Über Ehe und Familie

In der Debatte um aktuelle Fehlentwicklungen des Eherechts – Stichwort Irland – werden zwei Aspekte stark vernachlässigt. Da wäre zum einen die Tatsache, dass es sich hier nur um den vorläufigen Schlusspunkt eines mindestens seit Jahrzehnten andauernden Prozesses handelt, der soziologisch als Individualisierung und empirisch als Auflösung von Ehe und Familie beschrieben werden kann. Und zum anderen die einfache Kennziffer für die Performance unserer Familienpolitik – die Geburtenrate.

1. Die meisten westlichen Gesellschaften haben in den vergangenen Jahrzehnten das Konzept Ehe und Familie schrittweise aufgelöst. Statt ehelicher und familiärer Bande erhielt nun das Individuum den höheren Rang.

Ein wichtiger politischer Schritt dazu war die Adenauersche Rentenreform, die es erstmals breiten Gesellschaftsschichten wirtschaftlich ermöglichte, auf eigenen Nachwuchs zu verzichten und trotzdem im Alter abgesichert zu sein. Das Rentensystem sorgt seitdem zuverlässig für eine Umverteilung zulasten der Familien und zugunsten der Kinderlosen, die sich nicht an der Versorgung der heranwachsenden Generation beteiligen, selbst aber im Alter von den Kindern anderer Leute versorgt werden.

In die gleiche Zeit fällt die nahezu flächendeckende Verbreitung künstlicher Verhütungsmittel, die den Verzicht auf Nachwuchs auch praktisch erheblich erleichterte. Und nicht zu vergessen die faktische Freigabe der Abtreibung, der schwarzen Schwester der künstlichen Empfängnisverhütung. Seit Jahrzehnten wird ein signifikanter Teil der in einem Jahr gezeugten Kinder schon im Mutterleib getötet – illegal, aber straffrei.

Mit diesen Reformschritten war der Zusammenhang zwischen Ehe und Nachkommenschaft aufgeweicht und die frühere Ausnahme der Kinderlosigkeit auf dem besten Wege zum Normalfall. Das Akronym DINK war entstanden: double income, no kids, und im Alter eine höhere Rente als die Familienväter und -mütter sie bekommen, bezahlt von deren Kindern. Absurd, aber seit Jahrzehnten Realität.

Der nächste Schritt – nach der Schwächung der Generationenfolge – war die Lockerung des Ehebandes durch die Einführung und Erleichterung der Ehescheidung. Wirtschaftlich gesehen wurde dadurch die Versorgungsgemeinschaft einer Ehe zunehmend in Frage gestellt und tendenziell prekär. Die Ehe besteht nun nicht mehr bis zum Tod, sondern nur noch unter Vorbehalt der jederzeit möglichen Auflösung.

Kinder, einst Reichtum und Garant eines sorgenfreien Ruhestands, sind heute zum Armutsrisiko geworden und versorgen als Erwachsene über ihre Steuern und Rentenbeiträge statt ihrer eigenen Eltern vorrangig deren kinderlose Generationsgenossen. „Alleinerziehend“ ist zum Synonym für „von Armut bedroht“ geworden.

Denn geblieben ist, mit relativ geringen Einschränkungen, die lebenslange Versorgungspflicht zwischen Eltern und Kindern. Aber nur deshalb, weil der nimmersatte Sozialstaat sich bis jetzt nicht in der Lage sah, auch noch die Lasten zu tragen, die diese Versorgungsgemeinschaften immer schon selbstverständlich schulterten.

Das aktuelle Scheidungsrecht in Deutschland entlässt den zu versorgenden Teil einer früheren Ehe mittlerweile brutalst schnell ins wirtschaftlich Bodenlose, was einer weiteren Bestrafung für jeglichen Aufwand zur Versorgung und Betreuung der eigenen Kinder gleichkommt. Wer Kinder hat und sich um sie kümmert, wer dafür die Erwerbstätigkeit reduziert, der hat verloren. Das betrifft immer noch überwiegend Frauen – wäre aber auch nicht besser, wenn es umgekehrt wäre.

Geblieben ist auch noch das Ehegattensplitting, also die steuerliche Berücksichtigung der simplen Tatsache, dass von einem Familieneinkommen zwei Eheleute leben müssen. Deshalb werden sie so besteuert wie zwei Alleinstehende, die jeweils die Hälfte des Familieneinkommens erzielen. Einkommensunterschiede zwischen Ehepartnern führen somit nicht zu einer höheren Besteuerung. Der aufmerksame Leser sieht bereits, dass es sich nicht um einen Vorteil, gar eine Subvention handelt, sondern nur um die Vermeidung ungerechtfertigter Nachteile. Bereits seit 2013 gilt diese Regelung auch für eingetragene Partnerschaften.

2. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass die Geburtenrate wie ein Stein fiel und auf niedrigstem Niveau verharrt. Die Geburtenziffer in Deutschland schwankt seit Jahrzehnten um den Wert 1,4. Über dem Schwellenwert von 2,1 lag sie zuletzt 1970, also vor 45 Jahren.

Warum ist der Wert von 2,1 so wichtig? Eine Geburtenziffer von 2,1 beschreibt eine stabile Bevölkerungsentwicklung. Die Bevölkerung wächst nicht, aber sie schrumpft auch nicht. Die Alterspyramide, also der Bevölkerungsaufbau nach Altersgruppen, bleibt intakt. Es gibt genug junge Menschen, die an der Zukunft interessiert sind und die Alten versorgen können. Für ein äußerst wohlhabendes Land wie das unsere wäre das eine komfortable Situation.

Stattdessen fehlt uns seit 45 Jahren jeweils ein Drittel eines Jahrgangs. Die übrigen zwei Drittel müssen also die entsprechenden Lasten zusätzlich schultern. Und da die in den siebziger und achtziger Jahren nicht geborenen Kinder auch als Eltern ausfallen, befindet sich dieser Schrumpfungsprozess inzwischen in der zweiten Generation. Das ganze wird nur abgemildert durch die geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge, die noch im Erwerbsleben stehen, und durch Einwanderung. Kann aber Einwanderung die Lösung sein? Nur zum Teil.

De facto wandern ja nicht die fehlenden Neugeborenen eines Jahrgangs zu, sondern überwiegend erwachsene Menschen. Sie füllen so quasi nachträglich die leeren Ränge ihrer Jahrgänge auf. Dadurch haben wir praktisch einen erheblichen Teil unserer generativen Leistung ins Ausland ausgelagert.

Wir importieren neben Rohstoffen nun auch Menschen, die anderswo geboren, aufgezogen und ausgebildet wurden. Gibt es dafür einen angemessenen Ausgleich oder ist das eine Form des Neo-Kolonialismus? Müssten wir nicht Geld in die Herkunftsländer der Einwanderer überweisen, um die dort entstandenen Aufwände abzugelten? Die Einwanderer selbst tun dies häufig, um ihre im Heimatland verbliebenen Familien zu unterstützen.

Neben solchen Fragen bleibt festhalten, dass die Überalterung der hiesigen Bevölkerung durch Zuwanderung nur abgemildert, aber keineswegs ausgeglichen wird. Zugleich muss die Frage erlaubt sein, was aus einer Gesellschaft wird, die sich selbst nicht mehr reproduzieren kann und stattdessen auf Menschenimporte angewiesen ist.

Man kann all diese Veränderungen unterschiedlich bewerten. Es gibt ja durchaus die von einem manischen Selbsthass getriebene Position, die ein langfristiges Aussterben der deutschen Bevölkerung für wünschenswert hält. Ähnlich werden auch Familie und Ehe als rückständig und zu überwindende Relikte früherer Zeiten betrachtet. Und Kinder als zu vermeidendes Armutsrisiko. Nach mir die Sintflut, scheint mir das dazu passende Motto zu sein.

Papst Benedikt hat in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag von der Ökologie des Menschen gesprochen. Die Familie gehört zur Natur des Menschen, und an der Geburtenziffer lässt sich ablesen, wie es darum bestellt ist. Die Geburtenziffer ist der KPI unserer Gesellschaft, wie das Bruttoinlandsprodukt der KPI unserer Wirtschaft ist.

All jene oben beschriebenen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte hätten also beweisen müssen, dass sie die Geburtenziffer nicht negativ, sondern positiv beeinflussen. Das Gegenteil ist der Fall. Was folgt nun daraus? Für die Verfechter dieser Art von Fortschritt bleibt nicht viel mehr als die Hoffnung, dass sich dieses seit 45 Jahren im freien Fall befindliche System irgendwann wieder stabilisieren wird. Nun, das wird es in jedem Fall. Die Frage ist nur, wie hart der Aufschlag sein wird und ob es noch rechtzeitig gelingt, die Reißleine zu ziehen und den Fallschirm zu öffnen – wenn es ihn denn gibt.

3. Vor diesem Hintergrund lässt sich die sogenannte Öffnung der Ehe für Menschen, die bis jetzt nicht die Ehevoraussetzungen erfüllen, auf den ersten Blick als Gegenbewegung zur Individualisierung lesen. Und tatsächlich ist die gegenseitige Übernahme von Verantwortung sicher zu begrüßen.

Schon bei der Einführung der eingetragenen Partnerschaft indes gab es auch Stimmen aus dem sich selbst für progressiv haltenden Lager, die alles Eheähnliche als reaktionär verdammen und daher ablehnen. Deren Ziel ist die Abschaffung von Ehe und Familie, und tatsächlich ist, wie wir bis jetzt gesehen haben, dieses Ziel schon zu gewissen Teilen erreicht.

Wenn Ehe nicht mehr mit Fortpflanzung verbunden ist, dann ist nicht mehr so leicht einzusehen, warum sie genau einem Mann und genau einer Frau vorbehalten sein soll. Und wenn diese Ehevoraussetzung erst einmal entfallen ist, steht sicher demnächst eine Debatte über Polygamie an.

Doch zunächst soll uns die Frage beschäftigen, was gegen diese neuerliche Änderung des Ehebegriffs spricht. Der Katechismus der Katholischen Kirche schreibt über homosexuell veranlagte Menschen:

Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen. [KKK 2358]

Ist es also eine ungerechte Zurücksetzung, wenn Homosexuelle keine Ehe schließen können? Nun, wenn das Konzept Ehe bereits so weit aufgeweicht ist, dass Fortpflanzung nicht mehr zu einer Ehe gehört, nicht einmal potentiell oder gedanklich, dann könnte man das meinen.

Insofern haben eigentlich Adenauers Rentenreform, die Einführung künstlicher Verhütung und die Freigabe der Abtreibung die Voraussetzung dafür geschaffen, dass diese Frage überhaupt gestellt werden kann. Noch vor sechzig Jahren hätte man wahrscheinlich über das Ansinnen gelacht und zurückgefragt: Und wie wollt ihr Kinder bekommen?

Nun, auch dieses Problem ist durch Instrumente wie Leihmutterschaft (die in Deutschland verboten ist), künstliche Befruchtung oder Adoption inzwischen gelöst – allerdings nicht zum Wohle der Kinder, um das es in dieser ganzen Debatte ohnehin überhaupt noch nicht ging. Was dient eigentlich dem Wohl der Kinder?

Im Grunde ist unbestritten, dass es im Allgemeinen dem Wohl des Kindes dient, bei seinen biologischen Eltern aufzuwachsen. Bestritten wird dies nur von familienfeindlichen Ideologen, deren Zahl allerdings wächst. Aus dem Kindeswohl ergibt sich auch eine starke Pflicht für Eltern, eine Trennung nach Möglichkeit zu vermeiden.

Man wird kaum sagen können, dass die geforderte Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare das Kindeswohl befördert. Bestenfalls kann es eine Art zweitbeste Lösung sein, dass Kinder getrennt von mindestens einem Elternteil aufwachsen, wie es in solchen Konstellationen der Fall wäre. Und zwar dann, wenn ein Elternteil oder beide Eltern ihrer Pflicht gegenüber den eigenen Nachkommen aus guten Gründen nicht nachkommen können.

4. Lässt sich aus solchen Ausnahmen ein allgemeines Gesetz ableiten? An sich nicht. Jedoch ist genau dies bei allen oben beschriebenen gesellschaftlichen und familienpolitischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte geschehen.

Mit dem berühmten Satz „Kinder bekommen die Leute immer“ soll Konrad Adenauer den Einwand gegen seine Rentenreform beiseitegewischt haben, dass dadurch zwar die Versorgung der jeweiligen Rentnergeneration vergesellschaftet werde, die Versorgung der Kinder jedoch Privatsache bleibe, was Familien benachteilige und somit zu einem Rückgang der Geburtenzahlen führen würde. Adenauer nahm an, dass die Familie mit Kindern die Norm und Kinderlosigkeit die Ausnahme bleiben würde. Er konnte oder wollte nicht voraussehen, dass sich die Norm durch die veränderten Rahmenbedingungen verschieben und die Ausnahme immer mehr zur Regel werden würde.

Mit einer ähnlichen Denkfigur wurde die Freigabe der Abtreibung begründet. Aus relativ seltenen, extremen Ausnahmen wie der Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung oder der Gefährdung des Lebens der Mutter konstruierten die Befürworter ein allgemeines Gesetz. Dass die Extremfälle nur einen verschwindend geringen Anteil aller Abtreibungen ausmachen, fiel dabei unter den Tisch. Die Ausnahme wurde zur Norm, und heute haben wir gesellschaftlich fast schon so etwas wie eine Pflicht zur Tötung ungeborenen Lebens.

Die Eltern behinderter Kinder müssen sich heute fragen lassen, ob das nicht vermeidbar gewesen wäre – i.e. das Kind nicht vor der Geburt hätte getötet werden können oder müssen. Ganzen Bevölkerungsgruppen wird auf diese Weise praktisch das Lebensrecht abgesprochen, und es ist nur konsequent, auch über die Tötung „auf Verlangen“ alter oder kranker Menschen zu diskutieren, wie es gerade wieder geschieht. Eine Gesellschaft, die das menschliche Leben nicht konsequent schützt, ist zutiefst inhuman.

Und nach dem gleichen Strickmuster war die Argumentation für die Einführung der Ehescheidung gestrickt. Aus der Ausnahme einer nicht mehr tragfähigen Ehe, die keinen anderen Ausweg als die Trennung lässt, ist heute ein allgemeines Gesetz geworden. Die Schwelle zur Scheidung ist drastisch gesunken. Die Ehe, die nicht geschieden wird, ist auf dem besten Weg zur Ausnahme.

In allen drei Fällen wurde die Norm verändert, mit enormen Auswirkungen auf die Mehrheit, die ja angeblich gar nicht von der Änderung betroffen war. Die gleiche Argumentationsfigur begegnet uns auch jetzt wieder allenthalben, gekleidet in die Behauptung, dass sich durch die angestrebte Öffnung für bestehende Ehen oder künftige heterosexuelle Eheschließungen nichts ändern würde.

Dieses Argument ist selbstverständlich falsch, denn eine Änderung der Norm hat immer Auswirkungen auf alle, für die eine Norm gilt. In diesem Fall würde das ohnehin schon geschwächte und aufgeweichte Verständnis der Ehe weiter geschwächt und aufgeweicht. Dagegen lässt sich höchstens sagen, dass es darauf nun auch nicht mehr ankäme.

Gewichtiger allerdings ist ein zweites Argument, das auf der Frage beruht, was die angestrebte Änderung eigentlich für die Geburtenziffer bedeuten würde, den zentralen KPI jeder Gesellschaft. Die Antwort: Im besten Falle nichts. Das läge dann daran, dass die familienpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahrzehnte überwiegend wirkungslos oder gar schädlich wären, jedenfalls nichts zur Erhöhung der Geburtenziffer beigetragen hätten. In diesem Fall wäre es dann auch egal, wenn eine weitere Gruppe in den Genuss allerlei zweifelhafter Regelungen käme, die ihren eigentlichen Zweck – die Familienförderung – ohnehin verfehlen.

Sollten aber wirksame Maßnahmen darunter sein, deren Wirkung nur durch andere, stärkere Gegentrends neutralisiert würde, dann könnte ein ähnlicher Effekt eintreten, wie ihn die Adenauersche Rentenreform hatte. Wenn neben den immer zahlreicher werdenden kinderlosen Ehepaaren noch eine weitere Gruppe von familienpolitischen Fördermaßnahmen profitieren würde, ohne einen eigenen Beitrag zur Reproduktion zu leisten, dann ginge das wieder einmal zu Lasten der Familien mit Kindern.

Schließlich kann das Geld nur einmal ausgegeben werden. Hier liegt ein klassischer Verteilungskampf vor, bei dem eine Gruppe ihren Anteil vom Kuchen fordert, die bis jetzt nicht in diesen Genuss kam. Käme sie zum Zuge, würde der verbleibende Rest des Kuchens kleiner. Man sieht also leicht, dass das oben zitierte Argument, es würde sich ja für Normalbürger nichts ändern, schlicht falsch ist.

Es verwundert eher, warum ein einfach zu durchschauender Propagandatrick so große Verbreitung in einer sich kritisch dünkenden Öffentlichkeit findet. Man könnte sich an Orwell und 1984 erinnert fühlen. Meine Erklärung dafür ist simpel: Wunschdenken dominiert heute die meisten Diskurse. Wir leben in einer Pippi-Langstrumpf-Welt.

Zweimal drei macht vier –
widdewiddewitt und drei macht Neune!
Ich mach‘ mir die Welt –
widdewidde wie sie mir gefällt.

5. Herr Kästner, wo bleibt das Positive? Nun, mittelfristig werden sich Gesellschaften durchsetzen, deren KPI – die Geburtenziffer – bei mindestens 2,1 liegt. Bevölkerungsgruppen, die mehr Kinder hervorbringen, verdrängen die Kinderarmen und Kinderlosen. Insofern ist das Konzept Ehe und Familie immer stärker und wird sich schließlich durchsetzen.

Jedes Kind versteht, dass zweimal drei nicht vier ist, während es mit Pippi Langstrumpf von einer Welt träumt, die Kindern gefällt. Eine Welt, die Kinder schätzt und liebt, ist die beste aller Welten.

6. Nachdem dieser Beitrag ohnehin schon viel zu lang ist, will ich abschließend noch kurz einige zu erwartende Einwände gegen die hier formulierte Argumentation behandeln.

Biologismus: Entspricht nicht meiner Intention. Wohl aber argumentiere ich auf Basis eines Verständnisses von Naturrecht, von dem ich zwar weiß, dass es nicht allgemein geteilt wird, das ich aber weiterhin für eine mit guten Gründen vertretbare Position halte. Insbesondere den Grünen wäre dringend anzuraten, ihre weltanschaulichen Grundlagen auf dieser Basis zu reflektieren und die inneren Widersprüche ihres Denkens zu überwinden.

Nationalismus: Ist ebenfalls nicht intendiert. Die Geburtenrate bezieht sich auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland, ohne Berücksichtigung des Passes oder der Herkunft. Der nichtdeutsche Teil der Bevölkerung trägt heute schon überproportional zur Geburtenrate bei, auch wenn mir dazu keine gesicherten Zahlen bekannt sind, weil die entsprechenden Statistiken nicht geführt werden.

Konservatismus: Ist kein sinnvolles Argument, weder positiv noch negativ. Fortschritt ist kein Wert an sich, ebenso wenig wie sein Gegenteil. Beides kann nur von einer normativen Basis aus bewertet werden. Nur dann lässt sich wirklicher menschlicher Fortschritt vom zivilisatorischen Rückschritt unterscheiden. Hier habe ich im Prinzip von der Wertebasis unseres Grundgesetzes aus argumentiert.

Katholizismus: Kommt hier nur relativ sparsam vor. Im Gegenteil könnte man diesem Text eher eine soziologische oder politikwissenschaftliche Argumentation vorwerfen und gerade das katholische Element vermissen. Das war aber durchaus intendiert, ging es mir doch nur darum, zwei in der gegenwärtigen Debatte vernachlässigte Aspekte herauszustellen. Eine vollständige Abhandlung zum Thema vorzulegen entsprach nicht meiner Absicht.

Von dümmlichen Vorwürfen mit -phobie bitte ich abzusehen.

Nachtrag: Ähnliche Überlegungen stellt Roland Tichy an.

Die Krise und die Demographie

Vor ein paar Tagen hörte ich im englischsprachigen Dienst von Radio Vatikan ein Interview mit Professor W. Bradford Wilcox, Soziologie und Direktor des National Marriage Project an der University of Virginia. Der Soziologe zog in diesem Interview die Verbindung zwischen der gegenwärtigen Finanzkrise und der demographischen Entwicklung in den westlichen Industriestaaten – ein Thema, das mich schon länger beschäftigt.

What’s happening right now in Europe is related in large part to what’s happened demographically in Europe during the last forty years, and by that I mean we’ve seen the baby boomers now aging and they are requiring more public support from the state in Italy, the state in Germany, the state in Greece. And yet, because of unsustainable fertility in countries like Greece and Italy and Spain, to some extent there are fewer workers in the workplace to pay taxes, to pay for public policies and public benefits for those who are retiring or who are already retired in those countries.

Das National Marriage Project hat vor kurzem die Studie The Sustainable Demographic Dividend publiziert, deren Kernthese lautet:

The long-term fortunes of the modern economy rise and fall with the family. The report focuses on the key roles marriage and fertility play in sustaining long-term economic growth, the viability of the welfare state, the size and quality of the workforce, and the profitability of large sectors of the modern economy.

Einer der Autoren der Studie, Phillip Longman, bringt diesen Zusammenhang in einem Interview auf den Punkt:

The first order effect of a decline in the birthrate tends to be positive for the economy. A society finds it has fewer children to raise and educate. That tends to free up a lot of female labor to join the formal economy. But with the next turn of the screw, things change. As fertility rates remain below replacement levels, you still have fewer children but now your workforce is beginning to decline and you’ve got more and more seniors as a percentage of your population. And so around the world today we see many countries struggling with their fiscal situation largely because of the exploding cost of pensions and the relatively slow growth of their labor forces.

Die Studie kommt zu diesem Fazit:

Business, government, civil society, and ordinary citizens would do well to strengthen the family—in part because the wealth of nations, and the performance of large sectors of the modern economy, is tied to the fortunes of the family.

Wie die Finanzkrise entstanden ist

Ettore Gotti Tedeschi, der Präsident der Vatikanbank, hat in einem Interview mit dem Vatikanfernsehen erklärt, wie die internationale Finanzkrise entstanden ist.

Der wahre Ursprung der Krise – da habe ich persönlich keinen Zweifel – ist der Einbruch der Geburtenrate in den Ländern des Westens. In den siebziger Jahren sagten die so genannten Neo-Malthusianer einmal voraus: Wenn die Bevölkerung so weiterwächst wie bisher, nämlich zwischen vier und 4,5 Prozent, dann werden vor dem Jahr 2000 Millionen von Menschen, vor allem in Asien und in Indien, an Hunger sterben… Das sagt doch alles über die Prognosefähigkeit vieler Wirtschaftssoziologen. In der Dritten, Vierten Welt konnte niemand die Bücher über die demographische Bombe lesen, und darum haben sie weiter in aller Ruhe Kinder bekommen – und haben ihre Lebensbedingungen sogar verbessert, dank der Fortschritte im Gesundheits- und Ernährungswesen.

Im Westen hingegen haben der Stillstand des Bevölkerungswachstums die Notwendigkeit zu Strukturreformen mit sich gebracht.

Denn die Geburten gehen zurück, das heißt: Weniger junge Leute treten produktiv in die Arbeitswelt ein, und dafür gibt es mehr ältere Leute, die aus dem Produktivsystem ausscheiden und ein Kostenfaktor für die Gemeinschaft werden. Klar gesagt: Wenn die Bevölkerung nicht wächst, dann steigen die Fixkosten dieser wirtschaftlichen und sozialen Struktur oft dramatisch, je nachdem, wie sehr die Bevölkerungsstruktur ungleichgewichtig wird. Die Gesundheits- und Sozialkosten steigen, Steuern können nicht mehr gesenkt werden, die Ersparnisse gehen zurück… Der Westen hat versucht, diesen Einbruch in seiner Entwicklung durch Finanzaktivitäten und Auslagerung der Produktion aufzufangen, und eine Weile ist das auch gutgegangen: Das System wächst dadurch, dass die Familien sich verschulden. Letztlich hat man an den Finanzmärkten versucht, das nachlassende Wachstum der Wirtschaft zu kompensieren – welches wiederum mit der Tatsache zusammenhängt, dass keine Kinder mehr geboren wurden…

US-Präsident Obama will nun die Banken für die Kosten der Finanzkrise in die Pflicht nehmen. Der Vatikan-Banker dazu:

Ich glaube vor allem, dass es übertrieben ist, den Bankern und Finanzmanagern den Ursprung der Krise in die Schuhe zu schieben. Die Krise kommt nicht von den Banken und der Finanz: Sie haben die Krise zwar verschärft, wurden aber auch durch einige Regierungen darin ermutigt, obwohl allen die ganze Zeit über klar war, dass die Wachstumsrate, die der Kreditexpansion zugrunde lag, fiktiv war. Jetzt müßte es eher darum gehen, die Schuldenlast der Regierungen, der Familien, der Finanz- und Industrieinstitutionen zu verringern. Zurück zu akzeptablen Kriterien! Es gibt nur einen Weg, das wirtschaftlich-finanzielle Gleichgewicht wiederherzustellen – er heißt „austerità“, Nüchternheit, Einschränkung.

Technokratin von der Leyen

Im Wahljahr 2009 gibt es für Katholiken zwei Gründe, das Kreuz nicht bei der CDU/CSU zu machen. Neben der populistischen, törichten und ungerechtfertigten Attacke der Kanzlerin auf Papst Benedikt XVI. ist die Person der Familienministerin Ursula von der Leyen und deren Politik das zweite Wahlhindernis.

Als ich im April dieses Interview im Deutschlandfunk hörte, wurde mir klar, dass die Familienministerin eine Technokratin reinsten Wassers ist. Misst man ihre auf eine Steigerung der Geburtenrate angelegte Familienpolitik an eben jener Geburtenrate, so ist sie bis jetzt ganz klar gescheitert. Im Jahr 2008 ging die Zahl der Geburten nach vorläufigen Zahlen um 1,1 Prozent zurück. Ein Jahr zuvor war sie um 1,8 Prozent gestiegen. In absoluten Zahlen ist damit wieder das Niveau von 2006 erreicht, dem Jahr vor der Reform.

Dies hält die Ministerin jedoch nicht davon ab, ihre Politik weiterhin für richtig zu halten. Dass sie nun angesichts des kurzfristigen Scheiterns für den langen Atem plädiert, ist völlig in Ordnung. Aber vielleicht hätte sie ihren vermeintlichen Erfolg im Februar nicht ganz so laut feiern sollen. Jetzt steht sie als Politikerin da, die vermeintliche Erfolge gern als Bestätigung ihrer Politik heranzieht, Misserfolge aber nicht zum Anlass etwaiger Korrekturen nehmen will. Was eigentlich könnte Frau von der Leyen zu Änderungen veranlassen, wenn nicht der Misserfolg – außer vielleicht der Finanzminister, der ihr die Mittel streichen könnte?

Es kann gut sein, dass ihre familienpolitischen Reformen keinerlei Auswirkungen auf die Geburtenrate haben. Dann sind sie aber ganz klar schädlich, denn sie binden knappe Steuermittel. Von diesem Geld hätten die Familien mehr, wenn der Staat es ihnen gar nicht erst wegnehmen oder der nächsten Generation in Form von Schulden aufbürden würde. Und eine weitere Verstaatlichung der Kinderbetreuung kann keinesfalls wünschenswert sein.

Von ähnlich technokratischem Geist bestimmt ist ihre Kampagne gegen Kinderpornographie, die inzwischen zum Kern der Sache vorgedrungen ist: den Freiheitsrechten der Bürger, die Frau von der Leyen um der vermeintlich guten Sache willen einzuschränken wünscht. Ganz ähnlich wie im Fall staatlicher Kinderbetreuung übrigens geht es auch hier darum, dem Staat Zugriff auf einen Bereich zu geben, wo er besser keinen Zugriff hätte.

Frau von der Leyen glaubt fest an den Staat und dessen Mittel, auf die Gesellschaft im Sinne ihrer Ideologie einzuwirken. Sie wünscht mehr Staat in der Familien- wie auch der Innen- und der Telekommunikationspolitik, in deren Bereiche sie sich eingemischt hat.

Und am Ende soll der nahezu allmächtige Staat von der Leyenscher Prägung auch noch im Bereich der Reproduktionsmedizin tätig werden und mit Steuermitteln Kinderwünsche erfüllen. Technik, Geld, Recht und der Staat können offensichtlich alles.

Siehe auch: Ursula von der Leyen und die Verbalkeule

Geburtenrückgang im Oktober

Gewisse Zweifel an den Erfolgsmeldungen der Familienministerin hatten mich schon früher beschlichen. Doch nun macht der Spiegel die Sache amtlich: Im Oktober 2008 wurden fast 8.000 weniger Kinder als im Oktober 2007 geboren. Da der Zuwachs von Januar bis September im Jahresvergleich nur 3.400 Kinder betrug, ist die Bilanz nach zehn Monaten also deutlich negativ. Frau von der Leyen, ich warte auf die Pressekonferenz zum Thema.

Mehr Kinder?

Familienministerin Ursula von der Leyen hat den Familienbericht in Familienreport umbenannt und einen PR-Coup gelandet. „Deutsche bekommen mehr Kinder“, titelt zum Beispiel die Zeit.

So sind laut Report im Jahr 2007 12.000 Kinder mehr zur Welt gekommen als 2006. Bis September 2008 waren es 3400 Kinder mehr als im gleichen Zeitraum 2007. Das Statistische Bundesamt schätzt die Zahl der Geburten 2008 auf bis zu 690.000, 2007 wurden in Deutschland genau 684.862 Kinder geboren.

Beim Statistischen Bundesamt hingegen liest sich das etwas anders:

Nach vorläufigen Berechnungen hat sich die Zahl der Geburten im Vergleich zu 2007 kaum verändert und die der Sterbefälle leicht erhöht: Es wird mit wiederum etwa 680 000 bis 690 000 Geburten und mit etwa 835 000 bis 845 000 Sterbefällen gerechnet. Das sich aus der Differenz aus Geburten und Sterbefällen ergebende Geburtendefizit wird dadurch von gut 142 000 im Jahr 2007 voraussichtlich auf etwa 150 000 bis 160 000 ansteigen.

Mit anderen Worten: Es kann gut sein, dass die Zahl der Geburten 2008 wieder leicht zurückgegangen ist. Klar ist nur: Das Geburtendefizit steigt weiter an.

Zugewanderte haben mehr Kinder

Bei der OECD, wie zunächst vermutet, wurde ich zwar nicht fündig. Aber Herwig Birg konnte helfen:

Das durchschnittliche Niveau der Lebendgeborenen pro Frau beträgt bei den Deutschen 1,25, bei den Zugewanderten 1,64. […] Wenn sowohl die Mutter als auch der Vater eine ausländische Staatsangehörigkeit haben, beträgt die Zahl der Lebendgeborenen pro Frau 1,5. Wenn dagegen nur die Mutter eine ausländische und der Vater eine ausländische oder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sind es 1,9 Lebendgeborene pro Frau. (Quelle)

Zum Vergleich hier Zahlen aus Frankreich.

Ministerin mit selektiver Wahrnehmung

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 685.000 Kinder geboren. Das sind immerhin 12.000 mehr als 2006. Die durchschnittliche Kinderzahl je Frau stieg von 1,33 im Jahr 2006 auf 1,37. Sie nahm damit 2007 erstmals seit 2004 wieder zu. Einen höheren Wert hatte die durchschnittliche Kinderzahl je Frau zuletzt 2000 er­reicht (1,38).

Die Familienministerin jubelt:

„Ich freue mich sehr über den Anstieg der Geburten und vor allem darüber, dass die jungen Eltern allmählich wieder die Kinder bekommen, die sie sich wünschen“, sagt Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen zu den heute [am 20. August] veröffentlichten Zahlen.

Interessant ist, dass vor allem Frauen im Alter von 33 bis 37 Jahren wieder mehr Kinder bekommen. „Das scheint darauf hin zu deuten, dass sich die Perspektiven für diese Frauen, die schon mitten im Berufsleben stehen, verbessern“, sagt von der Leyen.

Sie unterschlägt, dass die durchschnittliche Zahl der Geburten bei jüngeren Frauen („die jungen Eltern“?) auch 2007 zurückging. Und verliert keine Silbe darüber, dass die Zahl der Geburten 2006 ein historisches Tief erreicht hatte. Sie erwähnt nicht, dass das Geburtendefizit (Zahl der Geburten abzüglich der Sterbefälle) bei 142.000 lag. Und dass die Zahl der Eheschließungen weiter gesunken ist.

Aber das passt wahrscheinlich nicht ins Bild.

Was war (3): Eva und die Wölfe

Was mich an der Aufregung der letzten Wochen über Eva Herman am meisten gestört hat, war die Geringschätzung, ja Verachtung der Mutterschaft, die in vielen Wortmeldungen zum Ausdruck kam. Mutter zu sein ist in Deutschland inzwischen etwas völlig Nachgeordnetes, das hinter allem Möglichen zurückstehen muss. Wer Mutter wird, hat offensichtlich nichts Besseres zu tun. Oder ist zu blöd zum Verhüten.

Eine zynische, menschen- und frauenverachtende Haltung scheint Allgemeingut geworden, jedenfalls in der veröffentlichten Meinung. Sie korrespondiert aufs Genaueste mit der jüngst veröffentlichten Abtreibungsstatistik und der Berichterstattung darüber. Angesichts von 42 Millionen Kindstötungen jährlich scheint die ganze Sorge den Zehntausenden Frauen zu gelten, die bei Abtreibungen ums Leben kommen.

Selbstverständlich ist das eine berechtigte Sorge, aber ist es nicht zynisch und menschenverachtend, die getöteten Kinder keines einzigen Gedankens zu würdigen? Und nimmt sich nicht die als Holocaust (Ganzopfer, Brandopfer) bezeichnete industrielle Ermordung der europäischen Juden im Vergleich zu 42 Millionen getöteten Kindern pro Jahr fast mickrig klein aus?

Eva Herman wird für ungeschickte Äußerungen zur nationalsozialistischen Familienideologie von mediokren Talkmastern öffentlich hingerichtet und in die Nähe zum Nationalsozialismus gerückt – während die Ideologie, gegen die sie sich wendet, Jahr für Jahr eine Zahl von Opfern fordert, die an die des Zweiten Weltkriegs heranreicht. Diese Ideologie ist die Geringschätzung des Lebens selbst und die Unterordnung des Lebens der nächsten Generation unter unsere Wünsche und Bedürfnisse.

Es ist in Deutschland fast schon rechtfertigungspflichtig geworden, Kinder aufzuziehen statt sie zu verhüten oder abzutreiben. Werte wie Liebe, Familie und Kinder waren einmal selbstverständlich und sind es in jeder gesunden Gesellschaft. In Deutschland nicht.