in Liturgia

Vom Bedeutungsgehalt liturgischer Formen

Verlieh das Durchschimmern der alten Form nach der Liturgiereform der sechziger Jahre den neuen Formen einen Bedeutungsgehalt, den sie aus sich heraus nicht haben? Diese These hat Widerspruch hervorgerufen:

Ich bin zweieinhalb Jahrzehnte ohne auch nur geringste Kenntnis des “alten Ritus” aufgewachsen und habe, zumindest ab dem Zeitpunkt, da ich mich bewußt damit befasste, die Formen des “neuen Ritus” durchaus als bedeutungsvoll erlebt und Schritt für Schritt Bedeutung in der Messe entdeckt (damals ohne irgendwie liturgisch etwas mir anzulesen).

Ich will meinerseits nicht polemisieren, aber eine Messeform, in der weitgehend Schweigen herrscht, da wäre das nicht möglich gewesen, abgesehen davon, daß viele der (sicherlich organisch gewachsenen) Formen des “alten Ritus” gar keine Bedeutung haben, etwa das Wiederholen des Agnus Dei oder das Hin- und hertragen von Büchern.

In diesem Absatz stecken mindestens zwei starke Thesen:

  1. In der alten Messe herrscht weitgehend Schweigen.
  2. Viele ihrer Formen haben gar keine Bedeutung.

Ich bin kein Liturgiker, aber beide Thesen halte ich für eindeutig falsch. Schweigen herrscht im Usus antiquior vor allem im Hauptteil der Messe, und zwar bei der Opferung, beim Hochgebet und bei der Kommunion. Hier ist die alte Messe durchaus anders gestrickt als der meistens nach dem Motto „The show must go on“ zelebrierte Novus ordo. Das Schweigen hat seinen Sinn und seine tiefe Bedeutung.

Die Kanonstille hat die Funktion eines verhüllenden Schleiers zum Schutz des Heiligen. Sie drückt Ehrfurcht und Demut aus, denn vor dem, was hier geschieht, muss jedes menschliche Wort verstummen. […] Durch den stillen Vollzug des Kanons wird der eigentliche eucharistische Konsekrations- und Opferakt als ausschließlich priesterliche Handlung gekennzeichnet, denn die sakramentale Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers vollzieht Christus selbst durch den geweihten Priester. […] Die Gläubigen lädt die Kanonstille zu Einkehr und innerem Mitvollzug, denn kraft ihres in der Taufe erworbenen allgemeinen Priestertums sind sie befähigt, sich auf ihre Weise als Mitopfernde innigst mit dem Priester am Altar zu vereinen. […] Obwohl der römische Kanon weitgehend in Stille vollzogen wird, wirkt er doch durch zahlreiche begleitende Gesten sehr lebendig. Besonders bedeutsam sind dabei die vielen Kreuzzeichen.
P. Martin Ramm FSSP: Zum Altare Gottes will ich treten. Die Messe in ihren Riten erklärt

Womit wir auch schon bei der zweiten These wären. Hier ist das genaue Gegenteil wahr: Jedes einzelne Element der außerordentlichen Form hat seine Bedeutung. Nicht alle werden immer auf Anhieb verstanden, aber das gilt für Liturgie grundsätzlich, daran wird keine Reform etwas ändern.

Die dreimalige Wiederholung [des Domine non sum dignus, das wahrscheinlich oben gemeint ist] drückt gemäß einer besonderen Eigenart der hebräischen Sprache Steigerung und Ernsthaftigkeit aus.

Und auch der Wechsel von der Epistel- zur Evangelienseite hat selbstverständlich eine Bedeutung:

Die tiefere Symbolik der Evangelienseite kommt aus den Himmelsrichtungen, denn wo der Altar nach Osten hin ausgerichtet ist, weist sie in Richtung Norden. Da in unseren Breiten im Norden niemals die Sonne steht, gilt er als Symbol der Finsternis. Das nach Norden hin verkündete Evangelium ist wie ein Licht, das leuchtet in der Finsternis [vgl. Joh 1,5].

Mit der Einschätzung, dass der Vergleich beider Formen in ihren Texten eine übergroße Ähnlichkeit zeige, bin ich hingegen einverstanden. Allerdings sehe ich mich auch nicht in der Lage, den Einwand zu entkräften, dass sich in den Unterschieden der Form auch und gerade die Unterschiede der zugrundeliegenden Theologie zeigen.

Und ganz unter uns: Irgendeinen Sinn und Zweck muss ja die Liturgiereform gehabt haben, oder?

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Kommentar

13 Kommentare

  1. Also das mit der Nordrichtung der Evangelienlesung ist nicht eindeutig so zu sehen. Ich las einmal einen gelehrten Artikel (oder war es in „Missarum Sollemnia“? egal …), laut dem diese Interpretation eine Nachträgliche Erklärung eines Faktums ist, das einfach aus der Westorientierung der römischen Basilien resultierte, wo dann, wenn man auf der „Evangelienseite“ gen Norden liest, man in den Kirchenraum hineinliest (bei einer geosteten Kirche liest man diesfalls gegen die Wand), was durchaus Sinn hat. Dies sei dann einfach schematisch in die geosteten Kirchen übernommen worden, und dann habe man eine Erklärung gesucht und in der Finsternis des Nordens = Heidentum gefunden.

    Ich bin kein Experte, maße mir also kein Urteil an, o b das richtig ist. Vorstellen kann ich es mir allerdings. Sowas ähnliches fand nämlich später (ca. 17. Jh.) in der anglikanischen Kirche statt. Dort wurden ursprünglich, recht protestantisch, die Altäre aus den Kirchen gerissen. Statt dessen wurde im Chor der Kirche bei den Gottesdiensten mit Abendmahlfeier der Länge nach (also mit einer Schmalseite dort, wo früher der geostete Altar stand!) ein Tisch aufgestellt, an dessen, man kann es sich fast denken, NORDseite der Pfarrer die Zeremonien für das Abendmahl verrichtete.

    In der Jakobinischen Zeit wurden wieder die früheren Altäre aufgestellt, also im Osten der Apsis — nur in den rubriken des Book of Common Prayer stand, daß der Minister n der Nordseite zu amten habe. Also findet man in sehr konservativen Low-Church-Gemeinden bis heute einen Betschemel an der nördlichen Schmalseite des geosteten Altars (der in solchen Gemeinden allerdings eher wie ein würdiger Tisch aussieht und auch „Lord’s Table“, nicht etwa „Altar“ genannt wird), von dem aus das Abendmahl gefeiert wird.

  2. ZUr Ergänzung des vorgesagten: NORDseite deshalb, weil der Pfarrer natürlich an der „vornehmeren“ Evangelienseite in der Mitte der Tischlänge Platz nahm. Die am Abendmahl teilnehmenden Gemeindemitglieder saßen im Chorgestühl bzw. knieten zur Kommunion rund um den Tisch nieder.

  3. Bravissimo für diese konkreten Antworten auf die „Thesen“ des genannten „Absatzes“ – es h a b e n beide Liturgievarianten ihren Sinn, das sehe ich auch so, und wir haben das Glück (?!), mit beiden Formen Erfahrungen sammlen zu können.

    „Bravo“ auch deshalb, weil damit ohne überdehnte theoretische Betrachtungen sehr rasch ein erstes Gefühl für die Unterschiede der Riten entsteht, die jeder für sich vertiefen kann.

    Ergo: Olles leiwand! – wie der Wiener bei passender Gelegenheit zu bemerken pflegt.

  4. Ich sehe mich durchaus misrepräsentiert.

    1. ging es bei meinem Posting ja nicht zuerst um eine Kritik der „alten Messe“ sondern darum, die „neue“ gegen Verunglimpfung zu verteidigen. (Und leider schleicht sich diese auf unerträgliche Weise wieder und wieder ein, auch oben von wegen „the show must go on“!!!) Es ist eben nicht so, daß die Formen der „alten Messe“ aus sich heraus leben, jene der „neuen“ aber ohne Verweis auf die alten sinnlos würden. Elevation, Gebetshaltung, Sitzen, Stehen, Knien, Segnungen, Hochgebet, Agnus Dei, Formen des Kommunionsempfangs ergeben im „neuen Ritus“ durchaus aus sich heraus Sinn. Den Glauben natürlich vorausgesetzt.

    2. Ich sagte nicht, daß in der „alten Messe“ nur geschwiegen wird, sondern daß man jene stillen Passagen nie durch bloßes Beiwohnen verstehen können wird. Was während dem Kanon passiert, muß man dann second hand nachlesen oder nachfragen, während ich im „neuen Ritus“ einfach auf die gesprochenen Worte hören kann.

    3. Es ging mir auch diesmal nicht um Sinnig- und Unsinnigkeit von Stilleperioden oder speziell der Kanonstille. Ersteres halte ich für sinnvoll, zweitens für grundverkehrt, denn sie lädt meist nicht zum Mitvollzug ein (mag sich der FSSP-Pater darüber auch in die Tasche lügen) sondern zur Ersatzbeschäftigung wie Rosenkranzbeten.

    4. Entschieden bleibe ich dabei, daß das dreimaligen Agnus Dei und das Buch-hin-und-her-tragen keine Bedeutung aus sich heraus haben.

    Ja, dreimalige Wiederholung ist eine jüdische Verstärkung, siehe „Sanctus, Sanctus, Sanctus“ etc. Aber im Agnus Dei ist diese schon vorhanden, wenn wir dreimal „Agnus Dei qui tollis peccata mundi“ sprechen, jeweils mit anderer Schlußbitte. Dieses nochmal dreimal zu beten, mag ja besonders verstärkend oder feierlich sein (und ich habe ja auch nichts dagegen) nur einen besonderen Sinn hat es nicht. Nicht mehr als das „Vater Unser“ zehnmal zu beten (aber ich vergaß, laut Herrn LP ist das Gebet unseres Herrn ja altrituell verstanden bis auf die letzte Zeile für Laien ohnehin bäh). Nachgeschobene Begründung, so wie Petrus den Herrn dreimal verleugnet habe, so müsse man nun … helfen da nichts.

    Was das Herumtragen angeht: die Begründung ist mir bekannt, nur ist sie genauso nachgeschoben wie albern. Erstens Zu bekehrende Völker gibt es in allen Himmelsrichtungen, nicht nur im Norden (der in biblischer Symbolik eher für die drohende widergöttliche Macht steht, schließlich kamen Assyrer, Babylonier etc. aus der Sicht Israels aus dem Norden), zweitens warum sollte denn das Evangelium den Heidenvölkern verkündet werden, die Episteln und andere Schriftstellen nicht? war es in der Alten Kirche nicht eher so, daß man eher zurückhaltend war, daß Evangelium von Gottes Gnade etwa Unwürdigen zu verkünden?

    5. Natürlich gibt es bei den Unterschieden von sich so ähnlichen Texten wie den Texten von „alter“ und „neuer Messe“ sichtbare Akzentverschiebungen. Wogegen ich mich aber wehre ist, daraus daß die neue Messe marginal weniger explizit vom Opfer spricht (unterschiedlich je nach Hochgebet) ein „die neue Messe gibt den Opfercharakter“ auf, ergo sind bösartige Anglikaner, Protestanten, Freimauer oder einfach nur der Teufel Bugnini am Werke, um die Messe zu zerstören. Das hätten sie mit Kanonstille viel besser vermocht.

    Sinn und Zweck? Ja klar!!!

    Einmal eine Neubetonung bisher verschütteter Elemente (etwa des auch vorhandenen Mahlcharakters, aber komplementär nicht substitutiv), eine bessere Zugänglichkeit für die Gläubigen (siehe Landessprache, Kanonstille), eine Reduktion von bloß schmückendem Beiwerk (siehe dreimal Agnus Dei) was sowohl die Würdigkeit des Meßopfers wieder herausstellt als auch bessere Zugänglichkeit ermöglicht.

    Ob das immer gelungen ist und ob man es hier und da übertrieben hat, darüber kann man streiten. Nicht jedoch über die Ehrlichkeit und die Ehrenwertigkeit dieser Intentionen.

  5. PS.

    Danke an LP, mit dem ich hier mal einer Meinung bin. Es ist ja auch gar nichts dagegen zu sagen, es so zu halten – ich wehre mich ja nur gegen die nachgeschobenen Erklärungen und ihre anschließende Überhöhung, die sich darin ausdrückt der „neuen Messe“ vorzuwerfen, diese wertvolle Symbolik aufgegeben zu haben (was auch nicht immer stimmt, denn in manchen Gemeinden wird das – auch durch die bauliche Anordnung immer noch praktiziert. Die meisten Kirchen, die ich kenne haben unterschiedliche Verkündigungsorte, wobei dann Lesung und Predigt immer getrennt sind, das Evangelium mal mit dem einen, mal dem anderen den Ort teilt. In meiner Heimatpfarrkirche allerdings gibt es nur ein Ambo für Lesung, Evangelium und Predigt.)

    Columbulus, genau das war mein Punkt.

  6. @Str:

    Danke an LP, mit dem ich hier mal einer Meinung bin.

    Cantate Domino canticum novum, quia mirabilia fecit 😀

    Einen Irrtum möchte ich nur berichtigen:

    laut Herrn LP ist das Gebet unseres Herrn ja altrituell verstanden bis auf die letzte Zeile für Laien ohnehin bäh

    Das ist nicht „laut Herrn LP“, sondern „laut dem alten Missale Romanum“ so. Und wer sich im allgemeinen an dieses hält, wird sich korrekterweise auch in diesem konkreten Fall daran halten.

  7. Nach der editio typica (http://www.musicasacra.com/pdf/missale62.pdf) allerdings steht da nichts davon.

    Davon, daß Laien nur die letzte Zeile beten dürften.

    Davon, daß es „bäh“ wäre, sowieso nicht.

    Aber ich glaube soviel Meinunbgsverschiedenheit ist schon ein „Cantate“ wert.

  8. @Str:

    Nach der editio typica allerdings steht da nichts davon.
    Davon, daß Laien nur die letzte Zeile beten dürften.

    Aber hier:

    „Celebrans, cooperto Calice adoratoque Sacramento,
    erigit se, et manibus extensis hinc inde super altare intra corporale positis, dicit intellegibili voce: Per ómnia saecula saeculórum, et cum dicit: Oremus, iungit manus, caput Sacramento inclinans. Cum incipit: Pater noster, extendit manus, et stans oculis ad Sacramentum intentis, prosequitur usque ad finem. Responso a ministro: Sed libera nos a malo, et a celebrante, submissa voce: Amen […]“

    (cf. Ritus
    servandus in celebratione Missae)

  9. Es ist auch dem genannten Missale zu entnehmen.
    Denn vor dem „Sed libera…“ ist das R für die Respondieren gedruckt. Das Missale setzt ja voraus, daß der Priester spricht und vermerkt daher nur, wenn andere sprechen.

  10. Gut ich konzediere, daß es so ist. (nicht jedoch das „bäh“)

    Gut und vertretenswert ist es aber dennoch nicht.

    Hier hat die Liturgiereform eindeutig positives geleistet.

  11. @str:
    Ob ich es gut oder schlecht finde, daß die ganze Gemeinde das Vaterunser betet, darüber habe ich nie etwas gesagt. Es gibt für beide Standpunkte inhaltliche und formale Argumente. Zweifelsfrei ist es aber so, daß im Alten Ritus nur „sed libera nos a malo“ respondiert wird. Wer daher in den Statuten stehen hat, die „Alte Liturgie nach den Büchern von 1962“ zu pflegen, sollte sich m.E. daran halten. Punkt.

    Inhaltlich gebe ich Ihnen recht: warum die Tradition der explizite Aufforderung Jesu („So sollt ihr beten …“) nicht folgt, ist für mich nicht nachvollziehbar.

  12. Dann habe ich Sie, LP, damals mißverstanden. Sie gaben sich damals sehr pikiert über Gemeinsambetversuche und lobend über jene, die sich standhaft „auf die Zunge beißen“.

    Daß „die Tradition“ der Aufforderung Jesu nicht folgen würde, daß würde ich ja genau bestreiten. Genau hier liegt z.B. das Problem die Tridentinische Messe mit der Tradition (und sei es nur der liturgischen) zu identifizieren, ganz zu schweigen vom Unsinn der „Messe aller Zeiten“. Tradition ist nicht daß, was die SSPX und Prof. May als solche definieren.

    (Außerdem haben wohl zahlreiche Christen das Vater Unser auch zwischen 1570 und 1970 insgesamt gebetet, nur halt nicht in der Messe.)

    Wann genau und wie diese Fehlentwicklung eingesetzt hat, ist eine Frage der Geschichtsforschung. Sie zu korrigieren ist ein Verdienst der liturgischen Bewegung und der Liturgiereform.