Es gibt einen linksautoritären Habitus, der sich seiner selbst nicht bewusst ist. Um ihn zu verstehen, ist noch einmal ein Blick auf den Politischen Kompass nötig. Diskurspolitisch verbinden sich im linksautoritären Habitus die Ausgrenzung des rechten und des liberalen Sektors gleichermaßen. Damit bleibt der linksautoritäre Sektor als einzig legitimes Politikfeld übrig.
Der rechte Sektor wird durch eine Gleichsetzung ausgegrenzt, die nicht mehr zwischen konservativ, rechts, rechtspopulistisch, rechtsradikal oder rechtsextrem unterscheidet. Alles rechts der Mitte gilt pauschal als „rechts“, und rechts heißt mindestens rechtspopulistisch, eher aber rechtsradikal und rechtsextrem. Die alte Unterscheidung gilt nicht mehr, nach der es die latente oder offene Gewaltbereitschaft war, die zum Ausschluss aus dem legitimen politischen Spektrum führte.
Ähnliches gilt für den liberalen Sektor. Hier fungiert der Neoliberalismus als Vehikel, um liberale Ideen per se zu verdammen. Angesichts einiger Auswüchse des Neoliberalismus ist die Kritik daran zwar verständlich und legitim. Allerdings überzieht der Diskursausschluss, indem er zum Beispiel geflissentlich übersieht, dass auch der Neoliberalismus nur eine Gegenbewegung zum starken Ausbau des staatlichen Sektors war. Dieser Ausbau geschah in den 70er Jahren als Antwort auf die Wirtschaftskrise.
Diese Pauschalisierung und Polarisierung hat sehr viel Raum für neue politische Parteien geschaffen. Das Spektrum der etablierten Parteien ist praktisch im linksautoritären Sektor plus der Mitte zusammengeschnurrt. In der liberalen Hälfte des politischen Feldes irrlichtert einsam die parlamentarisch nur schwach vertretene FDP umher, in der rechten Hälfte irrlichtert ebenso und ebenso einsam die AfD herum, die ursprünglich als rechtsliberales Projekt gestartet war und zwischenzeitlich ihren rechtsautoritären Flügel gestärkt hat.
Zur besonderen Ironie der Lage gehört, dass sich der linksautoritäre Habitus seines autoritären Gestus gar nicht bewusst ist, sondern „autoritär“ einseitig mit dem rechtsautoritären Sektor zu verbinden sucht. Dies macht blind dafür, dass die Einengung des akzeptablen politischen Raumes auf den linksautoritären Sektor selbst eine autoritäre Figur des Denkens und Handelns ist. Sie kann sich sogar antiautoritär geben, obwohl sie dies gerade nicht ist. Denn antiautoritär wäre ja liberal.
Diese Analyse fußt auf der Akzeptanz des Politischen Kompasses und damit der These, dass die Achse links-rechts orthogonal zur Achse liberal-autoritär steht. Wer hingegen links pauschal mit liberal gleichsetzt und rechts mit autoritär, wird meinem Argument nicht folgen können. Er hat dann allerdings das Problem, wie er die Ablehnung des Neoliberalismus erklären kann.
Dies kann dann wohl nur mit einer Argumentationsfigur der Uneigentlichkeit geschehen, der zufolge der Neoliberalismus kein wirklicher Liberalismus wäre, sondern eine Perversion des Liberalismus. Eine solche Argumentation scheint mir allerdings wenig haltbar zu sein. Ich würde den Neoliberalismus eher im rechtsliberalen Politikfeld ansiedeln.
Rechts- wie linksautoritäre Politik eint ihr Ruf nach einem starken Staat. Sie unterscheidet nur, was als vorrangige Staatsaufgabe angesehen wird. Während rechtsautoritäre Politik eher auf Recht und Ordnung besteht, verlangt linksautoritäre Politik nach mehr Sozialstaat und Umverteilung des Wohlstands.
Rechts- und linksliberale Politik eint hingegen ihr Misstrauen gegenüber einem übermächtigen Staatswesen. Während rechtsliberale Politik eher auf die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung setzt, fordert linksliberale Politik eher eine freie Gesellschaft, die weder durch den Staat noch durch die Wirtschaft dominiert werden soll.
In einer lebendigen Demokratie sind alle vier Felder parlamentarisch vertreten und ringen gemeinsam um Wählerstimmen sowie um politische Lösungen. So gesehen ist die Entstehung der AfD eher eine gesunde Reaktion auf die Räumung des rechten Sektors durch die CDU/CSU. Eine Neubesetzung des liberalen Sektors hingegen, den die FDP zuletzt praktisch verwaisen ließ, steht einstweilen noch aus.
Grafik: Church of emacs (Lizenz)