Was begründet diese Zweifel? Zunächst einmal die Empirie.
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Jede einfache Statistik zeigt, dass der säkulare Rückgang der Messbesucherzahlen auch in Zeiten der neuen Messe ungebremst fortschritt. Binnen einer Generation sank der Anteil der Gottesdienstbesucher an den Katholiken in Deutschland von 37,2 Prozent (1969) auf 15,2 Prozent (2003). 1960 waren es 46,1 Prozent, 1950 noch 50,4 Prozent.
Die absolute Zahl der Messbesucher blieb bis 1969 praktisch unverändert. Der Anteil der Messbesucher an den Katholiken sank nur, weil die Gesamtzahl der Katholiken in Deutschland bis Anfang der siebziger Jahre noch anstieg. Erst seitdem schrumpfen die Zahl der Katholiken wie auch der Anteil der Gottesdienstbesucher und deren absolute Zahl gleichermaßen und in parallelen Trends.
Nun lässt sich zwar wohlfeil spekulieren, was wohl ohne neue Messe geschehen wäre. Aber diese Betrachtung führt nicht weiter, da keine brauchbare Vergleichsgruppe existiert. Die neue Messe hat jedenfalls den Niedergang nicht aufgehalten.
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Seit den frühen siebziger Jahren erleben wir einen demographischen Niedergang im Zeitraffer. Die Zahl der Katholiken sinkt, wie auch die deutsche Bevölkerung schrumpft, weil die Geburtenrate seit dem Pillenknick auf 1,3 bis 1,4 Kinder pro Frau gefallen ist. Die Bevölkerungszahl in Deutschland konnte bis 2002 noch durch Einwanderung stabilisiert werden. Seit 2003 hat die Schrumpfung der Gesamtbevölkerung begonnen. 2005 lag der Sterbefallüberschuss bereits bei 144.432. Durch einen Zuwanderungsüberschuss von 78.953 konnte er nur teilweise kompensiert werden.
Den katholischen Teil der Bevölkerung trifft dieser Rückgang empfindlich härter, weil unter den Zuwanderern verhältnismäßig wenig, unter den Sterbefällen hingegen relativ viele Katholiken sind. Dazu kommen noch die Kirchenaustritte: 1990 waren es 143.530, im Jahr 2004 noch 101.252.
Verschärft wird dieser Trend dadurch, dass seit den siebziger Jahren nicht mehr alle Kinder von Katholiken getauft werden. Allein von 1990 bis 2004 sank die Zahl der Taufen von 299.796 auf 200.635 pro Jahr. Noch sehr viel stärker ging die Zahl der Trauungen zurück: von 116.332 (1990) auf 49.178 (2004). Dieser Trend lässt einen weiteren Rückgang der Zahl der Geburten und damit auch der Taufen erwarten.
Der Niedergang wird noch einmal dadurch beschleunigt, dass er inzwischen in der zweiten Generation angekommen ist: Vermutlich kaum ein Enkel katholischer Großeltern, die ihre Kinder nicht taufen ließen, wird heute getauft. Die nichtgeborenen und nichtgetauften Kinder der siebziger Jahre fehlen heute als Eltern möglicher Täuflinge.
Katholische Gemeinden in Deutschland vergreisen demnach in einem schnelleren Tempo als die Gesamtbevölkerung. Diese Entwicklung hat sich in den Kirchensteuereinnahmen, die fast ausschließlich vom berufstätigen Teil der Katholiken aufgebracht werden, bereits deutlich gezeigt. Nach 2025 werden die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und das Kirchensteueraufkommen weiter kräftig zusammenschnurren lassen.
Man verstehe mich nicht falsch: Wo die Ursachen dieser Entwicklung liegen, ist damit nicht gesagt. Keinesfalls will ich die Schuld an verhängnisvollen säkularen Trends der Bevölkerungsentwicklung der Liturgiereform in die Schuhe schieben. Mein Blick geht in die Zukunft: Die Überlebenschancen der neuen Messe (wie der Kirche in Deutschland insgesamt) werden jedenfalls dadurch stark beeinträchtigt, dass die Gemeinden, in denen sie gefeiert wird, in den kommenden Jahrzehnten rasant wegsterben.
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Und wie steht es dann um die alte Messe? Auf den ersten Blick noch viel dramatischer, ist sie doch nur in kleinen, traditionalistisch geheißenen Kreisen beheimatet. Allerdings gibt es Anzeichen dafür, wenn auch meiner Kenntnis nach aus Frankreich und den USA, dass in Gemeinden mit alter Messe die demographischen Trends eher stabil aufwärts weisen.
Wäre dem so, dann wäre das ein klarer Wettbewerbsvorteil. Beweis wie Widerlegung stehen noch aus.
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Häufig wird die Verantwortung allein auf die Priester abgewälzt. Und in der Tat stehen Priester in der Verantwortung für eine würdige Feier der heiligen Messe. Viele werden ihr nicht gerecht. Doch die Gründe für dieses auch in diesem Notizbuch häufig beklagte Versagen liegen tiefer.
Denn der Schritt vom runderneuerten Messbuch zur schwarzen Ringmappe mit selbstkomponierten Texten ist kleiner als er scheint. Schon mit den ersten Etappen der Liturgiereform des XX. Jahrhunderts hatte ein Prozess begonnen, der allmählich das Hergebrachte und Unverfügbare gegen das Kreative und Gestaltbare eintauschte.
Wie im Märchen vom Hans im Glück wurde so aus dem schweren und drückenden Goldklumpen des Missale Romanum zunächst das gallopierende Pferd der Liturgiereform, das seinen Reiter abwarf und deshalb gegen die gemächliche Kuh (Verzeihung) der neuen Messe eingetauscht wurde. Der Fortgang ist bekannt: Die Steine, die uns heute nicht selten statt des Brotes gereicht werden, landen am Schluss in der Tiefe des Brunnens. Der glückliche Hans kniet nieder und dankt Gott mit Tränen in den Augen, dass er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn von den schweren Steinen befreit hat, und springt mit leichtem Herzen und frei von aller Last fort.
Ja, die Tradition ist eine Last. Das sagt schon das Wort. Mit ihr wird etwas übergeben, überliefert, weitergereicht. Damit ist eine Veranwortung verbunden. Die Überlieferung erfordert Sorgfalt und Respekt. Sie ist ein dynamischer Vorgang. Am Reißbrett wird nicht tradiert, sondern konstruiert.
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Die neue Messe trägt die Keime der Selbstzerstörung in sich. Wenn der Papst ein Messbuch promulgieren darf, das sich geradezu dramatisch von allen vorherigen Messbüchern unterscheidet (und das darf er, daran zweifelt eigentlich niemand, der Paul VI. als legitimen Papst anerkennt), dann ist für den naiven Betrachter schwer einzusehen, warum nicht auch das neue Messbuch disponibel sein sollte.
Denn schließlich stellt es vieles, auch höchst essentielles, zur Wahl: Begrüßungswort, Schuldbekenntnis, Kyrie, de facto die Zahl, oft auch die Länge oder den Text der Lesungen, die Fürbitten, den Gesang zur Gabenbereitung, die Einladung zum Gabengebet, die Präfation und das Hochgebet, die Einladung zum Gebet des Herrn, den Friedensgruß, die Besinnung und den Dankhymnus nach der Kommunion, die Segensformel zur Entlassung und selbst das doppelte Halleluja in der Osterzeit.
Wo fast alles wählbar ist, ist kein Grund mehr zu erkennen, warum eigentlich der Rest nicht auch veränderbar, gestaltbar sein soll. Und so geschieht es. Die Beispiele sind Legion: Das Tagesgebet und die anderen Orationen lassen sich austauschen, die Lesungstexte sowieso. Eröffungsvers, Antwortpsalm, Hallellujaruf und Kommunionvers entfallen oder werden durch Lieder ersetzt. Der Embolismus stört ohnehin nur, und ein Friedenslied statt des Agnus Dei tut es doch auch. Panta rhei.
Es ist offen, ob es gelingt, die Selbstzerstörung der neuen Messe aufzuhalten und sie in den bereits zitierten langsam fließenden Strom der Tradition einzufügen. Des Hoffens und Wünschens wäre das allemal wert.