Oder ist es eher Kohäsionskraft? Jedenfalls meine ich jene Kraft, die die Liturgie im Innersten zusammenhält. Die scheint mir bei der ordentlichen Form des römischen Ritus nicht (mehr) ausreichend zu sein, um den Zentrifugalkräften Einhalt zu gebieten. Und deshalb bin ich langfristig pessimistisch, was die Zukunft der neuen Messe betrifft.
usus antiquior
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ostendit populo
Iesu, quem velatum nunc aspicio,
Oro fiat illud quod tam sitio;
Ut te revelata cernens facie
Visu sim beatus tuae gloriae.
O Jesu, den verhüllt jetzt nur mein Auge sieht;
Wann stillst das Sehnen du, das in der Brust mir glüht:
Daß ich enthüllet dich anschau‘ von Angesicht
Und ewig selig sei in deiner Glorie Licht?
(Thomas von Aquin, Adoro te devote)
Analoge Fotos brauchen ja immer etwas länger. Ein paar neue Bilder aus Mariawald jetzt bei flickr.
Vom Bedeutungsgehalt liturgischer Formen
Verlieh das Durchschimmern der alten Form nach der Liturgiereform der sechziger Jahre den neuen Formen einen Bedeutungsgehalt, den sie aus sich heraus nicht haben? Diese These hat Widerspruch hervorgerufen:
Ich bin zweieinhalb Jahrzehnte ohne auch nur geringste Kenntnis des “alten Ritus” aufgewachsen und habe, zumindest ab dem Zeitpunkt, da ich mich bewußt damit befasste, die Formen des “neuen Ritus” durchaus als bedeutungsvoll erlebt und Schritt für Schritt Bedeutung in der Messe entdeckt (damals ohne irgendwie liturgisch etwas mir anzulesen).
Ich will meinerseits nicht polemisieren, aber eine Messeform, in der weitgehend Schweigen herrscht, da wäre das nicht möglich gewesen, abgesehen davon, daß viele der (sicherlich organisch gewachsenen) Formen des “alten Ritus” gar keine Bedeutung haben, etwa das Wiederholen des Agnus Dei oder das Hin- und hertragen von Büchern.
In diesem Absatz stecken mindestens zwei starke Thesen:
- In der alten Messe herrscht weitgehend Schweigen.
- Viele ihrer Formen haben gar keine Bedeutung.
Ich bin kein Liturgiker, aber beide Thesen halte ich für eindeutig falsch. Schweigen herrscht im Usus antiquior vor allem im Hauptteil der Messe, und zwar bei der Opferung, beim Hochgebet und bei der Kommunion. Hier ist die alte Messe durchaus anders gestrickt als der meistens nach dem Motto „The show must go on“ zelebrierte Novus ordo. Das Schweigen hat seinen Sinn und seine tiefe Bedeutung.
Die Kanonstille hat die Funktion eines verhüllenden Schleiers zum Schutz des Heiligen. Sie drückt Ehrfurcht und Demut aus, denn vor dem, was hier geschieht, muss jedes menschliche Wort verstummen. […] Durch den stillen Vollzug des Kanons wird der eigentliche eucharistische Konsekrations- und Opferakt als ausschließlich priesterliche Handlung gekennzeichnet, denn die sakramentale Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers vollzieht Christus selbst durch den geweihten Priester. […] Die Gläubigen lädt die Kanonstille zu Einkehr und innerem Mitvollzug, denn kraft ihres in der Taufe erworbenen allgemeinen Priestertums sind sie befähigt, sich auf ihre Weise als Mitopfernde innigst mit dem Priester am Altar zu vereinen. […] Obwohl der römische Kanon weitgehend in Stille vollzogen wird, wirkt er doch durch zahlreiche begleitende Gesten sehr lebendig. Besonders bedeutsam sind dabei die vielen Kreuzzeichen.
P. Martin Ramm FSSP: Zum Altare Gottes will ich treten. Die Messe in ihren Riten erklärt
Womit wir auch schon bei der zweiten These wären. Hier ist das genaue Gegenteil wahr: Jedes einzelne Element der außerordentlichen Form hat seine Bedeutung. Nicht alle werden immer auf Anhieb verstanden, aber das gilt für Liturgie grundsätzlich, daran wird keine Reform etwas ändern.
Die dreimalige Wiederholung [des Domine non sum dignus, das wahrscheinlich oben gemeint ist] drückt gemäß einer besonderen Eigenart der hebräischen Sprache Steigerung und Ernsthaftigkeit aus.
Und auch der Wechsel von der Epistel- zur Evangelienseite hat selbstverständlich eine Bedeutung:
Die tiefere Symbolik der Evangelienseite kommt aus den Himmelsrichtungen, denn wo der Altar nach Osten hin ausgerichtet ist, weist sie in Richtung Norden. Da in unseren Breiten im Norden niemals die Sonne steht, gilt er als Symbol der Finsternis. Das nach Norden hin verkündete Evangelium ist wie ein Licht, das leuchtet in der Finsternis [vgl. Joh 1,5].
Mit der Einschätzung, dass der Vergleich beider Formen in ihren Texten eine übergroße Ähnlichkeit zeige, bin ich hingegen einverstanden. Allerdings sehe ich mich auch nicht in der Lage, den Einwand zu entkräften, dass sich in den Unterschieden der Form auch und gerade die Unterschiede der zugrundeliegenden Theologie zeigen.
Und ganz unter uns: Irgendeinen Sinn und Zweck muss ja die Liturgiereform gehabt haben, oder?
Abtei Mariawald und Muck Abbey
Ein kleines Fazit am Tag nach meiner Rückkehr.
In gewisser Weise ist Mariawald das passgenaue Gegenstück zu Muck Abbey, jener Abtei im fernen Irland, von der die hier schon erwähnte Erzählung von Brian Moore handelt. Die irischen Mönche halten als letzte an der alten, lateinischen Messe fest, bis sie schließlich ein Verbot aus Rom bekommen. Die Trappisten hingegen sind die ersten im deutschen Sprachraum, die wieder zur alten Messe zurückkehren, weil sie die entsprechende Erlaubnis aus Rom bekommen haben.
Die Realität dieser Abtei in der Eifel ist zum Glück erfreulicher als die Fiktion jener Abtei auf der irischen Insel. Dennoch ist die mutige Reform alles andere als ein Selbstläufer. Die Mönche von Mariawald brauchen unsere Unterstützung durch Gebet, durch Einkauf im Onlineshop oder auch durch direkte Spenden. Die Arbeit der Mitbrüder und die Einnahmen aus den klostereigenen Betrieben reichen nicht aus, um den Erhalt der Abtei zu sichern.
Wenn ich nach bis jetzt drei Klosteraufenthalten meine persönlichen Favoriten nennen sollte, dann wäre die Reihenfolge klar:
- Mariawald
- Gerleve
- Meschede
Nun ist die Reihe an Euch, liebe Leser. Welches Kloster sollte ich als nächstes besuchen? Vorschläge bitte in die Kommentare.
Ich harre der Vorschläge, die da kommen, und nehme jetzt noch einen kleinen Original Trappisten-Abtei-Tropfen (sehr zu empfehlen und hier zu erwerben!).
Was war noch gleich der Grund für die Liturgiereform?
Ein Thema hatte ich gestern ausgespart: die Hl. Messe. Die ersten drei Tage in Mariawald haben meinen Kontostand, was die Messe in der außerordentlichen Form angeht, glatt verdoppelt. Man sieht schon, ich bin noch Anfänger, auch wenn ich seit heute früh immerhin schon beide Hände zum Zählen brauche.
Seitenaltar in der Abteikirche Mariawald
Was ich aber immer weniger verstehe, ist der Sinn und Zweck der Liturgiereform, die ja um Haaresbreite zur Abschaffung der alten Messe geführt hätte. Ich könnte jetzt zwischen der vom Konzil intendierten Reform und der tatsächlich durchgeführten Revolution unterscheiden, aber das Thema erspare ich uns für heute.
Wie konnte man überhaupt auf die Idee kommen, etwas so wunderbares und geradezu überirdisch schönes wie die alte Messe reformieren oder gar abschaffen zu wollen? Und wozu sollte das gut sein? Warum nahezu alle Texte austauschen, alles kräftig umrühren und neu zusammenbauen? Wozu der Neubau auf der grünen Wiese? Hätte nicht eine anständige Renovierung genügt?
Ich werde wohl einschlägige Literatur hinzuziehen müssen, um das zu verstehen begreifen. Verstehen werde ich es wohl nicht mehr.
Wie der liturgische Kalender der Zisterzienser es so wollte, wurden alle drei Messen in weiß gefeiert, die vierte morgen früh dann auch. Gestern und heute kam zudem ein überaus wohlriechender Weihrauch zum nicht gerade kleinlichen Einsatz. Der Bruder Thuriferar legte sogar vor der Wandlung noch einmal in Eigeninitiative nach, auf dass sich die Abteikirche ordentlich in Nebel hülle. Der köstliche Duft hält sich trotz geöffneter Fenster den ganzen Tag.
Als kleine Konzession an den Zeitgeist oder auch um zu zeigen, dass hier keine Ideologen am Werk sind, werden Epistel und Evangelium auf Deutsch vorgetragen, während der zelebrierende Abt sie leise am Altar rezitiert. Das war es dann aber auch mit dem modernistischen Einschlag, soweit ich als blutiger Anfänger das erkennen kann.
Was soll ich sagen? Die Messe dauert, auch ohne Predigt, ungefähr eine Stunde. Ohne Weihrauch vielleicht etwas weniger. Hier lässt man sich Zeit. Dem Gebet ist nichts vorzuziehen. Der Messe erst recht nicht.
Möge sich der Chorraum in den nächsten Jahren stetig mit neuen Mönchen füllen und der Liturgie zu neuem Glanz verhelfen, ad majorem Dei gloriam.
Abtei Mariawald kurz nach der Wende
Seit zwei Tagen bin ich nun in Mariawald, zwei Nächte werden noch folgen. Es ist mein dritter Gastaufenthalt in einem Kloster, nach den beiden Benediktinerabteien Gerleve (2007) und Meschede (2009) nun also Trappisten. Bei denen ist alles etwas zisterziensisch-schlichter als bei den Benediktinern.
Es fängt beim Äußeren an. So hat die Abteikirche nur einen kleinen Dachreiter mit zwei Glocken, die per Hand und Seil aus dem Chorraum geläutet werden. Mariawald ist zwar eine große Klosteranlage, aber mit elf Mönchen nur eine sehr kleine Abtei, insbesondere im Vergleich zu Gerleve und Meschede. Das Chorgebet wird inzwischen fast vollständig im überlieferten zisterziensischen Ritus gesungen, nur die Vigilien (um 3.15 Uhr!) werden derzeit noch nach dem deutschen Mariawalder Psalter gefeiert.*
Allerdings tragen das Chorgebet in diesen Tagen im Wesentlichen nur vier Mönche, was keinen sehr mächtigen und prachtvollen Gesang ergibt, sondern eher ein stilles, inniges und zurückhaltendes Chorgebet. Ich brauchte etwas Zeit, mich einzuhören, doch inzwischen fühle ich mich darin schon fast zuhause. Zumal ich mit dem Breviarium Romanum ein eng verwandtes Stundengebet praktiziere.
Im Alltag fehlt mir die Zeit für ein vollständiges Breviergebet. So bleibt es meist bei Laudes und Vesper, an der Komplet arbeite ich noch. Umso mehr habe ich es mir aber angewöhnt, wenn ich denn mal im Kloster bin, dort möglichst keine Gebetszeit zu verpassen. Der Tag bekommt dadurch seinen ganz eigenen Rhythmus.
Mariawald ist nicht nur die einzige Trappistenabtei in Deutschland. Mariawald ist auch das erste und meines Wissens einzige Kloster hierzulande, dass sich entschieden hat, zur Liturgie und zur Observanz im Alten Usus zurückzukehren. Der junge Abt Josef Vollberg hat damit eine radikale Konsequenz aus dem Niedergang des Klosters und dem ausbleibenden Erfolg der nachkonziliaren Reformen gezogen.
Falls jemand einen großen Novizenansturm erwartet hatte, dann ist der bis jetzt ausgeblieben. Wie zu hören war, waren zwar schon eine Reihe Nachwuchskräfte im Kloster, von denen jedoch die wenigsten blieben. Mir scheint es aber für eine erste Bilanz noch reichlich früh, ist doch die Umstellung auf die tradierte Liturgie und Observanz nicht einmal abgeschlossen.
Der Nukleus für eine neue Blüte des Klosters ist ganz klar vorhanden. Mariawald hat jetzt ein einzigartiges Profil. Für neue Berufungen braucht es indes Zeit. Wie mit der Wiedereinbürgerung des Usus antiquior in der Universalkirche verhält es sich auch hier: Mit der überlieferten Liturgie steht nun eine kleine, aber wachsende Minderheit neben einer schrumpfenden Mehrheit.
Mittelfristig sind die Aussichten für wachsende Gruppen freilich besser als für schrumpfende. Schrumpfungsprozesse sind immer schmerzhaft und bergen die Gefahr einer Abwärtsdynamik, während Wachstumsprozesse eher mit positiver Dynamik und besserer Stimmung einhergehen. Beide Prozesse befeuern sich selbst, weshalb eine Schrumpfungsdynamik, einmal in Gang gekommen, nur schwer zu stoppen ist. Wachstum hingegen hat seine eigene Dynamik.
Mariawald ist ein denkbar starker Kontrast zu Meschede. Hier traditionelle Trappisten, dort moderne Benediktiner. Hier lateinische Liturgie im alten Usus, dort ein vorbildlich modernisiertes und entkerntes Stundengebet auf Deutsch. Hier eine 500 Jahre alte Klosteranlage, dort ein im vergangenen Jahrhundert erbautes Kloster mit einer in den sechziger Jahren errichteten Abteikirche.
Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich diese beiden Klöster in den kommenden Jahrzehnten fortentwickeln. Kann Meschede aus seiner Blütezeit in den achtziger Jahren genug Schwung und kritische Masse mitnehmen, um auch künftig zu bestehen? Wird Mariawald neuen Schwung bekommen und die kritische Masse aufbauen, die zum Überleben notwendig wäre? Zu wünschen wäre es beiden.
* Vgl. dazu auch Thomas sein Abendland (2008).
Institut St. Philipp Neri braucht Hilfe
Soeben habe ich auf Anregung von Elsa meinen Obulus an das Institut St. Philipp Neri überwiesen, das auf unsere finanzielle Unterstützung dringend angewiesen ist. Zu Christi Himmelfahrt war ich dort im Hochamt. Es war nach zwei stillen Messen mein erstes Hochamt in der außerordentlichen Form des römischen Ritus.
Ich bin immer noch überrascht, wie sehr mir bei allen Unterschieden im Detail doch die Einheit des römischen Ritus auffällt. Die außerordentliche Form hat nichts Verbotenes, Subversives oder gar Reaktionäres. Sie ist eine wunderbare Form der einen Messe.
In diesem Fall eine festliche, sehr würdige und völlig selbstverständliche Form. Eine würdig gefeierte lateinische Messe in der ordentlichen Form würde sich, man muss hier wohl im Konjunktiv sprechen, gar nicht so sehr von der außerordentlichen Form unterscheiden.