Lichtteilchen aus dem Kirchenlabor

Ein paar wirre Notizen und Links zum Ekklesiolab und darüber hinaus.

Die Lichtteilchen-Liturgie in der Seminarkirche, und in der Kapelle die trockenen Laudes sowie die Heilige Messe mit den Priestern des Hauses und den beiden Hartkeksen. Die CA7-Kirche. Die Kirche im Singular und mit bestimmtem Artikel. Die Einsicht, dass ich exegetisch nicht hinter „Die Interpretation der Bibel in der Kirche“ (1993) zurück möchte.

Der Film „Imagine“ (2012). Podcasts von The little web service bis The Liturgists, Michael Gungor („Beautiful Things“) und Rob Bell. Freakstock und MEHR. Eine Literaturempfehlung zum Lutherjahr, ach was, zur Lutherdekade. The Young Pope.

Ein therapeutischer Aufenthalt in einem Haus, mit dem eine schmerzliche biografische Katastrophe Niederlage Episode Geschichte verbunden ist. Ein Buch, das mich nun schon mit zwei Veranstaltungen verbindet. Eine wunderbare Wander- und Laborgemeinschaft. Biene’s Holzwurm und der Barmissionar mit Thekenkompetenz. Wasser vom Himmel, die Innerste gefüllt bis zum Rand, Blaulicht und Martinshorn rund um die Uhr.

Eine Woche voller Leben, Licht, Wasser, Wort und Geist. Deo gratias!

Achtung, Theologieverdacht!

Notizen aus dem Ekklesiolab, dritte Lieferung

Theologie, die Rede von Gott, manifestiert sich offensichtlich im gesprochenen und geschriebenen Wort. Wo Christliche Theologie sich im Wort manifestiert, ist sie notwendigerweise reflexiv, soweit sich dieses Wort auf den Logos bezieht, der im Anfang war (Joh 1,1). Vermutlich liegt jedoch der größte Teil der real existierenden Theologie gar nicht im expliziten Wort vor, sondern manifestiert sich implizit in Strukturen, Räumen, Gebäuden, Gemeinschaften, Zeiten, Sprache, Bildern, Kunst, Musik etc. – das ist der Verdacht. Widmen wir uns also der Beweisaufnahme.

Beweismittel No. 1: Struktur

Die kirchliche Hierarchie ist strukturgewordene Theologie. Sie bildet das Rückgrat des Leibes Christi, der die Kirche ist. Darin, wie die Hierarchie lebt und gelebt wird, manifestiert und verändert sich ein Stück Theologie.

Beweismittel No. 2: Raum

Die Beziehung von Kirche und Raum ist raumgewordene Theologie. Bistümer, Landeskirchen, Dekanate, Kirchenkreise, Sprengel und Pfarreien sind nicht nur Verwaltungseinheiten, sondern Beziehungsräume. Ob sie nach dem Vorbild der Lehnsherrschaft, der Bürokratie oder der Dienstleistung funktionieren, ist ein theologisch schwerwiegender Unterschied. Es ist theologisch gerade nicht egal, ob zwischen Pfarrei (Territorium) und Gemeinde (Versammlung) unterschieden wird oder nicht, ob es Kirchort heißt oder Gemeinde. Wortungeheuer wie „Seelsorgeeinheit“ transportieren eine (schlechte und wahrscheinlich unreflektierte) Theologie.

Beweismittel No. 3: Gebäude

Kirchen (als Gebäude) sind gebaute Theologie. In ihnen manifestiert sich neben Zeitgeist und Mode immer auch Theologie. Zunächst die Theologie der jeweiligen Bauzeit, deren Ausdruck der Baukörper selbst und die Erstausstattung sind. Und dann die unterschiedlichen Theologien, die mit jeder Ergänzung der Ausstattung, jeder Renovierung und jedem Umbau einhergehen. Die Hildesheimer Seminarkirche ist dafür ein starkes Exponat.

Beweismittel No. 4: Gemeinschaft

Gemeinschaften sind Kommunikation und Beziehung gewordene Theologie. Egal ob sie einer expliziten Regel (Ordensregel, Geschäftsordnung) folgen oder implizite Kommunikations- und Beziehungsregeln haben, steckt darin immer eine bestimmte Theologie. Dies gilt für jede Gemeinschaft, denn auch eine esoterische oder eine atheistische Theologie ist eine solche. In diesen Fällen ist der theós eben ein esoterischer theós, oder es handelt sich um die Ablehnung des theós und der Rede davon.

Beweismittel No. 5: Zeit

Die Unterscheidung heiliger Zeiten von profanen Zeiten ist eine Theologie auf der Zeitachse. Wie Räume aus dem profanen Bereich herausgenommen und sakralisiert werden können, so auch bestimmte Zeiten. Gebetszeiten am Tag, der Sonntag als erster Tag der Woche, heilige Festtage, geprägte Zeiten wie Fastenzeit und Osterzeit, aber auch die Abwesenheit solcher Zeiten sind Theologie. Die Aufhebung der Trennung zwischen sakralen und profanen Zeiten ist Theologie.

Beweismittel No. 6: Sprache

Sprache selbst ist Theologie, auch wenn sie sich nicht explizit auf Gott bezieht. In Sprache sind Annahmen enthalten und Vorentscheidungen getroffen, die enorme theologische Konsequenzen haben. Sprachliche Strukturen spannen einen Raum auf für die Rede von Gott und präformieren sie.

Beweismittel No. 7: Bild

Lange vor dem iconic turn hat Theologie in Bildern gesprochen. Biblische Bilder und Gleichnisse stehen schon am Anfang aller christlichen Theologie, bildliche Darstellungen des Glaubens gehören zu den frühesten Zeugnissen theologischer Reflexion. Bilder sind wahrscheinlich die einfachste und grundlegendste Form der Theologie.

Beweismittel No. 8: Kunst

Die Rede von Gott hat zu allen Zeiten größte Kunst hervorgebracht. Lange bevor der Kunst das Museum als eigener Ort angewiesen wurde, waren Kirchengebäude Fokuspunkte für das Kunstschaffen der sie tragenden Gemeinschaften. Hier stand Kunst den Menschen aller Schichten offen, selbst wenn sie nicht getauft waren. Kunst in der Kirche war nicht exklusiv den Reichen vorbehalten.

Beweismittel No. 9: Musik

Geistliche Musik gleicht einem Gottesbeweis. Der Gregorianische Choral, die H-Moll-Messe von Bach oder die Gesänge von Jacques Berthier sprechen auf eine Weise von Gott, wie sie sonst vielleicht nur noch in Kunst und Bild möglich ist – durch ihre pure Existenz.

Fazit der Beweisaufnahme:

Die implizite Theologie ist viel umfangreicher als die explizite Theologie. Das Verhältnis zwischen beiden gleicht dem Verhältnis zwischen Ähnlichkeit und Unähnlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf, wie im Jahre 1215 das Vierte Laterankonzil formuliert hat:

„Denn von Schöpfer und Geschöpf kann keine Ähnlichkeit ausgesagt werden, ohne daß sie eine größere Unähnlichkeit zwischen beiden einschlösse.“

Kirchliche Räume und Resonanz

Notizen aus dem Ekklesiolab, zweite Lieferung

Nisi Dóminus ædificáverit domum, * in vanum laboravérunt qui ædíficant eam.
Ps 126(127),1

Wir kommen ja aus einer Zeit, in der kirchliche Räume vor allem durch Gebäude definiert waren, die wiederum den sie umgebenden Raum definiert haben. In der Gegend, in der ich wohne, heißen sogar Orte nach ihren Kirchen: Steinkirchen, dort ist die Kirche aus Stein. Neuenkirchen, dort steht die jüngste und kleinste Kirche. Mittelnkirchen, dort liegt die Mitte zwischen den anderen beiden Orten.

Auch wenn diese Kirchen heute nur noch recht sporadisch genutzt werden, die Identifikation der Bürger mit den Gebäuden ist nach wie vor hoch. Sie sind kulturelle Zeichen und ein Erbe, auf das zu verzichten nicht leicht fällt. Sie definieren auch noch den säkularen Raum, den Kulturraum. Ihre Kunstschätze und die zum Teil wertvollen Orgeln gehören zum Weltkulturerbe, wenn auch (noch) nicht zu dem der UNESCO.

In diesen Gebäuden findet ein geistliches Restprogramm statt, das in seiner räumlichen Umgebung nur noch schwache Resonanz findet. Es hat einen gewissen musealen Charakter, es belebt die Gebäude, die andernfalls tatsächlich zu Museen oder gar Gaststätten, Wohnungen und dergleichen umgenutzt würden. Die Signifikanz der Gebäude würde kaum leiden, falls dies eines wahrscheinlich nicht mehr allzu fernen Tages geschehen sollte.

Die Gebäude sind den Kirchen längst wertvolles Erbe und unerträgliche Altlast zugleich. Sie binden Ressourcen, Energie und Zeit, die in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Nutzung stehen. Sie machen uns zu Hütern eines Museums. Nicht zufällig greifen Kirchenrenovierungen derzeit häufig zu musealen Stilelementen. Je wichtiger das museale Erlebnis wird, desto mehr müssen die Gebäude daraufhin optimiert werden.

Und je mehr die Gebäude ihre geistliche und sakrale Signifikanz verlieren, desto schwieriger wird es, überhaupt geistliche und sakrale Signifikanz zu generieren. Die Ressourcen (Geld, Zeit, Personal, Engagement) sind in bestehenden Strukturen gebunden, die kaum noch eine Funktion haben, die über den reinen systemischen Selbsterhalt hinausgeht. Und selbst dieser wird zunehmend fraglich, denn nachhaltig ist anders.

Es ist hohe Zeit für kirchliche Neugründungen, die nicht von bestehenden Gebäuden ausgehen und sich dem Raum anders als durch die signifikante Kirche im Dorf öffnen. Die den Raum anders und neu bespielen und sich nicht scheuen, die Kommunikationsmittel der Gegenwart effektiv und effizient zu nutzen, um Resonanz zu erzeugen. Mit dem Buchdruck hat die Kirche das schließlich auch getan.

Was ist kirchliche Produktentwicklung?

Notizen aus dem Ekklesiolab

In den letzten Monaten habe ich meinem Chef geholfen, ein Buch über Transformationale Produkte zu publizieren. Einer der Kernthesen darin: Wer die Digitale Transformation beim Unternehmen beginnt, hat schon verloren. Erfolgreiche Transformation muss beim Produkt beginnen. Produktentwicklung wiederum beginnt beim Nutzer, bei seinen Erwartungen und seinem Verhalten, die durch erfolgreiche Produkte verändert werden und schließlich auch die Wertschöpfung verändern.

Meine These ist, dass sich das von Matthias Schrader entwickelte Modell zum einen aus dem digitalen Kontext lösen und somit verallgemeinern lässt. Zum anderen kann man es auch auf den kirchlichen Kontext anwenden. An dieser Stelle verzichte ich zunächst auf eine ausführliche Darstellung des Modells. Auf der #wewonder-Konferenz im Februar in Hannover sprach ich in einer Seilschaft mit Jonny Baker u.a. auch über Design Thinking, Service Design und Produktentwicklung im kirchlichen Kontext.

Mein Fazit: In aller Regel denkt im engeren kirchlichen Kontext niemand in Produktkategorien. Warum das so ist, ist eine interessante Frage, die zu untersuchen sich lohnen dürfte. Auch darauf verzichte ich an dieser Stelle. Hier will ich nur versuchen, in aller Kürze zu skizzieren, was kirchliche Produktentwicklung bedeuten würde.

1. Was sind kirchliche Produkte?

Die Liste ist lang und keineswegs vollständig: Gottesdienste, Predigten, Kirchenmusik, Sakramente, Seniorenkreise, Publikationen, Kirchenräume, Kindergärten, Altenheime, Seminare, Tagungen, Gemeindefeste, Krankenhäuser, Schulen, Klöster, Jugendgruppen etc. pp. Die Kirche bringt eine Vielzahl von Produkten auf ganz unterschiedliche Märkte, auf denen sie zum Großteil immer stärkerer Konkurrenz ausgesetzt ist. Alle diese Produkte kosten Geld, bringen aber auch welches ein, sodass sich der gesamte Apparat am Ende auf verschiedenen Wegen selbst finanziert.

2. Wie funktioniert kirchliche Produktentwicklung heute?

Je stärker die Konkurrenz und je weiter vom kirchlichen Kerngeschäft entfernt, desto professioneller das Produkt und die Produktentwicklung. Kirchliche Krankenhäuser, Schulen und Altenheime sind häufig besser als deren profane Konkurrenz. Hier liegt zweifelsohne ein gewaltiges Asset. Die Umkehrung gilt auch: Je geringer die Konkurrenz und je näher am kirchlichen Kerngeschäft, desto unprofessioneller das Produkt und die Produktentwicklung. Eine harte Aussage? Klar.

Aber bitte – wenn der sonntägliche Gottesdienst als eines der kirchlichen Kernprodukte nur noch von einer verschwindenden Minderheit der eigenen zahlenden Kundschaft wahrgenommen wird, dann ist das zuallererst eine gewaltige Ohrfeige für das Produkt. Irgendetwas läuft hier falsch. Vielleicht ist es gar kein Kernprodukt? Dann stellt sich die Frage nach dem angemessenen Ressourceneinsatz. Oder ist es doch ein Kernprodukt? Dann ist die Frage, warum es so wenig frequentiert wird.

Ein Wirtschaftsunternehmen jedenfalls würde ein Produkt mit solchen Kennzahlen normalerweise vom Markt nehmen. Und sich mindestens wünschen, bereits neue, attraktive Produkte entwickelt zu haben, bevor das Kernprodukt das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat. Sicher kann man es noch für eine Weile subventionieren, sei es aus sentimentalen Gründen, sei es aus Gründen der Markenbildung. Aber auf Dauer stellt sich die Frage nach der Zukunft.

3. Wie würde kirchliche Produktentwicklung besser funktionieren?

Sie beginnt zunächst mit der Frage der Nutzererwartungen. Was erwarten die Nutzer heutiger kirchlicher Produkte, und wie kann man das Nutzererlebnis zehnmal besser machen als heute? Also nicht einfach nur etwas besser, sondern wie kann man es auf eine neue Ebene heben? Wie sieht die Nutzerschnittstelle aus, das User Interface? Welchen Nutzwert hat es? Gibt es funktionale und mentale Lock-ins? Wie ändern sich Nutzungsgewohnheiten? Wie sieht die Vermarktung aus?

Das sind Fragen, auf die Produktentwicklung in iterativen Prozessen nach Antworten sucht, angefangen von kleinsten Prototypen und Minimalprodukten (Minimum Viable Products) bis hin zum erfolgreich getesteten Produkt, das dann weltweit ausgerollt werden kann. Ein wichtiger Punkt noch zum Schluss: Das Scheitern ist Programm. Es geht darum, frühzeitig zu scheitern, Irrwege rechtzeitig zu erkennen und möglichst schnell zu korrigieren. Es geht nicht um die eine geniale Produktidee am Anfang, sondern um einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess.