Zur Flüchtlingskrise

Ein paar Gedanken.

1. Warum hat sich im vergangenen Jahr gerade die Generation meiner Eltern so sehr für die Flüchtlinge engagiert? Kann das eine Kompensationshandlung sein, getrieben vom schlechten Gewissen jener ersten Generation, die es nicht geschafft hat, sich zu reproduzieren, und die nun statt der fehlenden Nachkommen Flüchtlinge quasi adoptiert?

Die damit gleichzeitig ihre eigenen Interessen bedient, nämlich die durch ihr eigenes Verschulden zu geringe Zahl der Rentenzahler und Pflegekräfte aufzubessern? Die letztlich also die Entvölkerung von kriegsgeplagten Ländern wie Syrien betreibt, um ihre eigenen Defizite auszugleichen? Es wäre nicht das erste Mal, dass diese Generation – die 68er gehören auch dazu – ihre eigenen Interessen rücksichtslos durchsetzt. Nach ihnen die Sintflut!

Diese These erklärt wenigstens das höchst irrationale Element der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik. Offensichtlich kann Deutschland nicht alle Menschen aufnehmen, die das wünschen. Denn diesen Wunsch haben nicht nur diejenigen, die es derzeit über die deutsche Grenze schaffen. Doch gerade ein rationaler Umgang mit dem Flüchtlingszustrom – dazu gehört eine Entscheidung darüber, wer kommen darf und wer nicht – scheint gegen das kollektive schlechte Gewissen nicht durchsetzbar zu sein.

2. Nächstenliebe ist immer konkret. Sie richtet sich an genau einen Nächsten, nicht an eine mehr oder weniger große Gruppe. Papst Franziskus hat vor einigen Wochen alle katholischen Gemeinden und Gemeinschaften dazu aufgerufen, jeweils genau eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen. Das ist ein gutes Beispiel für eine sehr konkrete und zugleich relativ einfach umsetzbare Hilfe. Würden alle, die er damit angesprochen hat, dieser Aufforderung folgen, dann wäre schon viel gewonnen.

Aber längst nicht alle Probleme gelöst. Insbesondere hat Papst Franziskus nicht gefordert, einfach pauschal alle aufzunehmen, die kommen mögen. Denn dies würde die Gemeinden überfordern, es wäre nicht umsetzbar und damit letzlich auch keine Hilfe. Es bliebe auf der Ebene abstrakter, wohlmeinender Desiderate ohne konkrete Handlungsperspektive.

Zur christlichen Nächstenliebe gehört untrennbar die Liebe zu sich selbst („Liebe deinen Nächsten wie dich selbst”) wie auch zu Gott. Nächstenliebe bewegt sich daher stets im Rahmen des jeweils Möglichen und trachtet danach, diesen zu erweitern.

3. Die päpstliche Aufforderung zeigt auch, in welche Richtung Lösungsansätze für die gegenwärtige Krise gehen können. Man beginne ganz am Ende der Kette bei den aufnehmenden Gemeinden, Kommunen und Gemeinschaften. Dort sollten Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge bestimmt werden.

Die Leitfrage wäre dann: Gibt es freie Wohnungen, in die Flüchtlinge einziehen können? Welche Familien, Gruppen, Vereine, Initiativen, Organisationen, Gemeinden können sich um sie kümmern? Welche Zahl ist verkraftbar?

Das gegenwärtige System würde so vom Kopf auf die Füße gestellt. Statt einfach jeden aufzunehmen, der die deutsche Grenze überschreitet, ohne Rücksicht auf geltendes Recht, würden Flüchtlingskontingente definiert – und für diese dann sichere Reisewege geschaffen.

Denn auch dieser Aspekt gehört zur Flüchtlingskrise – das derzeitige System begünstigt Schleuser, die den Flüchtlingen das Geld aus den Taschen ziehen und sie dafür unter Lebensgefahr über die EU-Grenzen bringen. Sinnvoll oder gar humanitär ist das nicht, sondern kriminell.

Dieser Lösungsansatz steht und fällt indes mit der Bereitschaft, das Heft des Handelns wieder selbst in die Hand zu nehmen und insbesondere selbst zu entscheiden, wen unser Land aufnehmen will und kann – und wen nicht. Diese Entscheidung sollte nicht Leuten wie Erdogan oder den Schleusern überlassen werden.

Der Liebe Raum schaffen selbst durch den Kampf

In tätiger Liebe aufbrechen zu Christus und der Liebe Raum schaffen selbst durch den Kampf, in beidem aber demütig offen sein für die Impulse des Geistes Gottes, das macht die Heiligkeit des Martinus aus.
Ludwig A. Winterswyl in der Einleitung zu „Das Leben des Heiligen Martin, Bischofs und Bekenners, berichtet von Sulpicius Severus. Freiburg im Breisgau 1940.“

Lumen

„Lumen Christi“ singt der Diakon in der Osternacht, wenn er mit der brennenden Osterkerze in die dunkle Kirche einzieht. Für mich der größte Moment der Liturgie im ganzen Kirchenjahr.

„Lumen Gentium“ heißt die Dogmatische Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche.

Und nun: „Lumen Fidei“, die erste Enzyklika von Papst Franziskus, mit der die Trias abgeschlossen wird, die Benedikt XVI. mit „Deus Caritas est“ und „Spes Salvi“ begonnen hatte.

Wie schön.

Theologische Tugenden und Grundvollzüge

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Franziskus, unser neuer Papst, ist ein völlig anderer Typ als Benedikt XVI., der wiederum ein völlig anderer Typ ist als es Johannes Paul II. war. Diese Reihe ließe sich vermutlich fortsetzen. An Johannes Paul I. und Paul VI. kann ich mich noch erinnern, Johannes XXIII. starb schon deutlich vor meiner Geburt.

Das Bild oben zeigt, wie sich die letzten drei Päpste den theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe zuordnen lassen. Das ist ziemlich vereinfacht, man denke nur an Deus Caritas est und Spes Salvi. Aber dennoch trifft es den jeweiligen Akzent, wenngleich wir für Franziskus noch eher auf Mutmaßungen angewiesen sind.

Mir kamen spontan die drei Grundvollzüge Martyria, Leiturgia und Diakonia in den Sinn, die ich in genau dieser Reihenfolge den Päpsten Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus zuordnen möchte.

Liturgie ist, im krassen Unterschied zu seinem Vorgänger, erkennbar nicht das Kernanliegen des neuen Papstes. Ob wir ihn noch singen hören werden? Möglicherweise erlaubt ihm sein Lungenleiden keinen Gesang.

Hingegen Diakonie! Das scheint ihm ein zentrales Thema seines Lebens zu sein. Die Bilder, die ihn bei der Fußwaschung an Kranken zeigen, seine Aufforderung an argentinische Landsleute zu Spenden statt Transatlantikreisen zu seiner Amtseinführung – nur zwei Beispiele, denen weitere folgen werden.

Haben wir einen diakonischen Papst? Das ist eine wirkliche Überraschung, wie auch der von ihm gewählte Name und die weitere Novität, ein Jesuit auf dem Stuhl Petri zu sein. Unbefangen und unkompliziert wie seine ersten Auftritte wird wohl auch sein Umgang mit dem Vorgänger sein. Gerade weil er ein völlig anderer Typ mit eigenen Schwerpunkten ist, dürfte er über jeden Verdacht erhaben sein, im Schatten und unter ungebührlichem Einfluss seines Vorgängers zu stehen.

Möglich ist sogar, dass er zu einem großen Versöhner im Papstamt wird. Er erhält Zuspruch aus unerwarteten Ecken, quer durch das Spektrum kirchenpolitischer Lager. Zu seiner Amtseinführung wird der Ökumenische Patriarch Bartholomäus I. von Konstantinopel nach Rom kommen, auch das ein Novum. Selbst die Piusbruderschaft könnte er noch in die volle Einheit zurückführen. Den nötigen Pragmatismus scheint er zu haben.

Weihnachten 2012

2012 war ein Jahr, auf das ich mit einer gewissen Zufriedenheit zurückblicken kann. Ich denke an einen wunderbaren Sommerurlaub im Allgäu, der uns viel schönes Wetter, eine entspannte Zeit und eindrucksvolle Berge gebracht hat.

Der Höhepunkt war der Aufstieg auf den Hochgrat, den höchsten Berg des Allgäuer Voralpenlandes. Wir haben immerhin rund 1.000 Meter Höhenunterschied (netto) überwunden, den Abstieg nicht gerechnet. Für uns Flachlandbewohner ist das schon eine ganze Menge.

Mein Vater hat im März seinen 80. Geburtstag gefeiert. Ich bin froh und dankbar, dass er bei guter Gesundheit ist, nach wie vor ein aktives Leben führen und seine Enkelkinder aufwachsen sehen kann.

Unser Jüngster hat in seinem zweiten Gymnasialjahr schon mehr zu kämpfen als bisher. Es scheint aber, dass es mehr die Nerven seiner Eltern als seine eigenen sind, die er damit strapaziert. Mit seinem Tenorhorn macht er gute Fortschritte. Im Bläserchor hier an der Lühe spielt er jetzt auch schon mal bei den Erwachsenen mit.

Im Sommer bin ich in die Ausbildung zum Diakon aufgenommen worden, ein weiterer Schritt ist damit getan. Diese Ausbildung wird bis 2015 dauern, was noch weit entfernt klingt, aber bei genauerer Betrachtung doch schon recht bald ist.

Es wird nun bereits konkreter. Wir haben uns zum Beispiel mit der Seelsorge für Alte, Kranke und Zuwanderer befasst und im Herbst eine Woche lang intensiv das seelsorgliche Gespräch geübt. Ich merke, wie ich neu gefordert bin. Und zugleich nehme ich etwas für meinen Beruf mit.

Es wird sich um eine nebenberufliche und ehrenamtliche Aufgabe handeln, auf die ich mich vorbereite. Einerseits. Andererseits lautet die Bezeichnung: Diakon im Zivilberuf. Was schon andeutet, dass sich auch im Beruf das eine oder andere ändern wird.

Vor einigen Tagen, am 12. Dezember, hat Papst Benedikt (@Pontifex) zu twittern begonnen. Einer seiner ersten Tweets lautete:

Das ist, in aller Einfachheit, ein diakonisches Programm. Zuerst kommt das Gebet und damit die persönliche Beziehung zu Jesus Christus. Dann folgt das Evangelium, die Heilige Schrift, in der Gott uns anredet. Und schließlich als Antwort darauf die Zuwendung zu den Notleidenden, in denen wir Christus sehen können.

All das steht in enger Beziehung zueinander. Die Sorge um die Armen und Leidenden bleibt an der materiellen Oberfläche, wenn sie nicht aus der frohen Botschaft heraus geschieht. Und das Hören auf das Evangelium bleibt folgenlos, wenn es nicht in Gebet und Gottesbeziehung gründet. In einer Beziehung, die sich am Nächsten konkretisiert. Wer sich so dem Nächsten zuwendet, wendet sich Christus zu.

Nun feiern wir seine Geburt. Jesus ist selbst als Notleidender geboren worden, nicht im Palast, sondern im Stall. In der Herberge war kein Platz. Joseph Ratzinger schreibt im Prolog, seinem jüngsten Band über Jesus von Nazareth:

Von Geburt an gehört er nicht dem Bereich dessen zu, was weltlich wichtig und mächtig ist. Aber gerade dieser Unwichtige und Ohnmächtige erweist sich als der wahrhaft Mächtige, als der, auf den letztlich alles ankommt. So gehört zur Christwerdung das Hinausgehen aus dem, was alle denken und wollen, aus den herrschenden Maßstäben, um ins Licht der Wahrheit unseres Seins zu finden und mit ihm auf den rechten Weg zu kommen.

Christ sein heißt, mit den herrschenden Maßstäben nicht einverstanden zu sein, wenn sie nicht an Christus Maß nehmen. Weihnachten ist also alles andere als ein harmloses Fest, das allenfalls zu Übergewicht führen kann. Weihnachten ist radikal.

Frohe, gesegnete Weihnachten und ein glückliches Jahr 2013!

Nicht perfekt

Eine Kampagne der Caritas, die ich gern unterstütze.

Sie spielt auf den neuzeitlichen Perfektionswahn an, der seinen Niederschlag in den Debatten um Präimplantationsdiagnostik und Euthanasie findet. Ich lese sie auch als Mahnung an die Sündhaftigkeit des Menschen, der stets der Umkehr bedarf.

Believing the incredible

The Christian virtues of faith, hope, and charity are in their essence as unreasonable as they can be. As the word „unreasonable“ is open to misunderstanding, the matter may be more accurately put by saying that each one of these Christian or mystical virtues involves a paradox in its own nature, and that this is not true of any of the typically pagan or rationalist virtues. Justice consists in finding out a certain thing due to a certain man and giving it to him. Temperance consists in finding out the proper limit of a particular indulgence and adhering to that. But charity means pardoning what is unpardonable, or it is no virtue at all. Hope means hoping when things are hopeless, or it is no virtue at all. And faith means believing the incredible, or it is no virtue at all.
G.K. Chesterton, Heretics

Knappste Güter

Norbert Bolz ist ja neben Harald Schmidt einer der halb säkularen, halb katholischen Säulenheiligen dieses Notizbuches. Ich mag ihn, seit er mir in den frühen Tagen meines Studiums begegnete, nicht als Person begegnete, sondern als Rhetoriker, Analytiker, Ketzer wider den Zeitgeist wie auch dessen Exeget, als Universalgelehrter und -dilettant gleichermaßen.

In Telepolis zieht er nun wieder richtig vom Leder. Auch die Fraktion der militanten Eva-Herman-KritikerInnen bekommt ihr Fett weg. Hier meine Lieblingspassage:

Wohl denen, die bei Freud vorkommen – sie haben wenigstens noch eine Seele. Natürlich verletzt und beschränkt die Familie; natürlich macht sie neurotisch. Aber nur in der Familie kann Liebesfähigkeit entstehen. Was immer auch in Kitas, Horten und Krippen geboten wird – Liebe kann es nicht sein. Es geht hier um die knappsten Güter des 21. Jahrhunderts: Zeit und Aufmerksamkeit. Und weil natürlich alle spüren, dass man die zeitintensive Liebe zu einer konkreten Person durch nichts ersetzen kann, predigt man heute schon in Kindergärten und Grundschulen das große Blabla von Teamfähigkeit, sozialem Lernen und Kommunikationstraining.

Dazu möchte ich nur eine Passage aus einem Text stellen, von dem ich zunächst nicht verrate, von wem er stammt:

Das Kind braucht Zuwendung. Das bedeutet: Wir müssen ihm etwas von unserer Zeit geben, Zeit unseres Lebens. Aber gerade dieser wesentliche „Rohstoff“ des Lebens – die Zeit – scheint immer knapper zu werden. Die Zeit, die wir haben, reicht kaum aus für das eigene Leben; wie sollten wir sie abtreten, sie jemand anderem geben? Zeit haben und Zeit geben – das ist eine ganz praktische Weise, wie wir erlernen müssen, uns selber zu geben, uns zu verlieren, um uns zu finden.