Der Sprecher der österreichischen Pfarrerinitiative Helmut Schüller wird nicht in der katholischen Kirchengemeinde St. Maria vom heiligen Rosenkranz in Soltau sprechen. Eine für kommenden Montag geplante Veranstaltung wurde auf ausdrücklichen Wunsch von Bischof Norbert Trelle abgesagt.
Meinem Bischof kann ich für diese unpopuläre, aber völlig richtige Entscheidung nur allerhöchsten Respekt zollen. Er wird wissen, dass er sich damit zum Buhmann der einschlägigen Öffentlichkeit macht. Der NDR hat schon in Wort und Bild berichtet. Während die Position der Gemeinde und ihres Pfarrers ausführlich gewürdigt werden, darf der Generalvikar als Vertreter des Bischofs gerade einmal ein einziges Statement abgeben.
Am vergangenen Sonntag habe ich in der Hildesheimer Basilika St. Godehard eine bemerkenswerte Predigt gehört. Der Prediger war ein jüngerer Diakon, einer der Benediktiner aus der Jerusalemer Dormitio-Abtei, die dort leben. Für ihn war es die Abschiedspredigt nach einem mehrwöchigen Aufenthalt. Das veranlasste ihn, über eine Grundsatzfrage zu predigen:
Warum sind Sie überhaupt hier?
Eine gute Frage, auf die der Prediger auch eine Reihe von Antworten wusste. Ich möchte darauf verzichten, den Inhalt der Predigt hier wiederzugeben. Bemerkenswert war sie, weil ich ihr von Anfang bis Ende folgen konnte. Das ist leider nicht die Regel. Bei den meisten Predigten schlafe ich ein. Und zwar nicht bildlich gemeint, sondern wörtlich. Ich schaffe es einfach nicht, der Predigt zu folgen. Die Müdigkeit ist stärker.
Wir haben es geschafft, aus der aufregendsten Geschichte der Menschheit einen echten Langeweiler zu machen. Vor lauter Aus- und Abgewogenheit, vor lauter Mäßigung und klugen pastoralen Zumutbarkeitsüberlegungen haben wir die Botschaft des Evangeliums wie in einem weichen Kissen gedämpft und abgefedert. Die wenigsten Predigten regen auf, und wenn, dann meist aus den falschen Gründen – weil sie nicht die Lehre der Kirche verkündigen.
Diese Predigt jedenfalls dauerte 25 Minuten, wie ich hinterher erfuhr. Ich selbst schaue während der Heiligen Messe nicht auf die Uhr. Die himmlische Liturgie, in die wir da eintauchen, kennt kein zeitliches Maß. 25 Minuten sind selbstverständlich viel zu lang, die Predigt war zu wortreich und schlug unnötige rhetorische Schleifen, wie mir hinterher gelehrtere Menschen als ich es bin erklärten. Es fiel sogar das böse Wort vom Wortdurchfall.
Mir ist das egal. Diese Predigt hat mich berührt. Und sie hat provoziert. Das muss vielleicht nicht jede Predigt tun, aber einschlafen möchte ich auch nicht.
Dieser Tage häufiger zu hören ist das Bild vom Frosch im Wasser, dessen Temperatur so langsam erhöht wird, dass er es erst merkt, wenn es zu spät ist. Mir kam es neulich in den Sinn, als ich diese Statistik sah. Ich fragte mich nämlich, wie viele wir eigentlich noch sind, die wir jeden Sonntag die Heilige Messe besuchen.
Und siehe da: 2010 waren wir noch 3,1 Millionen, nach 4 Millionen nur acht Jahre zuvor. Man kann über diese Statistik vieles sagen, aber da sie seit 1950 (11,7 Millionen) immer auf die gleiche Weise erhoben wird, zeigt sie sehr deutlich einen langfristig stabilen Abwärtstrend. Am vergangenen Sonntag, dem zweiten Fastensonntag, wurden wieder einmal neue Daten erhoben.
Wie hoch muss die Temperatur im Froschglas eigentlich noch steigen, bevor der Frosch vor Hitze kollabiert?
Vor zwei Jahren gab es an dieser Stelle rege Diskussionen darüber, was eigentlich Fasten ist. Ich muss dazu sagen, dass mich die philosophischen Feinheiten hier weniger interessieren als die Fastenregeln der Mutter Kirche. Die wiederum hat, wie ich seinerzeit schrieb, Papst Paul VI. 1966 in der Apostolischen Konstitution Paenitemini neu geregelt.
In diesem Dokument, dass interessanterweise im Internet nur auf Englisch verfügbar ist, heißt es:
The law of fasting allows only one full meal a day, but does not prohibit taking some food in the morning and evening, observing—as far as quantity and quality are concerned—approved local custom.
Eine volle Mahlzeit pro Tag, dazu etwas Nahrung am Morgen und Abend – das ist durchaus machbar. Vorgeschrieben ist dieses Fasten nur am Aschermittwoch und Karfreitag:
Abstinence is to be observed on every Friday which does not fall on a day of obligation, while abstinence and fast is to be observed on Ash Wednesday or, according to the various practices of the rites, on the first day of „Grande Quaresima“ (Great Lent) and on Good Friday.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, wie die Konstitution Abstinenz definiert:
The law of abstinence forbids the use of meat, but not of eggs, the products of milk or condiments made of animal fat.
Ich werde mich daran halten und diese Praxis auch auf die übrigen Tage der Fastenzeit ausdehnen, Sonntage und gebotene Feiertage (oder Hochfeste?) ab der ersten Vesper ausgenommen. Außer Fleisch verzichte ich auch auf Alkohol und Süßigkeiten.
Im Übrigen steht in dieser Fastenzeit eine Revision meiner Gebetspraxis an. Dazu vielleicht später mehr.
Solltet auch Ihr, liebe Leser, ein großes, ja ein fast unmöglich erscheinendes Projekt planen, dann gibt es dafür eine gute Methode: Ein Eis essen und anschließend eucharistische Anbetung. Dann habt Ihr den Heiligen Geist und mit ihm offenbar die Kirche auf Eurer Seite.
“Wie soll das geschehen?”, fragt Maria den Engel Gabriel im Evangelium vom 4. Adventssonntag. Diese Frage habe ich mir auch gestellt, als ich vor der Entscheidung stand, mich um die Ausbildung zum Diakon zu bewerben. Ist mein Leben nicht schon voll genug? Woher nehme ich die Zeit dafür?
“Für Gott ist nichts unmöglich”, antwortet der Engel auf die Frage Marias. Seit Sommer bereite ich mich nun zusammen mit fünf anderen Männern auf die Ausbildung zum Diakon vor, die im kommenden Sommer beginnen und drei Jahre dauern soll.
Das Thema selbst beschäftigt mich schon seit acht Jahren, in wechselnder Intensität. Es hat mich bis heute nicht losgelassen. Die Ausbildung und die Vorbereitung darauf führen mich nun alle paar Wochen nach Hildesheim, meistens an Wochenenden, gelegentlich auch unter der Woche.
So stand ganz am Anfang im Juli ein viertägiges Praktikum, bei dem ich den sozialen Mittagstisch in der Hildesheimer Gemeinde Guter Hirt kennengelernt habe. Seit September arbeite ich zwei- bis dreimal im Monat in einer Suppenküche in Hamburg-Altona, nicht weit von meiner Arbeitsstelle. Und im Oktober haben wir uns in einer geistlichen Woche mit den Psalmen beschäftigt.
Unser Sommerurlaub führte uns in diesem Jahr nach England. Die erste Woche haben wir in einem Cottage im Südwesten gewohnt, die letzten fünf Nächte in einem Apartment in London. Besonders angetan waren wir von der britischen Höflichkeit, aber auch das glasklare und gut verständliche britische Englisch war eine echte Freude.
Unser Jüngster ist zum neuen Schuljahr auf das Gymnasium gewechselt, das auch sein großer Bruder besucht. Das war für ihn eine gewisse Umstellung, die er aber gut bewältigt hat. Er geht jetzt in die Musikklasse und spielt Tenorhorn. Er ist manchmal ein kleiner Filou, der die Schule nicht so ganz ernst nimmt. Die ersten Folgen davon hat er auch schon zu spüren bekommen.
In diesem Jahr 2011 fand ein Jahrtausendereignis statt, das bisher einmalig war und sich in absehbarer Zeit auch nicht wiederholen wird. Ein deutscher Papst besuchte das Eichsfeld, um dort mit 90.000 Pilgern eine Marienvesper zu feiern. Es war ein wunderbarer, fast spätsommerlicher Frühherbsttag, an dem das Eichsfeld gewissermaßen zu sich selbst kam.
Nun hat der Eichsfelder Katholizismus heute längst nicht mehr jenes hohe Maß an volkskirchlicher Selbstverständlichkeit, das er in früheren Zeiten genoss. Umso erstaunlicher ist, für wie viele Menschen es eine reine Selbstverständlichkeit war, an diesem Tag nach Etzelsbach zu pilgern. So auch für mich. Als sich Anfang des Jahres die Berichte zu verdichten begannen, war mir klar, dass ich als alter Eichsfelder alles daransetzen würde, dabei zu sein.
Der Papst war der Katalysator dieses geistlichen wie weltlichen Großereignisses. Er gab den Anlass, aber letztlich zeigte sich auf dem Pilgerfeld in unerwarteter Stärke die katholische Identität meiner Heimat. Wenn auch die äußere Stärke des Katholizismus im Eichsfeld bröckelt, im Innersten hat er noch Kraft.
Die Marienvesper war in gewisser Weise das Herzstück dieses Papstbesuches. Keine große Messe, sondern eine einfache Vesper. Eine kurze, einfache Ansprache, die ans Herz rührte. Im Grunde des Herzens sind alle Dinge einfach. Das ganze Ereignis hatte eine Einfachheit und Selbstverständlichkeit des Herzens, die sich auf alle Aspekte übertrugen.
Seit Jahrhunderten pilgern unzählige Menschen nach Etzelsbach zum Gnadenbild der Maria, die ihren toten Sohn in den Armen hält. In seiner Predigt sagte der Papst über Maria:
Begreife – so scheint sie uns zu sagen –, dass Gott, der die Quelle alles Guten ist und der nie etwas anderes will als dein wahres Glück, das Recht hat, von dir ein Leben zu fordern, das sich rückhaltlos und freudig seinem Willen überantwortet und danach trachtet, dass auch die anderen ein Gleiches tun. „Wo Gott ist, da ist Zukunft“. In der Tat – wo wir Gottes Liebe ganz über unser Leben wirken lassen, dort ist der Himmel offen. Dort ist es möglich, die Gegenwart so zu gestalten, dass sie mehr und mehr der Frohbotschaft unseres Herrn Jesus Christus entspricht. Dort haben die kleinen Dinge des Alltags ihren Sinn, und dort finden die großen Probleme ihre Lösung.
Frohe, gesegnete Weihnachten und ein glückliches Jahr 2012!
Wenn ihr aber seht, dass Jerusalem von einem Heer eingeschlossen wird, dann könnt ihr daran erkennen, dass die Stadt bald verwüstet wird.
Dann sollen die Bewohner von Judäa in die Berge fliehen; wer in der Stadt ist, soll sie verlassen, und wer auf dem Land ist, soll nicht in die Stadt gehen.
Denn das sind die Tage der Vergeltung, an denen alles in Erfüllung gehen soll, was in der Schrift steht.
Wehe den Frauen, die in jenen Tagen schwanger sind oder ein Kind stillen. Denn eine große Not wird über das Land hereinbrechen: Der Zorn Gottes wird über dieses Volk kommen.
Mit scharfem Schwert wird man sie erschlagen, als Gefangene wird man sie in alle Länder verschleppen, und Jerusalem wird von den Heiden zertreten werden, bis die Zeiten der Heiden sich erfüllen.
Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres.
Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.
Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen.
Wenn all das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe. Lk 21, 20-28
Am vergangenen Freitag, dem Martinstag, erklang erstmals seit 69 Jahren wieder das vollständige Geläut der St.-Cyriakus-Kirche. In dieser Kirche wurde ich getauft, ging ich zur Erstkommunion, war ich Ministrant und wurde ich gefirmt. Die beiden neuen, großen Glocken sind zwei Großspenden zu verdanken.
Die größere der beiden, gestimmt auf as0, trägt den Namen Christus Gloriosa und wiegt rund 5,8 Tonnen. Sie ist damit die zweitgrößte Glocke im Bistum Hildesheim nach der Cantabona des Hildesheimer Domes. Die Spende stammt aus der Duderstädter Unternehmerfamilie Hollenbach.
Es geht die Sage, dass Franz Hollenbach bereits in der Nachkriegszeit für die Ergänzung des Geläuts spenden wollte. Der damalige Propst Franz Ernst habe ihm dafür jedoch das Versprechen abnehmen wollen, jeden Sonntag in die Kirche zu kommen. Dies habe er nicht geben können oder wollen, weshalb der Propst die Spende nicht annahm und es bei den vier Glocken beließ, die 1950/51 das im Krieg enteignete Geläut teilweise wiederherstellten.
Die zweite, kleinere Glocke heißt Ökumene-/Eichsfeldglocke. Sie ist auf c1 gestimmt und eine Spende von Hans Georg Näder, ebenfalls Unternehmer, allerdings evangelisch-lutherisch. Eine der beiden Glocken – ich bin im Moment nicht ganz sicher, welche – wurde von Papst Benedikt bei seinem Besuch in Etzelsbach gesegnet.
Leider konnte ich weder bei der Glockenweihe am 2. Oktober durch Bischof Norbert Trelle noch beim ersten Läuten am vergangenen Freitag dabei sein. Doch immerhin war es mir vergönnt, das erste Einläuten des Sonntags am vergangenen Sonnabend um 14 Uhr zu hören – und aufzunehmen.
Die Aufnahme beginnt mit dem sechsstimmigen Geläut von St. Cyriakus. Nach fünf Minuten folgt ein Übergang zum parallelen, fünfstimmigen Geläut von St. Servatius. Beide sind aufeinander abgestimmt. Nachdem das Geläut von St. Servatius verklungen ist, folgen die letzten Minuten des Cyriakus-Geläuts.
Für die Aufnahme bin ich die Marktstraße hinunter- und wieder hinaufgegangen, die die beiden Kirchen miteinander verbindet. Sie stehen etwa in den beiden Brennpunkten der annähernd elliptischen historischen Innenstadt. Dazwischen liegen einige hundert Meter. Etwa in der Mitte zwischen beiden Kirchen ist das vollständige, elfstimmige Stadtgeläut deutlich zu hören.
Norbert Trelle, der Bischof von Hildesheim, hat mit Datum vom 13. Oktober einen Brief an die Kirchengemeinden und Einrichtungen des Bistums geschrieben. Sein Thema ist der Dialogprozess, den er auch im Bistum initiiert hat.
Ich habe diesen Brief gestern gelesen. Und was soll ich sagen – ich finde darin nicht ein einziges geistliches Wort. Die Rede ist von Prozessen, Schwerpunktthemen, Formen, Ergebnissen, Dialog-Tagen, Dialog-Sonntagen, Dialog-Foren und dergleichen.
Das mag alles gut und richtig sein, aber wozu das Ganze dienen soll, habe ich nach der Lektüre dieses Briefes nicht verstanden. Entweder ist das so selbstverständlich, dass es nicht weiter erwähnenswert ist – dann muss ich den Fehler bei mir selbst suchen. Oder es ist nicht selbstverständlich – dann hätte es der Erwähnung im Brief bedurft.
Dritter Teil meines Pilgerberichts (Teil I, Teil II)
Gut sieben Stunden, nachdem ich am Morgen mein Elternhaus verlassen hatte, um nach Etzelsbach aufzubrechen, waren wir also am Ziel. Unsere große Pilgergruppe zerstreute sich über den noch zugänglichen Teil des Pilgerfeldes.
Ich fand mich mit einer kleinen Gruppe Jugendlicher aus dem Dekanat Unterelbe wieder. Wir ließen uns auf der Wiese nieder, um uns vom Pilgerweg auszuruhen. Es war ein sonniger Frühherbstnachmittag, und noch war es angenehm warm. Auf der Nebenbühne fand das Vorprogramm statt, das im Vergleich zu dem, was aus Berlin und Freiburg berichtet wurde, ganz passabel war. Auf die Eichsfelder ist halt Verlass.
In kurzen Videoeinspielen wurden die zahlreichen anderen Wallfahrtsorte des Eichsfelds vorgestellt, es gab Interviews, der große Chor und das Orchester sangen und spielten geistliche Musik, Kardinal Meisner sprach zu den Pilgern. Der Kardinal hat in Erfurt studiert, wurde dort zum Priester geweiht und ist seit seiner Kaplanszeit im nahen Heiligenstadt dem Eichsfeld eng verbunden. Es wurden sogar ein oder zwei Gesätze des Rosenkranzes gebetet, und als sich die Ankunft des Papstes verzögerte, was zu einer Pause führte, stimmte das Pilgervolk spontan das Te Deum („Großer Gott, wir loben dich“) an.
Mittlerweile war die Zeit fortgeschritten, die Sonne begann hinter dem Hügel in unserem Rücken zu versinken. Irgendwann zeigten sich am Himmel fünf Hubschrauber der Bundespolizei, flogen eine Schleife über dem Wald im Rücken der Wallfahrtskapelle und landeten auf dem Feld vor dem Wald. War das schon der Papst? Wir wussten es nicht, jedoch stand das Papamobil noch unverändert an seinem Platz. Es dauerte noch einige Minuten, bevor ein weiterer Hubschrauber auftauchte, diesmal zuerst auf der Großbildleinwand. Das musste der Papst sein.
Und richtig, er war es. Als kurz nach der Landung im Fernsehbild eine weiß gekleidete Gestalt am Hubschrauberfenster zu erkennen war, kam spontaner Jubel auf. Die Choreographie von päpstlichen Großveranstaltungen ist hinlänglich bekannt. Das Papamobil ist der moderne Nachfolger der Sedia gestatoria, auch wenn es nicht ganz den gleichen Zweck erfüllt. Die Fahrt im weiten Halbkreis rund über das Pilgerfeld ist nicht unbedingt das, was ich mir unter einem festlichen Einzug vorstelle. Aber ich will nicht kleinlich sein – hier sind in den letzten 33 Jahren Erwartungen entstanden, an denen auch ein Papst nicht mehr so leicht vorbeikommt.
Wir jubelten also dem Papst zu, als er in unserer Nähe vorbeifuhr, gut sichtbar dank Papamobil. Als er seine Runde vollendet hatte und sich in die improvisierte Sakristei begab, war 18 Uhr mittlerweile vergangen. Wir standen bereits im Schatten des Hügels, der sich in unserem Rücken erhob und von wo ein kühler Wind wehte. Irgendwie gab es dann offensichtlich ein Koordinationsproblem, jedenfalls begann der Chor bereits mit dem Eröffnungslied („Lobt Gott in seinem Heiligtum“, James Ellord), obwohl vom Papst noch nichts zu sehen war. Zwar waren noch zwei weitere Stücke vorgesehen, doch irgendjemand merkte wohl, dass der Papst noch etwas Zeit brauchte, und unterbrach die Musik.
Neben dem an das Motto des Deutschlandbesuches angelehnten Stück „Denn wo du bist, ist Zukunft, Herr“ (Melodie Michael Taxer, Text Johann Freitag) sang der Chor schon zu Beginn ein Magnificat von Alan Wilson, beides stilistisch zwar eher dem Neuen Geistlichen Lied zuzuordnen, aber durchaus nicht unwürdig. Damit war dieses Genre jedoch auch abgefrühstückt, und nun wurde es musikalisch nur noch besser.
Schon der Hymnus nach der Eröffnung rockte so richtig. Es handelte sich um GL 589 („Alle Tage sing und sage“), also ein durchaus schmissiges Marienlied. Heinrich Bone war, als er 1847 den deutschen Text verfasste, so pfiffig, sich an das Versmaß des Originals zu halten („Omni die dic Mariae“). So wurde also der Hymnus aus vollen Kehlen in schönstem Latein geschmettert, auf diese bekannte Krachermelodie aus dem Jahre 1613. Chor und Orchester gaben ein strammes Tempo vor, so konnte das Pilgervolk nicht schleppen, sondern musste flott mitsingen.
Zum ersten Psalm kam als Kehrvers das „Laudate omnes gentes“ aus Taizé zum Einsatz. Alle Psalmen sang der Chor im Wechsel mit der Pilgergemeinde. Nach der Lesung und dem Responsorium hielt der Papst seine Ansprache, und als er schon in den ersten Sätzen das Eichsfeld erwähnte, kam Jubel auf. Es war zu spüren, wie sehr dem Papst der Besuch im Eichsfeld und speziell in Etzelsbach eine Herzensangelegenheit war.
Und nicht nur dem Papst. Die Marienvesper war in gewisser Weise das Herzstück dieses Papstbesuches. Keine große Messe, sondern eine einfache Vesper. Eine kurze, einfache Ansprache, die ans Herz rührte. Im Grunde des Herzens sind alle Dinge einfach. Das ganze Ereignis hatte von seinen Anfängen bis zu diesem Abend eine Einfachheit und Selbstverständlichkeit des Herzens, die sich auf alle Aspekte übertrug.
Nun hat der Eichsfelder Katholizismus heute längst nicht mehr jenes hohe Maß an volkskirchlicher Selbstverständlichkeit, das er in früheren Zeiten genoss. Umso erstaunlicher ist der hohe Mobilisierungsgrad, über den ich bereits im ersten Teil staunte. Es schien nicht nur mir als eine reine Selbstverständlichkeit, an diesem Tag nach Etzelsbach zu pilgern. Der Papst war der Katalysator dieses geistlichen wie weltlichen Großereignisses.
Auf seine Ansprache folgte eine kurze Stille. Es ist ja schon öfter beschrieben worden, welche Wirkung die tiefe Stille einer großen Menschenansammlung hat. Das Magnificat wurde mit einer deutschen Antiphon auf Latein gesungen, wieder im Wechsel zwischen Chor und Gemeinde. In den folgenden Fürbitten kam die Weltkirche im beschaulichen Etzelsbach zur Sprache, wurden sie doch in verschiedensten Sprachen vorgetragen. Mit dem Vater unser, wieder auf Latein gesungen, und der Oration vom Hochfest Maria Himmelfahrt endete die Vesper, und es schloss sich die Aussetzung des Allerheiligsten an.
Und dies war für mich der eigentliche Höhepunkt des Tages. Zur Aussetzung trug der Chor das „Ave Verum“ (Edward Elgar) vor. Inzwischen war es dämmerig geworden. Wieder trat eine große Stille ein. 90.000 Menschen schwiegen vor dem Geheimnis unserer Erlösung. Unsere kleine Pilgergruppe kniete auf der Wiese, und ich muss etwas beschämt eingestehen, dass es die Jugendlichen waren, die zuerst auf die Knie fielen. Vor uns standen die anderen Pilger, deshalb weiß ich nicht, wer sonst so stand oder kniete.
Für diesen Moment hat sich alles gelohnt: der Urlaubstag, die Anreise am Vorabend, die Fußwallfahrt, all jene Begleiterscheinungen einer Großveranstaltung. Mit ein paar Jugendlichen aus der norddeutschen Diaspora auf einer Eichsfelder Wiese vor dem Allerheiligsten knien, zusammen mit einer großen Menge und dem Papst – das war einmalig. Ganz am Ende war klar, wozu das alles gut war – Christi wegen!
Dann das Tantum Ergo. Der Papst rief: Panem de caelo praestitisti eis. Wir antworteten: Omne delectamentum in se habentem. Der Papst trug die Oration von Fronleichnam vor und spendete den sakramentalen Segen. Mit drei Liedern endete der Gottesdienst, und nicht irgendwelchen. Zunächst das Salve Regina, dann das Wallfahrtslied von Etzelsbach. Es entstand im Jahre 1898 aus Anlass der Einweihung der heutigen Wallfahrtskapelle (die an jenem Tag übrigens nicht besucht werden konnte) und wird am Ende jeder Wallfahrt gesungen. Es handelt vom Besuch des Engels Gabriel bei Maria.
Das letzte Lied war das Eichsfeldlied, geschrieben 1901 vom Heimatdichter Hermann Iseke. Als Eichsfelder geht mir das Herz auf, wenn ich dieses Lied höre, oder noch besser: singe. Am besten mit einer großen Menschenmenge. Der Hammer! Es scheint nur ein ganz normales Lied zu sein, aber es bringt auf den Punkt, was das Besondere des Eichsfeldes ist. Machen wir uns nichts vor: Auch 1901 war das, was darin beschrieben wird, ein Ideal, nicht die schnöde Realität. Aber ein Ideal mit großer Kraft.
Schlägt deine letzte Stunde,
Es sei auf Eichsfelds Grunde!