Romantisch

Wo wir gerade über die Moderne sprachen: Ian Buruma zieht heute im Zeit-Interview interessante Parallelen:

„Ursprünglich war die deutsche Kritik an der Moderne eine Reaktion auf die Französische Revolution; heute antwortet der muslimische Fundamentalismus auf die amerikanische Vorherrschaft. Damals glaubten die Franzosen, sie repräsentierten universalistische Werte; heute glauben das die Amerikaner. Und was den romantischen Traum von der nationalen Einheit angeht, so übte er am Ende des 19. Jahrhunderts eine große Anziehungskraft auf all jene Nationen aus, die sich durch die koloniale Macht des Westens gedemütigt fühlten. Nicht nur im Nahen Osten. Auch in China, in Japan und anderen Teilen der Welt.“ [pickings.de]

Ian Buruma, Avishai Margalit: Okzidentalismus. Der Westen in den Augen seiner Feinde. C. Hanser Verlag, 15,90 EUR.

Intelligentes Design?

Das FAZ-Feuilleton berichtet heute über den Schönborn-Kommentar in der New York Times. Der Perlentaucher fasst zusammen:

„Der Kommentar wurde an die New York Times von einer PR Agentur vermittelt, ‚die auch das in Seattle ansässige Discovery Institute, die Denkfabrik der ‚Intelligent Design‘-Bewegung vertritt. Der Vizepräsident dieses Instituts hat denn auch erklärt, er habe den Kardinal zum Verfassen des umstrittenen Kommentars aufgefordert.‘ Außerdem hat Schönborn inzwischen erklärt, den Kommentar ‚in allgemeiner Form‘ mit Kardinal Ratzinger kurz vor dessen Wahl zum Papst besprochen zu haben.“ [Perlentaucher]

Nachtrag: Eine Gegenpolemik zu Schönborn heute in der Zeit

Kafka

Vor fast zwanzig Jahren schon hat Ulrich Beck seine zentrale Denkfigur der Öffentlichkeit vorgetragen („Risikogesellschaft“). Und immer noch wird es spannend, wenn er darauf zurückgreift. So heute im Interview mit Ekkehard Fuhr in der Welt:

„Es gibt eine ziemliche Deckungsgleichheit zwischen der Theoriefigur der Zweiten Moderne und dem, was Kafka mit der ‚Verwandlung‘ auszudrücken versucht. Es handelt sich um eine Verwandlung und nicht um eine Krise. Es gibt also kein Zurück zum alten Zustand. Die Theorie der zweiten Moderne besagt, dass die Radikalisierung der Durchsetzung der Prinzipien der Moderne – Autonomie des Individuums, Markt, Rationalität der Wissenschaft etc. – den Institutionen der Moderne – also vor allem dem Nationalstaat – den Boden entzieht. Wie in der ‚Verwandlung‘ geschieht etwas mit uns, das wir nicht wollen und zunächst auch nicht wahrhaben wollen und verstehen können. Es entsteht eine immer größere Diskrepanz zwischen unserer Lage und unseren Begriffen von Wirklichkeit und Normalität. Das beschreibt Kafka mit unglaublicher Präzision. Er ist ein Klassiker der Soziologie.“ [Perlentaucher]

Ironie

„Wir Blogger bieten all unsere Ironie, unsere Kritik- und Unterscheidungsfähigkeit auf, um klar zu machen, wer heute all zu oft in der Kirche das Sagen hat, wiederholen uns über die Jahre hin, zweifeln an uns, geben schon fast auf – und dann schlägst du das Gemeindeblatt auf und liest, daß in der Nachbarpfarrei zum Familiengottesdienst am nächsten Sonntag die Gruppe ‚Zeitgeist‘ aufspielt.“ [Credo ut intelligam]

Te Deum

Joaquín Navarro-Valls im Interview mit L’espresso:

„‚Do you know what was the first prayer said by the persons in the room at the moment of his death?‘

Q: A Requiem?

A: ‚No, a Te Deum, which is a solemn hymn of thanksgiving. The religious sisters, the secretary, and the few others who were present spontaneously intoned it to thank God, not for his death of course, but for those 84 years that were so fruitful. I myself found it extraordinarily difficult in that moment to recite the usual prayers on behalf of the deceased.'“ [via fonolog]

Gegenseitige Unterwerfung

Der Perlentaucher meldet:

„Der Theologe Klaus Berger empfiehlt im Aufmacher als Ausweg aus den Problemen der Ökumene die gegenseitige Unterwerfung aller Interessenten unter Vorsitz des Papstes.“ [FAZ, 1,50 EUR]

Köstlich schon der Anfang:

Da Benedikt XVI. für Überraschungen gut ist, darf man ihm durchaus zutrauen, daß er allen Ökumenismus links überholt. Denn die Generation der dogmatisierenden Berufsökumeniker geht ihrem biologischen Ende entgegen […]

Da werde ich heute mal die Papier-FAZ kaufen. 1,50 Euro für einen einzigen Artikel ist für professionelle Archiv-Nutzung in Ordnung, aber nicht für mich armen Endverbraucher.

Goya

Bernhard Schulz im Tagesspiegel über die Goya-Ausstellung „Prophet der Moderne“ in der Alten Nationalgalerie Berlin:

„Goya ist nicht ‚modern‘ im Sinne einer Kunstentwicklung. Modern ist er im Verwerfen aller Glaubensgewissheiten, konservativ in der niederschmetternden Auffassung vom Menschen. Goya malt 1794 den ‚Hof der Irren‘ als Parabel unaufhebbarer menschlicher Blödigkeit, 1800 das erschütternd realistische Bild ‚Bandit ermordet eine Frau‘, 1808 gar ‚Kannibalen‘ als höchste Steigerung dessen, wozu Menschen fähig sind. Goya ist der Maler des Schreckens. Wenn das unaussprechlich Schreckliche das Signum der Neuzeit ist, dann ist Goya nicht der Prophet der Moderne, sondern der Künder des modernen Alptraums schlechthin.'“ [via Perlentaucher]

Atheismus

Für mich der zentrale Schwachpunkt des Atheismus: Er hat keine plausible Erklärung, warum es Religion gibt. Die Erwartungen der „Aufhebung“ (Feuerbach), des „Absterbens“ (Marx) oder der „Ablösung“ (Freud) sind allesamt nicht eingetroffen. Arne Trautmann, selbst Atheist, formuliert sein Erkenntnisproblem so:

Ist es – wie viele ja vermuten – „fest verdrahtet“ im menschlichen Hirn? Eine archaische Überlebensstrategie, ein Vorteil in den hunderttausenden Jahren von Jagen und Sammeln lang vergangener Zeiten? Eine Form von Sedativum, ein Rauschmittel, welches das Leben erträglicher macht und für das wir (wem?) dankbar sein sollten? Eine Agens zur Sicherung sozialer Strukturen der Herrschaft, Erhaltung der gesellschaftlichen Ordnung, also ein wirksames (und damit notwendiges) Mittel zur Strukturerhaltung? Und wenn es so „angelegt“, oder „vorgezeichnet“ ist, ein archaischen Programm, ein Instinkt, kann Glaube dann „richtig“ oder „wahr“ (in welchem Sinn auch immer eine Überzeugung oder Glaube „wahr“ sein soll)? Oder findet sich im Glauben doch eine Einsicht in eine tiefere „Wahrheit“ (was immer nun schon wieder Wahrheit sein soll), ist er „gegeben“?

Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es etwas ganz anderes. Etwas, das ich schlicht nicht verstehen kann. Aber dann frage ich mich, warum mir das Rätsel des Glaubens verborgen bleibt, wo es sich doch offenbar für so viele Menschen, heute lebende und aus vergangenen Generationen, so ohne weiteres enthüllt.

Das also ist die Faszination. Zu verstehen, warum Andere glauben und ich das nicht tue. Herauszufinden, ob ein großer Teil aller Menschen an einer art seltsamen „Disposition“ leidet oder ob das eher auf die Ungläubigen zutrifft. Und zu sehen, ob ohne Glauben etwas fehlt.

Als ich mich vor einigen Jahren gefragt habe, ob ich nicht konsequenterweise Atheist (oder wenigstens Agnostiker) werden müsste, da bin ich an einem Punkt gescheitert: Ich müsste ja dann, so dachte ich, 2.000 Jahre abendländischer Tradition als einen großen Irrtum betrachten, die Rede vom Christentum als etwas Erfundenes, zum Zwecke der Täuschung Ausgedachtes oder wenigstens auf Selbsttäuschung Beruhendes.

Das allerdings erschien (und erscheint) mir völlig unplausibel. Wie sollte diese Erfindung, Täuschung oder Selbsttäuschung denn vor sich gegangen sein, ohne Spuren zu hinterlassen? Warum sollten die frühen Martyrer ihr Leben lassen, für nichts und wieder nichts? Mir fehlte sozusagen der Hebel, mit dem ich das große Ganze aus den Angeln hätte heben können. Ich hielt es für völlig unglaubwürdig (sic!), dass Bachs Weihnachtsoratorium oder Mozarts Requiem Resultat eines gewaltigen Fehlers sein könnten.

Und ich habe bis heute keine plausible atheistische Theorie gehört, die schlüssig erklären könnte, warum es Religion gibt – wenn sie nicht wahr wäre.

Eigenverantwortungsgeschwafel

Jens Bisky in der SZ über das Wahlprogramm der CDU (PDF):

„Für jeden aufrechten Konservativen ist es eine Katastrophe. Über eine vernünftige Kulturpolitik des Bundes schweigt das Papier, beim Thema Bildung besticht es durch Phrasen und Starrsinn; Fragen, über die zu streiten lohnte, werden nicht einmal gestellt. Keine Spur von den konservativen Tugenden, die am weltläufigsten Golo Mann gepriesen hat. Man vermisst ‚das In-Rechnung-Stellen von des Menschen wirklicher, wirklich umschränkter Natur‘ ebenso wie ‚die Sympathie für das Gute Alte, das Gewordene, Traditionelle‘. An deren Stelle scheinen Eigenverantwortungsgeschwafel und reaktionärer Kleingeist getreten. Leichter als hier konnte man programmatische Aushöhlung lange nicht studieren.“ [via Perlentaucher]

Finis

Sinnlose Kommentare gelöscht.

Zwei Gesätze vom Rosenkranz gebetet.

Matthias um Verzeihung gebeten.

Sein Blog von der Blogroll genommen.

Fruchtlose Debatte beendet.

Manchmal muss es erst wehtun.