Gesetz, Glauben und Werke

Die Liturgie des 9. Sonntags im Jahreskreis stellt uns heute in den beiden Lesungen und dem Evangelium den Zusammenhang zwischen dem Gesetz, dem Glauben und den Werken vor Augen.

In der ersten Lesung aus dem Buch Deutorononium (Dtn 11, 18.26-28.32) führt Mose das Gesetz des ersten Bundes ein. Zugleich gibt er bereits einen Ausblick auf den Abfall des Volkes Israel vom Gesetz und damit vom Bund. Dieser Abfall ist von Anfang an als Möglichkeit präsent.

In der zweiten Lesung (Röm 3, 21-25a.28) steht jener berühmte Satz aus dem Römerbrief des Apostels Paulus, den Luther als Beleg für seine Theologie nahm:

Denn wir sind der Überzeugung, dass der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes.

Es ist das gleiche Gesetz, von dem hier die Rede ist, das Gesetz des Mose. Dieses Gesetz erklärt Paulus keineswegs für obsolet, im Gegenteil:

Jetzt ist unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden, bezeugt vom Gesetz und von den Propheten: die Gerechtigkeit Gottes aus dem Glauben an Jesus Christus, offenbart für alle, die glauben.

Das Gesetz und die Propheten bezeugen die Gerechtigkeit Gottes, die aus dem Glauben an Jesus Christus offenbar geworden ist. Durch Glauben wird der Mensch gerecht, das war Luthers Anliegen, nicht durch die Werke des Gesetzes. Doch das heißt keinesfalls, dass es nicht auf die Werke, auf das Handeln gemäß dem Gesetz ankäme. So lesen wir im heutigen Evangelium (Mt 7, 21-27):

Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt. Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, sind wir nicht in deinem Namen als Propheten aufgetreten, und haben wir nicht mit deinem Namen Dämonen ausgetrieben und mit deinem Namen viele Wunder vollbracht. Dann werde ich ihnen antworten: Ich kenne euch nicht. Weg von mir, ihr Übertreter des Gesetzes! Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute.

Nur wer den Willen des Vaters im Himmel erfüllt, wird in das Himmelreich kommen. Wer das Gesetz übertritt, den weist Jesus zurück. In seinen Grundzügen, wie sie zum Beispiel in den zehn Geboten zum Ausdruck kommen, gilt das Gesetz des ersten Bundes auch für uns Heidenchristen.

Doch es genügt nicht, nur das Gesetz zu befolgen. Der Glaube ist es, der gerecht macht, der uns den Willen des Vaters erfüllen lässt und der die Werke hervorbringt, auf die es letztlich ankommt.

Ein riesiger Verlust an Glauben

Auch wenn sich Markus Lüpertz schon vor den jüngsten offenen Briefen und Memoranden geäußert hat, so lesen sich seine Äußerungen wie ein Kommentar dazu:

Der Kirchenkünstler Markus Lüpertz ist mit der Arbeit der katholischen Kirche unzufrieden. „Wieso laufen die Leute heute zum Islam über oder werden Sektenmitglieder? Weil die Leute ein unheimliches Bedürfnis nach Gott haben.“ Das sagte Lüpertz im Interview mit dem Kölner Domradio. Die Kirche habe in letzter Zeit auf dieses religiöse Bedürfnis nur unzureichend geantwortet.

„Die Kirche vermittelt Gott, und da hat sie einfach ihre Aufgabe in letzter Zeit sehr vernachlässigt. Sie hat sich zu sehr ums Soziale gekümmert.“ Sie habe, so meint der Maler und Bildhauer, „zu sehr an ihren Dogmen rummäkeln lassen, sie hat ihre Rituale vernachlässigt“; eine Kirche, die sich nur noch als Sozialstruktur für arme und alte Leute sehe, verfehle allerdings ihren Auftrag. Nach Ansicht des langjährigen Direktors der bekannten Düsseldorfer Kunstakademie ist auch das kirchliche Engagement für die Kunst zu kurz gekommen: 20 bis 30 Jahre lang habe die Kirche kaum noch Kunst gefördert, doch heute „entdeckt die Kirche die Kunst als guten Partner für die Vermittlung des Geistigen“ wieder.

Parallel zu dem von Lüpertz diagnostizierten Glaubensverlust gibt es auch einen großen Verlust an Bildung: „Das geht Hand in Hand – das sind zwei Dinge, die es zu beklagen und die es zu ändern gilt. Das ist, was mich umtreibt.“

Jene Achsendrehung, die „Glauben“ heißt


Meister Francke, Schlafende Wachen (Detail der Auferstehung Christi)

Sobald wir uns selbst zum Maßstab nehmen: unser menschliches Dasein, wie es ist; die Welt, wie sie um uns besteht; die Weise, wie unser Denken und Fühlen vorsichgeht – und von dort aus Jesus Christus beurteilen, dann müssen wir den Auferstehungsglauben als ein Ereignis bestimmter religiöser Erschütterungen, als ein Erzeugnis anfangender Gemeindebildung, das heißt aber als Täuschung ansehen. Und dann ist es nur eine Frage der Konsequenz, wie schnell man ihn samt seinen Voraussetzungen und Folgerungen ausscheidet und ein „reines Christentum“ herauszuarbeiten sucht. Das freilich wird nicht viel mehr sein, als eine dünne Ethik und Frömmigkeit.

Oder aber es wird uns klar, was die Christusgestalt fordert, nämlich Glaube. Wir erkennen, daß sie nicht gekommen ist, um uns neue Erkenntnisse und Erfahrungen innerhalb der Welt zu bringen, sondern uns vom Bann der Welt zu befreien. Wir hören ihre Forderung und gehorchen ihr. Wir nehmen die Maßstäbe, von denen aus über Christus gedacht werden muß, von ihm selbst entgegen. Wir sind bereit, zu lernen, daß er nicht mit edleren oder innerlicheren Werten und Kräften die Welt weiterführt, sondern daß mit ihm das neue Dasein beginnt.

Wir vollziehen jene Achsendrehung, die eben „Glauben“ heißt und nach welcher nicht mehr von der Welt her über Christus nachgedacht wird, sondern von ihm her über alles sonst. Dann sagen wir nicht mehr: In der Welt gibt es kein Lebendigwerden eines Gestorbenen, also ist die Auferstehungsbotschaft ein Mythos – sondern: Christus ist auferstanden, also ist die Auferstehung möglich, und seine Auferstehung die Grundlage der wahren Welt.
Romano Guardini, Der Herr

Nur das leere Grab


Sacro Monte di Crea, Das Auffinden des leeren Grabes Christi, Statuen von Antonio Brilla, 1889

Können wir Menschen glauben, vertrauen, Dinge behaupten, jenseits unserer eigenen Vorstellungskraft, unserer eigenen Erlebniswelt? Sind die Zeugen der Bibel glaubwürdig? Maria Magdalena und die Jünger sahen den auferstandenen Christus mit eigenen Augen. Sie sprachen, gingen, aßen mit ihm. Jedes Evangelium legt Wert darauf, dass es eine wahre Geschichte erzählt. “Und der das gesehen hat,” heißt es bei Johannes, “der hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr; und dieser weiß, dass er die Wahrheit sagt, auf dass auch ihr glaubt.”

Karfreitag und Karsamstag nachzuvollziehen fällt leicht. Von Tod und Leid ist jedes Leben durchdrungen. An der Auferstehung scheiden sich die Geister. Sie steht quer zu allem Alltag, quer zu jeder menschlichen Existenz. Durch dieses Nadelöhr aber muss hindurch, wer dem Tod das letzte Wort nicht gönnt. Mit der Auferstehung, sagte Benedikt XVI. in der Osternacht 2009, ereignet sich eine “Eruption des Lichts”. Seit diesem Tag ist “die Gravitation der Liebe stärker als die des Hasses, die Schwerkraft des Lebens stärker als die des Todes”.

Für diesen Sieg ist es nötig, dass die Auferstehung ein Faktum ist – in den Worten Benedikts: eine “geschichtliche Realität, weder ein Mythos noch ein Traum, weder eine Vision noch eine Utopie, kein Märchen, sondern ein einmaliges und unwiederholbares Ereignis”. Das Grab war wirklich leer, der Tod wirklich besiegt. So und nur so lautet die christliche Erzählung der österlichen Tage. Zuweilen hört man aus Christenmund, die Auferstehung sei eine fromme Legende. Entscheidend sei nicht das Ereignis, sondern dessen gemeinschaftsstiftende Folge. Weil die Jünger nicht davon abließen, ihrem gekreuzigten Meister erinnernd die Treue zu halten, sei er in die Gemeinde hinein auferstanden – als Sprachspiel und Moralregel. Und für einen solchen blassen Schemen sollen die Märtyrer sich haben rösten lassen?

Nur das leere Grab kann eine derart unwiderstehliche Bewegung wie das Urchristentum in Gang gesetzt haben. Nur die leibliche Auferstehung kann zu all den Gebeten an Jesus als den Christus ermuntert haben. Und nur im Vertrauen auf den Wahrheitsgehalt dieser Erzählung werden aus Anhängern einer “jesuanischen Ethik” Christen. Um keinen Deut billiger ist der christliche Glaube zu haben. Natürlich muss niemand ihn teilen, muss niemand sich von den Zeugen selbst überzeugen lassen. Es aber tun oder nicht tun markiert die Grenze. Christentum und Auferstehungsglaube sind dasselbe. Seit damals haben Christus und Christenheit dieselbe Geschichte.

Auch die Kirche, weiß Benedikt, “scheint immer untergehen zu müssen, und immer ist sie schon gerettet”.
Alexander Kissler: Christentum ist Auferstehungsglaube

Believing the incredible

The Christian virtues of faith, hope, and charity are in their essence as unreasonable as they can be. As the word „unreasonable“ is open to misunderstanding, the matter may be more accurately put by saying that each one of these Christian or mystical virtues involves a paradox in its own nature, and that this is not true of any of the typically pagan or rationalist virtues. Justice consists in finding out a certain thing due to a certain man and giving it to him. Temperance consists in finding out the proper limit of a particular indulgence and adhering to that. But charity means pardoning what is unpardonable, or it is no virtue at all. Hope means hoping when things are hopeless, or it is no virtue at all. And faith means believing the incredible, or it is no virtue at all.
G.K. Chesterton, Heretics