Die Liturgiereform

Teil 2 meiner kleinen Reihe zur Liturgie (Teil 1: Die heutige liturgische Praxis)

Die Liturgiereform im engeren Sinne war vor allem ein großes Umbauprogramm für katholische Kirchen. Die gotische Hallenkirche meiner Heimatstadt erhielt damals eine nagelneue Altarinsel, die zwischen das Chorgestühl gesetzt wurde. Das Chorgestühl wiederum musste noch eine Verkürzung am vorderen, dem Mittelschiff zugewandten Ende über sich ergehen lassen, damit seitlich mehr Platz war für Kredenz und Ambo sowie ein paar Sitze für Lektoren und Ministranten. Die abgebauten Teile rückten in die beiden Seitenschiffe.

Der Volksaltar und die gesamte Altarinsel sind aus hellen, polierten Steinplatten gefertigt, die den Kontrast und den Stilbruch zum matten Sandstein der Kirche betonen. Der Priester und zwei Ministranten sitzen um einige Stufen erhöht auf einer Art Podest hinter dem Volksaltar. Am Übergang zum Mittelschiff entstand eine neue Kommunionbank, vor der auch gekniet werden könnte. Der Durchgang in der Mitte wird, wenn kein Gottesdienst ist, mit einer Kordel abgetrennt.

Die alte Kommunionbank, jetzt hinter der Altarinsel, blieb erhalten. Auf den alten Kniepolstern der Stufe saßen bei festlichen Gottesdiensten die zahllosen Ministranten, deren Aufgabe darin bestand, zum Hochgebet mit Flambeaus hinter der Altarinsel im Halbkreis zu stehen. Dort habe ich auch so manches Mal gesessen.

Hinter der alten Kommunionbank erhebt sich über etliche Stufen der Hochaltar mit dem Tabernakel in der Mitte. Er wird bis heute der jeweiligen Kirchenjahreszeit entsprechend geschmückt und für die eucharistische Anbetung genutzt. Eine Messe nach dem Missale von 1962 könnte in dieser Kirche jederzeit problemlos gefeiert werden, allerdings störte dabei die dann überflüssige neue Altarinsel.

Vor etlichen Jahren kniete ich einmal an einem Sommerabend mit einem Freund, der regelmäßig den Küsterdienst versah, auf dem Mannhaus unter der Orgel. Im milden Abendlicht der ansonsten unbeleuchteten Kirche fiel krass ins Auge, welch ein Fremdkörper diese Altarinsel für die dreischiffige Kirche ist.

Schön ist aber, dass sie relativ einfach zu entfernen und der alte Zustand wiederherzustellen wäre. Man könnte dann ein Ambo oder auch zwei am vorderen Ende des Chorraumes errichten und von dort aus Lesungen und Predigt vortragen. Eine Kanzel ist über dem Mittelschiff auch noch vorhanden.

Mir ist bis heute nicht klar, wie und warum es zu diesem Umbau des liturgischen Raumes kam. Im Missale von 1969/1970 ist von einer Änderung der Zelebrationsrichtung oder der Einführung eines Volksaltars keine Rede. Es scheint mir, Jahrgang 1969, eher umgekehrt gewesen zu sein: Das neue Messbuch war nur das letzte noch fehlende legitimierende Element für eine Reform, die auch ohne neues Messbuch schon im vollen Gange war. Die überlieferte Messe hätte man in den umgestalteten Kirchen an den neuen Altären schwerlich feiern können, also war ein neues Messbuch vonnöten (und ja ohnehin konziliar beauftragt).

Erfreulich ist nur, dass heute eine conversio ad Dominum möglich ist, ohne auf irgendwelche römischen Instruktionen oder Neuausgaben des Messbuches zu warten. Im Gegenteil: Der liturgische Rückbau oder erneute Umbau vieler Kirchen könnte sofort beginnen. Es ist nur an den Bauverantwortlichen, ihre Aufgabe zu erkennen.

Teil 3: Das Missale von 1969/1970

Mittel der Entmündigung

Die protestantische Theologin und FAZ-Redakteurin Heike Schmoll befasst sich im Leitartikel der Ausgabe von morgen (Reformationstag) mit den Anliegen des Bibelübersetzers Luther. Und schlägt dann, scharf konstrastierend, einen Bogen zur jüngsten Bibelübersetzung aus protestantischem Hause:

Die Bibel in gerechter Sprache scheint grundsätzlich nicht mit kritischen und mündigen Lesern zu rechnen und sie zu einem selbständigen Urteil befähigen zu wollen. Das läuft Luthers Anliegen diametral entgegen. Vieles klingt wie eine Verbesserung deutscher Übersetzungen, nicht wie eine Übersetzung aus dem Hebräischen oder Griechischen. Damit wird genau der Text, der aus der Bevormundung befreien soll, selbst zum Mittel der Entmündigung. Das ist das Anstößige, Skandalöse dieser Übersetzung.

Der Gesinnungskult feministischer Randgruppen und Gleichmacher läßt sich nicht allein damit erklären, daß Protestanten immer in der Gefahr stehen, einer weltlichen Autorität den religiösen Kredit zu geben, den sie dem Papst einst verweigert hatten. Das eigentlich Erschreckende ist nicht, daß viele Spendenfreudige diese Bibelübersetzung wollten, sondern daß einige Kirchenleitungen in Deutschland (allen voran die hessische), aber auch in Österreich und der Schweiz und nicht wenige Vertreter der akademischen Theologie ein solches Vorhaben unterstützen. Denn die Bibel in gerechter Sprache wird vermutlich schneller wieder verschwinden als die verbreitete Unklarheit ihrer Unterstützer über elementare Einsichten der Bibelauslegung und Hermeneutik.

Die heutige liturgische Praxis

Teil 1 meiner kleinen Reihe zur Liturgie

Heute morgen habe ich krankheitsbedingt die Übertragung eines katholischen Gottesdienstes (so die Sprachregelung, es handelte sich um eine Heilige Messe) aus der Pfarrgemeinde St. Wendalinus in St. Wendel gehört. Pfarrer Anton Franziskus wich mehrfach – teils erlaubt, teils unerlaubt – vom Messbuch ab.

So wurde nur eine Lesung vorgetragen, das Hochgebet kam mir nur teilweise bekannt vor (möglich, dass es sich um eines der inzwischen zahllosen approbierten zusätzlichen Hochgebete handelte), den Schluss die Doxologie („Durch ihn und mit ihm und in ihm“) betete der Pfarrer zusammen mit der ganzen Gemeinde, der Embolismus entfiel, das Friedensgebet war frei formuliert und zwischen Segen und Entlassung dankte der Pfarrer, wem zu danken war, und wünschte einen schönen Sonntag.

In der Summe wohl noch einer der harmloseren Fälle, aber er illustriert, wie das Messbuch heute zu einer Art Drehbuch herabgesunken ist, von dem die liturgischen Schauspieler in ihrer künstlerischen Freiheit auch abweichen können. Hier liegt das erste Problem, und es wäre viel gewonnen, wenn dieses Problem gelöst werden könnte.

Wie könnte es gelöst werden? Das Konzil sagt, bezogen auf die actuosa participatio:

Es besteht aber keine Hoffnung auf Verwirklichung dieser Forderung, wenn nicht zuerst die Seelsorger vom Geist und von der Kraft der Liturgie tief durchdrungen sind und in ihr Lehrmeister werden. Darum ist es dringend notwendig, daß für die liturgische Bildung des Klerus gründlich gesorgt wird.

Ich hatte es bereits zitiert.

Teil 2: Die Liturgiereform

Weit hinaus

Die Debatte über die Liturgiekonstitution des Konzils, das Missale von 1969/1970, die damit verbundene Liturgiereform und die daraus folgende liturgische Praxis ist kompliziert, weil häufig nicht hinreichend zwischen diesen vier Elementen unterschieden wird. Ich möchte daher in aller Kürze skizzieren, wo die wesentlichen Unterschiede liegen (und eine Bewertung gleich voranstellen).

  1. Die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium hat der Kirche die Erneuerung und Pflege der Liturgie aufgegeben und dazu verschiedene Vorgaben gemacht.
  2. Das Missale von 1969/1970 ist zum Teil über diese Vorgaben weit hinaus gegangen, zum Beispiel mit der Multiplizierung des Kanons.
  3. Die parallel dazu vollzogene Liturgiereform wiederum ist über die Vorgaben des erneuerten Missale weit hinaus gegangen, zum Beispiel mit der Umkehrung der Zelebrationsrichtung.
  4. Die daraus folgende liturgische Praxis geht über die Liturgiereform weit hinaus, zum Beispiel durch unerlaubte Abweichungen vom Missale.

Man kann sicherlich mit guten Gründen jedes der vier Elemente negativ beurteilen. Und es hat eine gewisse Logik, von der Kritik an der liturgischen Praxis über die Kritik an der Liturgiereform zur Kritik am Missale von 1969/1970 fortzuschreiten – und dann den nächsten Schritt zu gehen und die Liturgiekonstitution zu kritisieren. Aber der Reihe nach. Damit der Beitrag nicht zu lang wird und die Diskussion nicht zu unübersichtlich, werde ich vier Teile daraus machen.

  1. Die heutige liturgische Praxis
  2. Die Liturgiereform
  3. Das Missale von 1969/1970
  4. Die Liturgiekonstitution

Modernisten

Der Spiegel 44/2006: Wortsalat im Garten Eden (Ausriss)

„Wird die Heilige Schrift von Modernisten verhunzt?“, fragt süffisant der Spiegel vom kommenden Montag aus Anlass der Publikation der Bibel in gerechter Sprache („Wortsalat im Garten Eden“).

Dröge holpern die feministischen Testamente dahin. „Törichte Jungfrauen“ werden „naiv“, die listige Schlange im Paradies hat nun „weniger an, aber mehr drauf“. „Der Herr ist mein Hirte“, übersetzte Luther Psalm 23, „er erquicket meine Seele.“ Bei den Geschlechtergerechten heißt es: „Adonaj weidet mich“, „meine Lebendigkeit kehrt zurück“. […]

Das aktuelle Antidiskriminierungsgesetz soll bis ins Gelobte Land zurück verlängert werden.

Entsprechend sieht das Resultat aus: „Pharisäerinnen und Pharisäer“ wimmeln neben „Ammoniterinnen und Ammonitern“, sowie „Makkabäerinnen und Makkabäern“. Jesus ist von „Jüngerinnen und Jüngern“ umgeben – obwohl seine zwölf Gefolgsleute allesamt Männer waren.

Sogar „Zöllnerinnen“ und amtierende altisraelitische „Königinnen“ lässt die Damenriege auftreten – alles Unfug.

Tatsache ist, dass Jesus in einer patriarchalisch geprägten Bauernkultur lebte. Keine Frau konnte dort Priesterin werden. Um einen Gottesdienst („Minjan“) abzuhalten, mussten mindestens zehn Kerle anwesend sein. Der Bielefelder Religionskundler Andreas Lindemann: „Alle Frauen Israels hätten den fehlenden zehnten Mann nicht ersetzt.“

Noch mehr Statistik

Hier ein paar einfache mathematische Überlegungen, die Situation in den USA betreffend:

If one population is declining by 5% a year and another population is increasing by 5% a year it doesn’t matter very much how big the first population is to start with. The graph lines will take no time at all to intersect – in fact at 5% (according to the Rule of 70) one population will halve in 14 years, the other will double. Assuming that 2% of the Catholics in the USA are going to the Latin Mass now (one million people) and that 49 mill are going to the NOM, then in 14 years assuming 5% increase and decrease respectively, only 24.5 mill will still be attending the NOM while Two Million would be attending the Old Rite. In 28 years time only 12.25 million people will be attending the NOM and four million the Old Rite (33%). Another 14 years and 6.125 million people will be at a Novus Ordo Parish and 8 million at the Old Mass.

Following current trends in about forty years the Old Mass people will be in the majority.

Und vierzig Jahre sind seit dem Konzil gerade erst vergangen. Anders gesagt: Achtzig Jahre nach dem Konzil wäre die Messe Pauls VI. in den USA ein Minderheitenphänomen.

Immer die Familie

Alan Posener referierte in der Welt vom 1. Oktober die Thesen eines Buches von James D. Tabor („Die Jesus-Dynastie“), demzufolge Jesus Christus nicht der Sohn Gottes war ist, sondern das Königtum Israels wiederherstellen wollte und dessen Familie nach seinem Tod die christlichen Gemeinden leitete.

Tabor und Posener greifen zwei wohlbekannte Topoi auf. Da sind zum einen die „Brüder Jesu“, die selbstverständlich nur leibliche Brüder gewesen sein können. Und da ist Paulus als Erfinder des Christentums respektive als Umdeuter des historischen Jesus – ein spätestens mit Nietzsche populär gewordener Gedanke.

Um der Geschichte noch etwas mehr Schwung zu verleihen, reißt Posener ein Ratzinger-Zitat aus dem Zusammenhang der „Einführung in das Christentum“. Ratzinger selbst hat zu dieser beliebten Fehldeutung später in „Die Tochter Zion“ alles gesagt, was zu sagen war.

In the long run, we’re all traditionalist

Georg war in einer Messe, die nach dem Missale von 1962 gefeiert wurde, und ist beruhigt:

Das ist und bleibt ein Minderheitenprogramm für eine Hand voll älterer Katholiken.

Nun ja. Diese Statistik aus Frankreich spricht eine andere Sprache:

It seems that 5% of French Catholics attend the traditional Mass somewhere in France every Sunday. It is, however, 13% of Catholics under the age of 55.

The demographics get even scarier if you are a French bishop. Of traditionalist congregations 90% are less than 55 yo and their average age is 26. Scariest of all is that 70% of traditionalist families have four or more children. This is more or less an age pyramid with a broad base and a small peak (11% over 56 yo). The usual Novus Ordo congregation has an inverted age pyramid with the bulk of the congregation over 55 yo.

I failed statistics, but even I can see that in 20 years time the only people going to the new mass in France will be elderly bishops.

Sacrosanctum Concilium

Georg unterzieht seit kurzem die Konstitution über die heilige Liturgie einer Neulektüre.

Im ersten Teil schreibt Georg:

Mit den Gerüchten um ein bevorstehendes Motu proprio von Papst Benedikt XVI über eine Erleichterung der Bedingungen für die Feier der Hl. Messe nach dem Missale von 1962 gibt es allenthalben eine Menge Diskussionen und Kontroversen. Für mich ein Anlaß, mich nach langer Zeit wieder auf die Konstitution Sacrosanctum Concilium des II. Vatikanums zu stürzen, auch um zu belegen, dass die vom Konzil intendierte Reform der Liturgie ganz organisch in der großen Tradition der römischen Liturgie steht und nicht, wie von Polemikern behauptet, einen folgenschweren Einschnitt in der Liturgiegeschichte darstellt. Ich weiß nicht, ob je auf einem Konzil so dichte und tiefgehende Aussagen über die Liturgie gemacht wurden wie in Sacrosanctum Concilium.

Alles richtig. Die vom Konzil intendierte Reform der Liturgie ist allerdings in wesentlichen Teilen eine andere als die tatsächlich stattgefundene. Der gestern schon zitierte Fr. Joseph Fessio schreibt:

The Council did not say that tabernacles should be moved from their central location to some other location. In fact, it specifically said we should be concerned about the worthy and dignified placing of the tabernacle. The Council did not say that Mass should be celebrated facing the people. That is not in Vatican II; it is not mentioned. […]

The Council […] said nothing about removing altar rails. It said nothing about taking out kneelers. It said nothing about turning the altar around. It said nothing about multiple canons. That, too, is an invention; a pure invention.

There has never been in the Church a choice of Eucharistic prayers at a given ceremony or a given Church. […]

Nor did the Council, as I mentioned, abolish Latin. It specifically mandated the retention of Latin and only permitted the use of the vernacular in certain circumstances. And, finally, the Council did not prohibit Gregorian Chant, as you might be led to think from its absence in your parishes. The Council actually prescribed Gregorian Chant to have pride of place.

Rome, we have a problem.