Vesper am Mittwoch der 7. Osterwoche

Wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.
Denn uns hat es Gott enthüllt durch den Geist. Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes.
1 Kor 2,9-10

Ade Spätmoderne

Ursula März schaut in den Spiegel, und was sie sieht, erfreut sie nicht:

„Natürlich erschrickt die Gesellschaft regelmäßig beim Blick in den Spiegel. Aber sie erschrickt nicht über die tiefgreifende anthropologische Wesensveränderung, die sich in ihrer Erscheinung abzeichnet. Sondern über ihre pragmatische Zukunft. Sie rechnet sich aus, dass es irgendwann nur noch alte Leute geben wird oder gar irgendwann keine Deutschen mehr. Aber dieser Schrecken hat keine Rückwirkung auf die gegenwärtige Mentalität. Wie sollte er auch. Eine anthropologische Entwicklung lässt sich nicht zurückdrehen. Und exakt um eine solche handelt es sich.

Wenn ein Viertel aller jungen Männer im Jahr 2005 keinen Fortpflanzungsimpuls, keine Fortpflanzungsnotwendigkeit verspürt, ist die panikartige Einrichtung von Ganztagsschulen, die Erhöhung von Kindergeld und was sonst noch denkbar wäre an politischen Strategien, zwar schön und gut und ehrenwert. Aber es sind Maßnahmen zur Behebung des Symptoms, die dessen Ursache nicht berühren.

Diese indes ist alles andere als geheimnisvoll. Es ist eigentlich ganz einfach zu sagen: Die westliche Kultur der Spätmoderne privilegiert Normen und Wünsche, den Wunsch nach Bewegungsfreiheit, nach Erlebnisfreiheit, nach Ungebundenheit, nach privater Unstrukturiertheit, die den Wunsch nach Kindern automatisch zurückdrängen. Machen wir uns nichts vor: Als Zukunftsphänomen finden wir die Kinderlosigkeit etwas erschreckend, aber in der Gegenwart ein Leben ohne Kinder irgendwie längst völlig normal.“ [via Perlentaucher]

Fehlt nur noch die Schlussfolgerung, vor der die Autorin mit Rücksicht auf das Blatt, in dem sie schreibt, zurückschrecken muss: Die westliche Kultur der Spätmoderne wird nicht überleben. Ganz einfach. Spannend ist nur die Frage: What’s next?

Zur Erkenntnis emporgehoben

Si quis dixerit, hominem ad cognitionem et perfectionem, quae naturalem superet, divinitus evehi non posse, sed ex se ipso ad omnis tandem veri et boni possessionem iugi profectu pertingere posse et debere: anathema sit. [DH 3028]

Der Religionssoziologe

Wolfgang Huber, der telegene EKD-Ratsvorsitzende, ist wie stets verbindlich im Ton und klar in der Analyse. Man könnte meinen, hier spräche ein Ulrich Beck mit Spezialgebiet Religionssoziologie. Zieht man die Passagen mit pflichtgemäßer Katholizismuskritik vom Interview mit Spiegel Online ab, dann könnte er sich mit Papst Benedikt in vielen Punkten einig wissen:

Menschen zwischen 20 und 39 geraten in einen Lebensstau, wie der Bildungsforscher Paul Baltes das genannt hat. Sie müssen vieles gleichzeitig verwirklichen: Ausbildung, Beruf, Karriere, Partnerschaft. Dies hat bei ihnen Vorrang. Familie wird von vielen Jugendlichen zwar sehr positiv bewertet, doch im härter werdenden Konkurrenzkampf um einen Platz in der Gesellschaft tritt die Frage nach Kindern in den Hintergrund. Ich halte das für ein großes Unglück.

SPIEGEL ONLINE: Kinderlosigkeit – ein Zeichen allgemeiner Überforderung?

Huber: Überforderung ist das eine, Zukunftsunsicherheit das andere. Quer durch die Generationen schwindet die Zukunftsgewissheit.

SPIEGEL ONLINE: Woran liegt’s?

Huber: Wir sind eine Gesellschaft, die sich daran gewöhnt hat, diese Zukunftsgewissheit aus materiellem Wohlstand und dessen Steigerung abzuleiten. Stillstand gilt bei uns schon als Katastrophe. […] Den Menschen wurde eingeredet, ihre Freiheit verwirklichten sie dann am besten, wenn sie nur für sich selber sorgen und möglichst viel vom Leben haben. Jetzt merken sie, dass Freiheit und Verantwortung zusammengehören, weil keiner für sich allein lebt. Gleichzeitig dachte man, dass diese Gesellschaft immer säkularer wird, immer weniger auf Glaubensvoraussetzungen angewiesen ist, immer weniger eine Hoffnung braucht, die über die Verbesserung materieller Bedingungen hinausreicht. Das war ein Irrtum …

SPIEGEL ONLINE: … gegen den sich viele Menschen nach dem Tod Johannes Pauls II. gewandt haben?

Huber: In der Anteilnahme am Tod Johannes Pauls II. und an der Wahl Benedikts XVI. drückt sich die Einsicht aus, dass wir fürs Leben mehr brauchen als eigenes Tätigsein und dessen Erfolg. Eine innere Beteiligung und öffentliche Aufmerksamkeit in diesem Ausmaß hat es noch nie gegeben. Ich deute das als ein Signal dafür, dass sich in der persönlichen Haltung zu Fragen von Religion und Glaube auch im öffentlichen Bewusstsein etwas verändert.