Weihnachten 2014

Das Jahr 2014 hat uns überdeutlich die Grenzen unserer Kräfte vor Augen geführt. Es war ein ausgesprochen anstrengendes Jahr, das auch sichtbare Spuren in meiner Gesundheit hinterlassen hat.

Es begann mit der Sorge um meine Schwiegermutter, die uns das ganze Jahr über begleitet hat. Im April mussten wir sie dann unter dramatischen Umständen nach Göttingen in die Klinik bringen, wo sie drei Wochen blieb. Seitdem lebt sie wieder zuhause, doch geht es ihr weiterhin nicht gut.

Auch beruflich lief es in diesem Jahr nicht rund. Letztlich galt es, mein Aufgabenfeld zum größten Teil neu zu gestalten. Dies brachte viel Unsicherheit und einige Rückschläge mit sich, was stark an meinen Kräften zehrte. Zum Jahresende zeichnet sich nun jedoch eine Lösung ab.

Zur Belastung wurden auch die spätesten Sommerferien, die Niedersachsen je hatte. Dadurch hatten die Kinder ein extrem langes Schuljahr und wir einen sehr späten Sommerurlaub. Erst Mitte August konnten wir schließlich nach Südtirol in Urlaub fahren. Für das lange Warten wurden wir jedoch reich entschädigt, mit einer wunderbaren Ferienwohnung, fantastischen Gastgebern und einer Urlaubsregion, die uns in jeder Hinsicht begeistert hat. Wir planen deshalb, auch im kommenden Jahr wieder nach Südtirol zu fahren und die gleiche Ferienwohnung zu buchen. Klingt langweilig, ist es aber nicht.

Noch vor dem Urlaub allerdings hatte mich der Stress eingeholt und mir bisher ungekannte Nackenschmerzen beschert. Es fühlte sich an, als ob ich meinen Kopf nicht mehr tragen könne. Dies schien mir ein Sinnbild zu sein für meine Lebenssituation, die meinen Kopf zu schwer werden ließ. Ich fühle mich oft wie Sisyphos, dem die Resultate seiner Anstrengungen immer wieder zunichte gemacht werden.

Doch gerade darin, täglich von Neuem zu beginnen, besteht die Berufung des Sisyphos. Albert Camus schreibt:

“Darin besteht die verborgene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. […] Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.”

Tatsächlich lernte ich dann von meinem Hausarzt, dass wir Menschen unseren Kopf nicht tragen können, weil er dazu zu schwer ist – wir balancieren ihn auf der Wirbelsäule. Dazu hilft uns ein Apparat aus Muskeln und Sehnen. Dieser heikle Balanceakt, den es täglich zu bestehen gilt, scheint mir ein Sinnbild für das Verhältnis zwischen geistigen und körperlichen Kräften zu sein.

Im Herbst schließlich plagte mich wochenlang eine Erkältung mit Schnupfen und Husten, die einfach nicht weichen wollte. Auch diese Erkrankung habe ich als Folge einer Lebenssituation gedeutet, die mich krank gemacht hat. Meine Kräfte reichten nicht aus. Ich fühlte mich schwach.

So erinnerte ich mich in diesem Jahr mehr als einmal an die paradox erscheinenden Worte des Heiligen Paulus: “Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.” (2 Kor 12,10) Paulus berichtet von einem Stachel, der ihm ins Fleisch gestoßen wurde, “ein Bote Satans, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe” (2 Kor 12,7). Dreimal habe er den Herrn angefleht, dass dieser Bote Satans von ihm ablasse, berichtet Paulus.

Doch der Herr antwortete ihm: “Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit.” (2 Kor 12,9) Paulus zieht daraus einen radikalen Schluss: “Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt.” Das radikale Vertrauen auf Christus lässt ihn seine Ohnmacht und seine Ängste ertragen.

Unser Jüngster ist mit seinen 13 Jahren nun auch schon größer als seine Mutter. Er hat auch in diesem Jahr wieder mit Ach und Krach die Versetzung in die nächste, jetzt achte Klasse geschafft. Das alljährliche Drama scheint seine Eltern mehr zu belasten als ihn selbst, doch auch er war in diesem Jahr recht häufig krank.

Unser Ältester ging Ende Juni, am Fest der Heiligen Apostel Petrus und Paulus, zur Heiligen Firmung, auf die er sich seit Anfang des Jahres vorbereitet hatte. Zu diesem Fest waren auch seine Großeltern und seine Tante angereist. Seit dem Sommer ist er mit seinem Führerschein beschäftigt. Die theoretische Prüfung ist bereits bestanden, die praktische soll Anfang des neuen Jahres folgen. Dann kann er als Siebzehnjähriger in Begleitung eines Elternteils selbst Auto fahren.

Meine Frau war mir, in diesem Jahr besonders, ein starker Halt und eine verlässliche Stütze in allen Stürmen des Lebens. Das klingt alles etwas pathetisch, aber so war es. Jetzt zum Ende des Jahres hat auch sie, die zuletzt als einzige von uns immer gesund war, noch eine Erkältung erwischt, die aber zum Glück harmlos blieb.

So freuen wir alle uns nun etwas mehr als in anderen Jahren auf die Weihnachtsferien, auf ein paar entspannte Tage und einen ruhigen Jahreswechsel. Und auf ein neues Jahr, das besser werden möge als das vergangene.

Frohe, gesegnete Weihnachten und ein glückliches Jahr 2015!

Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark

Damit ich mich wegen der einzigartigen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir ein Stachel ins Fleisch gestoßen: ein Bote Satans, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Dreimal habe ich den Herrn angefleht, dass dieser Bote Satans von mir ablasse. Er aber antwortete mir: Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt. Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.
2 Kor 12,7-10

Gesetz, Glauben und Werke

Die Liturgie des 9. Sonntags im Jahreskreis stellt uns heute in den beiden Lesungen und dem Evangelium den Zusammenhang zwischen dem Gesetz, dem Glauben und den Werken vor Augen.

In der ersten Lesung aus dem Buch Deutorononium (Dtn 11, 18.26-28.32) führt Mose das Gesetz des ersten Bundes ein. Zugleich gibt er bereits einen Ausblick auf den Abfall des Volkes Israel vom Gesetz und damit vom Bund. Dieser Abfall ist von Anfang an als Möglichkeit präsent.

In der zweiten Lesung (Röm 3, 21-25a.28) steht jener berühmte Satz aus dem Römerbrief des Apostels Paulus, den Luther als Beleg für seine Theologie nahm:

Denn wir sind der Überzeugung, dass der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes.

Es ist das gleiche Gesetz, von dem hier die Rede ist, das Gesetz des Mose. Dieses Gesetz erklärt Paulus keineswegs für obsolet, im Gegenteil:

Jetzt ist unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden, bezeugt vom Gesetz und von den Propheten: die Gerechtigkeit Gottes aus dem Glauben an Jesus Christus, offenbart für alle, die glauben.

Das Gesetz und die Propheten bezeugen die Gerechtigkeit Gottes, die aus dem Glauben an Jesus Christus offenbar geworden ist. Durch Glauben wird der Mensch gerecht, das war Luthers Anliegen, nicht durch die Werke des Gesetzes. Doch das heißt keinesfalls, dass es nicht auf die Werke, auf das Handeln gemäß dem Gesetz ankäme. So lesen wir im heutigen Evangelium (Mt 7, 21-27):

Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt. Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, sind wir nicht in deinem Namen als Propheten aufgetreten, und haben wir nicht mit deinem Namen Dämonen ausgetrieben und mit deinem Namen viele Wunder vollbracht. Dann werde ich ihnen antworten: Ich kenne euch nicht. Weg von mir, ihr Übertreter des Gesetzes! Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute.

Nur wer den Willen des Vaters im Himmel erfüllt, wird in das Himmelreich kommen. Wer das Gesetz übertritt, den weist Jesus zurück. In seinen Grundzügen, wie sie zum Beispiel in den zehn Geboten zum Ausdruck kommen, gilt das Gesetz des ersten Bundes auch für uns Heidenchristen.

Doch es genügt nicht, nur das Gesetz zu befolgen. Der Glaube ist es, der gerecht macht, der uns den Willen des Vaters erfüllen lässt und der die Werke hervorbringt, auf die es letztlich ankommt.

Paulus und das Gesetz

Von Zeit zu Zeit läuft mir ein Argumentationsmuster über den Weg, das ich nicht so recht verstehen kann. Kurz gefasst lautet es: Da wir nicht durch Werke des Gesetzes gerecht (erlöst, gerettet) werden, sondern durch den Glauben an Jesus Christus (Gal 2,16), brauchen wir uns um die Gebote der Kirche eigentlich nicht so recht zu kümmern. Denn das wäre ja wahlweise „Werkgerechtigkeit“ oder eben das Einhalten jenes Gesetzes, das Paulus eben für obsolet erklärt habe.

Nun bezieht sich aber Paulus erstens glasklar auf das jüdische Gesetz, dass er zweitens für Juden und Judenchristen auch weiterhin für gültig erachtet:

Ich versichere noch einmal jedem, der sich beschneiden lässt: Er ist verpflichtet, das ganze Gesetz zu halten. Wenn ihr also durch das Gesetz gerecht werden wollt, dann habt ihr mit Christus nichts mehr zu tun; ihr seid aus der Gnade herausgefallen. Wir aber erwarten die erhoffte Gerechtigkeit kraft des Geistes und aufgrund des Glaubens. (Gal 5, 3-5)

Wie kann man also Paulus gegen die Gebote der Kirche wenden? Oder anders gefragt: Was haben die Gebote der Kirche mit dem jüdischen Gesetz zu tun? Oder ist das einfach nur ein rhetorischer Trick, das jüdische Gesetz mit den Geboten der Kirche gleichzusetzen und dann Paulus als argumentative Waffe zu verwenden? Im Galaterbrief zumindest ist der Kontext glasklar:

Wir sind zwar von Geburt Juden und nicht Sünder wie die Heiden. Weil wir aber erkannt haben, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir dazu gekommen, an Christus Jesus zu glauben, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht. Wenn nun auch wir, die wir in Christus gerecht zu werden suchen, als Sünder gelten, ist dann Christus etwa Diener der Sünde? Das ist unmöglich! Wenn ich allerdings das, was ich niedergerissen habe, wieder aufbaue, dann stelle ich mich selbst als Übertreter hin. Ich aber bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat. Ich missachte die Gnade Gottes in keiner Weise; denn käme die Gerechtigkeit durch das Gesetz, so wäre Christus vergeblich gestorben. (Gal 2, 15-21)