Schweigen

Am vergangenen Dienstag haben wir meine kleine ein Jahr jüngere Schwester zu Grabe getragen. Am Freitag zuvor ist sie auf der Palliativstation am Uniklinikum Göttingen gestorben. Sie hinterlässt ihren Mann und zwei Söhne im Alter von sechs und acht Jahren, dem Alter nach genau zwischen unseren beiden.

Wie sich die Dinge fügten, konnte ich am Abend vor ihrem Tod auf der Rückreise von einem Termin in Frankfurt Halt in Göttingen machen. Ich bin dann dort geblieben. Wir waren zu viert in ihrer letzten Nacht an ihrem Bett.

Morgen nach Dienst fahre ich wieder zu meinen Eltern, meinem Schwager und meinen Neffen. Am Dienstag feiern wir in ihrem Wohnort eine Heilige Messe zum Wochengedenken.

Bitte betet für meine Schwester und ihre – unsere – Familie.

Dieses Notizbuch bleibt vorerst ohne neue Einträge.

Realitätsabgleich für eine Ministerin

Wer kümmert sich schon um lästige Details, wenn es um hehre Ziele wie die Verdreifachung der Krippenplatzversorgung geht? Manfred Spieker, Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Universität Osnabrück, ist verblüfft:

Niemand scheint die Berechnungen der Familienministerin nachgeprüft zu haben. Niemand konfrontiert ihre Forderungen mit den Geburtenzahlen des Statistischen Bundesamtes einerseits und den Wünschen der betroffenen Mütter andererseits.

  1. In Deutschland werden keine 700.000 Kinder mehr pro Jahr geboren (2006: 673.000, 2005: 686.000). Preisfrage: Wie viele Kinder bis zu drei Jahren kann es dann maximal geben?
  2. Für das erste Jahr bzw. die ersten 14 Monate gibt es Elterngeld – werden auch Krippenplätze für jedes dritte Kind im ersten Lebensjahr gebraucht?
  3. Die Zahl von 500.000 neuen Krippenplätzen ist mithin höchst unplausibel. Die lästigen Details können bei Spieker nachgelesen werden.

Das von-der-Leyensche Krippenprojekt missachtet aber nicht nur die Geburtenzahlen des Statistischen Bundesamtes, sondern auch die Wünsche der Frauen. Gerade einmal 17 Prozent sind nach einer Untersuchung des Ipsos-Instituts vom März 2007 der Meinung, dass die Kinder in einer Krippe am besten aufgehoben seien, während 81 Prozent die Erziehung durch die Eltern für das Beste halten.

Wäre die Familienpolitik an echter Wahlfreiheit der Eltern interessiert und würde sie die 1000 Euro, die ein Krippenplatz durchschnittlich im Monat kostet, direkt an die Mütter auszahlen, also Subjekt- statt Objektförderung betreiben, dann würden 69 Prozent der Mütter in den ersten drei Jahren zu Hause bleiben und ihr Kind selbst erziehen.

Noch Fragen?

Surréxit Dóminus vere, allelúia

Dies ist die Antiphon zum Invitatorium in der Osterzeit. Das deutsche Stundenbuch hat:

Christus ist erstanden; kommt, wir beten ihn an! Halleluja.

Womit die berechtigte Frage von Zuzanna nach dem Warum schon fast beantwortet wäre. Aber ich will etwas ausholen.

I.
Es ist nicht das Gleiche. Das deutsche Stundenbuch ist ganz offensichtlich keine getreue Übersetzung der Liturgia Horarum. Die Antiphon müsste sonst wohl lauten: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja.“

Nun wird es sicher gute Gründe für solche Änderungen geben, und das deutsche Stundenbuch ist nicht falsch oder schlecht. Aber es ist nicht das Original.

Man mag zu Recht einwenden, das gelte auch für die Liturgia Horarum. Und ganz sicher werde ich früher oder später auch ein Breviarum Romanum erwerben.

Aber eines nach dem anderen. Es werden im Sommer erst vier Jahre, seit ich mit dem Stundengebet begonnen habe. Der kleine grüne, völlig zerfledderte Stundenbuchband von damals steht noch im Regal.

Die Liturgia Horarum ist jetzt einfach dran.

II.
Der römische Ritus ist der lateinische Ritus. Latein ist die Universalsprache einer Weltkirche, die ich erst im Zweipäpste- und Weltjugendtagsjahr 2005 so richtig entdeckt habe. Die Weltkirche, meine ich.

Latein verbindet noch einmal ganz anders mit allen Betern im Heute und zu allen Zeiten, als es die deutsche Sprache kann.

At 11:30 p.m. on Christmas Eve I was twiddling the knob of my radio. Unable to get out to Midnight Mass I wanted at least to bring it to my fireside. And as I switched from one European station to the next I tuned in to one Midnight Mass after the other. Belgium, France, Germany, Eire, yes, even behind the Iron Curtain, Prague. It seemed as though the whole of what was once Christendom was celebrating what is potentially the most unifying event in man’s history. And the important thing was that it was the same Mass. I am a newcomer to the Mass but I was able to recognized its continuity as I went from station to station for it was in one common language. This aspect of Catholicism is but a single one, and maybe not the most important. But I have a strong feeling that it is precisely the Catholicism of the Catholic Church which may prove the greatest attraction, and will meet the greatest need, for my disillusioned generation. [Douglas Hyde]

Als privater Beter des Stundengebetes und als Laie bin ich erst einmal allein. Den Weltpriestern geht es ähnlich. Das Gebet in Gemeinschaft ist, anders als bei Ordensleuten, die seltene Ausnahme. Das Stundengebet ist und bleibt aber in seinem Innersten ein Gemeinschaftsgebet, auch für mich. Das ist in jeder Sprache so.

Die Grundgebete und das Ordinarium der Messe sind mir inzwischen auf Latein geläufig. Damit entspreche ich, nebenbei, einem Wunsch des Heiligen Vaters.

III.
Latein ist eine charmante Kombination aus klassischer, herber Strenge und mediterraner Leichtigkeit. Latein ist schön. Man mag das als Ästhetizismus abtun. Dem halte ich entgegen, dass nicht zufällig das Wahre, Gute und Schöne in einer Reihe aufgezählt werden, nicht das Wahre, Gute und Hässliche.

Ich höre und sehe soviel Hässliches, leider auch in der Liturgie, dass ein moderater Ästhetizismus als Gegengewicht vielleicht nützlich ist. Oder sagen wir: ein Sinn für Ästhetik. aísthesis heißt ja nur sinnliche Wahrnehmung. (Denn sind wir etwa Protestanten?)

IV.
Latein bewahrt mich vor der Illusion, ich würde verstehen, was die liturgischen Texte sagen. Die Wahrheit ist: Ich verstehe nur wenig. In deutscher Sprache fällt das nur nicht so auf.

Und in Zeiten eines imminenten Motu Proprio und einer neuen Lateinbegeisterung allenthalben ist Latein natürlich einfach nur hip. Wann konnte man zuletzt mit Latein ganz vorn dabei sein und sich als Avantgarde fühlen?

Dixít Dóminus Dómino meo

Langjährige Leser wissen vielleicht, dass ich den Rosenkranz seit geraumer Zeit in lateinischer Sprache bete. Dabei hilft mir ein seinerzeit selbstgebasteltes, doppelseitig bedrucktes Blättchen [frisch aktualisiertes PDF hier, beim Kompendium gibt es ein viel besseres Faltblatt]. Mit dieser Hilfe habe ich mittlerweile das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Pater noster, das Ave Maria, das Salve regina etc. in Latein auswendig gelernt.

Seit Anfang 2006 benutze ich das große Stundenbuch [hier ein Preisvergleich der lieferbaren Stundenbücher] für mein tägliches Gebet. Die Eröffnung und den Schluss der verschiedenen Horen, einige Hymnen, die Cantica Benedictus und Magnificat sowie das Te Deum bete ich seitdem auch auf Latein.

Zu Beginn der Heiligen Woche brachte die Post ein Paket mit den vier Bänden der Liturgia Horarum, sehr günstig bei Ebay erworben. Sie stammen aus Beständen der offensichtlich aufgelösten Bibliothek des geschlossenen Ordensseminars Geistingen CSsR, das zum Anfang 2006 aufgegebenen Kloster Geistingen gehörte.

Jetzt werde ich nicht auf einen Schlag das gesamte Stundengebet auf Latein verrichten, aber doch so manche Hore. Auch wenn ich natürlich nicht alles auf Anhieb verstehe. Ganz im Gegenteil – die meisten Hymnen zum Beispiel sind ziemlich unverständlich. Und für die Lesungen der Lesehore werde ich wohl beim deutschsprachigen Lektionar bleiben. Auch wenn es natürlich seinen Reiz hat, ex Catechésibus Hierosolymitánis auf Latein zu lesen.

Römische Verträge

Es war kein Zufall, dass die Römischen Verträge vor 50 Jahren genau am Fest der Verkündigung des Herrn unterzeichnet wurden, geschweige denn, dass dies just in Rom geschah. Adenauer und Schuman waren schließlich Katholiken, die wussten, was sie taten.

Fünfzig Jahre später darf in der Berliner Erklärung nicht einmal Gott erwähnt werden.

***

Gesegnete Ostern!

Bis zum Äußersten

Es gibt zwei Tage im Jahr, an denen Frau K. in die Kirche geht – Heiligabend und Karfreitag. Frau K. ist Protestantin, das erklärt Einiges. Denn der Karfreitag gilt den Protestanten als höchster Feiertag des ganzen Jahres. Und das ist nicht einmal falsch. Man könnte sagen: Der Karfreitag ist der Mittelpunkt, um den sich das ganze Kirchenjahr dreht. Was am Karfreitag geschieht, das geschieht in jeder Messe: Gott selbst liefert sich dem Menschen aus. Er gibt sich in die Hände des Menschen.

Am Karfreitag geht er bis zum Äußersten, bis zum Tod am Kreuz. Er gibt sich selbst. Aus Liebe. Genau das heißt Liebe: Hingabe. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“, sagt Jesus Christus im Johannesevangelium (15,13). Sich selbst hingeben. Das tut Gott selbst am Karfreitag. Damit wird er, wie der Hebräerbrief sagt, zum Hohenpriester. Er tut das, um uns Menschen zu gewinnen – unser freies Ja der Liebe. Weil wir frei sind, muss Gott auf dieses Ja warten. Oder anders: Würde Gott uns zwingen, wären wir nicht frei. Und von Liebe könnte keine Rede sein.

Joseph Ratzinger schreibt in seiner Einführung in das Christentum (274f.):

Das Kreuz ist Offenbarung. Es offenbart nicht irgendetwas, sondern Gott und den Menschen. Es enthüllt, wer Gott ist und wie der Mensch. […] Dass der vollendete Gerechte, als er erschien, zum Gekreuzigten, von der Justiz dem Tod Ausgelieferten, wurde, das sagt uns nun schonungslos, wer der Mensch ist: So bist du, Mensch, dass du den Gerechten nicht ertragen kannst – dass der einfach Liebende zum Narren, zum Geschlagenen und Verstoßenen wird.

Mit Jesus Christus ist Gott selbst am Kreuz gestorben – und zugleich ein Mensch. „Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist“, sagt der Hebräerbrief (4,15). Einer von uns. Warum ist das wichtig? Weil damit alles schon getan ist: Die Menschheit ist mit Gott versöhnt. Wir müssen uns nicht mehr selbst rechtfertigen vor Gott – was ohnehin, wie jeder weiß, ein vergebliches Bemühen ist.

„Er hat für uns beim ewigen Vater Adams Schuld bezahlt und den Schuldbrief ausgelöscht mit seinem Blut, das er aus Liebe vergossen hat“, heißt es im Exsultet, dem feierlichen Lobgesang der Osternacht. Mit Christi Tod am Kreuz hat ein Mensch Adams Schuld bezahlt, die in der Abwendung von Gott bestand. Der Mensch wird schuldig, indem er die Liebe Gottes zurückweist. Und deshalb wird Gott selbst Mensch, um den Menschen mit sich zu versöhnen.

Es hat also auch mit dem Kirchgang von Frau K. am Heiligabend seine Richtigkeit. Denn was feiern wir zu Weihnachten? Gott ist Mensch geworden. Ohne Weihnachten kein Karfreitag. Und kein Ostern. Das ist schon mal einen Kirchgang wert.