Am morgigen Sonntag wird Papst Paul VI. seliggesprochen. Aus diesem Anlass sei an seine letzte Enzyklika namens Humanae Vitae erinnert, ein tatsächlich prophetisches Rundschreiben.
Die Veränderungen sind wirklich bedeutsam und verschiedenartig. Zunächst handelt es sich um die rasche Bevölkerungszunahme: viele fürchten, daß die Weltbevölkerung schneller zunimmt, als die zur Verfügung stehende Nahrung erlaubt. Dadurch wächst die Not in vielen Familien und in den Entwicklungsländern. Das kann staatliche Regierungen leicht dazu drängen, diese Gefahr mit radikalen Maßnahmen zu bekämpfen. Dazu erschweren nicht nur Arbeits- und Wohnverhältnisse, sondern auch gesteigerte Ansprüche wirtschaftlicher Art und im Hinblick auf die Erziehung und den Unterricht der Jugend den angemessenen Unterhalt einer größeren Zahl von Kindern. Wir erleben auch einen gewissen Wandel in der Auffassung von der Persönlichkeit der Frau und ihrer Aufgabe in der menschlichen Gesellschaft; ebenso in der Auffassung vom Wert der Gattenliebe in der Ehe und in der Beurteilung des ehelichen Verkehrs im Hinblick auf diese Liebe. Schließlich ist vor allem der staunenswerte Fortschritt des Menschen in der Beherrschung der Naturkräfte und deren rationaler Auswertung in Betracht zu ziehen. Diese Herrschaft sucht nun der Mensch auf sein ganzes Leben auszudehnen: auf seinen Körper, seine seelischen Kräfte, auf das soziale Leben und selbst auf die Gesetze, die die Weitergabe des Lebens regeln. […]
Die Frage der Weitergabe menschlichen Lebens darf – wie jede andere Frage, die das menschliche Leben angeht – nicht nur unter biologischen, psychologischen, demographischen, soziologischen Gesichtspunkten gesehen werden; man muß vielmehr den ganzen Menschen im Auge behalten, die gesamte Aufgabe, zu der er berufen ist; nicht nur seine natürliche und irdische Existenz, sondern auch seine übernatürliche und ewige. […]
Auch muß man wohl befürchten: Männer, die sich an empfängnisverhütende Mittel gewöhnt haben, könnten die Ehrfurcht vor der Frau verlieren, und, ohne auf ihr körperliches Wohl und seelisches Gleichgewicht Rücksicht zu nehmen, sie zum bloßen Werkzeug ihrer Triebbefriedigung erniedrigen und nicht mehr als Partnerin ansehen, der man Achtung und Liebe schuldet. Schließlich ist sehr zu bedenken, welch gefährliche Macht man auf diese Weise jenen staatlichen Behörden in die Hand gäbe, die sich über sittliche Grundsätze hinwegsetzen. Wer könnte es Staatsregierungen verwehren, zur Überwindung der Schwierigkeiten ihrer Nationen für sich in Anspruch zu nehmen, was man Ehegatten als erlaubte Lösung ihrer Familienprobleme zugesteht? Wer könnte Regierungen hindern, empfängnisverhütende Methoden zu fördern, die ihnen am wirksamsten zu sein scheinen, ja sogar ihre Anwendung allgemein vorzuschreiben, wo immer es ihnen notwendig erscheint? Auf diese Weise könnte es geschehen, daß man, um Schwierigkeiten persönlicher, familiärer oder sozialer Art, die sich aus der Befolgung des göttlichen Gesetzes ergeben, zu vermeiden, es dem Ermessen staatlicher Behörden zugestände, sich in die ganz persönliche und intime Aufgabe der Eheleute einzumischen. Will man nicht den Dienst an der Weitergabe des Lebens menschlicher Willkür überlassen, dann muß man für die Verfügungsmacht des Menschen über den eigenen Körper und seine natürlichen Funktionen unüberschreitbare Grenzen anerkennen, die von niemand, sei es Privatperson oder öffentliche Autorität, verletzt werden dürfen. Diese Grenzen bestimmen sich einzig aus der Ehrfurcht, die dem menschlichen Leibe in seiner Ganzheit und seinen natürlichen Funktionen geschuldet wird. […]
Alle, denen der Fortschritt der menschlichen Kultur und der Schutz der wesentlichen Güter der Seele am Herzen liegt, müssen einstimmig verurteilen, was bei den modernen Massenmedien dazu beiträgt, die Sinne aufzupeitschen und Sittenverfall zu verbreiten, ebenso jede Form von Pornographie in Schrift, Wort und Darstellung. Man soll doch nicht versuchen, solche Entartung mit Berufung auf Kunst und Wissenschaft zu rechtfertigen oder mit dem Hinweis auf die Freiheit, die vielleicht in diesem Bereich die staatlichen Stellen gewähren.
Humanae Vitae erhält in der Rückschau noch zusätzliches Gewicht durch die Tatsache, dass es sich um die letzte Enzyklika des künftigen Seligen Papstes Paul VI. handelt. Und zwar nicht, weil er kurz danach verstorben wäre, sondern weil er in den letzten zehn Jahren seines Pontifikates kein solches Rundschreiben mehr veröffentlichte.