Wort-Gottes-Feier

Gestern versehentlich in eine Wort-Gottes-Feier geraten. Über die selbstverfassten Texte zum Bußakt möchte ich gar nichts sagen. Statt des Tagesgebets gab es ebenfalls Selbstgestricktes. Nur eine Lesung (Paulus), obwohl nun wirklich nicht zu wenig Zeit war. Die Ansprache nicht allzu geistvoll, voller Selbstanklage bis an die Grenze zur Häresie und in jenem die ganze Feier durchziehenden, moralisierenden Ton – was schließlich in der Aufforderung gipfelte, doch zur Kollekte am Missionssonntag mal etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Am Ende, entgegen der expliziten Anordnung des Bischofs, eine Kommunionfeier.

Ärgerlich.

Nachtrag: Ich vergaß, das Glaubensbekenntnis „aus Mexiko“ zu erwähnen, das an die Stelle des Credo trat – und in dem natürlich keine Rede von Gottes Sohn war, der Mensch geworden, gestorben und auferstanden ist…

Zweiter Nachtrag: Bernd Schnitter predigt (?) am kommenden Sonntag Passendes:

Priesterlose Gemeinden, deren Vorbeter auf geradezu ketzerische Weise ihre Wort-Gottes-Feiern gestalteten, mit selbst erfundenen Elementen, die dafür vorgesehenen liturgischen Abläufe völlig missachtend, die vom Bischof verbotenen Kommunionfeiern zelebrierend – und vieles andere mehr.

Demontage

Georg Paul Hefty nimmt im Leitartikel der Wochenend-FAZ den Hamburger Justizsenator und dessen Vorstoß in Sachen Tötung auf Verlangen (vulgo aktive Sterbehilfe) gegen Art. 1 GG nach allen Regeln der Kunst auseinander.

Im Unterschied zu den Bürgern, die laut einer Blitzumfrage, bei der nicht nur die Fragen, sondern auch die Antworten schnell vonstatten gehen, zu 74 Prozent die aktive Sterbehilfe einfach bejahen, weiß der Justizpolitiker, daß es mit der Nachsicht des Staates für „Tötungen auf Verlangen“ nicht getan ist.

Der Rechtsstaat könnte einen von ihm legalisierten Anspruch auf aktive Sterbehilfe nicht mit dem Hinweis abschließen, das übrige regele der Markt. Sollen nicht die ganze Moral des Staates verlottern und damit Verfassung samt Strafrecht abgewertet werden, dann dürfte er die Patienten mit ihren Todeswünschen nicht einzelnen ambulanten „Erlösern“ oder kommerzialisierten Spezialkliniken überlassen.

Der gesellschaftliche Prozeß, der vor drei Jahrzehnten mit den Anzeigen „Mein Bauch gehört mir“ angefangen und von den verschiedensten Gruppen aus Gründen der politischen Beliebtheit oder auch des finanziellen Gewinns vorangetrieben und dann zwar gesetzgeberisch kanalisiert wurde, aber das Rechtsempfinden unwiederbringlich verändert hat, darf sich nicht zu Lasten einer neuen Art von vermeintlich lebensunwertem Leben wiederholen.

Die damalige Rechtsverunklarung („rechtswidrig, aber straffrei“) droht sich jetzt fortzusetzen – oder zu rächen, wenn man so will. Kusch sagt: „Bei der Abtreibung wird das Rechtsgut Leben des Kindes unter bestimmten Bedingungen dem Rechtsgut der Autonomie der Schwangeren untergeordnet. Nichts anderes möchte ich bei der Änderung der Tötung auf Verlangen auch einführen.“ Im Fall der Abtreibung ist der Sieger der Rechtsgüterabwägung jedoch der Überlebende – bei der aktiven Sterbehilfe wäre es bei vordergründiger Betrachtung hingegen der Tote. Auch gibt es bei der Sterbehilfe eigentlich keine „Mutter“ – oder doch?

Es ist zumindest kein allzu großer Gedankensprung, in dieser Rechtsposition die bis an die Unerträglichkeit belasteten Verwandten und – wenn sich das Generationenverhältnis endgültig verkehrt haben sollte – die ganze Gesellschaft einschließlich der Kranken- und Pflegekassen zu sehen. Die Tötung von Nichtsterbewilligen in den Niederlanden durch Kommissionsbeschluß ist an der Wirklichkeit der beratenen Fristenregelung näher dran, als es der ganzen deutschen Gesellschaft lieb ist.

Kusch irrt auch dort, wo er die einfache Veränderung des Paragraphen 216 anstrebt. Ein geordnetes Verfahren der aktiven Sterbehilfe durch den Arzt – und die ist es doch, welche einzelne Patienten sich vermutlich vorstellen – bedürfte mindestens so vieler strafrechtlicher Einzelregelungen wie die Paragraphen 218 a, b, c sowie 219 und 219 a zusammen. Was unter dem Stichwort „Selbstbestimmung des Patienten“ verkündet wird, ist nämlich nichts anderes, als die Inpflichtnahme des ärztlichen Berufsstandes – aus der Sicht der meisten Angehörigen dieses Berufes sogar eine Pervertierung ihrer Profession.

Hinzufügen ließe sich Kuschs Perversion der christlichen Nächstenliebe, die er rotzfrech für seinen Vorschlag in Anspruch nimmt, im Gegensatz auch zu den Lehren der kirchlichen Gemeinschaft, an die er seine Kirchensteuer entrichtet.

Dankbar muss man ihm nur dafür sein, dass er die Debatte in den Kontext mit den Abtreibungsparagraphen gerückt hat. Genau dorthin gehört sie. Es ist Zeit für eine neue Debatte. Der Moment, in dem eine parlamentarische Mehrheit, die „aus eigener Kraft sogar die Verfassung ändern kann“ (Hefty), sich zur Regierungsbildung anschickt, ist dafür genau der richtige.

Johannes Friedrich

Zuletzt war er durch rätselhafte Worte zum Ausstieg der EKD aus der Einheitsübersetzung aufgefallen. Jetzt ist der bisherige Catholica-Beauftragte der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche (VELKD) zum neuen Leitenden Bischof aufgestiegen. Heike Schmoll, selbst ausgebildete Theologin, portraitiert Johannes Friedrich in der FAZ vom Wochenende. Mit ein paar durchaus bissigen Bemerkungen wie dieser:

Er will dafür sorgen, daß die lutherischen Kirchen die Themen der Rechtfertigungs- und Zwei-Regimenten-Lehre ins Bewußtsein bringen. Wie er dann die Gemeinsame Erklärung als Errungenschaft, die wegen ihres „differenzierten Konsenses“ und der darin praktizierten ökumenischen Methode als „gar nicht hoch genug zu schätzen sei“, sehen kann, bleibt zu klären. Lutherischer Tradition widerspricht es, daß er in aktuellen bioethischen Konflikten mit Naturrechtsargumenten aufwartet.

Es ist durchaus typisch für den Zustand des protestantischen Leitungspersonals, dass Theologen ihm erklären müssen, was ökumenisch geht, ohne an die lutherische Substanz zu gehen. Schmoll kann im Wirken Friedrichs keine gerade Linie erkennen.

Unmißverständlich geäußert hat er sich beim Streit um die Einheitsübersetzung, und unter Anspielung auf das kirchliche Lehramt hat er darauf hingewiesen, daß Protestanten nicht dulden könnten, daß sich nicht die Kirche nach der Bibel, sondern die Bibel nach der Kirche richte. Trotz aller Kritik scheut sich Friedrich nicht, sich einer katholischen Segenspraxis anzuschließen, gegen die Luther protestiert hätte. Vor vier Jahren schlug er vor, den Papst unter bestimmten Voraussetzungen als Sprecher der gesamten Christenheit zu akzeptieren. Friedrich äußert sich gern zu gesellschaftlichen Themen, auch wenn dabei lutherische Identität nicht sichtbar wird.

Den Papst als Sprecher der gesamten Christenheit mit Ausnahme von Matthias…

Bethlehem

Bethlehem tut sich schwer: Die Stadt ist pleite. Touristen bleiben weg. Ich meine, was dort einfach nach 2000 Jahren fehlt, ist mal wieder ’ne richtig geile Promi-Geburt.
Harald Schmidt, 20. Oktober 2005

Aber du, Betlehem-Efrata, / so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, / der über Israel herrschen soll. Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit, / in längst vergangenen Tagen.
Micha 5,1

Leitkultur

Weil Bernd in den Kommentaren darauf hinweist (ich dachte zuerst, er meinte Thierse) und ich das Thema ohnehin noch aufgreifen wollte: Norbert Lammert, Katholik und neuer zweiter Mann im Staate, im Interview mit der Zeit:

ZEIT: Wo sollen neue kollektive Orientierungen herkommen? Die Gesellschaft ist zwar in den letzten Jahren konservativer geworden, aber der Union fällt es schwer, einen überzeugenden Konservatismus zu artikulieren. Die Diskussion um die »Leitkultur« hat das gezeigt.

Lammert: Ich halte die damalige sehr kurze und voreilig abgebrochene Debatte zum Thema Leitkultur für eine der spannendsten Phasen unter dem Gesichtspunkt einer Beleuchtung der geistigen Verfassung der Nation. Zu den Auffälligkeiten dieser Kurzdebatte gehörte, dass es eine breite, reflexartige Ablehnung des Begriffes gab, obwohl – oder weil – sich in der Debatte herausstellte, dass es eine ebenso breite Zustimmung für das gab, worum es in der Debatte ging. Dass es in jeder Gesellschaft Überzeugungen geben muss, die möglichst breit verankert sind, ist eine Binsenweisheit. Kein politisches System kann seine innere Legitimation ohne solche gemeinsam getragenen Überzeugungen aufrechterhalten – schon gar nicht in schwierigen Zeiten wie heute, in denen nicht Wohlstandszuwächse verteilt, sondern Ansprüche eingesammelt werden müssen. Ohne Leitkultur im Sinne solcher allgemein akzeptierten Orientierungen und Überzeugungen – Sie können meinetwegen auch von Großer Erzählung reden – lassen sich die Lösungen für unsere komplexen Probleme nicht konsensfähig machen. Wir müssen diese Debatte wieder aufgreifen und weiterführen.

Gut gebrüllt, Löwe. „Reflexartige Ablehnung“ – passt doch hervorragend…

Säkularisierung

Führt etwas vom ursprünglichen Thema ab, aber passt trotzdem ins Polemische Lexikon:

Säkularisierung, die: Setzt das Subjekt [das Individuum, den Menschen; vgl. Humanismus] an die Stelle Gottes.

Feierte seine größten Erfolge im 20. Jahrhundert (siehe Neuheidentum, Faschismus, Kommunismus).

Wird deshalb von einzelnen unbedeutenden Außenseitern vorsichtig kritisch bewertet.

Sünde und Semantik

Petra hat gerade die Kommentare zum jüngsten Strang der Debatte mit Geronimo geschlossen, als ich diesen Beitrag schrieb:

Was Du dabei allerdings unterschlägst, ist die kleine, aber nicht ganz unbedeutende Tatsache, dass die Kirche einen glasklaren Begriff von Sünde hat und ebenso klar bestimmte Handlungen als sündhaft lehrt. Daran kommen alle pastoralen Bemühungen und Verrenkungen nicht vorbei.

Für mich ist es nach wie vor ein produktiver wie schmerzlicher Prozess, mich mit dieser Lehre auseinanderzusetzen. Ich kann nur sagen, dass hier Klarheit und Wahrheit wohltun.

Wenn es eine objektive (=vor den Augen Gottes bestehende) Gegebenheit namens Sünde gibt, dann kann die Kirche ihre Lehre über diese Gegebenheit so lange modifizieren, wie sie will – an der Gegebenheit selbst ändert sich daran gerade gar nichts. An der Brauchbarkeit der Lehre hingegen sehr viel, denn sie taugt nur so viel, wie sie mit Gottes Wirklichkeit übereinstimmt. Das eine ist die Semantik, das andere die Realität.

Dein Argument besagt im Grunde, dass die Lehre der Kirche in bestimmten Punkten falsch ist. Oder dass sie zwar richtig ist, aber besser nicht so deutlich ausgesprochen werden sollte. Dieser Meinung kann man sicher sein, aber die Konsequenzen dieser Meinung wollen gründlich bedacht sein.

Nachtrag: Und das sagt Ralf zum Thema.

Nicht auf Provokation aus

DIE WELT: Sie wurden über Nacht bekannt durch den Skandal, den Ihr Bild eines in Flüssigkeit getauchten Kruzifixes auslöste. Sie nannten es „Piss Christ“. Sie behaupten, die Reaktionen hätten Sie überrascht. Wie naiv sind Sie?

Serrano: Wirklich, das war keineswegs abzusehen. Ich habe das Bild 1987 gemacht, ein Jahr später wurde es mehrere Monate in Brüssel gezeigt – und nichts passierte. Erst ein weiteres Jahr später in den USA fand eine dieser ultrareligiösen Organisationen zufällig heraus, daß die dortige Schau indirekt mit amerikanischen Bundesgeldern gefördert wurde. Sie haben eine riesige Kampagne gegen die Ausstellung gestartet mit 180 000 Briefen. Nur dadurch wurde „Piss Christ“ ein Skandal.

DIE WELT: Die beste Werbung für Sie, der damalige Preis von 2000 Dollar stieg auf inzwischen 250 000 Dollar.

Serrano: Sicher – auch wenn das nicht deren Absicht war. Ich bin nicht per se auf Provokation aus. Obwohl ich kein praktizierender Christ bin, fühle ich mich von der katholischen Ästhetik sehr angezogen. Ich sammle Möbel und Bilder aus alten Kirchen, vor allem aus der Zeit vor 1700. [Die Welt via Perlentaucher]