Das Theologenmemorandum, der kleine Volksaufstand gegen Stuttgart 21 und die Sarrazin-Debatte haben eines gemeinsam: Es sind Schlachten, die im Namen der politischen Korrektheit geschlagen werden. Dabei ist „politisch korrekt“ im Kern eine contradictio in adiecto.
Denn Korrektheit setzt voraus, dass es richtig und falsch gibt und dass dies objektiv erkennbar ist. Politisch hingegen ist gerade das, was nicht eindeutig richtig oder falsch ist. Politisch muss entschieden werden, wo es kein objektives richtig oder falsch gibt, wo sich die Empfehlungen der Fachleute widersprechen, wo ein Kompromiss zwischen sich widersprechenden Positionen gefunden werden muss.
So sieht die Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung aus. Wenn die Verwaltung mit ihrem Latein am Ende ist, wenn der Umweltdezernent und das Bauamt mit jeweils guten Gründen für das genaue Gegenteil votieren, dann muss die Politik entscheiden, was getan oder auch unterlassen werden soll.
„Politisch korrekt“ wäre also das eindeutig Richtige, zu dem es keine Alternative gibt. Alternativlos, wie zuletzt in der deutschen Politik des öfteren zu hören. Was aber alternativlos ist, das ist nicht politisch. Es sei denn, wir hätten es mit einer Diktatur zu tun.
Die memorierenden Theologen, die schwäbischen Wutbürger und die Gegner Thilo Sarrazins wähnen sich auf der richtigen, der politisch korrekten Seite. Sie stemmen sich mit aller Kraft gegen unerwünschte und für sie unerfreuliche Realitäten.
Ihre Gegner sind klar: eine Kirche, die sich dem Diktat der politischen Korrektheit nicht beugen will und kann, ein Infrastrukturgroßprojekt, das sich nicht mit dem Idyll verbürgerlichter Altrebellen verträgt, ein Analytiker, der verdrängte und ignorierte Probleme ans Tageslicht holt.
In Stuttgart waren vor allem die ergrauten Grünen die Träger des Aufstands, mit Unterstützung bis weit ins bürgerliche Lager hinein. Das Memorandum ist ebenfalls das Projekt jener Generation, die im Gefolge von 68 sozialisiert wurde. Und im Fall Sarrazin sind es die Lebenslügen der Multikulti-Ideologen, die als solche entlarvt wurden.
Wir sollten uns in den kommenden Jahren auf weitere Schlachten nach diesem Muster einstellen. In einer alternden Gesellschaft, in der Rentner, Pensionäre und Sozialleistungsempfänger den Ton angeben, ist sehr viel Raum für Schattenboxen dieser Art. Und einige Anlässe lassen sich auch leicht vorhersehen.
So jährt sich 2012 der Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils zum fünfzigsten Mal. Für die Jahre bis 2015 gibt es jede Menge Gelegenheit, über die Themen des Konzils zu streiten. Man kann sich übrigens auf diese Debatten vorbereiten und schon jetzt mit der Rezeption der Konzilsdokumente beginnen. Vielleicht werden auch die Lehrgespräche der Piusbruderschaft mit Rom rechtzeitig bemerkenswerte Ergebnisse liefern.
2017 steht der fünfhundertste Jahrestag der Reformation an. Zu diesem Termin wird es jede Menge Streit um den Ökumenismus geben. Zur Vorbereitung könnte es sich lohnen, zum Beispiel Mortalium animos zu lesen. (Mit Dank an Father Z.)
Und schließlich folgt 2018 der fünfzigste Jahrestag der Revolte von 1968. Bis dahin stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich die 68er sämtlich im Ruhestand befinden und ihre Meinungsmacht endgültig gebrochen ist. Damit wäre der Weg frei für eine erste echte Schadensbilanz.
Die Lebenslügen der Generation 68 gegen die harte Realität zu verteidigen kostet jede Menge Energie. Energie, die jener Generation langsam, aber sicher abhanden kommt, nicht zuletzt aus biologischen Gründen. Die Heftigkeit der Debatte um die Thesen Thilo Sarrazins, aber auch die Reaktionen auf das Theologenmemorandum haben gezeigt, dass die Deutungshoheit bereits kräftig bröckelt. Was in sich widersprüchlich ist, wie die politische Korrektheit an sich, lässt sich auf Dauer nicht aufrechterhalten.
Doch auch 2011 stehen noch einige bemerkenswerte Ereignisse ins Haus. Die Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. im Mai dürfte ein Großereignis mit bis zu 2,5 Millionen Pilgern werden. Auch darauf können wir uns vorbereiten.
Und schließlich folgt im September der Staatsbesuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland. Wir haben es in der Hand, daraus einen Erfolg zu machen. Denn ein Erfolg wäre es bereits, wenn sichtbar würde, wie groß die Unterstützung für den Heiligen Vater in Deutschland ist – und wie klein die Zahl seiner Gegner.
Mit der Petition ist zum ersten Mal seit langer Zeit die Schweigespirale durchbrochen. Das ist ein gewaltiger Fortschritt. Weitere Schritte sollten folgen.