In den letzten Monaten habe ich mich recht intensiv mit dem Politischen Kompass und seiner Anwendung auf die aktuelle politische Situation in Deutschland befasst. Dabei habe ich den vier Feldern jeweils einige Aufmerksamkeit gewidmet. Bis jetzt zu kurz gekommen ist allerdings die Mitte.
Dies verwundert, da dort bekanntlich Wahlen gewonnen werden. Angela Merkel hat die CDU erfolgreich in die Mitte gerückt und damit der SPD die Luft zum Atmen genommen. Die SPD muss im links-autoritären Politikfeld mit der Linken und großen Teilen der Grünen konkurrieren, während die Grünen selbst wiederum in die von Merkel besetzte Mitte drängen.
Was ist also diese ominöse Mitte? Die Mitte ist zunächst einmal definiert als Schnittpunkt der beiden Achsen links-rechts und liberal-autoritär. Wer sich politisch in der Mitte positioniert, versteht sich also weder als links noch als rechts und weder liberal noch autoritär. Aber was dann, so möchte man fragen.
Für Deutschland trifft wohl am ehesten der Begriff Soziale Marktwirtschaft auf diese Mitte zu. Sie vereint das eher links-autoritäre sozialstaatliche Umverteilungsmoment mit der eher rechts-liberalen freien Marktwirtschaft, die aber einer rechts-autoritär gedachten staatlichen Regulierung bedarf, ohne jedoch die links-liberal verstandene freie Gesellschaft unnötig einzuengen.
Das klingt wie das katholische „et-et“ (sowohl – als auch), eines der Grundprinzipien katholischen Denkens. So gesehen hat im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft jedes der vier Felder seine eigene Berechtigung, ohne die jeweils anderen ausschließen zu wollen. Die Mitte ist, dialektisch gedacht, quasi die zweidimensionale Synthese der beiden politischen Grundwidersprüche.
Für den Regulierungsgedanken gibt es den selbst wieder schillernden Begriff des Ordoliberalismus, der sich nicht leicht auf ein einzelnes Politikfeld festlegen lässt. Kerngedanke der sozialen Marktwirtschaft ist jedenfalls, dass der Staat sowohl den Ordnungsrahmen für die Wirtschaft setzen als auch für einen gewissen sozialen Ausgleich sorgen muss, ohne die freie wirtschaftliche Betätigung der Bürger unnötig einzuschränken.
Die so verstandene Mitte ist zahlreichen Gefährdungen ausgesetzt. Die autoritäre Gefahr ist eine mögliche Übermacht des Staates, der Gesellschaft und Wirtschaft stranguliert. Die liberale Gefahr ist eine Schwächung des Staates, die seine Aufgaben beeinträchtigt. Die linke Gefahr ist eine überbordende Umverteilung, die zulasten der wirtschaftlichen Entwicklung geht. Und die rechte Gefahr ist eine Überbetonung der Wirtschaft, die zulasten der wirtschaftlich Schwachen geht.
Die Mitte ist der Ort zahlloser Kompromisse, die widerstreitende Interessen ausbalancieren. Sie ist kein Ort für Links- oder Rechtsradikale, für autoritäre oder liberale Extremisten. Wenn sich die Verteilung der Wähler entlang der beiden Achsen jeweils in Form einer Gaußkurve bewegt, dann ist in relativer Nähe zur Mitte die große Mehrheit aller Wähler zu finden.
Volksparteien müssen sich daher in der Mitte aufhalten. Je mittiger die größte Partei positioniert ist, umso schwieriger wird es für andere Volksparteien. Um sich zu unterscheiden, müssen sie von der Mitte wegrücken. Dadurch verlieren sie allerdings Wähler. Sich ebenfalls mittig zu positionieren, führt zum Verlust des eigenen Profils.
Was diese Zwickmühle bedeutet, ist derzeit gut am Beispiel der SPD zu besichtigen. Auch die Grünen laufen mit einem Kurs Richtung Mitte Gefahr, ihr Profil zu verlieren. Doch für die Grünen wären 20 Prozent der Wählerstimmen ein großer Erfolg, während der gleiche Wert für die SPD nahezu einer Katastrophe gleichkommt.
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Grafik: Church of emacs (Lizenz)