Der Raum rechts der Mitte

Wer den aktuellen Zustand unseres Parteiensystems besser verstehen möchte, ist mit der folgenden Grafik gut bedient. Die Befragten haben sich selbst und die relevanten politischen Parteien auf einer Skala von 1 (links) bis 11 (rechts) eingeordnet. Ihre Selbsteinschätzung lag im Durchschnitt bei 6,64 und damit leicht rechts der Mitte, was sich mit der langjährigen Konstante einer bürgerlichen Mehrheit in Deutschland deckt.

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In dieser Grafik ist schlaglichtartig zu sehen, wie groß der politische Raum rechts der Mitte inzwischen geworden ist, jener konservative Sektor, der „zum politischen Brachland wurde, das die AfD wieder urbar macht“ (Berthold Kohler). Wenn selbst die CSU leicht links der Mitte und deutlich weiter links als der Durchschnitt der Wähler wahrgenommen wird, dann heißt das: Rechts ist Platz frei für mehr als eine Partei, egal ob neu oder nicht.

Nun lässt sich aus einem Durchschnittswert nicht ableiten, wie groß das dort brachliegende Wählerpotential ist oder wie es sich auf der Links-Rechts-Achse verteilt. Dazu wäre ein Blick in die Rohdaten erforderlich. Meine Annahme ist aber, dass die Verteilung sich etwa einer Gauss-Kurve nähert.

Es wäre nun hilfreich, diese Befragung um eine zweite Dimension zu erweitern, wie sie der Politische Kompass verwendet.

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Grafik: Church of emacs (Lizenz)

Aus Sicht der Wähler – und in einer Demokratie ist das letztlich die entscheidende Sicht – sind alle etablierten Parteien derzeit in den beiden Sektoren links der Mitte verortet, also links-autoritär wie die Linke sowie Teile der Grünen und der SPD oder links-liberal wie die FDP. Rechts findet sich ausschließlich die AfD sowie bestenfalls Teile der CSU, die ihren Schwerpunkt ansonsten ebenfalls leicht links der Mitte hat.

Rechts der Mitte wäre demnach Platz für mindestens zwei Parteien, eine rechts-liberale und eine rechts-autoritäre Partei. Die AfD wird seit ihrer Gründung, vergleichbar den jungen Grünen, durch heftige Kämpfe zwischen ihrem liberalen und ihrem autoritären Flügel geschüttelt. Dadurch bedient sie im Moment beide Segmente, was durchaus eine Erfolgsstrategie sein kann und durch die derzeitigen Wahlergebnisse und Umfragewerte gestützt wird.

Die Situation für die etablierten Parteien ist aber noch viel dramatischer. Bleiben wir bei der Annahme, dass die Verteilung der Wähler im politischen Spektrum von links nach rechts in etwa der einer Gauss-Kurve entspricht. In diesem Fall finden sich links und rechts der Mitte jeweils annähernd gleich viele Wähler. Wenn die Wähler nun alle etablierten Parteien links der Mitte verorten, dann liegt das Wählerpotential für Parteien rechts der Mitte in etwa bei 50 Prozent – wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann hat ihn die Bundespräsidentenwahl in Österreich erbracht.

Spannend ist nun die Frage, wie viel von diesem Potential CDU, CSU und FDP noch binden können, obwohl sie von den Wählern als Parteien des linken Spektrums eingeordnet werden. Das ist schwer abzuschätzen. Es handelt sich hier um die berühmte bürgerliche Mitte, in der hierzulande Wahlen gewonnen und verloren werden. Wenig hilfreich scheint mir eine bis dato dominante Kommunikationsstrategie zu sein, die in der NZZ wie folgt beschrieben wird:

Anstatt zwischen konservativ, rechts, rechtspopulistisch und rechtsextrem zu unterscheiden, wird der gesamte Kommunikationsraum, der sich in Opposition zum linksliberal-grünen Justemilieu zu etablieren beginnt, zu einer Zone des Bösen erklärt, die unter Quarantäne zu stellen ist.

Angesichts der oben beschriebenen Situation muss eine solche Strategie praktisch zwangsläufig scheitern, weil sie dazu geeignet ist, eine an sich durch die bürgerliche Mitte geprägte Gesellschaft zu polarisieren und zu spalten. Das rechte Lager, das ja angeblich bekämpft werden soll, wächst dadurch erst recht und schöpft sein Potential mehr und mehr aus.

Auf Basis der oben beschriebenen Wählerwahrnehmung bietet sich für zwei der etablierten Parteien die Chance, das derzeit von der AfD beackerte Brachland im konservativen Sektor zu besetzen: die CSU und die FDP. Eine rechts-liberale FDP und eine rechts-autoritäre CSU könnten so die AfD in die Zange nehmen.

Dabei läge es nahe, jeweils eine komplementäre Strategie zu wählen: Während die FDP den liberalen Aspekt stärken würde, um die Linksliberalen nicht abzuschrecken, könnte die CSU sich als rechtskonservative Partei profilieren, ohne sich zu stark auf eines der beiden Felder (autoritär/liberal) festzulegen.

Der Preis dafür könnte jedoch sein, die AfD in die rechts-autoritäre Ecke zu drängen, weil nur dort genügend Platz bliebe. Ob das wünschenswert ist, steht auf einem anderen Blatt. Außerdem kann die CSU als Regionalpartei nicht bundesweit Wähler binden. Sie kann allenfalls als Korrektiv der CDU wirken und Wählern einen Grund geben, die CDU zu wählen.

Jedenfalls drängt das politische Vakuum rechts der Mitte früher oder später zum Ausgleich. Dort werden entweder Parteien wie die AfD heranwachsen oder sich erneut die früher dort positionierten Parteien ansiedeln. Das ist nur eine Frage der Zeit. Der kommende Bundestagswahlkampf wird spannend.

Verlust der Vision

Es hat für jede Organisation fatale Konsequenzen, wenn ihre Vision – und damit auch ihre Mission – verloren geht. Denn die Vision ist quasi der Leitstern am Himmel, sie gibt das Ziel allen Tuns an und informiert somit auch über mögliche Wege zu diesem Ziel. Ohne Vision wird das Tun ziellos, und jede Entscheidung über den Weg wird beliebig. Ohne Vision irren wir im Dunkel umher.

Ein Licht erstrahlt den Gerechten / und Freude den Menschen mit redlichem Herzen. (Ps 97,11)

Der Verlust der Vision wirkt zerstörerisch auf jede Organisation. Ihr Zweck wird unklar, es entsteht eine Leere, die mit allerlei Sekundärem aufgefüllt werden muss. An die Stelle der langfristigen Vision treten kurz- und mittelfristige Ziele und Meilensteine und eine Tendenz zum Selbstzweck. Ohne Vision hat jede Einzelentscheidung das Potential, eine Grundsatzdiskussion loszutreten.

Ausgesprochene oder unausgesprochene Differenzen kommen ans Licht. Entscheidungen werden entweder beliebig und willkürlich oder zu Machtfragen, weil nun jeder Einzelne für sich eine andere Vision entwickelt und danach strebt, diese durchzusetzen. Dieser Prozess ist unendlich mühsam und frisst Unmengen von Energie, was zum Ausbrennen Einzelner oder gar ganzer Teams und Organisationen führen muss.

Entscheidungsprozesse verlängern und verkomplizieren sich, Vertrauen erodiert, Unsicherheit und Angst entstehen, Führungsstrukturen werden intransparent. Führung braucht ein Ziel, sonst wird sie ziellos. Führung ist ein geistlicher Prozess, zu dem wesentlich das aufmerksame Hören, der intensive Austausch und die echte Antwort gehören. Führung ist ein Dienst und sollte als solcher verstanden werden, nicht als Machtausübung.

Die Mission ist nichts anderes als die Wege zum Ziel. Die Wege sind plural, denn so gut wie nie gibt es nur einen Weg zum Ziel. Verschiedene Wege sind legitim und häufig auch notwendig, um das Ziel zu erreichen, dass die Vision angibt. „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,19) impliziert geradezu eine unendliche Vielzahl von Wegen. Doch ohne Vision wird diese Mission nicht gelingen.

Warum sollen wir überhaupt zu allen Völkern gehen und alle Menschen zu Jüngern machen? Diese Antwort kann nur die Vision geben, und ohne Vision gibt es gar keinen Grund zur Mission. Die Vision ist das Reich Gottes, dessen Grundlage das Doppelgebot der Liebe formuliert: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken.“ Und: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt 22,37.39)

Aus diesen beiden Geboten lässt sich die gesamte Vision vom Reich Gottes entfalten. „An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.“ (Mt 22,40) Die Liebe zu Gott, die durch nichts eingeschränkt wird, die Liebe zum Nächsten und die Liebe zu sich selbst führen zum Reich Gottes, und diese Nachricht zu allen Völkern zu bringen ist unsere Mission.

Doch ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus, ihre Kunde bis zu den Enden der Erde. (Ps 19,5)

Gemeindeleitung: Team oder Gremium?

Im allgemeinen Sprachgebrauch gilt ein Team als eine Gruppe von Menschen, die einem gemeinsamen Ziel folgt und sich auf bestimmte Regeln der Zusammenarbeit geeinigt hat. Dabei ist es das gemeinsame Ziel, das ein Team von einem Gremium unterscheidet. Denn auch ein Gremium muss sich auf bestimmte Regeln der Zusammenarbeit einigen. Aber nicht jedes Gremium ist auch ein Team.

Der klassische Pfarrgemeinderat ist in jedem Fall ein Gremium, aber nicht unbedingt ein Team. Als Gremium bündelt er verschiedene, zum Teil auch widerstreitende Interessen und sorgt für deren Ausgleich. Er hat gewisse Entscheidungskompetenzen und ist ansonsten eine beratende Instanz für den Pfarrer und die pastoralen Mitarbeiter.

Wenn das lokale Gemeindeleitungsteam nicht mehr als ein Gremium ist, dann ersetzt es bestenfalls den Pfarrgemeinderat – es hat aber dann kein gemeinsames Ziel. Erst „eine Vision und ein Leitbild für die lokale Gemeinde“ (Martin Wirth) machen aus einem bloßen Gremium ein Gemeindeleitungsteam. Und wo Vision und Leitbild aus dem Fokus geraten, da hört ein Gemeindeleitungsteam auf, Team zu sein.

Die Folgen sind desaströs. Unklare Ziele und Anforderungen gehören zu den häufigsten Ursachen für das Scheitern von Projekten. Dies ist unabhängig davon, um welche Art von Projekten und um welchen Bereich es sich handelt. Ein Team wird dann meistens in Aktionismus verfallen, um wenigstens vorzeigbare Ergebnisse seiner Arbeit zu produzieren und die eigene Existenzberechtigung nachzuweisen.

Ein beliebtes Beispiel aus dem Gemeindeleben ist das Gemeindefest, für das meistens lange im Voraus ein Termin festgelegt und Verantwortlichkeiten definiert sind. Danach passiert häufig lange Zeit nichts, bis der Termin näher heranrückt und damit Dringlichkeit und Zeitdruck entstehen. Zuvor war das Gemeindefest zwar wichtig, aber nicht dringend, weshalb es aus dem Fokus verschwand.

Unter Druck entsteht schließlich ein Ergebnis, das Fest findet statt und kann durchaus als Erfolg betrachtet werden – allerdings ist dann die Frage, was eigentlich die Erfolgskriterien sind. Was waren noch gleich die Ziele und Anforderungen? Die fehlende Verständigung darüber direkt zu Projektbeginn führt dazu, dass Grundsatzfragen immer wieder im Projektverlauf anhand einzelner Details zu diskutieren sind.

Eine dieser Grundsatzfragen ist die Festlegung der Zielgruppe: Wen soll ein Gemeindefest eigentlich ansprechen? Aus dem berechtigten Anliegen heraus, niemanden ausschließen zu wollen, folgt gern ein diffuses „Alle“, das konsequent angewandt eigentlich „Niemand“ bedeuten würde. Da aber ein Fest, das niemanden anspricht, am Ende gar nicht stattfinden würde, werden in aller Regel, ausgesprochen oder nicht, eine mehr oder weniger diffuse Kerngemeinde und einige ihrer Gruppen angesprochen.

Beispiele: Sollen die Bewohner des angrenzenden Altenheims zum Kaffee eingeladen werden? Die Logistik erlaubt das nicht, zudem sind die wenigsten Besucher katholisch oder haben wenigstens Kontakt zur Gemeinde. Die Firmbewerber sind mehr oder weniger zwangsverpflichtet und kümmern sich um die Vorbereitungen sowie den Service. Die polnische Gemeinde wird einen Altar für die kleine Fronleichnamsprozession gestalten und auf diese Weise eingebunden.

Manches war bereits in der Vergangenheit so und wird nach Möglichkeit wiederholt („So wie beim letzten Mal“), anderes ergibt sich mehr oder weniger zufällig. Das Ergebnis gleicht eher einem Patchwork, und das muss gar nicht einmal schlecht sein. Es werden Begegnungen stattfinden, Menschen werden sich kennenlernen, und es wird so etwas wie Feststimmung aufkommen.

Doch wird das Potential hier wirklich genutzt? Wären ein paar mehr Gedanken über die Zielgruppe und – darauf aufbauend – das Konzept nicht von größerem Nutzen gewesen? Wenn das Gemeindefest wirklich so wichtig ist, warum nicht einmal grundsätzlich darüber nachdenken? Ist das Ziel mit dem Wort „Gemeindefest“ allein schon hinreichend beschrieben? Wohl kaum.

Ebenso wenig reichen Begriffe wie „lebendige Gemeinde“ oder gar „offene Gemeinde“ aus, um das Ziel – die Vision und das Leitbild – eines Gemeindeleitungsteams zu beschreiben. Solche Leerformeln geben keine hinreichenden Entscheidungskriterien an die Hand, um daran die eigene Arbeit auszurichten. Darunter lässt sich alles und nichts fassen. Das Resultat ist Beliebigkeit. Ein Profil sieht anders aus.

Das Ehrenamt als Lückenbüßer

„System der Kirche am Ende“. So titelte vor kurzem katholisch.de. Bei den Priesteramtskandidaten sei die katholische Kirche in Deutschland „quasi an der Nulllinie“ angekommen, so Hartmut Niehues, der Vorsitzende der Deutschen Regentenkonferenz, der deshalb für eine stärkere Einbeziehung der Laien in die Seelsorge plädierte.

Als Laie kann ich da mitreden. In den vergangenen zweieinhalb Jahren habe ich mein ehrenamtliches Engagement in der Gemeinde stark ausgeweitet. So bin ich seit knapp eineinhalb Jahren auch Mitglied des lokalen Leitungsteams und deshalb mit jenen Erneuerungs- und Veränderungsprozessen in Berührung gekommen, die im Bistum Hildesheim als Lokale Kirchenentwicklung bezeichnet werden. Mein Zwischenfazit fällt durchaus ernüchternd aus.

Diakon Martin Wirth definiert Lokale Kirchenentwicklung als innerkirchlichen Prozess,

„der der wachsenden Bedeutungslosigkeit der Kirche in der Gesellschaft glaubwürdig und überzeugend entgegentritt. Es ist die Frohe Botschaft Jesu Christi, die alle Glieder der Kirche zum Handeln drängt.“

Diese Definition ist gut und richtig. In der Praxis, wie ich sie derzeit erlebe, sind allerdings erhebliche Schwierigkeiten zu sehen.

So ist das Denken nach wie vor stark von vermeintlichen oder tatsächlichen Aufgaben geprägt, für deren Wahrnehmung nun, da die Zahl der Priester und der hauptamtlichen Mitarbeiter stetig abnimmt, eben die Laien (im doppelten Wortsinne) herangezogen werden. Damit dominieren vermeintliche oder tatsächliche Defizite und Lücken, die irgendwie gestopft werden wollen oder sollen.

Besser wäre ein ressourcenorientiertes Denken, das sich an dem orientiert, was da ist. Doch dieser Perspektivwechsel ist noch nicht vollzogen. So werden bestehende, ausgedünnte Strukturen und ehrenamtliches Engagement nach wie vor auf Verschleiß gefahren und Kräfte dafür gebunden, etwas aufrecht zu erhalten, was nicht mehr aufrecht zu erhalten ist.

Das Konzept der Lokalen Kirchenentwicklung scheint mir zudem nicht ganz zu Ende gedacht. Denn ohne Priester, und darauf läuft es – siehe oben – mittel- und langfristig wohl hinaus, gibt es keine Sakramente, außer vielleicht die Taufe. Eine partizipative Kirche der Laien kann sich nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Ihre sakramentale Struktur kann nur so lange verdünnt werden, bis das letzte Atom verschwunden ist, um einen Vergleich mit der Homöopathie zu bemühen.

Was bei Fortsetzung des gegenwärtigen Kurses früher oder später geschehen wird, ist klar: Bistümer werden zusammengelegt wie jetzt schon Gemeinden, Pfarreien und Dekanate. Es werden Missionspriester aus anderen Erdteilen kommen und dieses Land von Neuem evangelisieren. Dies wird zum Teil erbitterten Widerstand der Alteingesessenen hervorrufen, die keinen Anlass sehen, irgendetwas zu verändern. Aber das dürfte keine Überraschung sein.

Konsequenzen der Kon­sum­ge­sell­schaft

Wer den ehemaligen Münsteraner Pfarrer Thomas Frings aufmerksam wahrnimmt, der erkennt in seiner Situationsanalyse auch eine scharfe Kritik der Konsumgesellschaft, genauer: ihrer Konsequenzen für die heutige Pastoral. Große Teile des verbliebenen kirchlichen Lebens in Deutschland richten sich an anspruchsvolle Konsumenten mit einer entsprechenden Haltung.

Die Kirche ist dafür insbesondere durch ihre diakonische Ausrichtung sehr anfällig. Diakonie heißt Dienst, und Dienst kann viele Ausprägungen annehmen. Vom selbstlosen, aus Liebe zu Christus und zum Nächsten vollzogenen Dienst hin zum Service, der Anspruchshaltungen bedient, ist es oft nur ein kleiner Schritt. Prekär wird es insbesondere da, wo Ansprüche – ob berechtigt oder nicht – nicht mehr ohne Weiteres bedient werden können.

Eine konsumentenorientierte Pastoral bringt die Kirche in eine Wettbewerbsposition zu sehr vielen Alternativangeboten. Sonntagsmesse oder Golfplatz? Kirchliche Beerdigung oder freier Trauerredner? Firmung oder Jugendweihe? An den Wendepunkten des Lebens oder auch zu bestimmten Zeitpunkten wie Weihnachten und Erstkommunion wird der kirchliche Dienst noch gern in Anspruch genommen und sogar vehement eingefordert, oft ohne dass dahinter eine Glaubenspraxis oder gar innere Überzeugung stehen würden.

Das deutsche Kirchensteuersystem fördert und erzwingt diese Entwicklung – doch soll davon an dieser Stelle nicht weiter die Rede sein. Interessant ist die Frage, ob nicht andere Antworten auf die an die Kirche herangetragenen Ansprüche möglich und sinnvoll sind. Zunächst wäre da Verbindlichkeit zu nennen, oder treffender: Commitment. Jede Gemeinschaft hat ihre Standards und Grundregeln. Warum hören wir davon so selten?

Wer sein Kind taufen lassen möchte, der möge doch zunächst für ein Jahr in der Gemeinde mitleben, schlägt Thomas Frings in seinem Domradio-Interview vor. Warum eigentlich nicht? Sicher hindert uns die Angst vor dem Verlust möglicher Kirchensteuerzahler an solchen Schritten, doch ist dies keineswegs ein Naturgesetz. Der amerikanische Pastor Rick Warren hat auf solchen klaren Regeln eine bis heute stark wachsende Megachurch errichtet. Was hindert uns also – außer unserer eigenen Angst und unseren fehlenden eigenen Überzeugungen?

Die jahrgangsweise Abfertigung von Grundschulkindern mit der Erstkommunion und Jugendlichen mit der Firmung hat jedenfalls ihre Berechtigung längst verloren. Zu unterschiedlich sind mittlerweile die Voraussetzungen, die Kinder und Jugendliche mitbringen. Hier sind altersspezifische Kurse gefragt, die sie auf einen geistlichen Weg führen und die aus mehreren Modulen bestehen.

Während das Eingangsmodul jedem offen steht, sind alle weiteren an bestimmte und klar kommunizierte Voraussetzungen gebunden. Der Automatismus, mit dem heute die Anmeldung zum Kommunion- oder Firmkurs quasi selbstverständlich zum Empfang des Sakramentes führt, ist aufzugeben.

Zur Ironie der gegenwärtigen Situation gehört, dass derzeit an vielen Stellen die Konsumgesellschaft aufbricht und zu stärker partizipativen Modellen kommt. Dies wird auch in der Kirche versucht, bleibt aber vielerorts noch dabei stecken, dass bis jetzt professionell angebotene Dienstleistungen nun halt von Laien – im doppelten Wortsinn – erbracht werden sollen. Dieser Ansatz ist zum Scheitern verurteilt.

Gleiches gilt für das partizipative Missverständnis, demzufolge nun auch das Evangelium selbst und die Lehre der Kirche zur allgemeinen Mitgestaltung freigegeben seien. Das käme einer Selbstabschaffung gleich. Das Evangelium haben wir von Christus selbst empfangen, wir müssen es weitergeben – nicht daran herumbasteln, bis es besser zu unserer eigenen Agenda passt.

Das Wie, das Wo, das Wer der Verkündigung hingegen und vor allem ihr Adressat – das sind alles Punkte, die zur Partizipation geradezu auffordern. Denn dazu ist jeder Christ qua Taufe berufen.