Lokale Kirchenentwicklung und der Spagat zwischen Kern- und Papiergemeinde

Die Kirchensteuer schafft eine heikle Situation, da sie letztlich, ob formal oder nicht, Ansprüche auf kirchliche Dienstleistungen entstehen lässt. Wer zahlt, der hat Anspruch auf die Taufe seiner Kinder, auf eine schöne Erstkommunion, Firmung und Trauung sowie schließlich auch eine kirchliche Beerdigung. Eine regelmäßige Teilnahme am Gemeindeleben ist dafür hingegen keine Voraussetzung.

In der Pfarrei, der ich angehöre, besuchen an einem durchschnittlichen Zählsonntag etwa fünf Prozent der Gemeindemitglieder eine Heilige Messe. 95 Prozent nehmen also dieses seelsorgliche Angebot nicht wahr, obwohl sie – soweit dazu verpflichtet – Kirchensteuer zahlen und damit letztlich den Apparat finanzieren, der diese und andere Angebote erbringt.

Dies zwingt das kirchliche Personal zu einem Spagat zwischen schrumpfender Kerngemeinde und – relativ oder in unserem Fall sogar absolut – wachsender Papiergemeinde. Nur wenige tragen das Gemeindeleben, aber viele erheben Anspruch auf kirchliche Dienstleistungen.

Die schrumpfende Kerngemeinde, tendenziell überaltert, zahlt kaum noch Kirchensteuer, während die kirchensteuerzahlenden Familien nur noch punktuell am Gemeindeleben teilnehmen. Es soll sogar schon Familien geben, deren Steuerzahler aus der Kirche ausgetreten sind, um Steuern zu sparen, während der Rest formal weiterhin zur Gemeinde zählt und kirchliche Dienstleistungen in Anspruch nimmt.

Lokale Kirchenentwicklung steht hier vor der dringenden Frage, wer eigentlich ihr Subjekt ist. Ist es die schrumpfende Kerngemeinde – und damit eine kleine Minderheit innerhalb der Papiergemeinde? Oder ist es die Gesamtheit der Gemeinde, unabhängig von ihrer Präsenz im Gemeindeleben?

Und ist sich, unabhängig von der Antwort auf diese Fragen, dieses Subjekt lokaler Kirchenentwicklung eigentlich selbst genug oder richtet sich ein missionarischer Impuls nach außen, ist Wachstum das Ziel? Je nachdem, wie die Antworten auf diese Fragen ausfallen, entsteht ein völlig anderes Bild.

Eine Fünf-Prozent-Kerngemeinde hätte zunächst einmal die anderen 95 Prozent als mögliche Adressaten. Hier wäre die Frage, was die eigentlich vermissen oder was sie davon abhält, häufiger als nur gelegentlich am Gemeindeleben teilzunehmen. Müsste sich womöglich die Kerngemeinde selbst ändern oder ist sie im Recht, und alle anderen im Unrecht?

In einer Diasporasituation, wie wir sie hier im Norden vorfinden, ist aber auch die Gesamtheit der Gemeinde wiederum eine kleine Minderheit in einer ansonsten protestantisch, muslimisch oder neuheidnisch-atheistisch geprägten Umwelt. Ein missionarischer Impuls, der sich in dieses Umfeld richten würde, träfe noch einmal auf völlig andere Voraussetzungen.

Lokale Kirchenentwicklung steht also auch vor der dringenden Frage, wer eigentlich ihr Adressat ist. Wer seine Zielgruppe nicht beschreiben kann, der spricht letztlich niemanden an. Da sind alle Mühen vergebens.

Gemeindeleitung: Team oder Gremium?

Im allgemeinen Sprachgebrauch gilt ein Team als eine Gruppe von Menschen, die einem gemeinsamen Ziel folgt und sich auf bestimmte Regeln der Zusammenarbeit geeinigt hat. Dabei ist es das gemeinsame Ziel, das ein Team von einem Gremium unterscheidet. Denn auch ein Gremium muss sich auf bestimmte Regeln der Zusammenarbeit einigen. Aber nicht jedes Gremium ist auch ein Team.

Der klassische Pfarrgemeinderat ist in jedem Fall ein Gremium, aber nicht unbedingt ein Team. Als Gremium bündelt er verschiedene, zum Teil auch widerstreitende Interessen und sorgt für deren Ausgleich. Er hat gewisse Entscheidungskompetenzen und ist ansonsten eine beratende Instanz für den Pfarrer und die pastoralen Mitarbeiter.

Wenn das lokale Gemeindeleitungsteam nicht mehr als ein Gremium ist, dann ersetzt es bestenfalls den Pfarrgemeinderat – es hat aber dann kein gemeinsames Ziel. Erst „eine Vision und ein Leitbild für die lokale Gemeinde“ (Martin Wirth) machen aus einem bloßen Gremium ein Gemeindeleitungsteam. Und wo Vision und Leitbild aus dem Fokus geraten, da hört ein Gemeindeleitungsteam auf, Team zu sein.

Die Folgen sind desaströs. Unklare Ziele und Anforderungen gehören zu den häufigsten Ursachen für das Scheitern von Projekten. Dies ist unabhängig davon, um welche Art von Projekten und um welchen Bereich es sich handelt. Ein Team wird dann meistens in Aktionismus verfallen, um wenigstens vorzeigbare Ergebnisse seiner Arbeit zu produzieren und die eigene Existenzberechtigung nachzuweisen.

Ein beliebtes Beispiel aus dem Gemeindeleben ist das Gemeindefest, für das meistens lange im Voraus ein Termin festgelegt und Verantwortlichkeiten definiert sind. Danach passiert häufig lange Zeit nichts, bis der Termin näher heranrückt und damit Dringlichkeit und Zeitdruck entstehen. Zuvor war das Gemeindefest zwar wichtig, aber nicht dringend, weshalb es aus dem Fokus verschwand.

Unter Druck entsteht schließlich ein Ergebnis, das Fest findet statt und kann durchaus als Erfolg betrachtet werden – allerdings ist dann die Frage, was eigentlich die Erfolgskriterien sind. Was waren noch gleich die Ziele und Anforderungen? Die fehlende Verständigung darüber direkt zu Projektbeginn führt dazu, dass Grundsatzfragen immer wieder im Projektverlauf anhand einzelner Details zu diskutieren sind.

Eine dieser Grundsatzfragen ist die Festlegung der Zielgruppe: Wen soll ein Gemeindefest eigentlich ansprechen? Aus dem berechtigten Anliegen heraus, niemanden ausschließen zu wollen, folgt gern ein diffuses „Alle“, das konsequent angewandt eigentlich „Niemand“ bedeuten würde. Da aber ein Fest, das niemanden anspricht, am Ende gar nicht stattfinden würde, werden in aller Regel, ausgesprochen oder nicht, eine mehr oder weniger diffuse Kerngemeinde und einige ihrer Gruppen angesprochen.

Beispiele: Sollen die Bewohner des angrenzenden Altenheims zum Kaffee eingeladen werden? Die Logistik erlaubt das nicht, zudem sind die wenigsten Besucher katholisch oder haben wenigstens Kontakt zur Gemeinde. Die Firmbewerber sind mehr oder weniger zwangsverpflichtet und kümmern sich um die Vorbereitungen sowie den Service. Die polnische Gemeinde wird einen Altar für die kleine Fronleichnamsprozession gestalten und auf diese Weise eingebunden.

Manches war bereits in der Vergangenheit so und wird nach Möglichkeit wiederholt („So wie beim letzten Mal“), anderes ergibt sich mehr oder weniger zufällig. Das Ergebnis gleicht eher einem Patchwork, und das muss gar nicht einmal schlecht sein. Es werden Begegnungen stattfinden, Menschen werden sich kennenlernen, und es wird so etwas wie Feststimmung aufkommen.

Doch wird das Potential hier wirklich genutzt? Wären ein paar mehr Gedanken über die Zielgruppe und – darauf aufbauend – das Konzept nicht von größerem Nutzen gewesen? Wenn das Gemeindefest wirklich so wichtig ist, warum nicht einmal grundsätzlich darüber nachdenken? Ist das Ziel mit dem Wort „Gemeindefest“ allein schon hinreichend beschrieben? Wohl kaum.

Ebenso wenig reichen Begriffe wie „lebendige Gemeinde“ oder gar „offene Gemeinde“ aus, um das Ziel – die Vision und das Leitbild – eines Gemeindeleitungsteams zu beschreiben. Solche Leerformeln geben keine hinreichenden Entscheidungskriterien an die Hand, um daran die eigene Arbeit auszurichten. Darunter lässt sich alles und nichts fassen. Das Resultat ist Beliebigkeit. Ein Profil sieht anders aus.

Das Ehrenamt als Lückenbüßer

„System der Kirche am Ende“. So titelte vor kurzem katholisch.de. Bei den Priesteramtskandidaten sei die katholische Kirche in Deutschland „quasi an der Nulllinie“ angekommen, so Hartmut Niehues, der Vorsitzende der Deutschen Regentenkonferenz, der deshalb für eine stärkere Einbeziehung der Laien in die Seelsorge plädierte.

Als Laie kann ich da mitreden. In den vergangenen zweieinhalb Jahren habe ich mein ehrenamtliches Engagement in der Gemeinde stark ausgeweitet. So bin ich seit knapp eineinhalb Jahren auch Mitglied des lokalen Leitungsteams und deshalb mit jenen Erneuerungs- und Veränderungsprozessen in Berührung gekommen, die im Bistum Hildesheim als Lokale Kirchenentwicklung bezeichnet werden. Mein Zwischenfazit fällt durchaus ernüchternd aus.

Diakon Martin Wirth definiert Lokale Kirchenentwicklung als innerkirchlichen Prozess,

„der der wachsenden Bedeutungslosigkeit der Kirche in der Gesellschaft glaubwürdig und überzeugend entgegentritt. Es ist die Frohe Botschaft Jesu Christi, die alle Glieder der Kirche zum Handeln drängt.“

Diese Definition ist gut und richtig. In der Praxis, wie ich sie derzeit erlebe, sind allerdings erhebliche Schwierigkeiten zu sehen.

So ist das Denken nach wie vor stark von vermeintlichen oder tatsächlichen Aufgaben geprägt, für deren Wahrnehmung nun, da die Zahl der Priester und der hauptamtlichen Mitarbeiter stetig abnimmt, eben die Laien (im doppelten Wortsinne) herangezogen werden. Damit dominieren vermeintliche oder tatsächliche Defizite und Lücken, die irgendwie gestopft werden wollen oder sollen.

Besser wäre ein ressourcenorientiertes Denken, das sich an dem orientiert, was da ist. Doch dieser Perspektivwechsel ist noch nicht vollzogen. So werden bestehende, ausgedünnte Strukturen und ehrenamtliches Engagement nach wie vor auf Verschleiß gefahren und Kräfte dafür gebunden, etwas aufrecht zu erhalten, was nicht mehr aufrecht zu erhalten ist.

Das Konzept der Lokalen Kirchenentwicklung scheint mir zudem nicht ganz zu Ende gedacht. Denn ohne Priester, und darauf läuft es – siehe oben – mittel- und langfristig wohl hinaus, gibt es keine Sakramente, außer vielleicht die Taufe. Eine partizipative Kirche der Laien kann sich nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Ihre sakramentale Struktur kann nur so lange verdünnt werden, bis das letzte Atom verschwunden ist, um einen Vergleich mit der Homöopathie zu bemühen.

Was bei Fortsetzung des gegenwärtigen Kurses früher oder später geschehen wird, ist klar: Bistümer werden zusammengelegt wie jetzt schon Gemeinden, Pfarreien und Dekanate. Es werden Missionspriester aus anderen Erdteilen kommen und dieses Land von Neuem evangelisieren. Dies wird zum Teil erbitterten Widerstand der Alteingesessenen hervorrufen, die keinen Anlass sehen, irgendetwas zu verändern. Aber das dürfte keine Überraschung sein.

Toleranz

„Die Kirche ist intolerant in den Prinzipien, weil sie glaubt; aber sie ist tolerant in der Praxis, weil sie liebt. Die Feinde der Kirche sind tolerant in den Prinzipien, weil sie nicht glauben; aber sie sind intolerant in der Praxis, weil sie nicht lieben.“

Réginald Garrigou-Lagrange OP

Quelle

Zwei Lehren aus einem Pontifikat

Das Pontifikat Benedikts XVI. ist zuende. Die beiden vielleicht wichtigsten Lehren für mich verbinden sich mit dem Anfang und dem Ende der Amtszeit des jüngsten Papstes.

Als 2005 Papst Johannes Paul II. starb und Joseph Ratzinger zu seinem Nachfolger gewählt wurde, als Papst Benedikt XVI. im Sommer zum Weltjugendtag nach Köln kam, da wurde mir klar, was Weltkirche bedeutet. Deutschland mochte zwar jetzt Papst sein, der Nabel der katholischen Welt war und ist es deshalb noch lange nicht.

Seitdem schaue ich auf manches, was uns hierzulande in Kirchenkreisen intensiv zu beschäftigen scheint, mit einem gewissen inneren Abstand. Deutschland mit seinen (noch) nahezu gleichgewichtigen konfessionellen Gruppen ist und bleibt im weltweiten Maßstab ein Sonderfall.

Und während wir hierzulande Kirchen schließen und Gemeinden fusionieren, weil uns die Gläubigen abhanden kommen, wächst die Weltkirche kräftig weiter. Allein von 2004 bis 2010 (jüngere Zahlen liegen noch nicht vor) stieg die Zahl der Katholiken um nahezu 100 Millionen, von 1,098 Milliarden auf 1,196 Milliarden.

Eine zweite wichtige Lehre lässt sich mit den Stichworten Demut und Gehorsam beschreiben. So heißt ein kleiner Band aus Münsterschwarzach, den mir vor einigen Monaten mein geistlicher Begleiter ans Herz legte. Was Demut und Gehorsam bedeuten, hat Papst Benedikt mit seinem Amtsverzicht auf eine völlig neue Weise gezeigt.

Wie leicht lässt sich Demut mit Kleinmut verwechseln. Wie schwer fällt mir der Gehorsam gegenüber meiner Berufung und dem, der mich beruft. Welche Ausflüchte bringe ich vor, wenn es um ganz konkrete Fragen geht. Wie oft scheinen mir allerlei praktische Hindernisse übergroß im Weg zu stehen.

Ich denke an einen berühmten Satz von Papst Johannes XXIII.: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig.“ Papst Benedikt hat seinen Amtsverzicht als eine neue Berufung gedeutet. Eine kühne Deutung für einen kühnen Schritt. Schaue ich auf meine Berufung, dann möchte ich ihr mit ebensolchem Mut und ebensolcher Demut folgen können.

Ökumene jetzt!

Etwas überrascht war ich, als ich heute den Aufruf Ökumene Jetzt las. Übrigens ein sinnarmer Name, denn Ökumene (griech. oikoumene, „Erdkreis, die ganze bewohnte Erde“) ist ja ohnehin immer und überall. Aber das ist eine Spitzfindigkeit.

Ich war nicht überrascht über die theologische Dürftigkeit, denn die war zu erwarten, sind die Autoren doch Politiker und keine Theologen. Allerdings schaffen es in Deutschland auch Theologen, theologisch dürftige Memoranden zu verfassen. Nein, angesichts des gewaltigen medialen Grundrauschens ist das Papier auch rein praktisch gesehen überaus dürftig. Kein Aufruf zum Ungehorsam, überhaupt keine konkreten Schritte, nur allgemeines Blabla.

Was das Papier bei aller Dürftigkeit schön zeigt, sind die Legitimationsprobleme des Spätprotestantismus. Es ist tatsächlich selten geworden, dass ein Protestant noch schlüssig begründen kann, warum er und seine kirchliche Gemeinschaft weiterhin von Rom getrennt sein müssen. Was genau hindert eigentlich am sofortigen Übertritt in die römisch-katholische Kirche?

Um Zeichen zu setzen und dazu beizutragen, den gemeinsamen Glauben auch in einer gemeinsamen Kirche zu leben, hier mein Vorschlag für das Praktische:

  1. Für den Einzelnen ist jederzeit die Aufnahme in die römisch-katholische Kirche möglich. Alle Pfarrämter und jeder Priester stehen dafür als Ansprechpartner bereit.
  2. Sollten ganze Gemeinden die Aufnahme wünschen, so wäre es dem derzeitigen Papst sicher eine Freude, dafür eine Struktur zu schaffen, wie er es mit Anglicanorum Coetibus bereits für den anglikanischen Zweig der Reformation getan hat.
  3. Selbst Landeskirchen steht der Weg zur Einheit offen. Mit Unierten Kirchen haben wir seit Jahrhunderten Erfahrung – alles kein Problem.

Also, liebe Erst- und Folgeunterzeichner, was genau spricht gegen meinen Vorschlag? Ökumene jetzt!

Wo die 80er bis heute fortleben

Das Heidentum sitzt heute in der Kirche selbst, schrieb der junge Theologe Joseph Ratzinger 1958 in einem Aufsatz, den jüngst das Vatican-Magazin wieder zugänglich gemacht hat. Wer wie ich seine Jugend in einer noch stark katholisch geprägten Gegend verbracht hat, der konnte sehen, was die äußere Deckung von Kirche und Welt bedeutet, die nur noch zum Schein besteht.

„Frieden und Gerechtigkeit“ stand damals in den 80ern unter Picassos Friedenstaube auf den ökopapiergrauen Briefumschlägen, in denen die Bezirksstelle der Katholischen Jugend ihre Post verschickte. An Mail war noch nicht zu denken. Meine Jugend begann mit Friedens- und Umweltbewegung, Nachrüstungsdebatte und der geistig-moralischen Wende der Ära Kohl.

Während sich die Generation unserer Eltern noch selbstverständlich hinter Helmut Kohl scharte, tobte innerhalb der Kirche schon der Kampf verschiedener Fraktionen. Wir Jugendlichen fühlten uns als christlicher, katholischer Teil der Friedens- und Unweltbewegung und gerieten so in Widerspruch zu unseren CDU-Eltern und dem katholischen Establishment.

Unsere Opposition war also eine innerkirchliche. Wir schauten kritisch auf alles, was unserer Meinung nach dem Evangelium widersprach, gerade in der Kirche. Und wir experimentierten mit unserer jugendlichen Art des Kircheseins. „Wir sind Kirche“, lautete Mitte der 80er das Motto einer großen Jugendwallfahrt mit Bischof Josef Homeyer nach Vierzehnheiligen. Mit der gleichnamigen Splittergruppe hatte das aber nichts zu tun.

Mir scheint, die 80er leben bis heute fort, wenn ich mir die heutige innerkirchliche Opposition ansehe. Sie arbeitet sich an Themen ab, die uns schon damals nur am Rande interessierten, und das auch nur, weil davon so viel gesprochen wurde. Dabei gerät völlig aus dem Blickfeld, was die eigentlichen Herausforderungen der Zeit sind.

Das Evangelium ernstzunehmen muss mit dem innerkirchlichen Heidentum, das nur noch pro forma am Christentum festhält, notwendigerweise in Konflikt geraten. Mir scheint aber, dass sich die heutigen Kritiker eher auf Seiten eben jenes Heidentums befinden. Sie nehmen ihre Maßstäbe aus der Welt, nicht aus dem Evangelium, und sie hätten die Lehre der Kirche gern zeitgemäß, was heißt: der Welt gemäß.

Genau hier setzt der von Papst Benedikt im vergangenen Herbst geprägte Begriff der Entweltlichung an. Sie ist das Gegenteil jener Verweltlichung, die unweigerlich in einem neuen Heidentum enden muss. Entweltlichung ist nicht der Abschied von der Welt, sondern der Wechsel der Maßstäbe, weg von denen der Welt, hin zu jenen des Evangeliums.

Viel spannender als die müde innerkirchliche Opposition mit den immergleichen Langweilerthemen ist die Kirche in Opposition zur Welt, nicht grundsätzlich, aber dort, wo die Welt heillos geworden ist. Das Heil kommt nicht aus der Welt, sondern nur von Christus. Daran wird die Kirche notwendigerweise immer festhalten.

Ein Vorschlag zur sprachlichen Güte

Über kirchliche Strukturfragen wird in diesem Land nicht nur allzu gern diskutiert, die Strukturdebatte der vergangenen Jahrzehnte hat auch jede Menge sprachliche Ungetüme hervorgebracht. So zählt die Wikipedia eine wahrscheinlich nicht einmal vollständige Reihe grässlicher Synonyme für Pfarrverband auf:

Seelsorgeeinheit, Seelsorgebezirk, Kooperationseinheit, Pastoralverbund oder Pfarreiengemeinschaft

Beim Wort Seelsorgeeinheit muss ich immer an die berühmte Raufutter verzehrende Großvieheinheit denken. Die sprachlichen Missgriffe verweisen auf Schwierigkeiten im Denken.

Dabei könnte es so einfach sein. Wozu sollen Pfarreien überhaupt eigenständig bleiben, wenn sie sich den Pfarrer und das übrige pastorale Personal ohnehin teilen müssen? Legen wir die Pfarreien zusammen, dann braucht es keine Pfarrverbände oder dergleichen.

Stattdessen geben wir die Gleichsetzung von Pfarrei und Gemeinde auf. Eine Pfarrei mit mehreren Standorten, gerne auch Kirchorte oder Filialkirchen genannt, besteht dann aus mehreren Gemeinden. Eine Gemeinde definiert sich über ihre Kirche, den Ort des Gottesdienstes. Eine Pfarrei hingegen ist eine Verwaltungseinheit mit dem Pfarrer als Führungskraft.

Die Vorteile liegen auf der Hand. Jede Menge Gremien können abgeschafft, die Kräfte gebündelt und der Blick wieder auf das Wesentliche gerichtet werden. Die an sich bewährte Territorialstruktur mit dem Prinzip der Ortsgemeinde bleibt erhalten. Und übrigens: Viele heute eigenständige Klein- und Kleinstgemeinden sind keine 100 Jahre alt. Sie wurden eigenständig, als Pfarrstellen für Priester gebraucht wurden.

Heute ist es umgekehrt.

Eine deutsche Nationalkirche? Ein Szenario

Seit einigen Wochen geistert das Gespenst einer deutschen Nationalkirche durch die Gazetten. Eine solche Kirche würde sich von Rom lossagen und eine eigene Struktur bilden. Zur Debatte stehen:

eine horizontale Kirche der Abstimmung und des Dauerdialogs, in der auch Glaubenssätze Mehrheitsfragen werden können, und eine vertikale Kirche, die die überlieferten Sakramente durch die Zeiten trägt.

Einmal abgesehen davon, dass es solche horizontalen „Kirchen“ im protestantischen Raum schon seit langem gibt, dieses Marktsegment also hinreichend abgedeckt ist – wie könnte sich ein solches Schisma (denn das wäre es) konkret vollziehen? Und welche Handlungsmöglichkeiten bleiben dem einfachen Laien in einem solchen Falle?

Die Schlüsselfiguren in diesem schlechten Spiel sind auf jeden Fall die Bischöfe. Sagen sich einzelne Bischöfe oder Gruppen von Bischöfen von Rom los, kommt es zum Schisma. Vermutlich wird dies nicht durch eine Erklärung geschehen, sondern wie schon im Falle der Priesterbruderschaft St. Pius X. durch unerlaubte Bischofsweihen. Doch wie kann es dazu kommen?

Die abtrünnigen Bischöfe können wahrscheinlich zunächst auf die Milde und Langmut des Vatikans und des Papstes setzen. Schon als Präfekt der Glaubenskongregation hat Joseph Ratzinger seine Machtmittel nur im äußersten Notfall eingesetzt, dann nämlich, wenn ihm auch kirchenrechtlich keine andere Wahl mehr blieb. Er hat als Papst bereits mehrfach die Exkommunikation unerlaubt geweihter Bischöfe aufgehoben, in China wie auch im Fall der Piusbruderschaft.

Wenn sich die deutschen Bischöfe nicht äußerst ungeschickt verhalten, dann wird es also nur dann zum offenen Bruch kommen, wenn ein vakanter Bischofsstuhl gegen den Willen Roms besetzt werden soll und sich mindestens ein Bischof zu einer unerlaubten Weihe hinreißen lässt. In diesem Fall wäre das Schisma perfekt, und mindestens zwei Bischöfe, der Geweihte und der Weihende, zögen sich die Tatstrafe der Exkommunikation (excommunicatio latae sententiae) zu.

Dann wäre die Reihe an den jeweiligen Bistümern, angefangen vom direkten Apparat des Bischofs, seinem Generalvikariat, den Priestern und Diakonen und den Laien im kirchlichen Dienst. Eine Schlüsselrolle hat der Finanzdirektor, der die Kirchensteuereinnahmen verwaltet und die Gehälter überweist. Verweigert er sich dem unerlaubt geweihten Bischof, kommt es zum offenen Machtkampf. Von dessen Ausgang hängt der weitere Verlauf des Schismas ab.

Klar scheint mir, dass ein unerlaubt geweihter Diözesanbischof in Deutschland ohne Zugriff auf die Kirchensteuermittel keinen großen Einfluss hätte. Im umgekehrten Falle dürften dem Lockruf des Geldes wohl viele, wenn nicht die meisten Kleriker und Laien eines Bistums erliegen. Sprich: Sie sind dann vor die Alternative gestellt, ohne Geld Rom treu zu bleiben oder mit Gehalt einem abtrünnigen Bischof zu folgen.

Nun setzt allerdings eine Abstimmung mit den Füßen ein. Romtreue Priester werden wahrscheinlich die Diözese wechseln und sich ebensolchen Bischöfen anschließen und umgekehrt. Rom dürfte sich, auf geltende Konkordate und romtreue Bischöfe gestützt, relativ schnell an die Wiedererrichtung kirchenrechtlich gültiger Bistümer auf dem Territorium der abtrünnigen (Teil-)Diözesen machen.

Mit der Existenz von parallelen Strukturen wäre das Schisma zunächst stabilisiert. Die schismatischen Bischöfe und Bistümer samt ihren Gemeinden verlieren in der Folge mindestens das Attribut „römisch“, wenn nicht auch „katholisch“. Um weiterhin Kirchensteuer erheben zu können, müssten sie vom Staat als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden, was aber kein Problem sein dürfte – die Altkatholiken haben das auch geschafft.

Die einzelnen Gemeinden hingegen bleiben zunächst ihrem Bischof zugeordnet. Sollte der Pfarrer das Weite suchen und sich einem romtreuen Bischof anschließen, so besteht eine gewisse Chance auf einen neuen, schismatischen Pfarrer, der aus einem anderen Bistum wechselt. Denkbar ist auch der Wechsel ganzer Gemeinden, und zwar in beide Richtungen – weg von Rom ins Schisma oder umgekehrt.

Der einfache Laie wird dann am Namen des Bischofs, der im Hochgebet genannt wird, die Zugehörigkeit seiner Gemeinde erkennen. Wird ein romtreuer Bischof genannt, ist alles in Ordnung. Andernfalls wäre der Wechsel zu einer romtreuen Gemeinde angezeigt. Das könnte, insbesondere in der Diaspora, durchaus schwierig werden.

Zu prüfen ist außerdem, an welchen Bischof die Kirchensteuer fließt. Notfalls wäre vor den staatlichen Stellen der Austritt aus der Kirche zu erklären, um zu verhindern, dass Kirchensteuern an schismatische Bischöfe und Bistümer fließen. Dann wäre es vermutlich angezeigt, die entsprechenden Beträge monatlich auf ein Sperrkonto einzuzahlen, um sie zu gegebener Zeit dem rechtmäßigen Bischof zukommen zu lassen.

Wie realistisch ist dieses Szenario? Bis jetzt gab es nur einen designierten Weihbischof in Österreich, der unter massivem Druck auf sein Amt verzichtete. Wann wird der erste designierte Bischof in eine vergleichbare Situation geraten? Und wann wird zum ersten Mal der Versuch unternommen, Rom einen bestimmten Bischofskandidaten aufzuzwingen? Was passiert, wenn Rom diesem Druck standhält?

Ein Szenario ist keine Prognose. Es könnte so kommen, es könnte auch ganz anders sein. Zu wünschen ist, dass es gar nicht dazu kommt.

Spaß mit dem Duden

Extra ecclesiam nulla salus – der Duden weiß Bescheid. Ihm zufolge ist besonders die katholische Kirche die allein seligmachende (oder allein selig machende) Kirche. Nur schade, dass das schöne Adjektiv „alleinseligmachend“ der Rechtschreibreform zum Opfer gefallen ist.

Wo wir gerade dabei sind – auch Google ist im Bilde: