Conclave ante portas

Für die nächste Woche steht das Top-Thema der Medien bereits fest: die Wahl des neuen Papstes. Phoenix kündigt bereits umfangreiche Live-Berichterstattung an, weitere Sender werden dem nicht nachstehen. Heute befassen sich vor allem die italienischen Zeitungen mit den Aussichten für das Konklave. Il Messaggero analysiert die Chancen von Joseph Ratzinger:

„Er ist ein Kandidat, den man als eine der hervorragendsten Persönlichkeiten unter den Papabile betrachtet. Der Einzige, der in der Lage wäre, das Steuer in die Wende der Nach-Wojtyla-Zeit zu führen, die Kirche zusammenzuhalten.“

Ein Bild der Stimmungslage zeichnet La Repubblica:

„Unter den Teilnehmern des Konklave herrscht noch große Unsicherheit. Die italienischen Kardinäle sind gespalten wie nie. Die Wahrheit ist, dass die Mehrheit der Purpurträger, von der Gruppe der Ratzinger-Anhänger einmal abgesehen, noch keine klaren Ideen hat. Noch ist dieser magische Augenblick nicht gekommen, der so typisch ist für viele Konklave, in denen ein zunächst unbekannter Name plötzlich für viele Kardinäle anziehend wird oder eine bereits bekannte Person sich zum Magnet der Abstimmung verwandelt.“

[via Deutschlandfunk/Presseschau]

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Calvinismus

Der Perlentaucher referiert heute aus der FAZ:

Obwohl selbst inzwischen mehrheitlich katholisch bevölkert, bleibt die Republik Genf, die des Papstes in trockenen zwölf Zeilen gedachte, calvinistisch geprägt, berichtet Jürg Altwegg:

"Keine andere Religion ist so sehr von der Aufklärung geprägt worden wie der Calvinismus, in dem auch die sehr laizistischen Vorstellungen von Freiheit und Toleranz, wie sie Rousseau und Voltaire entwickelten, ihren Niederschlag gefunden haben. 'Post Tenebras Lux' lautet die Inschrift auf der 'Mauer der Reformatoren' in Genf."

Nun wird in Genf ein Museum der Reformation eröffnet, dessen Leiterin Isabelle Graessle zugleich die erste weibliche Vorsitzende der noch von Calvin begündeten Compagnie des pasteurs ist. Altwegg zitiert sie mit den Worten:

"Der westeuropäische Protestantismus wird dem Untergang geweiht sein, wenn sich nicht bald eine Bewegung bemerkbar macht, die mit der Reformation des 16. Jahrhunderts vergleichbar ist."

Norbert Bolz


Die zweite Woche ohne Papst. In der medialen Verarbeitung des Themas werden die Kreise nun weiter gezogen. So spricht die Wirtschaftswoche heute mit Norbert Bolz (51), pro forma Medienwissenschaftler, eigentlich aber eine Art Universalgelehrter, der sich dank seines Querschnittsfaches zu praktisch jedem Thema äußern darf und von dieser Erlaubnis auch regen Gebrauch macht („Blindflug mit Zuschauer“). So sagt er also lauter richtige Dinge und auch ein paar falsche, aber wenigstens tut er das auf die richtige Weise. Auszüge:

Ist der Zulauf, den die katholische Kirche in den vergangenen Wochen hatte, also nur ein Pyrrhussieg – um den Preis ihrer dogmatischen Aushöhlung?

Kommt drauf an. Das Projekt der katholischen Kirche ist es, möglichst viele Menschen unter ihr Dach zu bringen. Dazu sind ihr alle Mittel recht. Denken Sie nur an den Papst – was hat ihn berühmt gemacht? Er flog in der Welt rum, warf sich auf den Boden, küsste die Erde. Worum es ihm also ging, war die Sichtbarkeit der Kirche. So gesehen, hat der Papst gezeigt, wie immun die katholische Kirche gegen die Erosion der Dogmen ist.

Gleichzeitig verlieren die Kirchen, zumindest in Deutschland, immer mehr Gläubige.

Das bedeutet noch nichts. Es gibt ja auch immer weniger Leute, die in Vereinen Sport treiben. Aber das heißt nicht, dass Sport an Attraktivität einbüßt. Man betreibt ihn nur anders: auf eigene Faust, spontan – oder im Rahmen eines Events. Deshalb wird Religiösität dort gewinnen, wo sie als Massenveranstaltung fasziniert – beim Begräbnis des Papstes zum Beispiel.

Zeigt die weltweite Trauerdemo aber nicht, dass Religion keineswegs verschwunden ist, wie uns viele glauben machen wollten?

Kant hatte sicher Recht, dass alle Menschen ein metaphysisches Bedürfnis haben. Offensichtlich haben die Enttäuschungserfahrungen mit den großen säkularen Heilsversprechen dieses Bedürfnis nicht ausgetrieben, sondern es im Gegenteil anwachsen lassen: Je weniger es erfüllt wird, umso stärker wächst es. Einige dieser Heilsversprechen haben wir ja ausprobiert: die völkischen Ideologien, den Sozialismus, die Naturidolatrie der Grünen. Modernität bedeutet nichts anderes als enttäuscht zu werden bei diesen Projektionsversuchen. Und das Heilsversprechen der Religion liegt darin, uns den Preis der Modernität zu ersparen.

Sie glauben, das metaphysische Bedürfnis kehrt auf diese Weise zurück zu seinem Ausgangspunkt?

Das metaphysische Bedürfnis kehrt zurück zur Religion als dem klassischen Thesaurus des Sinns. Allerdings sind wir zu modern, zu klug, zu aufgeklärt, um uns nur eine einzige Antwort bieten zu lassen. Eben deshalb bleibt Religion ja dem Numinosen verhaftet: als Geheimnis, das Angst macht und fasziniert.

Heißt das, dass die mit der Aufklärung und Säkularisierung verbundene Hoffnung, angstfrei in eine bessere Zukunft zu gehen, gescheitert ist?

Allerdings. So werden vorwissenschaftliche Angebote der Entängstigung wieder attraktiv. Für Philosophie und Wissenschaft bedeutet das, auf alle Wahrheitsansprüche verzichten zu müssen. Es ist eine der wichtigsten Einsichten der letzten Jahrzehnte, dass wir es nicht mit einem Werteverlust zu tun haben, sondern mit einem Werteverzicht, nicht mit einem Sinnverlust, sondern einem Sinnverzicht. Nur: Wem kann man so was zumuten? Max Weber hat vor 100 Jahren gesagt, was es dazu bräuchte – bitte lachen Sie nicht: ‚gereifte Männlichkeit‘. Das ist es. ‚Wer es nicht erträgt‘, so Weber, ‚der kehre in die weit geöffneten Arme der katholischen Kirche zurück.‘

Also brauchen wir die Religion als Ordnungs- und Solidaritätsfaktor?

Im Wortsinn von religio – Bindung und Rückbindung – ja.
Jürgen Habermas, unser Chefaufklärer, hat ja schon die postsäkulare Gesellschaft ausgerufen. Und Ralf Dahrendorf hat den Begriff der Ligaturen geprägt. Das ist ja nur ein anderes Wort für religio: Verknüpfungen, Verbindungen, Sicherheitsleinen. Dahinter steht die Einsicht, dass die Menschen ihrem eigenen Denken nicht gewachsen sind.

Zur Ironie der Aufklärung gehört es, dass sie die Metaphysik unter Spannung hält?

Ganz bestimmt. Wir wissen, dass die Sonne nicht aufgeht. Aber was soll’s? Für mich geht die Sonne eben doch auf. Das führt im Übrigen dazu, dass prominente Physiker wieder religiös werden. Das müsste eigentlich überraschen, tut es aber nicht. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Es gibt keinen Konflikt zwischen Wissenschaft und Alltag, sondern, viel schlimmer: eine Beziehungslosigkeit. […] Die Kirche muss sich darüber klar werden, dass viele Lebensfragen von der Politik so wenig beantwortet werden können wie von der Wissenschaft – darin liegt ihre Chance. Die Leute kommen ihr ja bereits entgegen. Sie spüren, dass sie die Wahrheit nicht in Politik und Wissenschaft finden – und auch nicht in sich selbst. Dorthin hat man ja die Wahrheit zuletzt geschickt: in die Selbstverwirklichung. Doch im Selbst, das hat sich herausgestellt, ist eben auch nichts los.

Bleibt also nur die fröhliche Flucht in den Kult der Religion?

Es war jedenfalls die Illusion des Kulturprotestantismus, dass man keine Religion mehr braucht. Länder, die darauf verzichten, wie die Niederlande oder Schweden, betreiben eine Art Kulturpuritanismus, den ich für viel unangenehmer halte als den religiösen Puritanismus. Da werden Vorstellungen von einer guten Gesellschaft gepflegt, die so gut ist, dass mir sofort klar wird: Da möchte ich auf keinen Fall leben.

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Der neue Ratzinger


Das ist Timing, wenn auch in diesem Fall wohl eher zufällig. Rechtzeitig zum Konklave erscheint ein neues Buch von Joseph Ratzinger: Der bei Herder erschienene Band Werte in Zeiten des Umbruchs geht offenbar zurück auf ein Gespräch mit Jürgen Habermas im vergangenen Jahr. Damals diskutierten die beiden Intellektuellen darüber, wie eine sich als pluralistisch verstehende Gesellschaft ihre moralischen Grundsätze findet (Dokumentation der Presseberichterstattung, Januar 2004).

Auszüge aus dem Buch veröffentlicht heute laut einer internationalen Agenturmeldung die Süddeutsche Zeitung. Die Vorabberichterstattung konzentriert sich auf das Thema Europa und den Aufruf des Autors, zu den christlichen Wurzeln zurückzukehren.

Cardinal Joseph Ratzinger’s book, published in German by the Herder publishing house under the title „Values in a Time of Upheaval,“ says Europe’s Christian heritage is the key to respect for human dignity and to the continent’s survival as a civilization.

„Europe needs a new – certainly skeptical and humble – acceptance of itself, if it wants to survive,“ the German-born Ratzinger wrote, according to excepts published in the Sueddeutsche Zeitung newspaper. „The ever more passionately demanded multiculturalism is often above all a renunciation of what is one’s own, a fleeing from what is one’s own.“

He said people can respect the faith and culture of others only when they remain true to their own, „only when what is holy, God, is not alien to us ourselves.“

European integration as represented by the European Union has become a mostly economic project, he wrote, „with far-reaching exclusion of the spiritual foundations of such a society.“

Eine kurze Meldung ist das Buch heute auch dem österreichischen Standard wert.

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Papabile


Joseph Ratzinger als Papst wäre für die Kirche in Deutschland sehr gut – aber Deutschland ist nach Maßstäben der Weltkirche kaum noch von Bedeutung.

Er ist das rote Tuch schlechthin für viele Katholiken in Deutschland, und glaubt man der italienischen Zeitung La Repubblica, dann trifft er auch unter den deutschen Kardinälen auf heftigen Widerstand. Der Intellektuelle im Kardinalspurpur würde als Papst der hiesigen Kirche jedoch eher nutzen. Von der Last seiner Aufgabe als Präfekt der Glaubenskongregation befreit, würde er in der päpstlichen Rolle einen längst überfälligen Klärungsprozess in Gang bringen.

Seine Kritiker wären gezwungen, sich neu zu positionieren – und Ratzinger könnte sein schlechtes Image abschütteln, das ihm sein schwieriges Amt eingetragen hat. Wäre Ratzinger Papst, dann zeigte sich schnell, welcher Teil der innerkirchlichen Kritik seiner Person zuzuschreiben ist – und welcher sich gegen den rechten Glauben, das katholische Dogma an sich richtet, das er zu hüten hat.

Als Papst könnte Ratzinger, dem selbst Uta Ranke-Heinemann Intelligenz bescheinigt, sich wieder stärker als Theologe zeigen. Vermutlich wäre er auch eine Herausforderung für die Theologenzunft: als einer der ihren, der keinem noch so subtilen Argument ausweichen müsste, weil er sich auskennt.

Mit Ratzinger käme im August die Weltkirche nach Köln, so seltsam das klingt. Als langjähriger Kurienkardinal ist er exzellent verdrahtet (und gilt außerhalb Deutschlands auch kaum als Hardliner), als Papst würde er sich daran orientieren, wo im weltkirchlichen Maßstab die Musik spielt – und das ist gerade nicht Deutschland. Sicher spielt im Konklave eine Rolle, dass von hier erhebliche Gelder in die jungen Kirchen fließen.

Durchaus plausibel, dass bereits bis zu 50 der 115 Kardinäle im Konklave für Ratzinger stimmen wollen, wie La Repubblica heute berichtet (und der Spiegel zitiert).

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Politische Ökonomie

Auch ein Konklave, in dem per definitionem der Heilige Geist weht, ist nicht frei von den Zwängen der (kirchen-)politischen Ökonomie. Die elf afrikanischen und zehn asiatischen Kardinäle bringen zusammen knapp 20 Prozent der 115 Papstwähler aus. Die italienische Zeitung La Repubblica merkt dazu an:

„Die Afrikaner und die Asiaten machen keine Lobbyarbeit. Sie achten eher auf die Hinweise der Kurie und der europäischen Würdenträger. Denn es zählen natürlich auch die Bindungen und Beziehungen, die zu den Kirchen der Ersten Welt hergestellt wurden, die ihrerseits Entwicklungsprojekte in den Ländern Afrikas und Asiens unterstützen. Deutschland und Italien sind Geldgeber ersten Ranges. An den Urnen zur Papstwahl wird auch dies von Bedeutung sein.“ [via Deutschlandfunk/Presseschau]

Skeptiker könnten meinen, solche trivialen Erwägungen widersprächen dem Wirken des Heiligen Geistes. Aber weit gefehlt: Er bedient sich bei seinem Wirken selbstverständlich der Menschen und deren Weltklugheit. Vom Geist geleitet zu sein, ist ja gerade nicht esoterisch und weltabgewandt, sondern das genaue Gegenteil davon. Außerdem könnte ich jetzt, wenn ich wollte, einen passenden Vers aus dem Evangelium zitieren.

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Vorsicht

Der Freitag hat mit dem Tod des Papstes ein journalistisches Problem: seine Leser, zusammengesetzt aus der ehemaligen Leserschaft der DDR-Wochenzeitung Sonntag, der westlinken Volkszeitung und dem VVN-Blatt Tat. Kein Publikum, das den Heimgang des Heiligen Vaters zum Anlass frommer Betrachtungen nehmen möchte.

Aber kein Problem, das nicht lösbar wäre. Und so holt das Blatt den evangelischen Theologen und Publizisten Friedrich Schorlemmer zwecks „kritischer Würdigung“ an Bord. Der Studienleiter an der Evangelischen Akademie Wittenberg müht sich dann nach Kräften, seine Faszination mit ein paar gängigen protestantischen Floskeln zu kaschieren:

„Die prinzipielle Höherbewertung dieses Pontifex widerspricht meinem christlichen Menschenbild, wonach alle Menschen gleich Gewürdigte sind – auch die allgemeinen Menschenrechte gehen davon aus. Da hinein passt dieser römische Triumphalismus und Klerikalismus nicht – auch nicht die posthumen Hochämter fast aller Medien. Dem Bischof von Rom werden allein im Vatikan neun Messen gelesen. Ich schaue ins Neue Testament und kann mich nur wundern.“

Schorlemmer macht dabei („Wir erleben keine Weltkatastrophe“) gar nicht einmal eine schlechte Figur. Letztlich kann er indes auch nichts daran ändern, dass die intellektuelle Kraft des Protestantismus offenbar zur Neige geht. So ruft er pflichtgemäß den gängigen Kanon der Papst-Kritik auf und ergänzt ihn um die evangelischen Standardpositionen seit Luther. Nicht viel Neues also unter der Wittenberger Sonne.

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Ende der Religionskritik

Heftig. Auch in der zweiten Woche der Sedisvakanz reißen Würdigungen und Reflexionen nicht ab. Im FAZ-Feuilleton befassen sich heute, wenn ich richtig gezählt habe, gleich drei Artikel mit den Konsequenzen des päpstlichen Ablebens. So schreibt der Tübinger Ethnologe Thomas Hauschild („Magie und Macht in Italien“) mit Blick auf das Requiem am vergangenen Freitag:

„Daß mit diesem Fest des Glaubens das Zeitalter des mit Hilfe von Johannes Paul II. liquidierten diktatorischen ‚real existierenden Sozialismus‘ endet, kann man nicht genug betonen. Aber auch die anhängenden vulgärmaterialistischen und politischen Interpretationen von Religion als mummenschanzhafte ‚Performanz‘, als bloßes Schauspiel oder Teil der Unterhaltungsindustrie müssen nun dringend überdacht werden. Mit dem Begräbnis von Johannes Paul II. endet ein langes Zeitalter der Religionskritik, die wie selbstverständlich von der fortschreitenden Säkularisierung der Welt ausging.“

Und wieder kommen Paradoxien ins Spiel, um das Phänomen Religion zu beschreiben:

„Dabei sind sich auch viele der Kirchenkunstfans und Kerzenanzünder unter den nichtchristlichen und evangelischen Gebildeten darin einig, daß eine Kirche, die zu viele alte Formen und die darin verkörperte Begünstigung des Lebens an und für sich aufgibt, eigentlich nicht mehr wert ist zu existieren.

In dieser paradoxen Anziehung liegt die Essenz, liegt die Aktualität des Papsttums. Es geht um das Leben selbst, vorbei am Anti-Essentialismus deutscher Akademiker. So besehen gehört der zur Dauerbesessenheit in Christo gewendete Schamanismus dieser orientalischen Religion zu den Schicksalsmächten jeder Weltgesellschaft, wie das Geld, die Familie, das Militär und die Begeisterung für Technologien. In einem Atemzug muß man dann aber auch die hemmenden Kräfte nennen, bürokratische Indifferenz gegen den einzelnen Menschen, Naturkatastrophen, Hemmnisse und Mängel an Energiereserven etwa – und dann ist man an dem Punkt, an dem der Oberste Brückenbauer die Welt im Lot zu halten versucht, wieder und wieder.“

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