Der öffentliche Kranke

Die italienische Zeitung La Repubblica schreibt:

„Es ist banal, es stets wiederholen zu müssen, aber in der gegenwärtigen Gesellschaft wird Krankheit versteckt, verkleinert und durch ihre Unsichtbarkeit gleichsam relativiert. Der Papst hingegen führt die Krankheit öffentlich vor, als handele es sich um einen wesentlichen Bestandteil seiner kirchlichen Mission und seiner ganz persönlichen Existenz.“

[via Deutschlandfunk/Presseschau]

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Dienstag der Osteroktav

23 Ihr seid neu geboren worden, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen: aus Gottes Wort, das lebt und das bleibt.
24 Denn alles Sterbliche ist wie Gras / und all seine Schönheit ist wie die Blume im Gras. Das Gras verdorrt und die Blume verwelkt; /
25 doch das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit. Dieses Wort ist das Evangelium, das euch verkündet worden ist.
1 Petr 1,23-25

Dementieren wir uns selbst?

Die Welt druckt einen Vortrag, den Robert Spaemann am 6. Dezember 2004 in der Hochschule für Philosophie in München hielt. Auszug:

„Aber etwas bleibt von Nietzsche: Der Kampf gegen den banalen Nihilismus der Spaßgesellschaft, das genaue und verzweifelte Bewußtsein davon, was es bedeutet, wenn Gott nicht ist. Und was theoretisch bleibt, ist die Einsicht in den inneren und untrennbaren Zusammenhang des Glaubens an die Existenz Gottes mit dem Gedanken der Wahrheit und der Wahrheitsfähigkeit des Menschen. Diese beiden Überzeugungen bedingen sich. Wenn einmal der Gedanke, im Absurden zu leben, aufgetaucht ist, ist die bloß erkenntnistheoretische reductio ad absurdum keine Widerlegung mehr. Wir können nicht mehr auf dem sicheren Grund der Wahrheitsfähigkeit des Menschen Beweise für die Existenz Gottes führen, denn dieser Grund ist nur sicher unter der Voraussetzung der Existenz Gottes. Wir können also nur noch beides zugleich haben. Wir wissen nicht, wer wir sind, ehe wir wissen, wer Gott ist, aber wir können nicht von Gott wissen, wenn wir die Spur Gottes nicht wahrnehmen wollen, die wir selber sind, wir als Personen, als endliche, aber freie und wahrheitsfähige Wesen. Die Spur Gottes in der Welt, von der wir heute ausgehen müssen, ist der Mensch, sind wir selbst.

Aber diese Spur hat die Eigentümlichkeit, daß sie mit ihrem Entdecker identisch ist, also nicht unabhängig von ihm existiert. Wenn wir, als Opfer des Szientismus, uns selbst nicht mehr glauben, wer und was wir sind, wenn wir uns überreden lassen, wir seien nur Maschinen zur Verbreitung unserer Gene, und wenn wir unsere Vernunft nur für ein evolutionäres Anpassungsprodukt halten, das mit Wahrheit nichts zu tun hat, und wenn uns alle Selbstwidersprüchlichkeit dieser Behauptung nicht schreckt, dann können wir nicht erwarten, irgend etwas könne uns von der Existenz Gottes überzeugen. Denn, wie gesagt, diese Spur Gottes, die wir selbst sind, existiert nicht, ohne daß wir es wollen, wenn auch – Gott sei Dank – Gott vollkommen unabhängig davon existiert, ob wir ihn erkennen, von ihm wissen oder ihm danken. Nur wir selbst sind es, die sich durchstreichen können.“

Robert Spaemann: Der Gottesbeweis [via fonolog]

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Karsamstag

1 Herr, denk daran, was uns geschehen, / blick her und sieh unsre Schmach!
2 An Ausländer fiel unser Erbe, / unsre Häuser kamen an Fremde.
3 Wir wurden Waisen, Kinder ohne Vater, / unsere Mütter wurden Witwen.
4 Unser Wasser trinken wir für Geld, / unser Holz müssen wir bezahlen.
5 Wir werden getrieben, das Joch auf dem Nacken, / wir sind müde, man versagt uns die Ruhe.
6 Nach Ägypten streckten wir die Hand, / nach Assur, um uns mit Brot zu sättigen.
7 Unsere Väter haben gesündigt; sie sind nicht mehr. / Wir müssen ihre Sünden tragen.
8 Sklaven herrschen über uns, / niemand entreißt uns ihren Händen.
9 Unter Lebensgefahr holen wir unser Brot, / bedroht vom Schwert der Wüste.
10 Unsere Haut glüht wie ein Ofen / von den Gluten des Hungers.
11 Frauen hat man in Zion geschändet, / Jungfrauen in den Städten von Juda.
12 Fürsten wurden von Feindeshand gehängt, / den Ältesten nahm man die Ehre.
13 Junge Männer mussten die Handmühlen schleppen, unter der Holzlast brachen Knaben zusammen.
14 Die Alten blieben fern vom Tor, / die Jungen vom Saitenspiel.
15 Dahin ist unseres Herzens Freude, / in Trauer gewandelt unser Reigen.
16 Die Krone ist uns vom Haupt gefallen. / Weh uns, wir haben gesündigt.
17 Darum ist krank unser Herz, / darum sind trüb unsere Augen
18 über den Zionsberg, der verwüstet liegt; / Füchse laufen dort umher.
19 Du aber, Herr, bleibst ewig, / dein Thron von Geschlecht zu Geschlecht.
20 Warum willst du uns für immer vergessen, / uns verlassen fürs ganze Leben?
21 Kehre uns, Herr, dir zu, / dann können wir uns zu dir bekehren. / Erneuere unsere Tage, damit sie werden wie früher.
22 Oder hast du uns denn ganz verworfen, / zürnst du uns über alle Maßen?
Klagelieder 5,1-22

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Hat Leid einen Sinn?

Sinn ist eine knappe Ressource. Das meiste von dem, was Menschen heute tun und sagen, steht latent unter dem Verdacht der Sinnlosigkeit. Dies gilt schon für positiv besetzte Dinge, aber erst recht für die allermeisten Formen von Leid. Wer leidet, der leidet oft noch zusätzlich darunter, dass er sein Leid als sinnlos erachtet.

Oder er verwirft resignierend die Sinnfrage selbst als sinnlos. Ist das geschehen, so sind indes die Weichen gestellt, um in der Folge mit Hilfe der Theodizee-Frage („Warum lässt Gott der Allmächtige sinnloses Leid zu?“) auch die Frage nach Gott abschlägig zu beantworten. Die Logik schnurrt wie an einer Kette ab, der Preis jedoch ist hoch: Man muss sich dann mit einem Leben in Sinnlosigkeit einrichten (oder Sinn-Surrogate verwenden – das Angebot ist groß).

Nun reflektiert Heike Schmoll in der heutigen FAZ dieses uralte Thema von neuem. Interessant ist ihre Interpretation des Schreis Jesu am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15, 34, ein Zitat aus Psalm 22)

„Trotz aller unheilvollen Verherrlichung des Leidens, die es in der Geschichte des Christentums auch gegeben hat, steckt in Jesu Schrei die christliche Antwort auf die Theodizeefrage. Denn hier ist Gott nicht mehr der Angeklagte der skeptischen Fragen, sondern die Antwort liegt in dieser Frage selbst.

Gott verwickelt sich selbst in die Leidensgeschichte der Menschen, er ist ihnen im größten Ausgeliefertsein besonders nah, weil er selbst leidet. Aus dem Leiden der Menschen wird das konkrete Leiden Gottes. Im Vergleich zu philosophischen Gottesvorstellungen der Antike spiegelt sich darin ein völlig neues Gottesverständnis: Die christliche Religion kündet von einer Weltzuwendung Gottes, wie sie zuvor radikaler nicht gedacht worden war.

Jesus stirbt für die Welt. Gott gibt seinen Sohn dahin. In dieser Selbsthingabe wendet sich Gott der Welt mit all ihren Unzulänglichkeiten und ihrem Leiden zu. Deshalb ist das Leiden Christi gegen Georg Büchner der Fels des christlichen Glaubens. Seither ist es unmöglich geworden, die Frage nach Gott zu stellen und gleichzeitig von seiner Hinwendung zur Welt abzusehen. Der christliche Gott ist kein abstraktes Gegenüber, kein ferner Weltenlenker, sondern ein weltzugewandter Gott. Dafür steht das Kreuz Jesu.“

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