Der Frosch im heißen Wasser

Dieser Tage häufiger zu hören ist das Bild vom Frosch im Wasser, dessen Temperatur so langsam erhöht wird, dass er es erst merkt, wenn es zu spät ist. Mir kam es neulich in den Sinn, als ich diese Statistik sah. Ich fragte mich nämlich, wie viele wir eigentlich noch sind, die wir jeden Sonntag die Heilige Messe besuchen.

Und siehe da: 2010 waren wir noch 3,1 Millionen, nach 4 Millionen nur acht Jahre zuvor. Man kann über diese Statistik vieles sagen, aber da sie seit 1950 (11,7 Millionen) immer auf die gleiche Weise erhoben wird, zeigt sie sehr deutlich einen langfristig stabilen Abwärtstrend. Am vergangenen Sonntag, dem zweiten Fastensonntag, wurden wieder einmal neue Daten erhoben.

Wie hoch muss die Temperatur im Froschglas eigentlich noch steigen, bevor der Frosch vor Hitze kollabiert?

Der Papst setzt Maßstäbe

Den Stereotypen der in Deutschland veröffentlichten Meinung gilt Papst Benedikt XVI. als Konservativer. Doch spätestens mit seinen Reden beim jüngsten Deutschlandbesuch hat er sich eher als Reformer zu erkennen gegeben. Allerdings nicht in einem vordergründig-aktionistischen Sinn, wie er der platten Reformrhetorik vorschwebt, die trotz ihres langandauernden Niedergangs gerade ein weiteres Mal ihr hässliches Haupt erhob.

Nein, dieser Papst reformiert, indem er Maßstäbe setzt, an denen sich das konkrete Handeln messen lassen muss. So hat er mit seinen Freiburger Reden Pflöcke eingehauen, an denen der deutsche Dialogprozess nur noch um den Preis seiner eigenen Bedeutungslosigkeit vorbeikommen kann. Dem spießigen Strukturkonservatismus, der sich hinter der Reformagenda verschanzt, hat er eine an Deutlichkeit kaum zu überbietende Absage erteilt.

Ganz ähnlich verfährt er in Sachen Liturgie, indem er mit seinen päpstlichen Messfeiern ein Beispiel für die würdige und sinnerfüllte Feier in der ordentlichen Form gibt – und ihr zugleich die alte Messe als überkommenen Maßstab an die Seite stellt. Beides sind keine kurzfristigen, aktionistischen Reformen, sondern einfache Maßnahmen mit langfristiger Wirkung. Dem verbreiteten liturgischen Missbrauch hilft diese päpstliche Praxis nicht kurzfristig ab, doch entzieht er ihm Schritt für Schritt die vermeintliche Legitimation.

Maßstäbe hat Papst Benedikt auch längst für die Ökumene gesetzt, und zwar am Beispiel der Anglikaner. Während für die Orthodoxie mit den katholischen Ostkirchen längst eine Blaupause vorlag, gibt es nun auch eine für die Rückkehr der westlichen Schismatiker, die es zur Einheit mit Rom drängt. Nach dem Vorbild der anglikanischen Ordinate lassen sich in Zukunft auch Strukturen für Lutheraner denken, die ihrer ökumenischen Rhetorik endlich Taten folgen lassen wollen.

Auch dies sind keine hastigen Reformen, sondern Weichenstellungen mit Langzeitwirkung, die weit über das aktuelle Pontifikat hinausreichen werden. Dieser Papst hat es nicht nötig, irgendetwas zu überstürzen. Die Zeit arbeitet für ihn, trotz oder gerade wegen seiner 84 Jahre. Auch dies ist eine wunderbare Ironie unserer Gegenwart.

Ecclesia semper reformanda

Von Kirchenreform war in diesem Jahr wahrlich nicht zu selten die Rede. Papst Benedikt machte da bei seinem Besuch in Deutschland keine Ausnahme. Doch was er gestern im Freiburger Konzerthaus sagte, das ist dazu angetan, die Debatte vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen.

Mit dem Stichwort Entweltlichung hat er die Grundlagen für ein Programm gelegt, das weit radikaler ist als die schale Reformagenda, wie sie auch dem Papst bei seinem Besuch entgegenschlug. Der säkularen Entkirchlichung der Welt mit einer Entweltlichung der Kirche zu begegnen, ist ein anspruchsvolles und zugleich bestechend einfaches Konzept. Statt die Kirche einer heillosen Welt anzupassen, fordert Benedikt XVI. dazu auf, sie von politischen und materiellen Sachzwängen zu befreien.

Der Verzicht auf weltliche Güter, soweit sie bei der Erfüllung ihres göttlichen Auftrags eher hinderlich sind – das ist starker Tobak für die immer noch reiche, durch Kirchensteuer finanzierte Kirche in Deutschland. Sie müsste, wenn sie dieses Reformprogramm ernst nähme, ihren Überhang an Strukturen – auch dies ein Schlüsselwort dieses Besuches – zurückschneiden und sich von allem verabschieden, was ihr eher zum Ballast geworden ist.

Viele Strukturdebatten kranken ja am Versuch, auf Teufel komm raus die überkommenen, bequemen Strukturen samt Pfründen zu erhalten, auch wenn die finanziellen und personellen Mittel dazu längst fehlen. Entweltlichung und der Verzicht auf unnötige Strukturen könnten hier eine Befreiung sein. Statt sinkenden Einnahmen und zurückgehenden Kopfzahlen hinterherzusparen, könnte sich die Kirche beizeiten auf eine Zukunft ohne Steuereinnahmen einstellen.