Das Produkt der Kirche

Bei den folgenden Gedanken handelt es sich um leicht bearbeitete Auszüge aus einer längeren Diskussion auf Facebook.

Die passive Kirchenmitgliedschaft ist zunächst die Voraussetzung, um daraus mehr zu machen. Wir haben ja eine flächendeckende Mitgliederdatei mit Adressen und persönlichen Daten. Daraus lässt sich auch viel mehr machen als derzeit so gemacht wird, also weit über gelegentliche Bettelbriefe und Anschreiben von Kommunionkinderjahrgängen hinaus.

Retention-Kampagnen sind schon ok. Wer erst mal weg ist, den bekommt man nicht so schnell wieder.

Heute ist es empirisch so, dass die meisten kirchlichen Produkte mehr oder weniger schwach nachgefragt werden. Trotzdem entwickeln wir kaum neue Produkte oder verbessern signifikant die bestehenden. Nehmen wir mal als unverfängliches Beispiel das äußere Outfit der meisten Gemeinderäume – eine Zeitreise in die 60er oder 70er Jahre… Als Insider gewöhnt man sich irgendwann vielleicht daran.

Beim Thema Spendensammeln funktioniert das Direktmarketing ja heute schon blendend. Spende einmal online für die Sternsinger oder die Caritas, und es kommen kontinuierlich professionell gestaltete Mailings.

Erst einmal haben wir ja nur Postadressen. Mailadressen zu generieren wäre mal ein sinnvoller Schritt. Lässt sich aber alles machen.

Die üblichen Kommunikationskanäle der Durchschnittspfarrei (Vermeldungen und Pfarrbrief) brechen gerade zusammen, weil sie nur noch eine zu kleine Minderheit der Gemeindemitglieder erreichen.

Das ganze Thema Fundraising wirkt auf mich schon ziemlich professionell. Es ist aber auch einfach, da es sich praktisch selbst refinanziert.

Für innovative Projekte auf lokaler Ebene scheitert das Fundraising wahrscheinlich gern am fehlenden Zugriff auf die Verteiler (da könnte ja jeder kommen…) oder an der Vorfinanzierung für das Porto (5.000 Briefe kosten halt mit Dialogpost mindestens 1.400 EUR).

Wenn die heutigen kirchlichen Produkte kaum noch nachgefragt werden, zu ihrer Produktion aber die via Kirchensteuer beschafften Ressourcen nötig sind, dann befinden wir uns in einer dauerhaften Abwärtsspirale. Das kann man sicher als gegeben hinnehmen, aber Evangelii Gaudium oder auch Evangelii Nuntiandi sagen da etwas anderes.

Das Produkt der Kirche ist nicht Christus. Höchstens insofern, als die Kirche der Leib Christi ist. Das Produkt ist unser Dienst an den Menschen, in Diakonie, Liturgie, Verkündigung und Gemeinschaft. Dieser Dienst muss immer wieder neu ausgestaltet (=Design) werden.

Diakonie muss sich den Armen und Bedürftigen der jeweiligen Zeit zuwenden, da sind stetige Änderungen erforderlich. Liturgie entwickelt sich weiter (siehe Ratzinger, Der Geist der Liturgie), Verkündigung muss das Evangelium jeweils in die Sprache der Zeit übersetzen, und auch Gemeinschaft verändert sich. Was vor zwanzig Jahren vielleicht noch ganz schnafte war, lockt heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Das alles ist kirchliche Produktentwicklung.

Frag doch zur Abwechslung mal die 95 Prozent der zahlenden Kirchenmitglieder, die nicht da sind… Klar, die wollen wahrscheinlich auch, das alles bleibt, wie es ist. Ich will so bleiben, wie ich bin… Komisch, das Evangelium predigt Metanoia, aber alles soll so bleiben, wie es ist… Bei Design geht es nicht um bunte Bilder. Sondern um Produktdesign bzw. Service Design, um veränderte Nutzererwartungen, verändertes Nutzerverhalten und am Ende auch veränderte Geschäftsmodelle, da das Modell Kirchensteuer ja ein Auslaufmodell ist. Deshalb Fundraising, weil neue Produkte auch neue Finanzierungsquellen brauchen. So sind ja auch viele tätige Frauenorden entstanden, um mal ein Beispiel zu nennen.

Ja, Abkehr von der Sünde ist gemeint. Und genau deshalb kann nicht alles bleiben, wie es ist. Auch wenn das viele gern so hätten.

Die nötige Veränderung ist häufig ausgesprochen strittig. Allein schon der Perspektivwechsel, sich von denen, die (schon oder noch) da sind, hinzuwenden zu denen, die noch nicht oder nicht mehr da sind.

Wieso? Kann doch jeder kommen, wir sind doch eine offene Gemeinde…

Die Gemeinden sündigen, wenn sie den 99 verlorenen Schafen nicht nachgehen, weil das eine verbliebene Schaf es gern weiterhin kuschelig hätte.

De facto gehen wir den verlorenen Schafen nicht nach, und das ist Sünde.

Die Sonntagsmesse unterliegt seit Jahrzehnten einem Abwärtstrend, der uns normalerweise sehr stark beunruhigen müsste. Dieses Produkt verkauft sich schlecht. Es ist auch kein Einsteigerprodukt (mehr), sondern ein Premiumprodukt, das nur noch über Upselling verkauft werden kann. Uns fehlen aber mittlerweile geeignete Basisprodukte, denn die Kasualien allein plus Heiligabend mit Stille Nacht, Erstkommunion und vielleicht noch Firmung reichen offensichtlich nicht. Der ganze Unterbau wackelt und ist zu großen Teilen zusammengebrochen. Da ist Neubau angesagt.

Man kann sich die Situation auch irgendwie schön definieren. Dann brauchen wir nicht weiter nachdenken.

Ansonsten ist es sicher so, dass Produktentwicklung erst einmal gewollt sein muss. Dazu gehört der Gedanke, dass sich Nutzererwartungen, Nutzerverhalten und Geschäftsmodelle ändern sollen.

Heute ist es ja in etwa so: Das Geschäftsmodell ist die Kirchensteuer, die Nutzererwartungen sind nicht besonders hoch, und das Nutzerverhalten der großen Mehrheit der zahlenden Kunden eher sporadisch. Das alles ist nicht nachhaltig und befindet sich in einer Abwärtsspirale.

Wo Produktentwicklung gewollt ist, da ist eine der ersten Fragen die nach den Ressourcen. Produktentwicklung geht nicht aus dem Nichts und auch nicht irgendwie nebenbei, sondern da muss investiert werden. Und was dort an Geld, Zeit, Personal und Engagement investiert wird, kann nicht anderweitig investiert oder konsumiert werden.

Mit dem fehlenden Unterbau meine ich nicht das Fundament, das in Christus gelegt ist, sondern das, was wir darauf bauen müssen. Da sind nur noch einzelne Elemente übrig, die aber kein stimmiges Ganzes mehr ergeben. So bleibt die Initiation mit Taufe, Erstkommunion und Firmung in den meisten Fällen unvollständig, selbst wenn sie noch vollständig durchlaufen wird, weil das dementsprechende Glaubensleben nicht entwickelt wird.

Ein System funktioniert nur dann, wenn es sich selbst reproduzieren kann. Das ist heute nicht mehr gegeben, deshalb leben wir von der Substanz. Und die ist irgendwann aufgebraucht.

Wir können durchaus von den amerikanischen Megachurches lernen, zum Beispiel von Pastor Rick Warren und Saddleback, oder von Rebuilt Parish. Es geht mehr als oft gedacht.

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Wille zum Wachstum

Jedes Wirtschaftsunternehmen, das etwas auf sich hält, hat heutzutage eine Vision und eine Mission. Doch in der Kirche stößt die Frage nach Vision und Mission auf seltsame Vorbehalte. Dabei ist es im Prinzip ganz einfach: Die Vision der Kirche ist das Reich Gottes, und ihre Mission, alle Menschen zu Jüngern Jesu zu machen.

Damit ist es allerdings nicht getan, denn Vision und Mission müssen konkretisiert werden, sonst nutzen sie nicht viel. Genau das ist unsere Aufgabe als Christen. Wir müssen nicht die ganze Welt retten, denn das hat Christus schon erledigt. Aber unseren Nächsten lieben, das ist uns aufgetragen.

Und alle Menschen zu Jüngern Jesu zu machen. Warum wir uns damit in letzter Zeit, mindestens mal seit ein paar Jahrzehnten, etwas schwer tun, soll hier nicht thematisiert werden. Der damalige Erfurter Bischof Joachim Wanke schrieb im Jahr 2000 in „Zeit zur Aussaat“ (Untertitel: Missionarisch Kirche sein) die folgenden Zeilen:

Dass eine Ortskirche nicht wächst, mag auszuhalten sein, dass sie aber nicht wachsen will, ist schlechthin unakzeptabel. Teilen Sie dieses Urteil? Wenn ja, dann muss uns Katholiken in Deutschland zum Thema „missionarische Kirche“ mehr einfallen als bisher.

Ich habe in den letzten Wochen zwei Bücher gelesen (genau genommen habe ich eines davon gehört, aber das spielt keine Rolle), die sich mit diesem Themenkreis beschäftigen. Zum einen – Rebuilt: Awakening the Faithful, Reaching the Lost, and Making Church Matter, von Michael White und Tom Corcoran, einem amerikanischen Pfarrer und seinem engsten Mitarbeiter, 2013 erschienen.

Zum zweiten – The Purpose Driven Church, von Rick Warren, einem amerikanischen Baptisten und Gründer der Gemeinde von Saddleback, die es inzwischen sogar zu einer Filialgründung in Berlin gebracht hat. Das Buch erschien 1995. Da sich in den letzten 20 Jahren in Saddleback einiges getan hat, wäre es mittlerweile Zeit für eine erweiterte Neuauflage.

Auf das zweite Buch kam ich durch das erste. Michael White und Tom Corcoran verhehlen nicht, dass sie durch Rick Warren beeinflusst wurden und einige der Rezepte, mit denen Warren eine jener Megachurches schuf, ins Katholische übersetzt haben. In jedem Fall eine verdienstvolle Sache.

Jede gesunde Gemeinde wächst, so die These von Rick Warren. Deshalb sei es nicht unsere Aufgabe, für Wachstum zu sorgen, denn das geschehe von alleine und werde vom Herrn in Wellen gesendet. Unsere Aufgabe ist die Sorge um die Gesundheit unserer Gemeinden.

Ein sehr plausibler Gedanke. Damit trifft Rick Warren sozusagen auf Joachim Wanke. Und in der Tat erscheinen ja unsere schrumpfenden Gemeinden irgendwie kränklich, was übrigens ihrer Anziehungskraft nach außen alles andere als zuträglich ist. Wie sieht nun eine gesunde Gemeinde aus?

Das Gemeindemodell von Rick Warren besteht aus konzentrischen Kreisen. Im Kern (Core) befinden sich die Minister, also alle, die irgendeinen Dienst in der Gemeinde ausüben. Um sie herum liegt eine zweite Schicht (Committed) aus Engagierten, reifenden Mitgliedern (Maturing Members). Die dritte Schicht umfasst alle Mitglieder (Members), die zusammen eine Gemeinde (Congregation) bilden. Um sie herum liegt eine vierte Schicht, die Menge (Crowd) der regelmäßigen Besucher (Regular Attendees), die noch keine Mitglieder sind. Die Umgebung ist schließlich das örtliche Gemeinwesen (Community) mit den Außenstehenden (Unchurched).

Bild: Jim Erwin

Bild: Jim Erwin

Rick Warren modelliert auf dieser Basis dann Prozesse, um Menschen von außen nach innen zu führen. Durch die Verkündigung der Frohen Botschaft lernen Außenstehende Christus kennen und werden in die Gemeinschaft aufgenommen. Die Gemeinde hilft ihnen dabei, in Christus zu wachsen und den Weg der Nachfolge Christi zu gehen. Der dritte Schritt – Christus dienen – führt zum Dienst und damit auch zur Diakonie. Und schließlich folgt die Mission: Christus mitteilen – Verkündigung. Damit schließt sich dieser Kreis.

Im Zentrum aller Prozesse steht die Liturgie, die damit eine neue Funktion bekommt – sie muss für Außenstehende attraktiv sein. An dieser Stelle fangen für einen liturgisch Interessierten, dessen Liturgieverständnis von Guardinis und Ratzingers „Geist der Liturgie“ geprägt ist, die Schwierigkeiten an. Michael White und Tom Corcoran zeigen allerdings, dass im Grunde keine Abstriche an der würdigen und rechten Feier der Liturgie notwendig sind. Für sie liegt der Schlüssel – und das teilen sie mit Rick Warren – bei der Kirchenmusik.

Die Musik muss die Außenstehenden in der örtlichen Umgebung ansprechen, sonst werden sie vielleicht einmal in die Kirche kommen, aber danach nie wieder. Hier kommt ein weiterer Gedanke zum Tragen: An wen konkret wenden wir uns eigentlich? Wer meint, sich an alle zu wenden, der wendet sich de facto an keinen. Wie jedes Produkt für eine bestimmte Zielgruppe gemacht ist, so muss auch eine Gemeinde ihre Adressaten kennen.

Rick Warren hat dafür die Kunstfigur des Saddleback Sam geschaffen, den prototypischen Außenstehenden in seinem kalifornischen Tal. Bei Michael White und Tom Corcoran ist es Timonium Tim. Auch der hat ein konkretes Profil, was ihn greifbar und vor allem adressierbar macht. Jede Gemeinde muss für sich selbst definieren, wen sie anspricht – geographisch, demographisch und sozialräumlich. Mit der blinden Übernahme irgendwelcher Modelle ist es an dieser Stelle nicht getan.

Erst wenn das geklärt ist, lohnt es sich, über die Gestaltung der Liturgie nachzudenken und den passenden Musikstil auszuwählen. An dieser Stelle passieren interessante Dinge. Wenn erst einmal konkrete Menschen in eine Gemeinde eintreten, dann bringen sie neben ihrem eigenen Musikgeschmack auch musikalische Talente mit. Diese Talente gilt es zu finden und für den Aufbau der Kirchenmusik zu nutzen. Am Ende klingt die Kirche womöglich nach zeitgenössischer Popmusik – das gilt es dann auszuhalten.

Schlimmer als vieles, was immer noch unter dem irreführenden Etikett des Neuen Geistlichen Liedes gehandelt wird, kann es kaum werden. Dieses Liedgut ist ja längst mit der Generation seiner Schöpfer gealtert und trägt heute zuverlässig dazu bei, jeden zu vergraulen, der jünger als 40 ist. Hier ist dringend Abhilfe geboten.

Rick Warren kommt übrigens für sein vierstufiges Initiationsmodell mit insgesamt 16 Stunden aus, verteilt auf vier halbe Tage. Regelmäßige Besucher werden durch einen Halbtagskurs und die Taufe – wir haben es mit Baptisten zu tun, die taufen im Zweifel lieber einmal mehr – zu Mitgliedern. Mitglieder lernen an einem halben Sonnabend, wie sie in Christus wachsen und den Weg der Nachfolge gehen können. Das Gleiche gilt für die weiteren Stufen.

Allerdings – und da wird es in deutschen Durchschnittsgemeinden heftigen Widerstand geben – kommuniziert Rick Warren jeder Gruppe sehr klar und deutlich, was er von ihnen erwartet. Im Grunde sind diese Kurse nur Anleitung zur Christwerdung und ein alles andere als anspruchsloses Programm. Beispielsweise erwartet Saddleback von seinen Mitgliedern nicht nur regelmäßige Teilnahme an den sonntäglichen Gottesdiensten, sondern auch eine tägliche Stille Zeit mit Bibellektüre und Gebet.

Wer in Deutschland nur an die Kirchengebote erinnert, bekommt schnell Ärger. Das muss aber klar sein: Von nichts kommt nichts. Eine Gemeinde, die nicht gesund ist, die kein Profil hat und von ihren Mitgliedern nichts erwartet, inzwischen ja nicht einmal mehr die Zahlung der Kirchensteuer, die kann auch nicht wachsen. Die besteht bestenfalls aus eifrigen Konsumenten des kirchlichen Angebotes, aber nicht aus reifen Christen, die ihren Nächsten dienen und das Evangelium verkünden.

Hier ist also, wie immer in Glaubensdingen, eine Entscheidung gefragt. Ich bin sicher, dass die Modelle von Rick Warren, Michael White und Tom Corcoran, entsprechend angepasst, auch in Deutschland funktionieren. Versuch macht klug. Dieser Weg beginnt, so jedenfalls rät Rick Warren, mit gründlichem Studium der Bibel. Er empfiehlt eine lange Liste von neutestamentlichen Bibelstellen, die sich mit dem Kirchen- und Gemeindebild befassen.

Dafür braucht es Zeit, so Rick Warren. Er warnt ausdrücklich vor Eile. Erst müsse ein ordentliches Fundament gegossen werden, indem Ziele und Aufgaben (purpose) klar definiert würden. Auf dieser Basis könnten und müssten dann alle Aktivitäten diesen Zielen untergeordnet werden. Was nicht den Zielen dient, soll weggelassen werden. Auch hier sind heftige Konflikte mit Besitzstandswahrern abzusehen.

Doch für den Aufbau des Reiches Gottes sind Konflikte notwendig und nicht zu vermeiden.