngsten Bibelübersetzung aus protestantischem Hause:

Die Bibel in gerechter Sprache scheint grundsätzlich nicht mit kritischen und mündigen Lesern zu rechnen und sie zu einem selbständigen Urteil befähigen zu wollen. Das läuft Luthers Anliegen diametral entgegen. Vieles klingt wie eine Verbesserung deutscher Übersetzungen, nicht wie eine Übersetzung aus dem Hebräischen oder Griechischen. Damit wird genau der Text, der aus der Bevormundung befreien soll, selbst zum Mittel der Entmündigung. Das ist das Anstößige, Skandalöse dieser Übersetzung.

Der Gesinnungskult feministischer Randgruppen und Gleichmacher läßt sich nicht allein damit erklären, daß Protestanten immer in der Gefahr stehen, einer weltlichen Autorität den religiösen Kredit zu geben, den sie dem Papst einst verweigert hatten. Das eigentlich Erschreckende ist nicht, daß viele Spendenfreudige diese Bibelübersetzung wollten, sondern daß einige Kirchenleitungen in Deutschland (allen voran die hessische), aber auch in Österreich und der Schweiz und nicht wenige Vertreter der akademischen Theologie ein solches Vorhaben unterstützen. Denn die Bibel in gerechter Sprache wird vermutlich schneller wieder verschwinden als die verbreitete Unklarheit ihrer Unterstützer über elementare Einsichten der Bibelauslegung und Hermeneutik.

Modernisten

Der Spiegel 44/2006: Wortsalat im Garten Eden (Ausriss)

„Wird die Heilige Schrift von Modernisten verhunzt?“, fragt süffisant der Spiegel vom kommenden Montag aus Anlass der Publikation der Bibel in gerechter Sprache („Wortsalat im Garten Eden“).

Dröge holpern die feministischen Testamente dahin. „Törichte Jungfrauen“ werden „naiv“, die listige Schlange im Paradies hat nun „weniger an, aber mehr drauf“. „Der Herr ist mein Hirte“, übersetzte Luther Psalm 23, „er erquicket meine Seele.“ Bei den Geschlechtergerechten heißt es: „Adonaj weidet mich“, „meine Lebendigkeit kehrt zurück“. […]

Das aktuelle Antidiskriminierungsgesetz soll bis ins Gelobte Land zurück verlängert werden.

Entsprechend sieht das Resultat aus: „Pharisäerinnen und Pharisäer“ wimmeln neben „Ammoniterinnen und Ammonitern“, sowie „Makkabäerinnen und Makkabäern“. Jesus ist von „Jüngerinnen und Jüngern“ umgeben – obwohl seine zwölf Gefolgsleute allesamt Männer waren.

Sogar „Zöllnerinnen“ und amtierende altisraelitische „Königinnen“ lässt die Damenriege auftreten – alles Unfug.

Tatsache ist, dass Jesus in einer patriarchalisch geprägten Bauernkultur lebte. Keine Frau konnte dort Priesterin werden. Um einen Gottesdienst („Minjan“) abzuhalten, mussten mindestens zehn Kerle anwesend sein. Der Bielefelder Religionskundler Andreas Lindemann: „Alle Frauen Israels hätten den fehlenden zehnten Mann nicht ersetzt.“

Immer die Familie

Alan Posener referierte in der Welt vom 1. Oktober die Thesen eines Buches von James D. Tabor („Die Jesus-Dynastie“), demzufolge Jesus Christus nicht der Sohn Gottes war ist, sondern das Königtum Israels wiederherstellen wollte und dessen Familie nach seinem Tod die christlichen Gemeinden leitete.

Tabor und Posener greifen zwei wohlbekannte Topoi auf. Da sind zum einen die „Brüder Jesu“, die selbstverständlich nur leibliche Brüder gewesen sein können. Und da ist Paulus als Erfinder des Christentums respektive als Umdeuter des historischen Jesus – ein spätestens mit Nietzsche populär gewordener Gedanke.

Um der Geschichte noch etwas mehr Schwung zu verleihen, reißt Posener ein Ratzinger-Zitat aus dem Zusammenhang der „Einführung in das Christentum“. Ratzinger selbst hat zu dieser beliebten Fehldeutung später in „Die Tochter Zion“ alles gesagt, was zu sagen war.