Binäres Denken

Der linksautoritäre Habitus, der zahllose Diskursverbote zu verhängen trachtet, hat uns ein binäres Denken beschert, früher auch als Schwarz-Weiß-Denken oder Lagerdenken bekannt.

Es gibt nur noch gut oder böse, Freund oder Feind, Gutmensch oder Nazi, richtig oder falsch, politisch korrekt oder Hetze. Für Grauzonen und Zwischentöne ist kein Platz mehr. Schlimmer aber: Es gibt nur noch eine vermeintlich legitime Art zu denken und zu diskutieren, alles andere ist Autobahn.

Political_chart_DEWie konnte es dazu kommen? Zunächst einmal hat die Ausgrenzung des rechten und des liberalen Sektors dazu geführt, dass tendenziell bis zu 75 Prozent aller Wähler sich plötzlich außerhalb des vermeintlich akzeptablen Bereiches wiederfinden.

Auf diese Weise bastelt man sich seinen Rechtsruck selbst. Man erklärt das linksautoritäre Politikfeld zum Dogma und alles andere zur „rechten“ Häresie, und schon befindet man sich im Kampf mit der Mehrheit der Gesellschaft, die erstaunlicherweise nun irgendwie alle zu Nazis geworden sind. So muss man sich in der linksautoritären Wagenburg einmauern wie die Gallier bei Asterix in ihrem Dorf.

Spätestens an dieser Stelle bricht der offene Diskurs ab. Von nun an dominiert Freund-Feind-Denken. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wer das linksautoritäre Dogma leugnet, ist Nazi. Diese Grenze verläuft inzwischen mitten durch die Gesellschaft und führt zu absurdesten Debatten. Vor allem führt sie aber zu einer grotesken Polarisierung.

Wo normalerweise die Mitte der Gesellschaft ist, verläuft nun eine Kampflinie, die dort nicht hingehört. Abgrenzungen sind an den Rändern der Gesellschaft nötig, und zwar zum Rechts- wie zum Linksfaschismus und zu latent oder offen gewaltbereiten Gruppen. Aber nicht in der Mitte.

Wer hingegen versucht, einen Keil mitten in die Gesellschaft zu treiben, der kann eigentlich nur verlieren. Jedenfalls in einer funktionierenden Demokratie wie der unsrigen. Denn in einer solchen lassen sich allenfalls Minderheiten ausgrenzen (und auch das halte ich für keine gute Idee), nicht aber die Mehrheit.

Binäres Denken muss aber auch deshalb scheitern, weil es die Unterscheidung zwischen Person und Argument aufgibt. Wer dem falschen Lager angehört, der kann sagen, was er will, es kann nur falsch sein. Umgekehrt muss alles richtig sein, was von den richtigen Leuten kommt. Es ist leicht zu erkennen, dass beides nicht stimmen kann.

Ähnlich verhält es sich mit der Zuordnung von Personen zu Lagern. Bestimmte Aussagen führen quasi automatisch zur Einordnung in ein bestimmtes politisches Lager. Damit verbunden ist die Unterstellung, auch andere diesem Lager zugeordnete Aussagen zu teilen. Für differenzierte Positionen bleibt da wenig Platz. Es fehlt an der Bereitschaft, Argumente ohne Ansehen der Person zu betrachten und offen, an der Sache und nicht an vermeintlichen Lagern orientiert zu argumentieren.

Es muss nicht eigens betont werden, wie schädlich dieses binäre Denken für eine freie, demokratische Gesellschaft ist. Es fließt sehr viel Energie in Abgrenzungen und Scheindebatten, in einen Kampf zwischen zwei Lagern, die eigentlich durchlässig wären. Wenn nicht eine lautstarke linksautoritäre Minderheit die Polarisierung vorantriebe.

Man muss nicht alles gut finden, was sich in den vier Sektoren des politischen Feldes bewegt. Keine Frage. Das meiste bewegt sich aber im Rahmen dessen, was in einer Demokratie gedacht und gesagt werden darf.

Und übrigens auch sollte, denn der Ausschluss relevanter Bevölkerungsgruppen und ihrer Themen schadet der Demokratie selbst. Mit außerparlamentarischer Opposition hat dieses Land noch niemals gute Erfahrungen gemacht. Wenn relevante Bevölkerungsgruppen ihre Interessen nicht mehr parlamentarisch vertreten sehen, erodiert die Demokratie.

Frühere Beiträge

Grafik: Church of emacs (Lizenz)

Die EU, die Briten, die Demokratie und das liebe Geld

Als Katholik glaube ich ja nicht an die Demokratie. Deshalb kann ich mir auch andere Regierungsformen vorstellen. Als Politikwissenschaftler staune ich allerdings über die Stabilität der Nachkriegsdemokratie in Deutschland. Die bisherigen großen Verwerfungen (1968/77 und 1989/90) hat sie gut verarbeitet, und auch für die Verarbeitung der Verwerfung von 2015ff. stehen die Chancen gut.

Die Briten jedoch bewundere ich für die Stabilität ihres politischen Systems, das schon so einiges weggesteckt hat. Ich denke, dass diese Stabilität auch mit der Monarchie zu tun hat. Die Queen symbolisiert quasi die Einheit des Königreiches in Raum und Zeit. So ein EU-Referendum ist angesichts der britischen Geschichte nicht viel mehr als eine Fußnote.

Den britischen Wählern, jedenfalls einem signifikanten Teil jener 52 Prozent, die sich für den Brexit ausgesprochen haben, wird nun vorgeworfen, in Unkenntnis wichtiger, entscheidungsrelevanter Fakten entschieden zu haben. Was sind denn das, einmal abgesehen von den hinlänglich bekannten und diskutierten Zahlungen an die EU, für Fakten, deren Kenntnis die britischen Wähler vermissen ließen, die aber unbedingt hätten bekannt sein müssen?

Geht es um mehr oder weniger detaillierte Kenntnisse des politischen Systems der EU? An diesem System lässt sich völlig zu Recht bemängeln, dass es an einer wirklichen Gewaltenteilung fehlt. Europäische Legislative und Judikative sind unterentwickelt, die Exekutive wird von den Regierungen der Mitgliedsstaaten dominiert. Das lässt nach wie vor viel zu wünschen übrig. Demokratiedefizit lautet seit Jahrzehnten das Stichwort.

Die europäische Währung ist in der Summe kein Erfolgsprojekt, und Großbritannien ist daran ebenso wenig beteiligt wie an Schengen. Die beiden wirklichen Erfolgsprojekte, Schengen und der Binnenmarkt, sind beide nicht an eine EU-Mitgliedschaft gebunden. Großbritannien wird auch nach dem Austritt Teil des Europäischen Wirtschaftsraumes bleiben.

Ich komme immer wieder auf die Nettozahlereigenschaft Großbritanniens zurück. Die Leave-Kampagne hat hier offensichtlich einen Nerv getroffen, das zeigen die zahlreichen bellenden Hunde. Übrigens ist das auch ein echtes Problem für die EU, denn wer soll eigentlich die nach einem Brexit fehlenden Mittel aufbringen? Oder muss etwa der EU-Haushalt massiv gekürzt werden?

Die EU müsste mal erklären, wozu sie eigentlich gut ist. Dies scheint vielen EU-Bürgern nicht mehr so recht einleuchten zu wollen. Bei Lichte besehen ist es eher erstaunlich, dass immerhin 48 Prozent der britischen Wähler in der EU bleiben wollten.

Der Brexit und die Demokratie

Politische Entscheidungen sind keine Sachentscheidungen, sondern Wertentscheidungen. Es gibt dafür keine fachlich richtigen Lösungen, sondern politische Fragen müssen politisch entschieden werden.

Eine Mehrheitsentscheidung ist dafür ein mögliches Verfahren, sei es in der direkten oder in der parlamentarischen Variante. Alternativen sind Monarchie oder Diktatur. Eine Technokratie, also eine Form der Expertenherrschaft, liegt näher an der Diktatur als an der Demokratie.

Die Entscheidung über den Verbleib in der EU ist eine klassische Wertentscheidung, die sich durch zwei klare Varianten auch gut für einen Volksentscheid eignet. Es ist die Frage nach dem höheren Wert: Ist es die EU und damit der Verbleib in derselben oder die relative Unabhängigkeit, wie sie zum Beispiel auch die Schweizer oder die Norweger gewählt haben? Die Folgen dieser Entscheidung sind dann letztlich zweitrangig und außerdem selbst wieder politisch zu gestalten.

In einer funktionierenden westlichen Demokratie sind Sachentscheidungen vorrangig Sache der Verwaltung. Die stellt fest, ob bestimmte Sachverhalte gegeben sind, und setzt entsprechendes Handeln in Gang. Die Regeln dafür bestimmt die Legislative, und die Judikative überprüft, ob alles mit rechten Dingen zugeht.

Politische Entscheidungen sind demgegenüber im Kern gerade keine Sachentscheidungen, sondern quasi Meta-Entscheidungen: über Grundsätze, über Regeln, über Werte, die gelten sollen. Deshalb ist die Legislative der eigentliche Ort des Politischen. Die Exekutive hat das Ergebnis demokratischer Willensbildung auszuführen.

Im konkreten Fall des Brexit war an jener umstrittenen Zahl der Netto-Überweisung letztlich nicht entscheidend, wie hoch sie nun genau ist. Sondern entscheidend ist, dass Großbritannien zu den Nettozahlern der EU gehört. Und es ist eine absolut legitime Frage, ob dieses Geld des britischen Steuerzahlers eigentlich gut investiert ist oder besser, zum Beispiel, ins einheimische Gesundheitswesen fließen sollte.

Das ist letztlich keine Sachentscheidung, sondern eine politische Entscheidung und wurde auch als solche verstanden. Ich bin wirklich überrascht über die zahlreichen Versuche, der Wählermehrheit mangelnde Kenntnis zu unterstellen. Ich finde es auch ziemlich arrogant, nun so zu tun, als habe es nur einer besseren Kenntnis allerlei vermeintlicher oder tatsächlicher Fakten bedurft, um zu einer anderen Entscheidung zu kommen.

Die Mehrheit der Briten hat entschieden, dass sie der EU in ihrer heutigen Form nicht länger angehören wollen und stattdessen einen Verhandlungsprozess mit ungewissem Ausgang, aber sicherem Ende der EU-Mitgliedschaft beginnen wollen. Da Großbritannien Nettozahler ist, wird in jedem Fall kein Geld mehr nach Brüssel fließen. Das ist durchaus eine legitime politische Entscheidung, ob man sie nun gutheißt oder nicht.

Irgendwie ist Demokratie zwar ganz nett, aber nur, solange die Ergebnisse stimmen? Da wäre mal eine Entscheidung angebracht, ob nun die Bürger selbst über ihre ureigenen Belange entscheiden sollen oder ob das nur Menschen dürfen, die sich hinreichend mit wirklichen oder vermeintlichen Fakten vertraut gemacht haben.