Deutschland hat eine Staatsreligion

Die Formulierung mag überraschen, aber es ist die Summe aus den Ereignissen der letzten Wochen. Das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland ist neu definiert worden. Das Christentum ist nun die Religion einer unterdrückten und in mehrere Gruppen gespaltenen Minderheit, während die Mehrheit sich eine Zivilreligion gegeben hat, deren oberste Sachwalterin zugleich Kanzlerin ist.

Wer wie Bischof Richard Williamson den Massenmord an den Juden oder jedenfalls die Existenz von Gaskammern leugnet, stellt damit nach Ansicht von Eckhard Fuhr den zentralen Bezugspunkt der westlichen Zivilreligion infrage. Diese ist auch nach Auffassung meines Altbischofs das Fundament der Europäischen Union.

Die Anerkennung des Holocaust ist nach Ansicht des emeritierten Hildesheimer Bischofs Josef Homeyer die Eintrittskarte nach Europa. Daher sei die Europäische Union (EU) auch eine Antwort auf die „tragische Geschichte dieses Kontinents“ so Homeyer bei einer Tagung in Potsdam „Europas zukünftige Identität“. Für Juden war noch 1825 die Taufe das „Entreebillet“ nach Europa, wie Heinrich Heine damals schrieb. Eine ironische Wendung der Geschichte habe aber dazu geführt, dass heute die Vernichtung der Juden die einschlägige europäische Bezugsgröße geworden sei, so Homeyer. Dass sich die Präsidenten von Polen und Rumänien zur Mitschuld ihrer Länder an der Judenvernichtung bekannten, habe deren Beitritt zur EU erleichtert.

Noch deutlicher wird Stephan Detjen in seinem Kommentar [via]:

Eine Bundeskanzlerin, die das Gedenken an den Holocaust zu einem Bestandteil deutscher Staatsräson erklärt, darf sich selbstverständlich dazu äußern, wenn der Papst einen notorischen Holocaust-Leugner und Antisemiten auf spektakuläre Weise in seine Kirche re-integriert. […]

Im Fall Williamson ergibt sich eine zusätzliche Verbindung zur deutschen Staatsgewalt, weil der reaktionäre Bischof seine jüngsten Äußerungen, in denen er den Holocaust leugnete, ausgerechnet auf deutschem Boden tat. Die Staatsanwaltschaft Regensburg ermittelt gegen ihn. Die Kanzlerin bewegt sich mit ihrer Papst-Kritik indes auf einer ganz anderen Ebene. Sie liegt jenseits von Recht und Politik. Es ist die Sphäre der Zivilreligion, zu der sich die Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden im Nachkriegsdeutschland ausgeprägt hat.

Merkels Redewendung vom Holocaust als Teil der Staatsräson ist der Versuch, die Kultivierung und Dogmatisierung historischer Erinnerung in die Sprache der Politik zu übersetzen. Im Strafrecht findet die zivilreligiöse Qualität des Holocaust-Gedenkens ihren Ausdruck in der einzigartigen Kriminalisierung einer historisch unwahren Tatsachenbehauptung. Über vieles lässt sich in unserem Land verhandeln: Die plurale und multiethnische Gesellschaft integriert Menschen aller Hautfarben, Weltanschauungen und Religionen. Antisemitismus und Versuche, nationalsozialistische Verbrecher zu rehabilitieren aber liegen jenseits einer absoluten Grenze. Hier haben Toleranz und Diskursbereitschaft ein Ende, hier steht das zur Disposition, was den Kern kollektiver Identität der Nachkriegsdeutschen ausmacht. Es geht deshalb in der Debatte um die Papst-Kritik Merkels nicht allein um rational begründbare Formen des Umgangs miteinander.

Genau das macht die Auseinandersetzung zwischen Benedikt und Merkel so pikant: Der absolutistische Herrscher der Kirche trifft auf die Hohepriesterin der Zivilreligion.

Hier wird die Grenzüberschreitung Merkels deutlich sichtbar, auch wenn Detjen dies gar nicht zu erkennen scheint. Die Kanzlerin hat sich in einer Glaubensfrage über den Papst gestellt und verdient deshalb die Bezeichnung Hohepriesterin völlig zu Recht.

Welche Folgen es für das Christentum hat, wenn Auschwitz zur Zivilreligion erhoben wird, bringt Claude Lanzmann auf den Punkt:

Wenn Auschwitz etwas anderes ist als ein Schrecken der Geschichte, wenn es sich der ‘Banalität des Bösen’ entzieht, dann erbebt das Christentum in seinen Grundfesten. Christus ist der Sohn Gottes, der bis zum Ende des Menschenmöglichen gegangen ist, wo er die entsetzlichen Leiden erduldet hat … Wenn Auschwitz wahr ist, gibt es ein menschliches Leiden, das sich mit jenem Christi überhaupt nicht auf eine Stufe stellen läßt … In diesem Fall ist Christus falsch, und nicht von ihm wird das Heil kommen. Fanatismus des Leidens! Wenn nun Auschwitz weitaus extremer als die Apokalypse ist, weitaus schreckerregender als das, was der Johannes in der Apokalypse erzählt (denn die Apokalypse ist beschreibbar und gemahnt sogar an ein großes, hollywoodähnliches Spektakel, während Auschwitz unaussprechbar und undarstellbar ist), dann ist das Buch der Apokalypse falsch, und das Evangelium desgleichen. Auschwitz ist die Widerlegung Christi.

(Aus: Claude Lanzmann, Les Temps modernes, Paris, Dez. 1993, Seite 132,133. – Zitiert nach: http://www.kreuzforum.net/showthread.php?tid=2383) [via]

Und was es heißt, den systematischen Völkermord der Nazis an den Juden “das entsetzlichste Menschheitsverbrechen” zu nennen, fragt Dr. Gunther Maria Michel in seinem Blog karmelblume:

Wenn Sie das Wort “entsetzlichst” elativisch verstehen im Sinne von extrem entsetzlich, dann verstehe ich diese Formulierung und stimmen Ihnen voll zu. Wenn Sie “entsetzlichst” aber superlativisch im Sinne von “entsetzlicher als alle anderen Menschheitsverbrechen” verstehen, dann verstehe ich Sie nicht. Ich vermute jedoch fast, dass Sie es im letzteren, heute allgemein verbreiteten Sinne meinen, so etwa wie das ARD den Holocaust als das “präzedenzlose Verbrechen” und “größte Verbrechen der Geschichte” beschrieben hat.

Ich frage: War der Völkermord an den Sinti und Roma durch die Nazis weniger entsetzlich als der an den Juden? War der Völkermord an den Armeniern und an den Suryoye im Osmanischen Reich in den Jahren 1915 bis 1917 weniger entsetzlich? War der Völkermord in Ruanda im Jahre 1994 weniger entsetzlich? Waren der Holodomor 1932-1933 (früher Hunger-Holocaust genannt) und der Völkermord der Zwangskollektivierung und Kulakenverfolgung durch Josef Stalin, deren Opferzahl von Wissenschaftlern auf 14,5 Millionen Menschen geschätzt wird, weniger entsetzlich? Wenn ja, in welcher Hinsicht?

Hochwürdigster Herr Bischof, bitte helfen Sie mir, Sie zu verstehen. In quantitativer Hinsicht kann das Verbrechen doch nicht entsetzlicher gewesen sein, wie aus der größeren Zahl der Opfer in der Sowjetunion ersichtlich ist. Inwiefern aber in qualitativer Hinsicht? War der Mord an den Juden grausamer als an andern Genozidopfern? Wer wagt es, das Leiden zu vergleichen? War die Absicht der Nazimörder niederträchtiger als die anderer Völkermörder? Wer ist imstande, die Gesinnungen zu beurteilen? Waren die Opfer der Schoah unschuldiger als andere Mordopfer?

Wäre dann nicht jeder Mord an einem ungeborenen Kind entsetzlicher als ein Völkermord, denn ein ungeborener Mensch ist zwar befleckt vom Makel der Erbsünde, aber frei von jeder persönlichen Schuld? Aber wie wir wissen, beträgt die Anzahl der unschuldig ermordeten Kinder weltweit nach offiziellen Schätzungen jährlich mehr als vierzig Millionen! Was also bedeutet Ihr Wort vom entsetzlichsten Menschheitsverbrechen?

Aber vielleicht wollten Sie damit keine geschichtliche, sondern eine metaphysische oder theologische Aussage machen? Sind die Juden allein aufgrund ihrer Geburt andere Menschen als die übrigen Menschen? Etwa nach dem Credo des Südafrikaners in dem Film “München” von Steven Spielberg: “Das einzige Blut, das für mich zählt, ist jüdisches Blut”?

Ich glaube nicht, dass Sie das meinen, hochwürdigster Herr Bischof. Aber was dann? Unter theologischem Aspekt komme ich als Christ nicht umhin, an die Ermordung unseres Herrn, wahren Gottes und Heilands Jesus Christus zu denken, den der Hohe Rat der Juden zum Tode verurteilt und an die Römer zur Hinrichtung ausgeliefert hat. Ist dieser Mord, mit den Augen des christlichen Glaubens betrachtet, nicht entsetzlicher als alle Morde der Menschheitsgeschichte, denn Er, Christus, war doch der einzige unschuldige Sohn Adams, der jemals über diese Erde gegangen ist? Und Er, das unschuldige Lamm Gottes, war, wie Sie und ich und wie auch die Bischöfe und Priester der Piusbruderschaft glauben, das einzige reine und makellose Opfer, das je Gott dargebracht wurde? Was ist dann nach christlichem Glauben präzedenzlos und singulär: Golgotha oder Auschwitz?

All das heißt, dass es hier letztlich um zwei konkurrierende Wahrheitsansprüche geht: Entweder ist der verabsolutierte und zum Götzen erhobene Holocaust wahr oder das Christentum. Man kann nicht zwei Herren dienen. Unterwerfen sich die deutschen Bischöfe etwa deshalb mehrheitlich der Merkelschen Holocaustvergötzung, weil sie Konkordate und Kirchensteuer nicht riskieren wollen?

Die protestantische Pfarrerstochter Merkel als Hohepriesterin einer antichristlichen Zivilreligion? Ein ungewohnter Gedanke. Aber womöglich werden wir uns daran gewöhnen müssen. An unserer neuen Staatsreligion werden wir jedenfalls noch viel Freude haben.

Was vom Skandale übrigbleibt

Fast alles, was zu schreiben war über die – ja, was eigentlich? – Aufregungen der letzten Wochen, ist geschrieben, wenn auch nicht von mir. Ein paar Erkenntnisse möchte ich dennoch hier festhalten.

  • Die demographische Dimension: Sicherlich sind 600.000 Gläubige der Priesterbruderschaft Pius X. nicht besonders viele – es sind aber 500.000 mehr als beim Tod von Erzbischof Lefebvre vor 18 Jahren. Wenn 493 Priestern 215 Priesteranwärter gegenüberstehen und wenn in Frankreich schon ein Drittel aller Seminaristen Traditionalisten sind (darunter auch jede Menge Lefebvristen), dann haben wir es hier jedenfalls mit einer dynamisch wachsenden Gruppe zu tun. Und damit je nach Weltanschauung um ein wachsendes Problem oder einen Teil der Lösung.
  • Die kirchenrechtliche Dimension: Eine Exkommunikation ist im Kirchenrecht allein vorgesehen für
    1. Apostaten, Häretiker oder Schismatiker,
    2. Sakrilege,
    3. physische Gewalt gegen den Papst,
    4. Priester, die dem Mitschuldigen an einer Sünde gegen das sechste Gebot des Dekalogs eine (außer in Todesgefahr) ungültige Absolution erteilen,
    5. einen Bischof, der jemanden ohne päpstlichen Auftrag zum Bischof weiht, und ebenso, wer von ihm die Weihe empfängt,
    6. Verletzung des Beichtgeheimnisses und
    7. Abtreibung.

    Exkommunikation ist insbesondere keine Gesinnungsfrage, auch wenn manch einer das gerne so hätte.

  • Die zivilreligiöse Dimension: Dass westlich-postchristliche Gesellschaften, allen voran Deutschland, nach 1945 eine Zivilreligion herausgebildet haben, die den Holocaust (Ganzopfer) als zentralen Bezugspunkt nimmt und damit an die Stelle setzt, die das Kreuzesopfer Christi für das Christentum hat, hat sich nie so klar gezeigt wie jetzt. Und ist erfreulicherweise von hellsichtigen Kommentatoren wie zuletzt Eckhard Fuhr auch klar ausgesprochen worden. Eine trivial erscheinende Ausprägung ist die politische Korrektheit, die immer stärker totalitäre Züge trägt und längst damit begonnen hat, abweichende Meinungen und Abweichler zu sanktionieren. Dass Meinungsfreiheit in Deutschland wenig gilt, ist keine neue Erkenntnis. Doch inzwischen schlägt das Diktat der politischen Korrektheit in Terror gegen Andersdenkende um. Zu denen immer mehr Christen gehören. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, könnte das schon unserer Generation die Gelegenheit zum Martyrium geben.
  • Die demokratische Dimension: Zur Hoffnung gibt indes eine Internetumfrage der Welt Anlass: „Papst Benedikt XVI. hat mit seinen jüngsten Entscheidungen viel Kritik hervorgerufen. Wie beurteilen Sie seine Arbeit?“ 57 Prozent der Befragten antworten: „Sehr gut, er zieht seine Linie durch und macht alles richtig.“ Und weitere 13 Prozent sagen: „Er ist ein gutes Kirchenoberhaupt, auch wenn nicht jede Entscheidung glücklich ist.“ Trotz einer beispiellosen Medienkampagne erklären nur 30 Prozent: „Skandalös. Ein Papst darf Holocaust-Leugner nicht in seiner Kirche dulden.“ Das mediale Trommelfeuer hat offensichtlich nicht gefruchtet. Gut so.
  • Die theologische Dimension: Was heißt es eigentlich, das Zweite Vatikanische Konzil anzuerkennen? Geht es nur darum, das Konzil als ein legales und legitimes Konzil in der langen Reihe der Konzile zu akzeptieren? Geht es um die vollständige Akzeptanz jedes einzelnen Textes oder gar um den omninösen Geist des Konzils, der vom Buchstaben häufig nicht gedeckt ist? Was von einem Konzil wirklich bleibt, sind die Texte. Einige davon, wie das in Nizea und Konstantinopel formulierte Glaubensbekenntnis, schleppen wir bis heute mit uns herum. Andere geraten irgendwann in Vergessenheit. In unserem Fall muss erst die Generation V2 mit ihren Illusionen und Lebenslügen verschwinden, bevor ein unverstellter Blick auf die Konzilstexte möglich wird.

Genug für heute. Was noch zu sagen ist:



Immer wieder

Schon lange wollte ich über eine der vermutlich am häufigsten gebrauchten pseudoliturgischen Floskeln schreiben: das „immer wieder“. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich schon gehört habe, dass der Herr uns immer wieder einlädt oder vergibt oder was auch immer (wieder).

Sind das Füllworte ohne weitere Bedeutung? Oder was hat es damit auf sich? Suggeriert das immer wieder nicht eher Stillstand oder gar die ewige Wiederkehr des immer Gleichen? Etwas mehr Fortschritt, wenn auch nicht im weltlichen, aber doch im geistlichen Sinne, wünsche ich mir schon. Immer wieder.

Ein Drittel aller Seminaristen

Leider weiß ich nicht mehr, wo ich diese Zahl gelesen habe. Ob die Zahl stimmt, die ein anonymer Kommentator nennt, weiß ich nicht. Aber wenn sie stimmt, erklärt sie auch die Dringlichkeit jenes päpstlichen Unterfangens, das gerade für enorme Schlagzeilen sorgt.

Angeblich bereitet sich bereits ein Drittel aller Seminaristen in Frankreich in Seminaren der Priesterbruderschaft St. Pius X. auf ihren Priesterberuf vor. Im Stammland des Lefebvrismus entsteht da langsam, aber sicher eine Gegenkirche.

Nun ist Frankreich nicht die Weltkirche, aber dennoch kann es der Weltkirche und auch den alteuropäischen Bischofskonferenzen keinesfalls egal sein, was dort geschieht. Da geht es schlicht ums Überleben.

Entrückt und grundzufrieden

Der Spiegel 6/2009: Der Entrückte

Der Spiegel 6/2009: Der Entrückte

Die Titelseite der morgigen Spiegel-Ausgabe lässt nichts Gutes erwarten. Das Hamburger Nachrichtenmagazin kühlt wieder einmal sein religionskritisches, christenfeindliches und von Hass auf alles Katholische erfülltes Mütchen an Papst Benedikt XVI. (Oder? Ich habe die Geschichte noch nicht gelesen.)

Warum dieser Papst solch eine Reizfigur für Meinungsmacher ist, lässt sich mit einem Blick in die heutige Frankfurter Allgemeine Sonntagzeitung gut verstehen:

Was treibt denn den Joseph Ratzinger aus Marktl am Inn nur um, dass er sich mit allen anlegt? Aggressiv von Natur scheint er nicht. Salutschüsse aus Kanonen und Gewehren von Schützenvereinen erschrecken ihn noch immer. Es muss wohl daran liegen, dass Joseph Ratzinger vor allem eines ist: grundzufrieden katholisch. Dies ist im intellektuellen Europa eine relativ seltene, und wenn, dann meist verborgene Geisteshaltung; damit zieht man wie der heilige Sebastian die Pfeile bei jeder Gelegenheit auf sich.

Katholisch – und dann noch zufrieden damit. Welche Provokation. Aber so ist er. […]

Dass Traditionalisten auch krude Ideen vertreten, bis hin zu dramatisch-verwerflichen, dass sie mit rechten Politikern liebäugeln, ist nicht neu. Doch bemerkenswert erscheint, wie aus noch so verdammenswerten Äußerungen des marginalisierten Williamson – der noch nicht einmal als Bischof akzeptiert ist – eine Kampagne gegen den Papst, der Vorwurf des Antisemitismus gegen die römische Kirchenführung wurde. Dramatische Hochspielerei der Medien oder ein kleiner Kulturkampf?

Der Theologe Ratzinger ist von seinen Jugendtaten, von den Konstitutionen, Dekreten und Erklärungen des Zweiten Vaticanum kein wesentliches Jota abgewichen. Er hat immer wieder mit eindrucksvollen Worten und Gesten demonstriert, dass die katholische Kirche gleichgezogen hat mit dem modernen Geistesniveau, im Eingehen auf die neue Zeit, ohne ihr anheimzufallen. Meint der Papst. Mag man über ihn auch schimpfen.

Als PR-Mann bin ich geneigt zu sagen, dass jede Art von Medienpräsenz besser ist als keine Medienpräsenz. No News is Bad News. Und nachdem ich die Geschichte nun gelesen habe, überrrascht mich, wie wenig Substanz sie enthält – neben all jenen bekannten Klischees, Halbwahrheiten, aus dem Zusammenhang gerissenen, unvollständig oder schlicht falsch dargestellten Fakten, die wir aus der Kirchen- und Religionsberichterstattung des Spiegel seit jeher gewohnt sind.

Im Kern bleibt die Frage, die letztlich auch der Spiegel stellt, ob es sich nicht um ein gigantisches PR-Problem und vatikanisches Kommunikationsversagen handelt. Und sicher gibt es da Verbesserungspotential. Der Vatikan, aber auch die deutschen Bischöfe könnten die Kommunikationsklaviatur deutlich virtuoser bedienen als sie es heute tun.

Aber am Ende wird die Kirche gegenüber einer Moderne (oder auch Postmoderne), die in zentralen Punkten diametral dem Christentum widerspricht, immer anstößig bleiben. Denn dieser Widerspruch lässt sich nicht auflösen. Er fordert die Entscheidung des Einzelnen.

Und damit wären wir nun bei der tatsächlichen Bedeutung jenes päpstlichen Aktes angelangt, der diesmal den Anlass zum ohnehin gegebenen Widerspruch gab. Robert Spaemann erläutert in einem Leserbrief, der gestern in der FAZ erschien:

Die Aufhebung bedeutet: Sie dürfen wieder beichten und die Lossprechung von ihren Sünden empfangen. Sie dürfen wieder die Kommunion empfangen. Sie müssen nicht mehr ohne Tröstung durch die Sakramente der Kirche sterben. Das ist auch schon alles. […] Bei der Verleihung von Ämtern und der Gestaltung des kirchlichen Lebens können politische, das heißt Opportunitätserwägungen eine Rolle spielen. Bei der Aufhebung einer Exkommunikation, wo es um das Seelenheil geht, haben sie völlig außer Acht zu bleiben. Die Glaubensgemeinschaft der Kirche ist ein Vaterhaus mit vielen Wohnungen, keine Gesinnungsdiktatur.

Richard John Neuhaus, RIP

First Things meldet heute:

Fr. Richard John Neuhaus slipped away today, January 8, shortly before 10 o’clock, at the age of seventy-two. He never recovered from the weakness that sent him to the hospital the day after Christmas, caused by a series of side effects from the cancer he was suffering. He lost consciousness Tuesday evening after a collapse in his heart rate, and the next day, in the company of friends, he died.

Mehr.

Richard John Neuhaus: Born Toward Dying

Weihnachten 2008

Ja, mach nur einen Plan
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch ’nen zweiten Plan
Geh‘ n tun sie beide nicht.

Das wusste der olle Brecht schon vor achtzig Jahren. Wir können noch so viele Pläne machen, am Ende kommt alles ganz anders.

Uns ist in diesem Jahr eine Tochter erst geschenkt und dann wieder genommen worden. Im vergangenen Frühjahr war R. unerwartet schwanger. Nach großer Aufregung und vielen Überlegungen hatten wir im Frühsommer einen Plan gefasst, wie wir uns das Leben mit dem neuen Kind einrichten wollten. Wir hatten beide vor, unsere Arbeitszeit zu verringern, sodass an jedem Wochentag einer von uns beiden daheim wäre.

Die Aufregung und die Anspannung war langsam der Vorfreude auf ein kleines Mädchen gewichen, als R. von einer Routineuntersuchung mit der furchtbaren Nachricht zurückkam, dass unser Kind nicht mehr lebte. Am 21. Juli ist Hermine tot zur Welt gekommen. An jenem Abend im Krankenhaus habe ich das winzige Bündel Mensch betrachtet und an Ijob gedacht:

Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter;
nackt kehre ich dahin zurück.
Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen;
gelobt sei der Name des Herrn. (Ijob 1, 21)

So unerwartet wie Hermine gekommen war, ist sie auch wieder gegangen. Sie hat in ihrer kurzen Lebenszeit viel in unserer Familie verändert. Ihr Kommen und auch ihr Gehen haben zweimal alle Pläne über den Haufen geworfen. Trotz aller Trauer bin ich auch dankbar für das Gute, das wir erlebt haben.

Am 25. Juli, dem Fest des Apostels Jakobus, haben wir unsere Tochter in Grünendeich neben der Kirche beerdigt. Es war auf den Tag genau zehn Jahre nach unserem Umzug aus Hamburg nach Steinkirchen. Und im August vor zehn Jahren haben wir beim Standesamt in Jork geheiratet.

Im Alten Land wird nach zehn Jahren hölzerne Hochzeit gefeiert. So haben ein paar Freunde und Nachbarn unseren Garten mit Holzlocken, Sägespänen und anderen hölzernen Dingen verziert. Wir haben dann einen sehr netten Abend verbracht. Zu einer großen Feier war uns nicht zumute.

Doch bevor das Jahr nun endet, wollen wir noch einmal feiern. Die allerletzte Gelegenheit dazu ist wie immer Silvester. Wir werden ein volles Haus haben und dieses Jahr, mit dem ich schon vor Monaten innerlich abgeschlossen habe, gebührend verabschieden.

Mit Erwartungen und Plänen für 2009 bin ich nach den letzten drei Jahren einigermaßen zurückhaltend. 2006 hatte ich mir das rechte Sprunggelenk gebrochen, 2007 starb meine Schwester und 2008 – siehe oben. Man sollte meinen, dass 2009 nur besser werden kann, doch Vorsicht…

Frohe, gesegnete Weihnachten und ein glückliches Jahr 2009!

Advent

What Advent is, really, is a discipline: a way of forming anticipation and channeling it toward its goal.
Joseph Bottum

Mein bewährtes Fastenprogramm kommt ab Montag wieder zum Einsatz:

  • kein Alkohol
  • keine Süßigkeiten
  • weniger kein Fleisch
  • regelmäßigeres Gebet

Nachdem sich mein tägliches Gebet in den letzten Monaten praktisch auf Laudes und Vesper reduziert hat, will ich die Lesehore wieder aufnehmen. Dazu kommt ein tägliches Kapitel aus einem Paulusbrief. Damit hatte ich schon im September begonnen, habe jedoch gerade erst den Römerbrief abgeschlossen und mit dem ersten Korintherbrief angefangen. Mit diesem Tempo werde ich bis Ende Juni 2009 kaum alle Paulusbriefe schaffen können.

Vorhersehbar sind Ausnahmen wie die betriebliche Weihnachtsfeier, ein Hochfest am 8. Dezember und eine Reise nach Paris am 9./10. Dezember. Während das Nicht-Fasten an den Sonntagen (ab der ersten Vesper) und dem Hochfest einen besonders festlichen Charakter hat, tue ich mich mit den weltlichen Ausnahmen hingegen schwer. Käme es nicht darauf an, gerade bei diesen Gelegenheiten demonstrativ zu fasten?

Freudig erwarte ich schon heute oder morgen die angekündigte Neuauflage des liturgischen Kalenders von Peter, auf dass die Hochfeste, Feste und Gedenktage auch im neuen Kirchenjahr in meinen elektronischen Kalender Einzug halten.

Zu den Vorbereitungen auf die Vorbereitungszeit gehört auch ein seit heute einigermaßen aufgeräumter und entstaubter Schreibtisch, auf dass die Aufräumarbeiten in Ruhe fortschreiten mögen.

Angriff auf den Menschenverstand

Gabriele Kuby hat sich in der jüngsten Ausgabe des Vatican-Magazin ausführlich mit der Ideologie des Gender Mainstreaming befasst.

Ein Gespenst geht um in der Welt, und dieses Gespenst heißt „Gender“. Kaum jemand kennt seinen Namen, obwohl es überaus mächtig ist und sein Gespinst über alles geworfen hat, was von den internati­onalen und staatlichen Institutionen beeinflusst wird. Dieses Gespenst ist im Begriff, einen neuen Menschen zu schaffen, zu dessen Freiheit es gehören soll, sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung zu wählen, das heißt, willkürlich zu entscheiden, ob er oder sie Mann oder Frau sein will, heterosexuell, schwul, lesbisch, bisexuell oder transse­xuell. Diese Auffassung von Freiheit und Sexualität soll nach dem Willen der Vereinten Nationen, der Euro­päischen Union und der Deutschen Bundesregierung den Kindern von der Kinderkrippe an ein­geprägt werden. Es ist nicht nur ein Generalangriff auf den gesunden Menschen­verstand, sondern auch auf die göttliche Schöpfungsordnung.

Den gesamten Artikel gibt es als PDF in deutscher und englischer Fassung.

Mehr zum Thema von Volker Zastrow in der FAZ:

Außerdem im Spiegel: Der neue Mensch

Breviarum Romanum 2008

Vor einiger Zeit fragte ich, welche Ausgabe des Breviarum Romanum zu empfehlen sei. Inzwischen gibt es eine neue Variante. Im Bonner Verlag nova & vetera erscheint Ende November eine Neuausgabe des Breviarum Romanum nach dem Stand von 1960 (1962).

Das Schmuckstück wird 198 Euro kosten, also nicht ganz billig sein. Dafür ist es, nach der Website zu urteilen, vom Feinsten ausgestattet, inklusive eines Imprimaturs von S. Ex. Bischof Gregor Maria Hanke OSB. Ein ideales Weihnachtsgeschenk für jeden, der nach Summorum Pontificum mit dem Gedanken spielt, das traditionelle Brevier kennenzulernen.