Wer als an katholische Kirchen gewöhnter Mensch die Hildesheimer Seminarkirche betritt, der wähnt sich zunächst in einer evangelischen Kirche. Denn auf den ersten Blick fehlen der Tabernakel und das ewige Licht. Und am Seiteneingang, durch den ich die Kirche zuerst betrat, gibt es auch kein Weihwasserbecken.
Der Raum ist schlicht, die Wände weiß, der Boden schwarz, die Möblierung minimalistisch und größtenteils beweglich. Der Altarquader wirkt zunächst wie ein massiver Steinblock, stellt sich aber bei näherer Betrachtung als aus mehreren Elementen montiertes Werkstück heraus.
Wer die Seminarkirche von außen betrachtet, sieht eine barocke Fassade und vermutet dahinter eine ebensolche Innenausstattung. Doch eine Bombe zerstörte im Zweiten Weltkrieg den Innenraum vollständig, von der Ausstattung blieben nur wenige Schnitzfiguren erhalten.
Dazu gehört eine kleine Pieta, die nun in einer Nische hinten rechts einen merkwürdigen Kontrast zum ansonsten schmucklosen Raum bietet. Eine weitere erhaltene Figurengruppe ist heute auf dem Gang des Priesterseminars an einer Wand zu sehen.
Der Wiederaufbau nach dem Krieg hatte zu keiner wirklich überzeugenden Raumgestaltung geführt. Wer die Kirche vor ihrer jüngsten Renovierung kannte, wird den Nachkriegszustand kaum vermissen. Ich habe den Raum als etwas düster und wenig erhebend in Erinnerung.
Durch den barocken Grundriss hat das Gotteshaus eine klare Achse. Auf dieser Mittelachse sind, ausgehend vom Haupteingang, zunächst das Weihwasserbecken, sodann der Priestersitz und das Ambo angeordnet. In der Mitte des Raumes steht die Osterkerze auf einem Leuchter, und der Altar befindet sich am Ostende des Raumes.
Vor der Ostwand, die rechts und links mit zwei weißen Glastüren ausgestattet ist, steht ein schlichtes Metallkreuz, das indes mobil ist wie der größte Teil des Mobiliars. Die schlichten schwarzen Holzstühle stehen für gewöhnlich rechts und links des Priestersitzes bis hin zum Ambo, können aber auch anderswo positioniert werden.
Die Seminarkirche wird heute vor allem von Gruppen aus dem dortigen Tagungshaus und von Schulklassen genutzt. Im Grunde kann (und muss) die Möblierung an die jeweilige Gruppe angepasst werden. Fest installiert ist kein Möbel außer dem Altar und der Orgel.
Das kleine Instrument aus der Nachkriegszeit steht neben dem Haupteingang auf der linken Seite. Damit ist die Ausstattung vollständig beschrieben, von den vier Kerzenleuchtern neben Ambo und Altar einmal abgesehen. Die einzigen Farbtupfer im ansonsten streng monochromen Raum bilden die bunten, abstrakt gehaltenen Fenster und die rote Sitzfläche des Priestersitzes.
Durch die beiden Milchglastüren am Ostende gelangt der Besucher in die Sakramentskapelle. Dort ist der Tabernakel an der Rückseite der Ostwand über einem schwarzen Marmoraltar im Stil der 50er Jahre eingelassen, auf dem das ewige Licht brennt. Darüber an der Wand ist ein großes Kruzifix angebracht.
Der große Kirchenraum wirkt beim Betreten wie tot. Das dürfte am fehlenden ewigen Licht liegen, das sonst die Gegenwart des Herrn anzeigt. Dieses Manko soll demnächst behoben werden, ein zweites ewiges Licht für die Ostwand der Kirche ist bereits in Auftrag gegeben.
Des Weiteren fehlen Apostelleuchter. Dafür sind die zwölf schlichten schwarzen Apostelkreuze auf der weißen Wand zu sehen. Unter diesen Kreuzen sollen bei entsprechendem liturgischen Bedarf Kerzen aufgestellt werden.
Der Besucher vermisst zudem einen Kreuzweg. Der sei in dieser Kirche seit mindestens 30 Jahren nicht mehr gebetet worden und daher verzichtbar, lautete die Auskunft. Dies stimmt bedenklich, handelt es sich doch um die Kirche des Bischöflichen Priesterseminars. Die Seminaristen indes studieren meistenteils in St. Georgen und halten sich nur selten im Haus auf.
Die Kirche ist in der Summe praktisch schmucklos, sie wirkt streng, kalt, kahl und etwas trostlos. Die grauen Steine, die am Rande des schwarzen Fußbodens den Übergang zu den weißen Wänden bilden, passen in dieses Bild. An den Seitenwänden gibt es neben der einen Nische, in der die Pieta aufgestellt ist, weitere leere Nischen. Es könne sein, dass sich diese Nischen in Zukunft noch füllen werden, heißt es.
Der bischöfliche Auftrag für die Neugestaltung sei gewesen, einen Raum zu gestalten, der dem entspricht, wie wir heute Liturgie feiern. Daher rühren die Positionen von Ambo und Altar als “Tisch des Wortes” und “Tisch des Brotes” in den beiden Brennpunkten des Raumes, daher fehlen Bänke und Kniebänke.
Und deshalb ist das Sanctuarium ein rechteckiges Feld in der Raummitte, das vom Priestersitz bis hinter den Altar reicht und sich nur in einer farblichen Nuance und anderen Oberflächenstruktur vom übrigen Boden abhebt, der nicht mehr als eine Umrandung bildet. Hier gibt es außer der Sakramentskapelle keinen heiligen Raum, der vom übrigen Kirchenraum abgesondert wäre.
Das Konzept dieses Kirchenbaus kann ich intellektuell durchaus verstehen, bei allen Schwächen und fehlenden Ausstattungsgegenständen. Die lassen sich schließlich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nach und nach ergänzen. Doch ob sich damit das grundlegende Manko beheben lässt?
Die Seminarkirche ist einfach, aber nicht schön. Es fehlt der göttliche Glanz, die Schlichtheit ist einfach nur schlicht, nicht mehr. Es gibt Beispiele schlichter Kirchen, die in sich durchaus überzeugen und nicht so trostlos erscheinen wie die Seminarkirche.
Zudem setzt die Bestuhlung, wie auch immer sie angeordnet wird, den Besucher auf den Präsentierteller. Für das Zwiegespräch mit dem Herrn, das persönliche Gebet bleibt da wenig Raum.
Obwohl die Kirche eine klare Ostung hat, der Altar und die Sakramentskapelle im Osten liegen, erlebt der gläubige Gottesdienstbesucher sie hauptsächlich in Nord-Süd-Richtung. Dominant ist so immer der Kreis der Versammlung selbst, der sich nicht zum Herrn hin öffnet.
Dieses Problem teilen allerdings viele Kirchenneu- und Umbauten seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist kein Spezifikum der Seminarkirche, sondern ein grundlegendes Problem, das im Verlust der liturgischen Orientierung besteht.
Foto: Bistum Hildesheim