Wie im Grunde immer während seines achtjährigen Pontifikates und auch schon zuvor spricht Papst Benedikt sehr klar und deutlich über die Gründe seines Amtsverzichtes. Insofern müsste es eigentlich verwundern, dass darüber allenthalben solch ein großes Rätselraten veranstaltet wird.
Schon 2011 hatte er auf eine Frage Peter Seewalds eine Antwort gegeben, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig ließ:
“Wenn ein Papst zur klaren Erkenntnis kommt, dass er physisch, psychisch und geistig den Auftrag seines Amtes nicht mehr bewältigen kann, dann hat er ein Recht und unter Umständen auch eine Pflicht, zurückzutreten.”
Sehr ähnlich formulierte er dann am 11. Februar seinen Amtsverzicht:
Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewißheit gelangt, daß meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben. […] Um […] das Schifflein Petri zu steuern und das Evangelium zu verkünden, ist sowohl die Kraft des Körpers als auch die Kraft des Geistes notwendig, eine Kraft, die in den vergangenen Monaten in mir derart abgenommen hat, daß ich mein Unvermögen erkennen muß, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen.
In der lateinischen Originalfassung spricht er von der „vigor quidam corporis et animae“, also der Kraft gleichermaßen des Körpers wie des Geistes, die „necessarius est, qui ultimis mensibus in me modo tali minuitur, ut incapacitatem meam ad ministerium mihi commissum bene administrandum agnoscere debeam“. Dass er diese Erklärung am Welttag der Kranken abgab, der in diesem Jahr in Altötting in seiner bayerischen Heimat begangen wurde, und zugleich Gedenktag Unserer Lieben Frau in Lourdes ist, ist ein weiterer deutlicher Hinweis.
Im letzten Satz kündigt er dann an, was seitdem wie ein roter Faden durch seine letzten öffentlichen Ansprachen läuft:
Was mich selbst betrifft, so möchte ich auch in Zukunft der Heiligen Kirche Gottes mit ganzem Herzen durch ein Leben im Gebet dienen.
In seiner vorletzten Generalaudienz zwei Tage später formulierte er:
Ich bin mir des Ernstes dieses Aktes sehr bewußt, aber ich bin mir ebenso bewußt, nicht mehr in der Lage zu sein, das Petrusamt mit der dafür erforderlichen Kraft auszuüben. Mich trägt und erleuchtet die Gewißheit, daß es die Kirche Christi ist und der Herr es ihr nie an seiner Leitung und Sorge fehlen lassen wird.
Auf sein künftiges Leben im Gebet kommt er einige Tage später vor dem römischen Klerus zurück:
Auch wenn ich mich jetzt zurückziehe, bin ich doch im Gebet euch allen immer nahe, und ich bin mir sicher, dass auch ihr mir nahe sein werdet, auch wenn ich für die Welt verborgen bleiben werde. […] Ich werde immer bei euch sein, auch wenn ich im Gebet zurückgezogen sein werde. Der Herr siegt.
Das Motiv des Gebets rückt in der Ansprache zum letzten Angelus dann in den Mittelpunkt:
Der Herr ruft mich, den ‚Berg hinaufzusteigen’, mich noch mehr dem Gebet und der Betrachtung zu widmen. Doch dies bedeutet nicht, die Kirche zu verlassen, im Gegenteil. Wenn Gott dies von mir fordert, so gerade deshalb, damit ich fortfahren kann, ihr zu dienen, mit derselben Hingabe und mit derselben Liebe, mit denen ich es bis jetzt versucht habe, aber in einer Weise, die meinem Alter und meinen Kräften angemessener ist.
Diese theologische Deutung baut Benedikt XVI. in seiner letzten Generalaudienz schließlich weiter aus:
„In diesen letzten Monaten habe ich gefühlt, wie meine Kräfte nachlassen, und ich habe Gott im Gebet inständig gebeten, mich mit seinem Licht zu erleuchten, damit ich die beste Entscheidung nicht zu meinem Wohl, sondern zum Wohl der Kirche treffe. Ich habe diesen Schritt im vollen Bewusstsein darum, wie schwerwiegend und auch wie neu er ist, getan, aber mit tiefer Gelassenheit. Die Kirche lieben heißt auch, schwierige, harte Entscheidungen zu treffen und sich dabei immer das Wohl der Kirche vor Augen zu halten, nicht das eigene Wohl.“
Benedikt XVI. kam noch einmal auf den 19. April 2005 zurück – den Tag, an dem er im Konklave zum Papst gewählt worden war. „Die Schwere der Entscheidung lag auch an der Tatsache, dass ich von diesem Moment an völlig und für immer im Einsatz für den Herrn war. Immer – wer den Petrusdienst übernimmt, hat keine Privatsphäre mehr. Er gehört immer und völlig allen, der ganzen Kirche. Seinem Leben wird sozusagen die private Dimension völlig genommen. Aber ich konnte erfahren und erfahre es genau jetzt, dass einer das Leben gewinnt, wenn er es gibt.“ Ein Papst habe „Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter in der ganzen Welt“ und fühle sich „sicher in der Umarmung der Gemeinschaft“. Er gehöre „nicht mehr sich selbst, sondern allen, und alle gehören ihm“.
„Das „Immer“ ist auch „Für immer“: Es gibt keine Rückkehr ins Private. Meine Entscheidung, auf die aktive Ausübung des Dienstes zu verzichten, widerruft das nicht. Ich kehre nicht ins Privatleben zurück, in ein Leben der Reisen, Begegnungen, Empfänge, Konferenzen usw. Ich verlasse nicht das Kreuz, ich bleibe auf eine neue Weise beim gekreuzigten Herrn. Ich habe nicht mehr die Amtsgewalt für die Regierung der Kirche, aber ich bleibe im Dienst des Gebets sozusagen im Bereich des heiligen Petrus. Der heilige Benedikt, dessen Namen ich als Papst trage, wird mir darin immer ein großes Beispiel sein. Er hat uns den Weg gezeigt zu einem Leben, das – aktiv oder passiv – doch vollständig dem Werk Gottes gehört.“
Er danke „allen und jedem einzelnen für den Respekt und das Verständnis“, auf das seine Entscheidung zum Rücktritt gestoßen sei, fuhr Benedikt XVI. fort. „Ich werde den Weg der Kirche weiter mit dem Gebet und der Meditation begleiten, mit derselben Hingabe an den Herrn und an die Kirche, um die ich mich bis heute bemüht habe. Ich bitte euch, vor Gott an mich zu denken und vor allem für die Kardinäle zu beten, die zu einer so wichtigen Aufgabe aufgerufen sind, und für den neuen Nachfolger des Apostels Petrus. Der Herr begleite ihn mit dem Licht und der Kraft seines Geistes.“
Ist dem noch etwas hinzuzufügen? Wer Ohren hat zu hören, der höre.