Georg Paul Hefty nimmt im Leitartikel der Wochenend-FAZ den Hamburger Justizsenator und dessen Vorstoß in Sachen Tötung auf Verlangen (vulgo aktive Sterbehilfe) gegen Art. 1 GG nach allen Regeln der Kunst auseinander.
Im Unterschied zu den Bürgern, die laut einer Blitzumfrage, bei der nicht nur die Fragen, sondern auch die Antworten schnell vonstatten gehen, zu 74 Prozent die aktive Sterbehilfe einfach bejahen, weiß der Justizpolitiker, daß es mit der Nachsicht des Staates für „Tötungen auf Verlangen“ nicht getan ist.
Der Rechtsstaat könnte einen von ihm legalisierten Anspruch auf aktive Sterbehilfe nicht mit dem Hinweis abschließen, das übrige regele der Markt. Sollen nicht die ganze Moral des Staates verlottern und damit Verfassung samt Strafrecht abgewertet werden, dann dürfte er die Patienten mit ihren Todeswünschen nicht einzelnen ambulanten „Erlösern“ oder kommerzialisierten Spezialkliniken überlassen.
Der gesellschaftliche Prozeß, der vor drei Jahrzehnten mit den Anzeigen „Mein Bauch gehört mir“ angefangen und von den verschiedensten Gruppen aus Gründen der politischen Beliebtheit oder auch des finanziellen Gewinns vorangetrieben und dann zwar gesetzgeberisch kanalisiert wurde, aber das Rechtsempfinden unwiederbringlich verändert hat, darf sich nicht zu Lasten einer neuen Art von vermeintlich lebensunwertem Leben wiederholen.
Die damalige Rechtsverunklarung („rechtswidrig, aber straffrei“) droht sich jetzt fortzusetzen – oder zu rächen, wenn man so will. Kusch sagt: „Bei der Abtreibung wird das Rechtsgut Leben des Kindes unter bestimmten Bedingungen dem Rechtsgut der Autonomie der Schwangeren untergeordnet. Nichts anderes möchte ich bei der Änderung der Tötung auf Verlangen auch einführen.“ Im Fall der Abtreibung ist der Sieger der Rechtsgüterabwägung jedoch der Überlebende – bei der aktiven Sterbehilfe wäre es bei vordergründiger Betrachtung hingegen der Tote. Auch gibt es bei der Sterbehilfe eigentlich keine „Mutter“ – oder doch?
Es ist zumindest kein allzu großer Gedankensprung, in dieser Rechtsposition die bis an die Unerträglichkeit belasteten Verwandten und – wenn sich das Generationenverhältnis endgültig verkehrt haben sollte – die ganze Gesellschaft einschließlich der Kranken- und Pflegekassen zu sehen. Die Tötung von Nichtsterbewilligen in den Niederlanden durch Kommissionsbeschluß ist an der Wirklichkeit der beratenen Fristenregelung näher dran, als es der ganzen deutschen Gesellschaft lieb ist.
Kusch irrt auch dort, wo er die einfache Veränderung des Paragraphen 216 anstrebt. Ein geordnetes Verfahren der aktiven Sterbehilfe durch den Arzt – und die ist es doch, welche einzelne Patienten sich vermutlich vorstellen – bedürfte mindestens so vieler strafrechtlicher Einzelregelungen wie die Paragraphen 218 a, b, c sowie 219 und 219 a zusammen. Was unter dem Stichwort „Selbstbestimmung des Patienten“ verkündet wird, ist nämlich nichts anderes, als die Inpflichtnahme des ärztlichen Berufsstandes – aus der Sicht der meisten Angehörigen dieses Berufes sogar eine Pervertierung ihrer Profession.
Hinzufügen ließe sich Kuschs Perversion der christlichen Nächstenliebe, die er rotzfrech für seinen Vorschlag in Anspruch nimmt, im Gegensatz auch zu den Lehren der kirchlichen Gemeinschaft, an die er seine Kirchensteuer entrichtet.
Dankbar muss man ihm nur dafür sein, dass er die Debatte in den Kontext mit den Abtreibungsparagraphen gerückt hat. Genau dorthin gehört sie. Es ist Zeit für eine neue Debatte. Der Moment, in dem eine parlamentarische Mehrheit, die „aus eigener Kraft sogar die Verfassung ändern kann“ (Hefty), sich zur Regierungsbildung anschickt, ist dafür genau der richtige.