Über Ehe und Familie

In der Debatte um aktuelle Fehlentwicklungen des Eherechts – Stichwort Irland – werden zwei Aspekte stark vernachlässigt. Da wäre zum einen die Tatsache, dass es sich hier nur um den vorläufigen Schlusspunkt eines mindestens seit Jahrzehnten andauernden Prozesses handelt, der soziologisch als Individualisierung und empirisch als Auflösung von Ehe und Familie beschrieben werden kann. Und zum anderen die einfache Kennziffer für die Performance unserer Familienpolitik – die Geburtenrate.

1. Die meisten westlichen Gesellschaften haben in den vergangenen Jahrzehnten das Konzept Ehe und Familie schrittweise aufgelöst. Statt ehelicher und familiärer Bande erhielt nun das Individuum den höheren Rang.

Ein wichtiger politischer Schritt dazu war die Adenauersche Rentenreform, die es erstmals breiten Gesellschaftsschichten wirtschaftlich ermöglichte, auf eigenen Nachwuchs zu verzichten und trotzdem im Alter abgesichert zu sein. Das Rentensystem sorgt seitdem zuverlässig für eine Umverteilung zulasten der Familien und zugunsten der Kinderlosen, die sich nicht an der Versorgung der heranwachsenden Generation beteiligen, selbst aber im Alter von den Kindern anderer Leute versorgt werden.

In die gleiche Zeit fällt die nahezu flächendeckende Verbreitung künstlicher Verhütungsmittel, die den Verzicht auf Nachwuchs auch praktisch erheblich erleichterte. Und nicht zu vergessen die faktische Freigabe der Abtreibung, der schwarzen Schwester der künstlichen Empfängnisverhütung. Seit Jahrzehnten wird ein signifikanter Teil der in einem Jahr gezeugten Kinder schon im Mutterleib getötet – illegal, aber straffrei.

Mit diesen Reformschritten war der Zusammenhang zwischen Ehe und Nachkommenschaft aufgeweicht und die frühere Ausnahme der Kinderlosigkeit auf dem besten Wege zum Normalfall. Das Akronym DINK war entstanden: double income, no kids, und im Alter eine höhere Rente als die Familienväter und -mütter sie bekommen, bezahlt von deren Kindern. Absurd, aber seit Jahrzehnten Realität.

Der nächste Schritt – nach der Schwächung der Generationenfolge – war die Lockerung des Ehebandes durch die Einführung und Erleichterung der Ehescheidung. Wirtschaftlich gesehen wurde dadurch die Versorgungsgemeinschaft einer Ehe zunehmend in Frage gestellt und tendenziell prekär. Die Ehe besteht nun nicht mehr bis zum Tod, sondern nur noch unter Vorbehalt der jederzeit möglichen Auflösung.

Kinder, einst Reichtum und Garant eines sorgenfreien Ruhestands, sind heute zum Armutsrisiko geworden und versorgen als Erwachsene über ihre Steuern und Rentenbeiträge statt ihrer eigenen Eltern vorrangig deren kinderlose Generationsgenossen. „Alleinerziehend“ ist zum Synonym für „von Armut bedroht“ geworden.

Denn geblieben ist, mit relativ geringen Einschränkungen, die lebenslange Versorgungspflicht zwischen Eltern und Kindern. Aber nur deshalb, weil der nimmersatte Sozialstaat sich bis jetzt nicht in der Lage sah, auch noch die Lasten zu tragen, die diese Versorgungsgemeinschaften immer schon selbstverständlich schulterten.

Das aktuelle Scheidungsrecht in Deutschland entlässt den zu versorgenden Teil einer früheren Ehe mittlerweile brutalst schnell ins wirtschaftlich Bodenlose, was einer weiteren Bestrafung für jeglichen Aufwand zur Versorgung und Betreuung der eigenen Kinder gleichkommt. Wer Kinder hat und sich um sie kümmert, wer dafür die Erwerbstätigkeit reduziert, der hat verloren. Das betrifft immer noch überwiegend Frauen – wäre aber auch nicht besser, wenn es umgekehrt wäre.

Geblieben ist auch noch das Ehegattensplitting, also die steuerliche Berücksichtigung der simplen Tatsache, dass von einem Familieneinkommen zwei Eheleute leben müssen. Deshalb werden sie so besteuert wie zwei Alleinstehende, die jeweils die Hälfte des Familieneinkommens erzielen. Einkommensunterschiede zwischen Ehepartnern führen somit nicht zu einer höheren Besteuerung. Der aufmerksame Leser sieht bereits, dass es sich nicht um einen Vorteil, gar eine Subvention handelt, sondern nur um die Vermeidung ungerechtfertigter Nachteile. Bereits seit 2013 gilt diese Regelung auch für eingetragene Partnerschaften.

2. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass die Geburtenrate wie ein Stein fiel und auf niedrigstem Niveau verharrt. Die Geburtenziffer in Deutschland schwankt seit Jahrzehnten um den Wert 1,4. Über dem Schwellenwert von 2,1 lag sie zuletzt 1970, also vor 45 Jahren.

Warum ist der Wert von 2,1 so wichtig? Eine Geburtenziffer von 2,1 beschreibt eine stabile Bevölkerungsentwicklung. Die Bevölkerung wächst nicht, aber sie schrumpft auch nicht. Die Alterspyramide, also der Bevölkerungsaufbau nach Altersgruppen, bleibt intakt. Es gibt genug junge Menschen, die an der Zukunft interessiert sind und die Alten versorgen können. Für ein äußerst wohlhabendes Land wie das unsere wäre das eine komfortable Situation.

Stattdessen fehlt uns seit 45 Jahren jeweils ein Drittel eines Jahrgangs. Die übrigen zwei Drittel müssen also die entsprechenden Lasten zusätzlich schultern. Und da die in den siebziger und achtziger Jahren nicht geborenen Kinder auch als Eltern ausfallen, befindet sich dieser Schrumpfungsprozess inzwischen in der zweiten Generation. Das ganze wird nur abgemildert durch die geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge, die noch im Erwerbsleben stehen, und durch Einwanderung. Kann aber Einwanderung die Lösung sein? Nur zum Teil.

De facto wandern ja nicht die fehlenden Neugeborenen eines Jahrgangs zu, sondern überwiegend erwachsene Menschen. Sie füllen so quasi nachträglich die leeren Ränge ihrer Jahrgänge auf. Dadurch haben wir praktisch einen erheblichen Teil unserer generativen Leistung ins Ausland ausgelagert.

Wir importieren neben Rohstoffen nun auch Menschen, die anderswo geboren, aufgezogen und ausgebildet wurden. Gibt es dafür einen angemessenen Ausgleich oder ist das eine Form des Neo-Kolonialismus? Müssten wir nicht Geld in die Herkunftsländer der Einwanderer überweisen, um die dort entstandenen Aufwände abzugelten? Die Einwanderer selbst tun dies häufig, um ihre im Heimatland verbliebenen Familien zu unterstützen.

Neben solchen Fragen bleibt festhalten, dass die Überalterung der hiesigen Bevölkerung durch Zuwanderung nur abgemildert, aber keineswegs ausgeglichen wird. Zugleich muss die Frage erlaubt sein, was aus einer Gesellschaft wird, die sich selbst nicht mehr reproduzieren kann und stattdessen auf Menschenimporte angewiesen ist.

Man kann all diese Veränderungen unterschiedlich bewerten. Es gibt ja durchaus die von einem manischen Selbsthass getriebene Position, die ein langfristiges Aussterben der deutschen Bevölkerung für wünschenswert hält. Ähnlich werden auch Familie und Ehe als rückständig und zu überwindende Relikte früherer Zeiten betrachtet. Und Kinder als zu vermeidendes Armutsrisiko. Nach mir die Sintflut, scheint mir das dazu passende Motto zu sein.

Papst Benedikt hat in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag von der Ökologie des Menschen gesprochen. Die Familie gehört zur Natur des Menschen, und an der Geburtenziffer lässt sich ablesen, wie es darum bestellt ist. Die Geburtenziffer ist der KPI unserer Gesellschaft, wie das Bruttoinlandsprodukt der KPI unserer Wirtschaft ist.

All jene oben beschriebenen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte hätten also beweisen müssen, dass sie die Geburtenziffer nicht negativ, sondern positiv beeinflussen. Das Gegenteil ist der Fall. Was folgt nun daraus? Für die Verfechter dieser Art von Fortschritt bleibt nicht viel mehr als die Hoffnung, dass sich dieses seit 45 Jahren im freien Fall befindliche System irgendwann wieder stabilisieren wird. Nun, das wird es in jedem Fall. Die Frage ist nur, wie hart der Aufschlag sein wird und ob es noch rechtzeitig gelingt, die Reißleine zu ziehen und den Fallschirm zu öffnen – wenn es ihn denn gibt.

3. Vor diesem Hintergrund lässt sich die sogenannte Öffnung der Ehe für Menschen, die bis jetzt nicht die Ehevoraussetzungen erfüllen, auf den ersten Blick als Gegenbewegung zur Individualisierung lesen. Und tatsächlich ist die gegenseitige Übernahme von Verantwortung sicher zu begrüßen.

Schon bei der Einführung der eingetragenen Partnerschaft indes gab es auch Stimmen aus dem sich selbst für progressiv haltenden Lager, die alles Eheähnliche als reaktionär verdammen und daher ablehnen. Deren Ziel ist die Abschaffung von Ehe und Familie, und tatsächlich ist, wie wir bis jetzt gesehen haben, dieses Ziel schon zu gewissen Teilen erreicht.

Wenn Ehe nicht mehr mit Fortpflanzung verbunden ist, dann ist nicht mehr so leicht einzusehen, warum sie genau einem Mann und genau einer Frau vorbehalten sein soll. Und wenn diese Ehevoraussetzung erst einmal entfallen ist, steht sicher demnächst eine Debatte über Polygamie an.

Doch zunächst soll uns die Frage beschäftigen, was gegen diese neuerliche Änderung des Ehebegriffs spricht. Der Katechismus der Katholischen Kirche schreibt über homosexuell veranlagte Menschen:

Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen. [KKK 2358]

Ist es also eine ungerechte Zurücksetzung, wenn Homosexuelle keine Ehe schließen können? Nun, wenn das Konzept Ehe bereits so weit aufgeweicht ist, dass Fortpflanzung nicht mehr zu einer Ehe gehört, nicht einmal potentiell oder gedanklich, dann könnte man das meinen.

Insofern haben eigentlich Adenauers Rentenreform, die Einführung künstlicher Verhütung und die Freigabe der Abtreibung die Voraussetzung dafür geschaffen, dass diese Frage überhaupt gestellt werden kann. Noch vor sechzig Jahren hätte man wahrscheinlich über das Ansinnen gelacht und zurückgefragt: Und wie wollt ihr Kinder bekommen?

Nun, auch dieses Problem ist durch Instrumente wie Leihmutterschaft (die in Deutschland verboten ist), künstliche Befruchtung oder Adoption inzwischen gelöst – allerdings nicht zum Wohle der Kinder, um das es in dieser ganzen Debatte ohnehin überhaupt noch nicht ging. Was dient eigentlich dem Wohl der Kinder?

Im Grunde ist unbestritten, dass es im Allgemeinen dem Wohl des Kindes dient, bei seinen biologischen Eltern aufzuwachsen. Bestritten wird dies nur von familienfeindlichen Ideologen, deren Zahl allerdings wächst. Aus dem Kindeswohl ergibt sich auch eine starke Pflicht für Eltern, eine Trennung nach Möglichkeit zu vermeiden.

Man wird kaum sagen können, dass die geforderte Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare das Kindeswohl befördert. Bestenfalls kann es eine Art zweitbeste Lösung sein, dass Kinder getrennt von mindestens einem Elternteil aufwachsen, wie es in solchen Konstellationen der Fall wäre. Und zwar dann, wenn ein Elternteil oder beide Eltern ihrer Pflicht gegenüber den eigenen Nachkommen aus guten Gründen nicht nachkommen können.

4. Lässt sich aus solchen Ausnahmen ein allgemeines Gesetz ableiten? An sich nicht. Jedoch ist genau dies bei allen oben beschriebenen gesellschaftlichen und familienpolitischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte geschehen.

Mit dem berühmten Satz „Kinder bekommen die Leute immer“ soll Konrad Adenauer den Einwand gegen seine Rentenreform beiseitegewischt haben, dass dadurch zwar die Versorgung der jeweiligen Rentnergeneration vergesellschaftet werde, die Versorgung der Kinder jedoch Privatsache bleibe, was Familien benachteilige und somit zu einem Rückgang der Geburtenzahlen führen würde. Adenauer nahm an, dass die Familie mit Kindern die Norm und Kinderlosigkeit die Ausnahme bleiben würde. Er konnte oder wollte nicht voraussehen, dass sich die Norm durch die veränderten Rahmenbedingungen verschieben und die Ausnahme immer mehr zur Regel werden würde.

Mit einer ähnlichen Denkfigur wurde die Freigabe der Abtreibung begründet. Aus relativ seltenen, extremen Ausnahmen wie der Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung oder der Gefährdung des Lebens der Mutter konstruierten die Befürworter ein allgemeines Gesetz. Dass die Extremfälle nur einen verschwindend geringen Anteil aller Abtreibungen ausmachen, fiel dabei unter den Tisch. Die Ausnahme wurde zur Norm, und heute haben wir gesellschaftlich fast schon so etwas wie eine Pflicht zur Tötung ungeborenen Lebens.

Die Eltern behinderter Kinder müssen sich heute fragen lassen, ob das nicht vermeidbar gewesen wäre – i.e. das Kind nicht vor der Geburt hätte getötet werden können oder müssen. Ganzen Bevölkerungsgruppen wird auf diese Weise praktisch das Lebensrecht abgesprochen, und es ist nur konsequent, auch über die Tötung „auf Verlangen“ alter oder kranker Menschen zu diskutieren, wie es gerade wieder geschieht. Eine Gesellschaft, die das menschliche Leben nicht konsequent schützt, ist zutiefst inhuman.

Und nach dem gleichen Strickmuster war die Argumentation für die Einführung der Ehescheidung gestrickt. Aus der Ausnahme einer nicht mehr tragfähigen Ehe, die keinen anderen Ausweg als die Trennung lässt, ist heute ein allgemeines Gesetz geworden. Die Schwelle zur Scheidung ist drastisch gesunken. Die Ehe, die nicht geschieden wird, ist auf dem besten Weg zur Ausnahme.

In allen drei Fällen wurde die Norm verändert, mit enormen Auswirkungen auf die Mehrheit, die ja angeblich gar nicht von der Änderung betroffen war. Die gleiche Argumentationsfigur begegnet uns auch jetzt wieder allenthalben, gekleidet in die Behauptung, dass sich durch die angestrebte Öffnung für bestehende Ehen oder künftige heterosexuelle Eheschließungen nichts ändern würde.

Dieses Argument ist selbstverständlich falsch, denn eine Änderung der Norm hat immer Auswirkungen auf alle, für die eine Norm gilt. In diesem Fall würde das ohnehin schon geschwächte und aufgeweichte Verständnis der Ehe weiter geschwächt und aufgeweicht. Dagegen lässt sich höchstens sagen, dass es darauf nun auch nicht mehr ankäme.

Gewichtiger allerdings ist ein zweites Argument, das auf der Frage beruht, was die angestrebte Änderung eigentlich für die Geburtenziffer bedeuten würde, den zentralen KPI jeder Gesellschaft. Die Antwort: Im besten Falle nichts. Das läge dann daran, dass die familienpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahrzehnte überwiegend wirkungslos oder gar schädlich wären, jedenfalls nichts zur Erhöhung der Geburtenziffer beigetragen hätten. In diesem Fall wäre es dann auch egal, wenn eine weitere Gruppe in den Genuss allerlei zweifelhafter Regelungen käme, die ihren eigentlichen Zweck – die Familienförderung – ohnehin verfehlen.

Sollten aber wirksame Maßnahmen darunter sein, deren Wirkung nur durch andere, stärkere Gegentrends neutralisiert würde, dann könnte ein ähnlicher Effekt eintreten, wie ihn die Adenauersche Rentenreform hatte. Wenn neben den immer zahlreicher werdenden kinderlosen Ehepaaren noch eine weitere Gruppe von familienpolitischen Fördermaßnahmen profitieren würde, ohne einen eigenen Beitrag zur Reproduktion zu leisten, dann ginge das wieder einmal zu Lasten der Familien mit Kindern.

Schließlich kann das Geld nur einmal ausgegeben werden. Hier liegt ein klassischer Verteilungskampf vor, bei dem eine Gruppe ihren Anteil vom Kuchen fordert, die bis jetzt nicht in diesen Genuss kam. Käme sie zum Zuge, würde der verbleibende Rest des Kuchens kleiner. Man sieht also leicht, dass das oben zitierte Argument, es würde sich ja für Normalbürger nichts ändern, schlicht falsch ist.

Es verwundert eher, warum ein einfach zu durchschauender Propagandatrick so große Verbreitung in einer sich kritisch dünkenden Öffentlichkeit findet. Man könnte sich an Orwell und 1984 erinnert fühlen. Meine Erklärung dafür ist simpel: Wunschdenken dominiert heute die meisten Diskurse. Wir leben in einer Pippi-Langstrumpf-Welt.

Zweimal drei macht vier –
widdewiddewitt und drei macht Neune!
Ich mach‘ mir die Welt –
widdewidde wie sie mir gefällt.

5. Herr Kästner, wo bleibt das Positive? Nun, mittelfristig werden sich Gesellschaften durchsetzen, deren KPI – die Geburtenziffer – bei mindestens 2,1 liegt. Bevölkerungsgruppen, die mehr Kinder hervorbringen, verdrängen die Kinderarmen und Kinderlosen. Insofern ist das Konzept Ehe und Familie immer stärker und wird sich schließlich durchsetzen.

Jedes Kind versteht, dass zweimal drei nicht vier ist, während es mit Pippi Langstrumpf von einer Welt träumt, die Kindern gefällt. Eine Welt, die Kinder schätzt und liebt, ist die beste aller Welten.

6. Nachdem dieser Beitrag ohnehin schon viel zu lang ist, will ich abschließend noch kurz einige zu erwartende Einwände gegen die hier formulierte Argumentation behandeln.

Biologismus: Entspricht nicht meiner Intention. Wohl aber argumentiere ich auf Basis eines Verständnisses von Naturrecht, von dem ich zwar weiß, dass es nicht allgemein geteilt wird, das ich aber weiterhin für eine mit guten Gründen vertretbare Position halte. Insbesondere den Grünen wäre dringend anzuraten, ihre weltanschaulichen Grundlagen auf dieser Basis zu reflektieren und die inneren Widersprüche ihres Denkens zu überwinden.

Nationalismus: Ist ebenfalls nicht intendiert. Die Geburtenrate bezieht sich auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland, ohne Berücksichtigung des Passes oder der Herkunft. Der nichtdeutsche Teil der Bevölkerung trägt heute schon überproportional zur Geburtenrate bei, auch wenn mir dazu keine gesicherten Zahlen bekannt sind, weil die entsprechenden Statistiken nicht geführt werden.

Konservatismus: Ist kein sinnvolles Argument, weder positiv noch negativ. Fortschritt ist kein Wert an sich, ebenso wenig wie sein Gegenteil. Beides kann nur von einer normativen Basis aus bewertet werden. Nur dann lässt sich wirklicher menschlicher Fortschritt vom zivilisatorischen Rückschritt unterscheiden. Hier habe ich im Prinzip von der Wertebasis unseres Grundgesetzes aus argumentiert.

Katholizismus: Kommt hier nur relativ sparsam vor. Im Gegenteil könnte man diesem Text eher eine soziologische oder politikwissenschaftliche Argumentation vorwerfen und gerade das katholische Element vermissen. Das war aber durchaus intendiert, ging es mir doch nur darum, zwei in der gegenwärtigen Debatte vernachlässigte Aspekte herauszustellen. Eine vollständige Abhandlung zum Thema vorzulegen entsprach nicht meiner Absicht.

Von dümmlichen Vorwürfen mit -phobie bitte ich abzusehen.

Nachtrag: Ähnliche Überlegungen stellt Roland Tichy an.

Der hedonistische Atheismus

„Der hedonistische Atheismus mit seinen neo-gnostischen Zügen ist – nach dem Ende des messianischen Atheismus marxistischer Prägung – die beherrschende Kultur mit einer globalen Vision und Verbreitung geworden. Er macht den Geist der Zeit aus, in der wir heute leben, das neue Opium für das Volk. Das ,einheitliche Denken’ hat, abgesehen davon, dass es sozial und politisch totalitär ist, gnostische Strukturen. Es ist nicht menschlich, es schlägt verschiedene Formen des absoluten Rationalismus vor, mit denen sich der hedonistische Hedonismus ausdrückt, den Methol Ferré beschrieben hat. Es dominiert ein zerstäubter Teismus, ein diffuser Teismus, ohne historische Inkarnation. Im besten aller Fälle die Schaffung eines freimaurerischen Ökumenismus.“
Kardinal Bergoglio 2007 in einem Interview zu Methol Ferré und dem „einheitlichen Denken“ (Quelle)

Islam, Satire und das Grundgesetz

An anderer Stelle habe ich mich gerade mit Fragen des Islam, der Islamisierung und des Islamismus, mit den Grenzen der Satire und damit befasst, was all das mit dem Grundgesetz zu tun hat. Conclusio:

Islamismus ist in jedem Fall ein Problem, und islamistische Muslime sind es auch. Islamisierung als Problem zu sehen ist legitim, und den Islam an sich für ein Problem zu halten ist in einer freien Gesellschaft vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

Satire indes darf nicht einfach alles.

Tucholsky starb schon 1935, also lange vor dem Grundgesetz. Seine berühmte Antwort auf die Frage, was Satire darf, gab er bereits 1919. Bis zum Grundrechtskatalog, wie wir ihn im Grundgesetz finden, war es damals noch ein weiter Weg.

Vielleicht hätte ich auch noch was zum Nonsense- und Kampfbegriff Islamophobie schreiben sollen, aber dazu eventuell zu gegebener Zeit mehr.

Pointierter und auf höherem Niveau schreibt zum gleichen Thema übrigens Josef Bordat.

Humanae Vitae

Am morgigen Sonntag wird Papst Paul VI. seliggesprochen. Aus diesem Anlass sei an seine letzte Enzyklika namens Humanae Vitae erinnert, ein tatsächlich prophetisches Rundschreiben.

Die Veränderungen sind wirklich bedeutsam und verschiedenartig. Zunächst handelt es sich um die rasche Bevölkerungszunahme: viele fürchten, daß die Weltbevölkerung schneller zunimmt, als die zur Verfügung stehende Nahrung erlaubt. Dadurch wächst die Not in vielen Familien und in den Entwicklungsländern. Das kann staatliche Regierungen leicht dazu drängen, diese Gefahr mit radikalen Maßnahmen zu bekämpfen. Dazu erschweren nicht nur Arbeits- und Wohnverhältnisse, sondern auch gesteigerte Ansprüche wirtschaftlicher Art und im Hinblick auf die Erziehung und den Unterricht der Jugend den angemessenen Unterhalt einer größeren Zahl von Kindern. Wir erleben auch einen gewissen Wandel in der Auffassung von der Persönlichkeit der Frau und ihrer Aufgabe in der menschlichen Gesellschaft; ebenso in der Auffassung vom Wert der Gattenliebe in der Ehe und in der Beurteilung des ehelichen Verkehrs im Hinblick auf diese Liebe. Schließlich ist vor allem der staunenswerte Fortschritt des Menschen in der Beherrschung der Naturkräfte und deren rationaler Auswertung in Betracht zu ziehen. Diese Herrschaft sucht nun der Mensch auf sein ganzes Leben auszudehnen: auf seinen Körper, seine seelischen Kräfte, auf das soziale Leben und selbst auf die Gesetze, die die Weitergabe des Lebens regeln. […]

Die Frage der Weitergabe menschlichen Lebens darf – wie jede andere Frage, die das menschliche Leben angeht – nicht nur unter biologischen, psychologischen, demographischen, soziologischen Gesichtspunkten gesehen werden; man muß vielmehr den ganzen Menschen im Auge behalten, die gesamte Aufgabe, zu der er berufen ist; nicht nur seine natürliche und irdische Existenz, sondern auch seine übernatürliche und ewige. […]

Auch muß man wohl befürchten: Männer, die sich an empfängnisverhütende Mittel gewöhnt haben, könnten die Ehrfurcht vor der Frau verlieren, und, ohne auf ihr körperliches Wohl und seelisches Gleichgewicht Rücksicht zu nehmen, sie zum bloßen Werkzeug ihrer Triebbefriedigung erniedrigen und nicht mehr als Partnerin ansehen, der man Achtung und Liebe schuldet. Schließlich ist sehr zu bedenken, welch gefährliche Macht man auf diese Weise jenen staatlichen Behörden in die Hand gäbe, die sich über sittliche Grundsätze hinwegsetzen. Wer könnte es Staatsregierungen verwehren, zur Überwindung der Schwierigkeiten ihrer Nationen für sich in Anspruch zu nehmen, was man Ehegatten als erlaubte Lösung ihrer Familienprobleme zugesteht? Wer könnte Regierungen hindern, empfängnisverhütende Methoden zu fördern, die ihnen am wirksamsten zu sein scheinen, ja sogar ihre Anwendung allgemein vorzuschreiben, wo immer es ihnen notwendig erscheint? Auf diese Weise könnte es geschehen, daß man, um Schwierigkeiten persönlicher, familiärer oder sozialer Art, die sich aus der Befolgung des göttlichen Gesetzes ergeben, zu vermeiden, es dem Ermessen staatlicher Behörden zugestände, sich in die ganz persönliche und intime Aufgabe der Eheleute einzumischen. Will man nicht den Dienst an der Weitergabe des Lebens menschlicher Willkür überlassen, dann muß man für die Verfügungsmacht des Menschen über den eigenen Körper und seine natürlichen Funktionen unüberschreitbare Grenzen anerkennen, die von niemand, sei es Privatperson oder öffentliche Autorität, verletzt werden dürfen. Diese Grenzen bestimmen sich einzig aus der Ehrfurcht, die dem menschlichen Leibe in seiner Ganzheit und seinen natürlichen Funktionen geschuldet wird. […]

Alle, denen der Fortschritt der menschlichen Kultur und der Schutz der wesentlichen Güter der Seele am Herzen liegt, müssen einstimmig verurteilen, was bei den modernen Massenmedien dazu beiträgt, die Sinne aufzupeitschen und Sittenverfall zu verbreiten, ebenso jede Form von Pornographie in Schrift, Wort und Darstellung. Man soll doch nicht versuchen, solche Entartung mit Berufung auf Kunst und Wissenschaft zu rechtfertigen oder mit dem Hinweis auf die Freiheit, die vielleicht in diesem Bereich die staatlichen Stellen gewähren.

Humanae Vitae erhält in der Rückschau noch zusätzliches Gewicht durch die Tatsache, dass es sich um die letzte Enzyklika des künftigen Seligen Papstes Paul VI. handelt. Und zwar nicht, weil er kurz danach verstorben wäre, sondern weil er in den letzten zehn Jahren seines Pontifikates kein solches Rundschreiben mehr veröffentlichte.

Zu notwendigen Reformen bei den Grünen

Klaus Kelle hat letzte Woche in seiner Kolumne „Politisch inkorrekt“ einen originellen Vorschlag gemacht:

Das „Handelsblatt“ gibt der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth breiten Raum für ihr gewohntes Sexualmoral-Zölibat-Frauenordination-Erneuerungs-Geweine. Mitglied der Kirche ist sie nicht. Ob die Zeitung nun wenigstens Kardinal Meisner mal etwas zu notwendigen Reformen bei den Grünen schreiben lässt?

Zwar bin ich nicht Kardinal Meisner. Als ehemaliger Stammwähler der Grünen drängt es mich dennoch, den Vorschlag aufzugreifen. Worin bestehen also die notwendigen Reformen? Es muss dabei um eine Überwindung der ökologischen Halbierung der Grünen gehen. Papst Benedikt gab dazu 2011 in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag den entscheidenden Hinweis:

Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muß und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.

Während die Grünen zwar die Umwelt des Menschen zum Bezugspunkt nehmen, ignorieren sie weitgehend seine eigene, die menschliche Natur. Die Familie ist der blinde Fleck der grünen Weltanschauung. Das hat mit der Gründungsgeschichte der Partei zu tun. Damals verschmolz die Umwelt- und Friedensbewegung mit den Überresten der marxistischen Revolte von 1968. Deren erklärtes Ziel war die Zerstörung der Familie, die als repressiv und reaktionär galt.

Da der Mensch nun aber seit Urzeiten in Familien lebt, da ohne Familie die Fortpflanzung und das Überleben des Menschen prekär wird, mit einem Wort: da die Familie zur Natur des Menschen gehört, liegt hier der Grundwiderspruch der Grünen. Nur wer diesen Widerspruch aushalten oder verdrängen kann, der kann sich vehement für bedrohte Tierarten einsetzen, aber das ungeborene Leben für nicht weiter schützenswert halten. Nur so können die gleichen Menschen zusammen mit der SPD an der weiteren Verstaatlichung der Kinderbetreuung arbeiten und gleichzeitig für artgerechte Tierhaltung kämpfen.

Dass die Partei angesichts dieser Widersprüche nicht zerbricht, liegt einzig und allein an den Zwängen der Macht. Die Aussicht auf Macht und die Teilhabe daran hält die Grünen zusammen. Der Druck der Machtverhältnisse zwingt logisch inkonsistente und selbstwidersprüchliche Positionen in ein Parteigehäuse.

Wird das auf Dauer so bleiben? Wahrscheinlich nicht. Irgendwann wird zerbrechen, was nicht zusammengehört. Es sei denn, die Grünen könnten sich zuvor zu notwendigen Reformen entschließen, i.e. sich von ihrem marxistischen Erbe trennen. Angesichts der breiten Mehrheitsfähigkeit ökologischer Themen wäre damit der Weg zur bürgerlichen Volkspartei frei. Und zur Koalition mit der CDU/CSU.

Die Stimmung im Lande

Es ist kein halbes Jahr her, da erwähnte ich in einem Gespräch mit unserem Weihbischof, dass sich in unserem Lande eine gefährliche Stimmung zusammenbraut. Dass es Menschen gibt, die uns Christen an den Kragen wollen und das auch offen aussprechen.

Er hielt das damals für übertrieben.

Hmm. Immer noch?

Für die Abschaffung der Zivilehe

In einem ansonsten weitgehend indiskutablen Blogeintrag las ich heute einen Satz, der zumindest eine Überlegung wert ist:

Ich finde die Position weit konsistenter, die Ehe als Rechtsinstitut abzuschaffen und dafür jene, die Kinder haben, steuerlich zu privilegieren – und dann sollen doch die Katholiken ihre vermeintlich heiligen Sakramente abfeiern, bis sie am Weihrauch ersticken. [Hervorhebung im Original]

Diesen Gefallen werden wir Katholiken sicher niemandem tun, aber die Zivilehe abschaffen – warum eigentlich nicht? In Deutschland kennen wir dieses Rechtsinstitut erst seit gut 200 Jahren, und zu verdanken haben wir es der französischen Besatzung. Der erste Anlauf hielt nicht lange, und erst 1874 wurde die Zivilehe in Preußen eingeführt. Ein Jahr später galt sie dann, wir schreiben die Zeit des Kulturkampfes, im ganzen Deutschen Reich.

Die Zivilehe war ein Instrument, mit dem der Staat die Kirche bekämpfte. Daran sollten wir Katholiken uns erinnern, wenn wir nun die Zivilehe gegen ihre endgültige Auflösung meinen verteidigen zu müssen. Denn darauf läuft ja die Entwicklung nicht erst seit gestern hinaus. Spätestens mit der Möglichkeit der Ehescheidung begann dieser Auflösungsprozess, der mit der absehbaren Einführung der gleichgeschlechtlichen Zivilehe noch nicht abgeschlossen sein wird.

Bereits seit 2009 ist in Deutschland wieder eine kirchliche Eheschließung möglich, ohne vorher beim Standesamt eine Zivilehe geschlossen zu haben. Die kirchlich geschlossene Ehe hat keine zivilen Rechtsfolgen. Wofür genau ist eine Zivilehe noch gut, einmal von den möglichen steuerlichen Vorteilen abgesehen? Die könnten durch eine Erweiterung des in der Sozialgesetzgebung bereits eingeführten Begriffes der Bedarfsgemeinschaft abgelöst werden.

Wäre das nicht die einfachste Lösung?

Eucharistiefeier

Regelmäßig begegnet mir die Bezeichnung Eucharistiefeier für die gesamte Heilige Messe. Ich frage mich, ob damit eine besondere Aussage verbunden ist, und wenn ja, welche das sein könnte.

Sprachlich ist das zunächst ein pars pro toto, denn schließlich ist die Eucharistiefeier nur ein Teil der Messe, innerhalb derer ihr der Wortgottesdienst vorausgeht. (Hier ist die Rede von der Messe nach dem Missale von 1969/70.) Soll damit also die Bedeutung der Eucharistie besonders betont werden?

Dagegen spricht, dass dort, wo gern von der Eucharistiefeier gesprochen wird, häufig auch die Gleichgewichtung der beiden Teile vertreten wird. Dies findet zum Beispiel in der geläufigen Rede vom „Tisch des Wortes“ (=Ambo) und „Tisch des Brotes“ (=Altar) seinen Ausdruck.

Ist dann vielleicht am Wort „Messe“ (oder „Heilige Messe“) irgendetwas Unzeitgemäßes, sodass es durch ein anderes Wort ersetzt werden muss? Das Wort „Eucharistiefeier“ klingt in meinen Ohren vergleichsweise akademisch-geschraubt, auch wenn ich gern zugestehen will, dass es nur eine Silbe mehr hat als „Heilige Messe“.

Für mich gehört das Wort „Eucharistiefeier“ als Bezeichnung für die Heilige Messe ganz klar in eine bestimmte Epoche, die ungefähr mit den ersten zehn Jahren meines Lebens zusammenfällt. Also in die siebziger Jahre. Das Wort „Heilige Messe“ hingegen ist zeitlos, ja ewig.

Ist die Vermutung so abwegig, dass sich „Eucharistiefeier“ langfristig nicht wird halten können?

Wo die 80er bis heute fortleben

Das Heidentum sitzt heute in der Kirche selbst, schrieb der junge Theologe Joseph Ratzinger 1958 in einem Aufsatz, den jüngst das Vatican-Magazin wieder zugänglich gemacht hat. Wer wie ich seine Jugend in einer noch stark katholisch geprägten Gegend verbracht hat, der konnte sehen, was die äußere Deckung von Kirche und Welt bedeutet, die nur noch zum Schein besteht.

„Frieden und Gerechtigkeit“ stand damals in den 80ern unter Picassos Friedenstaube auf den ökopapiergrauen Briefumschlägen, in denen die Bezirksstelle der Katholischen Jugend ihre Post verschickte. An Mail war noch nicht zu denken. Meine Jugend begann mit Friedens- und Umweltbewegung, Nachrüstungsdebatte und der geistig-moralischen Wende der Ära Kohl.

Während sich die Generation unserer Eltern noch selbstverständlich hinter Helmut Kohl scharte, tobte innerhalb der Kirche schon der Kampf verschiedener Fraktionen. Wir Jugendlichen fühlten uns als christlicher, katholischer Teil der Friedens- und Unweltbewegung und gerieten so in Widerspruch zu unseren CDU-Eltern und dem katholischen Establishment.

Unsere Opposition war also eine innerkirchliche. Wir schauten kritisch auf alles, was unserer Meinung nach dem Evangelium widersprach, gerade in der Kirche. Und wir experimentierten mit unserer jugendlichen Art des Kircheseins. „Wir sind Kirche“, lautete Mitte der 80er das Motto einer großen Jugendwallfahrt mit Bischof Josef Homeyer nach Vierzehnheiligen. Mit der gleichnamigen Splittergruppe hatte das aber nichts zu tun.

Mir scheint, die 80er leben bis heute fort, wenn ich mir die heutige innerkirchliche Opposition ansehe. Sie arbeitet sich an Themen ab, die uns schon damals nur am Rande interessierten, und das auch nur, weil davon so viel gesprochen wurde. Dabei gerät völlig aus dem Blickfeld, was die eigentlichen Herausforderungen der Zeit sind.

Das Evangelium ernstzunehmen muss mit dem innerkirchlichen Heidentum, das nur noch pro forma am Christentum festhält, notwendigerweise in Konflikt geraten. Mir scheint aber, dass sich die heutigen Kritiker eher auf Seiten eben jenes Heidentums befinden. Sie nehmen ihre Maßstäbe aus der Welt, nicht aus dem Evangelium, und sie hätten die Lehre der Kirche gern zeitgemäß, was heißt: der Welt gemäß.

Genau hier setzt der von Papst Benedikt im vergangenen Herbst geprägte Begriff der Entweltlichung an. Sie ist das Gegenteil jener Verweltlichung, die unweigerlich in einem neuen Heidentum enden muss. Entweltlichung ist nicht der Abschied von der Welt, sondern der Wechsel der Maßstäbe, weg von denen der Welt, hin zu jenen des Evangeliums.

Viel spannender als die müde innerkirchliche Opposition mit den immergleichen Langweilerthemen ist die Kirche in Opposition zur Welt, nicht grundsätzlich, aber dort, wo die Welt heillos geworden ist. Das Heil kommt nicht aus der Welt, sondern nur von Christus. Daran wird die Kirche notwendigerweise immer festhalten.

Warum Ästhetik alles andere als unwichtig ist

Gelegentlich entsteht der Eindruck, dass ästhetische Gründe irgendwie unwichtig sind. Es kommt auf Funktion und Inhalt an, die Form ist zweitrangig. Form follows function?

Welch ein Irrtum! Ästhetik ist Wahrnehmung. Wenn wir von Ästhetik sprechen, dann sprechen wir davon, wie etwas wahrgenommen wird. Und das soll unwichtig sein?

Jede Botschaft, auch und gerade die frohe, braucht eine Form, damit sie überhaupt wahrgenommen werden kann. Martin Mosebach hat bekanntlich der Häresie der Formlosigkeit einen ganzen Essayband gewidmet.

Diese Häresie hat uns jede Menge schreiend hässlicher Kirchengebäude und eine vielfach verhunzte Liturgie beschert. Wo Hässlichkeit und liturgischer Murks zu Prinzipien erhoben werden, da lässt sich Gott nicht mehr wahrnehmen. An die Stelle Gottes tritt der Mensch mit all seinen Unzulänglichkeiten.

Wie langweilig! Die Wahrnehmung Gottes geht hingegen immer mit Schönheit einher. Kirchengebäude und Liturgie müssen schön sein, damit sie etwas vom Wahren, Guten, Schönen durchscheinen lassen. Die Wahrheit, die Christus ist, die Güte Gottes und die Schönheit seiner Verehrung liegen eng beeinander.

Neben diesen grundsätzlichen Überlegungen habe ich auch ganz persönliche Gründe für diese Ansicht. Als ich in den neunziger Jahren vor der Frage stand, ob ich Christ oder Agnostiker bin, da sagte ich mir: Um Agnostiker zu sein, müsste ich das gesamte christliche Erbe als Irrtum verwerfen, oder wenigstens als auf den Sand des Nicht-Erkennbaren gebaut.

Das schien mir unmöglich. Die herrlichen Kathedralen, die wunderbare sakrale Kunst, die unglaublich schöne geistliche Musik – das kann doch nicht das Produkt eines großen Irrtums der Menschheit sein.

Bei vielen heutigen Kirchenbauten, moderner Sakralkunst und neuem geistlichen Lied hingegen bin ich mir da nicht so sicher.

Auch wenn das eine schöne Schlusspointe wäre, so will ich doch dem Eindruck wehren, früher sei alles besser gewesen. Das denke ich nicht. Was aber die Jahrhunderte überlebt hat, das ist das Wahre, Gute, Schöne. Das Unwahre, Schlechte und Hässliche verschwindet früher oder später.

Insofern können wir das Urteil über unsere Kirchengebäude, die heutige Sakralkunst und die gegenwärtige geistliche Musik getrost späteren Generationen überlassen. Wenn sie überhaupt noch etwas davon sehen werden.