Die EU, die Briten, die Demokratie und das liebe Geld

Als Katholik glaube ich ja nicht an die Demokratie. Deshalb kann ich mir auch andere Regierungsformen vorstellen. Als Politikwissenschaftler staune ich allerdings über die Stabilität der Nachkriegsdemokratie in Deutschland. Die bisherigen großen Verwerfungen (1968/77 und 1989/90) hat sie gut verarbeitet, und auch für die Verarbeitung der Verwerfung von 2015ff. stehen die Chancen gut.

Die Briten jedoch bewundere ich für die Stabilität ihres politischen Systems, das schon so einiges weggesteckt hat. Ich denke, dass diese Stabilität auch mit der Monarchie zu tun hat. Die Queen symbolisiert quasi die Einheit des Königreiches in Raum und Zeit. So ein EU-Referendum ist angesichts der britischen Geschichte nicht viel mehr als eine Fußnote.

Den britischen Wählern, jedenfalls einem signifikanten Teil jener 52 Prozent, die sich für den Brexit ausgesprochen haben, wird nun vorgeworfen, in Unkenntnis wichtiger, entscheidungsrelevanter Fakten entschieden zu haben. Was sind denn das, einmal abgesehen von den hinlänglich bekannten und diskutierten Zahlungen an die EU, für Fakten, deren Kenntnis die britischen Wähler vermissen ließen, die aber unbedingt hätten bekannt sein müssen?

Geht es um mehr oder weniger detaillierte Kenntnisse des politischen Systems der EU? An diesem System lässt sich völlig zu Recht bemängeln, dass es an einer wirklichen Gewaltenteilung fehlt. Europäische Legislative und Judikative sind unterentwickelt, die Exekutive wird von den Regierungen der Mitgliedsstaaten dominiert. Das lässt nach wie vor viel zu wünschen übrig. Demokratiedefizit lautet seit Jahrzehnten das Stichwort.

Die europäische Währung ist in der Summe kein Erfolgsprojekt, und Großbritannien ist daran ebenso wenig beteiligt wie an Schengen. Die beiden wirklichen Erfolgsprojekte, Schengen und der Binnenmarkt, sind beide nicht an eine EU-Mitgliedschaft gebunden. Großbritannien wird auch nach dem Austritt Teil des Europäischen Wirtschaftsraumes bleiben.

Ich komme immer wieder auf die Nettozahlereigenschaft Großbritanniens zurück. Die Leave-Kampagne hat hier offensichtlich einen Nerv getroffen, das zeigen die zahlreichen bellenden Hunde. Übrigens ist das auch ein echtes Problem für die EU, denn wer soll eigentlich die nach einem Brexit fehlenden Mittel aufbringen? Oder muss etwa der EU-Haushalt massiv gekürzt werden?

Die EU müsste mal erklären, wozu sie eigentlich gut ist. Dies scheint vielen EU-Bürgern nicht mehr so recht einleuchten zu wollen. Bei Lichte besehen ist es eher erstaunlich, dass immerhin 48 Prozent der britischen Wähler in der EU bleiben wollten.

Der Brexit und die Demokratie

Politische Entscheidungen sind keine Sachentscheidungen, sondern Wertentscheidungen. Es gibt dafür keine fachlich richtigen Lösungen, sondern politische Fragen müssen politisch entschieden werden.

Eine Mehrheitsentscheidung ist dafür ein mögliches Verfahren, sei es in der direkten oder in der parlamentarischen Variante. Alternativen sind Monarchie oder Diktatur. Eine Technokratie, also eine Form der Expertenherrschaft, liegt näher an der Diktatur als an der Demokratie.

Die Entscheidung über den Verbleib in der EU ist eine klassische Wertentscheidung, die sich durch zwei klare Varianten auch gut für einen Volksentscheid eignet. Es ist die Frage nach dem höheren Wert: Ist es die EU und damit der Verbleib in derselben oder die relative Unabhängigkeit, wie sie zum Beispiel auch die Schweizer oder die Norweger gewählt haben? Die Folgen dieser Entscheidung sind dann letztlich zweitrangig und außerdem selbst wieder politisch zu gestalten.

In einer funktionierenden westlichen Demokratie sind Sachentscheidungen vorrangig Sache der Verwaltung. Die stellt fest, ob bestimmte Sachverhalte gegeben sind, und setzt entsprechendes Handeln in Gang. Die Regeln dafür bestimmt die Legislative, und die Judikative überprüft, ob alles mit rechten Dingen zugeht.

Politische Entscheidungen sind demgegenüber im Kern gerade keine Sachentscheidungen, sondern quasi Meta-Entscheidungen: über Grundsätze, über Regeln, über Werte, die gelten sollen. Deshalb ist die Legislative der eigentliche Ort des Politischen. Die Exekutive hat das Ergebnis demokratischer Willensbildung auszuführen.

Im konkreten Fall des Brexit war an jener umstrittenen Zahl der Netto-Überweisung letztlich nicht entscheidend, wie hoch sie nun genau ist. Sondern entscheidend ist, dass Großbritannien zu den Nettozahlern der EU gehört. Und es ist eine absolut legitime Frage, ob dieses Geld des britischen Steuerzahlers eigentlich gut investiert ist oder besser, zum Beispiel, ins einheimische Gesundheitswesen fließen sollte.

Das ist letztlich keine Sachentscheidung, sondern eine politische Entscheidung und wurde auch als solche verstanden. Ich bin wirklich überrascht über die zahlreichen Versuche, der Wählermehrheit mangelnde Kenntnis zu unterstellen. Ich finde es auch ziemlich arrogant, nun so zu tun, als habe es nur einer besseren Kenntnis allerlei vermeintlicher oder tatsächlicher Fakten bedurft, um zu einer anderen Entscheidung zu kommen.

Die Mehrheit der Briten hat entschieden, dass sie der EU in ihrer heutigen Form nicht länger angehören wollen und stattdessen einen Verhandlungsprozess mit ungewissem Ausgang, aber sicherem Ende der EU-Mitgliedschaft beginnen wollen. Da Großbritannien Nettozahler ist, wird in jedem Fall kein Geld mehr nach Brüssel fließen. Das ist durchaus eine legitime politische Entscheidung, ob man sie nun gutheißt oder nicht.

Irgendwie ist Demokratie zwar ganz nett, aber nur, solange die Ergebnisse stimmen? Da wäre mal eine Entscheidung angebracht, ob nun die Bürger selbst über ihre ureigenen Belange entscheiden sollen oder ob das nur Menschen dürfen, die sich hinreichend mit wirklichen oder vermeintlichen Fakten vertraut gemacht haben.

Über Subjekt und Adressat lokaler Kirchenentwicklung

Wenn Subjekt und Adressat lokaler Kirchenentwicklung unklar sind, dann liegt die Frage nach dem Soll nahe. Und die Frage, wer eigentlich diese Vorgabe zu machen hat.

Die Antwort ist in die gesamte Existenz der Kirche eingeschrieben. Sie steht in Mt 28, 19-20: 

„Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“

Es handelt sich um den Auftrag des Auferstandenen, wie die Einheitsübersetzung diesen Abschnitt überschreibt, oder auch, etwas altertümlich formuliert, den Missionsbefehl Jesu. Nun ist diese Antwort offenbar nicht so offensichtlich, wie man sie womöglich gern hätte. Sonst würden sich diese Fragen ja gar nicht erst stellen. Halten wir also zwei Punkte fest:

  1. In den Konzepten lokaler Kirchenentwicklung ist die Frage nach Subjekt und Adressat nicht so klar beantwortet, dass die Antwort offensichtlich wäre.
  2. Der Auftrag, zu allen Völkern zu gehen und alle Menschen zu Jüngern Jesu zu machen, muss konkretisiert werden, um konkret zu werden.

Der erste Punkt liegt jenseits der Sphäre meines persönlichen Einflusses. Ich habe mir die Konzepte lokaler Kirchenentwicklung nicht ausgedacht, aber ich erlebe sie in der Praxis und stelle insbesondere die Defizite fest, die sich dabei zeigen. Was die Ursachen dieser Defizite sind, ist gar nicht so einfach festzustellen.

Der zweite Punkt hingegen hat mich dazu veranlasst, in unserer Gemeinde eine Bibelwerkstatt zu initiieren, um zu einer Verständigung über das Fundament zu kommen. Dies kann nicht einfach vorgegeben, sondern muss (wieder-)entdeckt werden, und zwar von der Gemeinde selbst. Diese Anregung verdanke ich dem amerikanischen Pastor Rick Warren.

Zu diesem Fundament gehört auch noch mehr, insbesondere Mt 22, 37-40:

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.“

Die Antwort heißt also: Die Kirche kann gar nicht anders, als das Evangelium allen Völkern zu verkünden und alle Menschen zu Jüngern Jesu zu machen. Lokale Kirchenentwicklung kann daher nichts anderes heißen, als diesen Auftrag zu konkretisieren und auf die lokale Situation anzuwenden.

Die Gemeinde muss sich darüber verständigen, wer das Subjekt lokaler Kirchenentwicklung ist – die fünfprozentige Kerngemeinde oder die sehr viel größere Papiergemeinde? Oder gar ein Drittes? Und sie muss entscheiden, an wen konkret sie sich wenden will – an die nominalen Katholiken und Kirchensteuerzahler? Oder an das lokale Umfeld der Gemeinde? Und an wen dort konkret?

Darauf kann es keine pauschalen Antworten geben, sondern dies ist die Aufgabe jeder Gemeinde. Was allerdings nicht geht, ist Selbstgenügsamkeit. Lokale Kirchenentwicklung kann nicht heißen, dass eine fünfprozentige Kerngemeinde sich selbst genügt und keinerlei missionarischen Impuls entwickelt. Dann hätte sie ihren Auftrag verfehlt.

Lokale Kirchenentwicklung und der Spagat zwischen Kern- und Papiergemeinde

Die Kirchensteuer schafft eine heikle Situation, da sie letztlich, ob formal oder nicht, Ansprüche auf kirchliche Dienstleistungen entstehen lässt. Wer zahlt, der hat Anspruch auf die Taufe seiner Kinder, auf eine schöne Erstkommunion, Firmung und Trauung sowie schließlich auch eine kirchliche Beerdigung. Eine regelmäßige Teilnahme am Gemeindeleben ist dafür hingegen keine Voraussetzung.

In der Pfarrei, der ich angehöre, besuchen an einem durchschnittlichen Zählsonntag etwa fünf Prozent der Gemeindemitglieder eine Heilige Messe. 95 Prozent nehmen also dieses seelsorgliche Angebot nicht wahr, obwohl sie – soweit dazu verpflichtet – Kirchensteuer zahlen und damit letztlich den Apparat finanzieren, der diese und andere Angebote erbringt.

Dies zwingt das kirchliche Personal zu einem Spagat zwischen schrumpfender Kerngemeinde und – relativ oder in unserem Fall sogar absolut – wachsender Papiergemeinde. Nur wenige tragen das Gemeindeleben, aber viele erheben Anspruch auf kirchliche Dienstleistungen.

Die schrumpfende Kerngemeinde, tendenziell überaltert, zahlt kaum noch Kirchensteuer, während die kirchensteuerzahlenden Familien nur noch punktuell am Gemeindeleben teilnehmen. Es soll sogar schon Familien geben, deren Steuerzahler aus der Kirche ausgetreten sind, um Steuern zu sparen, während der Rest formal weiterhin zur Gemeinde zählt und kirchliche Dienstleistungen in Anspruch nimmt.

Lokale Kirchenentwicklung steht hier vor der dringenden Frage, wer eigentlich ihr Subjekt ist. Ist es die schrumpfende Kerngemeinde – und damit eine kleine Minderheit innerhalb der Papiergemeinde? Oder ist es die Gesamtheit der Gemeinde, unabhängig von ihrer Präsenz im Gemeindeleben?

Und ist sich, unabhängig von der Antwort auf diese Fragen, dieses Subjekt lokaler Kirchenentwicklung eigentlich selbst genug oder richtet sich ein missionarischer Impuls nach außen, ist Wachstum das Ziel? Je nachdem, wie die Antworten auf diese Fragen ausfallen, entsteht ein völlig anderes Bild.

Eine Fünf-Prozent-Kerngemeinde hätte zunächst einmal die anderen 95 Prozent als mögliche Adressaten. Hier wäre die Frage, was die eigentlich vermissen oder was sie davon abhält, häufiger als nur gelegentlich am Gemeindeleben teilzunehmen. Müsste sich womöglich die Kerngemeinde selbst ändern oder ist sie im Recht, und alle anderen im Unrecht?

In einer Diasporasituation, wie wir sie hier im Norden vorfinden, ist aber auch die Gesamtheit der Gemeinde wiederum eine kleine Minderheit in einer ansonsten protestantisch, muslimisch oder neuheidnisch-atheistisch geprägten Umwelt. Ein missionarischer Impuls, der sich in dieses Umfeld richten würde, träfe noch einmal auf völlig andere Voraussetzungen.

Lokale Kirchenentwicklung steht also auch vor der dringenden Frage, wer eigentlich ihr Adressat ist. Wer seine Zielgruppe nicht beschreiben kann, der spricht letztlich niemanden an. Da sind alle Mühen vergebens.

Auf der Suche nach den Linksliberalen

Gibt es eigentlich eine linksliberale Partei in Deutschland? Der Politische Kompass mit seinen vier Feldern legt die Vermutung nahe, dass sich im linksliberalen Feld etwa ein Viertel aller Wähler aufhalten. Aber welche Partei ist dort klar positioniert?

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Die FDP ist nicht im Bundestag vertreten. Die SPD ist zwar nicht so autoritär wie die Linke, aber nicht gerade liberal. Die Grünen oszillieren je nach Thema und Parteiflügel zwischen autoritär und liberal, zum Teil sogar rechts (sic!), da konservativ.

Es bleibt die CDU, die zwar von den Wählern als links der Mitte wahrgenommen wird — aber wird sie auch als liberal betrachtet? Zum Teil vielleicht, aber sicher nicht durchgängig. Und für die CSU gilt dies in etwa ebenso.

In der Konsequenz sind also drei von vier Feldern des Politischen Kompasses derzeit quasi unbesetzt oder Spielfeld von FDP und AfD, während sich alle etablierten Parteien im links-autoritären Feld oder eben in der Mitte bewegen, also weder ausgeprägt autoritär noch besonders liberal erscheinen. So gesehen liegt das Wählerpotential für AfD, FDP und eventuelle andere, mehr oder weniger neue Parteien bei bis zu 75 Prozent. Das passt auch zu einer Umfrage, derzufolge fast drei Viertel der Befragten die etablierten Parteien für realitätsfremd halten.

Von diesen drei Vierteln, die den theoretischen Höchstwert bilden, sind die Wähler der Mitte abzuziehen, die von CDU/CSU, SPD und Grünen gebunden werden können. Das dürften schon noch einige Wähler sein. Allerdings war die Wahl des österreichischen Bundespräsidenten in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich. Es bedurfte einer ungeheuren Kraftanstrengung praktisch aller Parteien gegen eine, nur um einen hauchdünnen Vorsprung zu gewinnen.

Der grüne Kandidat war quasi das letzte Aufgebot gegen die FPÖ, die aus den unbesetzten Feldern rechts-autoritär, rechts-liberal und wahrscheinlich sogar links-liberal fast eine Mehrheit gewinnen konnte, während die Allianz des links-autoritären Politikfeldes inklusive der Reste jener einst dominanten Mitte dies nur mit Ach und Krach zu verhindern wusste.

Mit anderen Worten: Wenn praktisch das gesamte Parteienspektrum im links-autoritären Feld zusammenschnurrt und die anderen drei Felder mehr oder weniger freigibt, dann ist — zumal in einem Land mit quasi struktureller bürgerlicher Mehrheit — der Weg frei für neue Mehrheiten jenseits aller etablierten Parteien. Dass es einer einzelnen Partei wie der AfD oder der FPÖ gelingen wird, eine absolute Parlamentsmehrheit zu gewinnen, ist zwar unwahrscheinlich, aber eben auch nicht unmöglich.

Grafik: Church of emacs (Lizenz)

Einfach leben

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Einfach leben. Genießen,
was du hast.
Zufrieden sein mit dem,
wie es ist.
Stärken spüren.
Grenzen akzeptieren.
Herausforderungen annehmen.
Loslassen, was quält.
Annehmen, was hilft.
Weitergeben, was stärkt.
Einfach leben.
Da sein.
Du selbst sein.

Udo Hahn

Warum ich nicht an das bedingungslose Grundeinkommen glaube

Erstaunlich viele intelligente Menschen glauben an das bedingungslose Grundeinkommen. Mir will dies einfach nicht gelingen. Wahrscheinlich habe ich mich nicht genug darum bemüht.

Neuen Auftrieb, gerade in der digitalen Szene, bekommt das Thema derzeit durch die Erwartung oder Befürchtung, dass durch Automatisierung in den nächsten Jahren zahllose Jobs verloren gehen werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen soll dieser neuen Welle der Arbeitslosigkeit begegnen.

Nun ist es ja durchaus so, dass wir uns in den letzten 150 Jahren allmählich an einen expandierenden Sozialstaat gewöhnt haben, der immer größere Teile des Bruttoinlandsprodukts in Anspruch nimmt und innerhalb der Bevölkerung nach mehr oder weniger sinnvollen Kriterien umverteilt. Historisch entstand er als Antwort auf die soziale Frage, die sich mit der Massenarbeitslosigkeit der frühen Industrialisierung verband.

Massenarbeitslosigkeit ist in Deutschland heute kein Thema mehr. Wir sind heute nicht mehr überwiegend Landwirte oder Handwerker, und selbst Industriefacharbeiter arbeiten heute mehr am Schreibtisch als in der Produktion. Die Art der Beschäftigung hat sich verschoben, aber in der Summe jagt in Deutschland seit Jahren ein absoluter Beschäftigungsrekord den nächsten.

Ein Teil dieser Jobs liegt aus Gründen statistischer Logik im unteren Einkommensbereich, wo das Einkommen aus Erwerbsarbeit mit dem Einkommen aus staatlichen Transferleistungen konkurriert. Das ist ein Grundproblem des Sozialstaats und nur schwer zu lösen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird daran wenig ändern.

Es gibt jedoch einen starken Zusammenhang zwischen der Schaffung von Wohlstand und dem daraus erzielten Einkommen. Wer eine Leistung erbringt oder ein Produkt herstellt, für die andere zu zahlen bereit sind, der hat gute Chancen auf ein gutes Einkommen. Auch daran wird ein bedingungsloses Grundeinkommen wenig ändern.

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die nächste Automatisierungswelle diesen Zusammenhang aufheben wird. Dass bestimmte Produkte und Dienstleistungen durch die technische und wirtschaftliche Entwicklung entwertet werden, ist kein neues Phänomen.

Dass hingegen der menschliche Erfinder- und Unternehmergeist aufhören würden, neue Produkte und Dienstleistungen zu erfinden, die auf neuen, bis dahin ungekannten Möglichkeiten basieren, steht nicht zu erwarten. Menschen werden weiterhin Werte und Wohlstand schaffen und daraus Einkommen erzielen.

Es gibt allerdings einen Punkt, der an der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens plausibel erscheint: die mögliche Abschaffung großer Teile unserer Sozialsysteme. Ob das allerdings gewollt und bis in die letzte Konsequenz durchdacht ist? Ich weiß es nicht und bezweifle es.

Der Raum rechts der Mitte

Wer den aktuellen Zustand unseres Parteiensystems besser verstehen möchte, ist mit der folgenden Grafik gut bedient. Die Befragten haben sich selbst und die relevanten politischen Parteien auf einer Skala von 1 (links) bis 11 (rechts) eingeordnet. Ihre Selbsteinschätzung lag im Durchschnitt bei 6,64 und damit leicht rechts der Mitte, was sich mit der langjährigen Konstante einer bürgerlichen Mehrheit in Deutschland deckt.

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In dieser Grafik ist schlaglichtartig zu sehen, wie groß der politische Raum rechts der Mitte inzwischen geworden ist, jener konservative Sektor, der „zum politischen Brachland wurde, das die AfD wieder urbar macht“ (Berthold Kohler). Wenn selbst die CSU leicht links der Mitte und deutlich weiter links als der Durchschnitt der Wähler wahrgenommen wird, dann heißt das: Rechts ist Platz frei für mehr als eine Partei, egal ob neu oder nicht.

Nun lässt sich aus einem Durchschnittswert nicht ableiten, wie groß das dort brachliegende Wählerpotential ist oder wie es sich auf der Links-Rechts-Achse verteilt. Dazu wäre ein Blick in die Rohdaten erforderlich. Meine Annahme ist aber, dass die Verteilung sich etwa einer Gauss-Kurve nähert.

Es wäre nun hilfreich, diese Befragung um eine zweite Dimension zu erweitern, wie sie der Politische Kompass verwendet.

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Grafik: Church of emacs (Lizenz)

Aus Sicht der Wähler – und in einer Demokratie ist das letztlich die entscheidende Sicht – sind alle etablierten Parteien derzeit in den beiden Sektoren links der Mitte verortet, also links-autoritär wie die Linke sowie Teile der Grünen und der SPD oder links-liberal wie die FDP. Rechts findet sich ausschließlich die AfD sowie bestenfalls Teile der CSU, die ihren Schwerpunkt ansonsten ebenfalls leicht links der Mitte hat.

Rechts der Mitte wäre demnach Platz für mindestens zwei Parteien, eine rechts-liberale und eine rechts-autoritäre Partei. Die AfD wird seit ihrer Gründung, vergleichbar den jungen Grünen, durch heftige Kämpfe zwischen ihrem liberalen und ihrem autoritären Flügel geschüttelt. Dadurch bedient sie im Moment beide Segmente, was durchaus eine Erfolgsstrategie sein kann und durch die derzeitigen Wahlergebnisse und Umfragewerte gestützt wird.

Die Situation für die etablierten Parteien ist aber noch viel dramatischer. Bleiben wir bei der Annahme, dass die Verteilung der Wähler im politischen Spektrum von links nach rechts in etwa der einer Gauss-Kurve entspricht. In diesem Fall finden sich links und rechts der Mitte jeweils annähernd gleich viele Wähler. Wenn die Wähler nun alle etablierten Parteien links der Mitte verorten, dann liegt das Wählerpotential für Parteien rechts der Mitte in etwa bei 50 Prozent – wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann hat ihn die Bundespräsidentenwahl in Österreich erbracht.

Spannend ist nun die Frage, wie viel von diesem Potential CDU, CSU und FDP noch binden können, obwohl sie von den Wählern als Parteien des linken Spektrums eingeordnet werden. Das ist schwer abzuschätzen. Es handelt sich hier um die berühmte bürgerliche Mitte, in der hierzulande Wahlen gewonnen und verloren werden. Wenig hilfreich scheint mir eine bis dato dominante Kommunikationsstrategie zu sein, die in der NZZ wie folgt beschrieben wird:

Anstatt zwischen konservativ, rechts, rechtspopulistisch und rechtsextrem zu unterscheiden, wird der gesamte Kommunikationsraum, der sich in Opposition zum linksliberal-grünen Justemilieu zu etablieren beginnt, zu einer Zone des Bösen erklärt, die unter Quarantäne zu stellen ist.

Angesichts der oben beschriebenen Situation muss eine solche Strategie praktisch zwangsläufig scheitern, weil sie dazu geeignet ist, eine an sich durch die bürgerliche Mitte geprägte Gesellschaft zu polarisieren und zu spalten. Das rechte Lager, das ja angeblich bekämpft werden soll, wächst dadurch erst recht und schöpft sein Potential mehr und mehr aus.

Auf Basis der oben beschriebenen Wählerwahrnehmung bietet sich für zwei der etablierten Parteien die Chance, das derzeit von der AfD beackerte Brachland im konservativen Sektor zu besetzen: die CSU und die FDP. Eine rechts-liberale FDP und eine rechts-autoritäre CSU könnten so die AfD in die Zange nehmen.

Dabei läge es nahe, jeweils eine komplementäre Strategie zu wählen: Während die FDP den liberalen Aspekt stärken würde, um die Linksliberalen nicht abzuschrecken, könnte die CSU sich als rechtskonservative Partei profilieren, ohne sich zu stark auf eines der beiden Felder (autoritär/liberal) festzulegen.

Der Preis dafür könnte jedoch sein, die AfD in die rechts-autoritäre Ecke zu drängen, weil nur dort genügend Platz bliebe. Ob das wünschenswert ist, steht auf einem anderen Blatt. Außerdem kann die CSU als Regionalpartei nicht bundesweit Wähler binden. Sie kann allenfalls als Korrektiv der CDU wirken und Wählern einen Grund geben, die CDU zu wählen.

Jedenfalls drängt das politische Vakuum rechts der Mitte früher oder später zum Ausgleich. Dort werden entweder Parteien wie die AfD heranwachsen oder sich erneut die früher dort positionierten Parteien ansiedeln. Das ist nur eine Frage der Zeit. Der kommende Bundestagswahlkampf wird spannend.

Verlust der Vision

Es hat für jede Organisation fatale Konsequenzen, wenn ihre Vision – und damit auch ihre Mission – verloren geht. Denn die Vision ist quasi der Leitstern am Himmel, sie gibt das Ziel allen Tuns an und informiert somit auch über mögliche Wege zu diesem Ziel. Ohne Vision wird das Tun ziellos, und jede Entscheidung über den Weg wird beliebig. Ohne Vision irren wir im Dunkel umher.

Ein Licht erstrahlt den Gerechten / und Freude den Menschen mit redlichem Herzen. (Ps 97,11)

Der Verlust der Vision wirkt zerstörerisch auf jede Organisation. Ihr Zweck wird unklar, es entsteht eine Leere, die mit allerlei Sekundärem aufgefüllt werden muss. An die Stelle der langfristigen Vision treten kurz- und mittelfristige Ziele und Meilensteine und eine Tendenz zum Selbstzweck. Ohne Vision hat jede Einzelentscheidung das Potential, eine Grundsatzdiskussion loszutreten.

Ausgesprochene oder unausgesprochene Differenzen kommen ans Licht. Entscheidungen werden entweder beliebig und willkürlich oder zu Machtfragen, weil nun jeder Einzelne für sich eine andere Vision entwickelt und danach strebt, diese durchzusetzen. Dieser Prozess ist unendlich mühsam und frisst Unmengen von Energie, was zum Ausbrennen Einzelner oder gar ganzer Teams und Organisationen führen muss.

Entscheidungsprozesse verlängern und verkomplizieren sich, Vertrauen erodiert, Unsicherheit und Angst entstehen, Führungsstrukturen werden intransparent. Führung braucht ein Ziel, sonst wird sie ziellos. Führung ist ein geistlicher Prozess, zu dem wesentlich das aufmerksame Hören, der intensive Austausch und die echte Antwort gehören. Führung ist ein Dienst und sollte als solcher verstanden werden, nicht als Machtausübung.

Die Mission ist nichts anderes als die Wege zum Ziel. Die Wege sind plural, denn so gut wie nie gibt es nur einen Weg zum Ziel. Verschiedene Wege sind legitim und häufig auch notwendig, um das Ziel zu erreichen, dass die Vision angibt. „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,19) impliziert geradezu eine unendliche Vielzahl von Wegen. Doch ohne Vision wird diese Mission nicht gelingen.

Warum sollen wir überhaupt zu allen Völkern gehen und alle Menschen zu Jüngern machen? Diese Antwort kann nur die Vision geben, und ohne Vision gibt es gar keinen Grund zur Mission. Die Vision ist das Reich Gottes, dessen Grundlage das Doppelgebot der Liebe formuliert: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken.“ Und: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt 22,37.39)

Aus diesen beiden Geboten lässt sich die gesamte Vision vom Reich Gottes entfalten. „An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.“ (Mt 22,40) Die Liebe zu Gott, die durch nichts eingeschränkt wird, die Liebe zum Nächsten und die Liebe zu sich selbst führen zum Reich Gottes, und diese Nachricht zu allen Völkern zu bringen ist unsere Mission.

Doch ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus, ihre Kunde bis zu den Enden der Erde. (Ps 19,5)

Gemeindeleitung: Team oder Gremium?

Im allgemeinen Sprachgebrauch gilt ein Team als eine Gruppe von Menschen, die einem gemeinsamen Ziel folgt und sich auf bestimmte Regeln der Zusammenarbeit geeinigt hat. Dabei ist es das gemeinsame Ziel, das ein Team von einem Gremium unterscheidet. Denn auch ein Gremium muss sich auf bestimmte Regeln der Zusammenarbeit einigen. Aber nicht jedes Gremium ist auch ein Team.

Der klassische Pfarrgemeinderat ist in jedem Fall ein Gremium, aber nicht unbedingt ein Team. Als Gremium bündelt er verschiedene, zum Teil auch widerstreitende Interessen und sorgt für deren Ausgleich. Er hat gewisse Entscheidungskompetenzen und ist ansonsten eine beratende Instanz für den Pfarrer und die pastoralen Mitarbeiter.

Wenn das lokale Gemeindeleitungsteam nicht mehr als ein Gremium ist, dann ersetzt es bestenfalls den Pfarrgemeinderat – es hat aber dann kein gemeinsames Ziel. Erst „eine Vision und ein Leitbild für die lokale Gemeinde“ (Martin Wirth) machen aus einem bloßen Gremium ein Gemeindeleitungsteam. Und wo Vision und Leitbild aus dem Fokus geraten, da hört ein Gemeindeleitungsteam auf, Team zu sein.

Die Folgen sind desaströs. Unklare Ziele und Anforderungen gehören zu den häufigsten Ursachen für das Scheitern von Projekten. Dies ist unabhängig davon, um welche Art von Projekten und um welchen Bereich es sich handelt. Ein Team wird dann meistens in Aktionismus verfallen, um wenigstens vorzeigbare Ergebnisse seiner Arbeit zu produzieren und die eigene Existenzberechtigung nachzuweisen.

Ein beliebtes Beispiel aus dem Gemeindeleben ist das Gemeindefest, für das meistens lange im Voraus ein Termin festgelegt und Verantwortlichkeiten definiert sind. Danach passiert häufig lange Zeit nichts, bis der Termin näher heranrückt und damit Dringlichkeit und Zeitdruck entstehen. Zuvor war das Gemeindefest zwar wichtig, aber nicht dringend, weshalb es aus dem Fokus verschwand.

Unter Druck entsteht schließlich ein Ergebnis, das Fest findet statt und kann durchaus als Erfolg betrachtet werden – allerdings ist dann die Frage, was eigentlich die Erfolgskriterien sind. Was waren noch gleich die Ziele und Anforderungen? Die fehlende Verständigung darüber direkt zu Projektbeginn führt dazu, dass Grundsatzfragen immer wieder im Projektverlauf anhand einzelner Details zu diskutieren sind.

Eine dieser Grundsatzfragen ist die Festlegung der Zielgruppe: Wen soll ein Gemeindefest eigentlich ansprechen? Aus dem berechtigten Anliegen heraus, niemanden ausschließen zu wollen, folgt gern ein diffuses „Alle“, das konsequent angewandt eigentlich „Niemand“ bedeuten würde. Da aber ein Fest, das niemanden anspricht, am Ende gar nicht stattfinden würde, werden in aller Regel, ausgesprochen oder nicht, eine mehr oder weniger diffuse Kerngemeinde und einige ihrer Gruppen angesprochen.

Beispiele: Sollen die Bewohner des angrenzenden Altenheims zum Kaffee eingeladen werden? Die Logistik erlaubt das nicht, zudem sind die wenigsten Besucher katholisch oder haben wenigstens Kontakt zur Gemeinde. Die Firmbewerber sind mehr oder weniger zwangsverpflichtet und kümmern sich um die Vorbereitungen sowie den Service. Die polnische Gemeinde wird einen Altar für die kleine Fronleichnamsprozession gestalten und auf diese Weise eingebunden.

Manches war bereits in der Vergangenheit so und wird nach Möglichkeit wiederholt („So wie beim letzten Mal“), anderes ergibt sich mehr oder weniger zufällig. Das Ergebnis gleicht eher einem Patchwork, und das muss gar nicht einmal schlecht sein. Es werden Begegnungen stattfinden, Menschen werden sich kennenlernen, und es wird so etwas wie Feststimmung aufkommen.

Doch wird das Potential hier wirklich genutzt? Wären ein paar mehr Gedanken über die Zielgruppe und – darauf aufbauend – das Konzept nicht von größerem Nutzen gewesen? Wenn das Gemeindefest wirklich so wichtig ist, warum nicht einmal grundsätzlich darüber nachdenken? Ist das Ziel mit dem Wort „Gemeindefest“ allein schon hinreichend beschrieben? Wohl kaum.

Ebenso wenig reichen Begriffe wie „lebendige Gemeinde“ oder gar „offene Gemeinde“ aus, um das Ziel – die Vision und das Leitbild – eines Gemeindeleitungsteams zu beschreiben. Solche Leerformeln geben keine hinreichenden Entscheidungskriterien an die Hand, um daran die eigene Arbeit auszurichten. Darunter lässt sich alles und nichts fassen. Das Resultat ist Beliebigkeit. Ein Profil sieht anders aus.