Legitimationsprobleme im Spätprotestantismus

Ein Nachtrag zum Nachtrag.

Wer jahrzehntelang das Einende betont und das Trennende marginalisiert und verdrängt hat, steht früher oder später vor der Frage, was eigentlich noch die Trennung von Rom rechtfertigt. Denn vom Trennenden darf ja nicht gesprochen werden.

Dieses Legitimationsproblem trifft, obwohl es jahrzehntelang anders aussah, den Protestantismus schärfer als die katholische Kirche. Denn die kann theologisch lupenrein erläutern, warum oberflächliche Konzepte von ökumenischer Einigung nicht ausreichen. Der protestantische Versuch, das Problem der Trennung durch Umdefinition des Begriffs Kirche zu lösen, war zwar in der öffentlichen Wahrnehmung erfolgreich, aber nicht in der Praxis.

Denn am Ende führt er in die Sackgasse. Auch wenn sich über längere Zeit der schwarze Peter nach Rom schieben lässt, weil dort das Trennende beim Namen genannt wird – irgendwann muss der Protestantismus die Frage beantworten, warum er von Rom getrennt ist. Dieser Frage lässt sich durch noch so brilliante Rhetorik nicht ausweichen.

Der protestantische Theologe Eberhard Jüngel, emeritierter Ordinarius für systematische Theologie und Religionsphilosophie in Tübingen, hat sie übrigens so beantwortet:

Man könnte zwar daran erinnern, dass nach evangelischer Lehre die römisch-katholische Kirche sich von der Kirche Jesu Christi weniger durch einen Mangel als vielmehr durch ein bedrohliches Zuviel unterscheidet und dass das Alte Testament und das Neue Testament bezeugen, wie wenig es dem lebendigen Gott gefällt, «wenn jemand etwas hinzufügt». Und man könnte aufzählen, was die Kirche alles zur Wahrheit des Evangeliums hinzugefügt hat. Schon der Apostel Paulus hat dem Apostel Petrus aus eben diesem Grund «ins Angesicht widerstanden».

Da haben wir ihn doch, den casus secessionis aus protestantischer Sicht. Wie soll, die Frage müsste Jüngel als nächste beantworten, dann die Einheit erreicht werden? Durch eine Reformation der katholischen Kirche? Die ist nicht zu erwarten.

Agenda 2017

Ein Nachtrag.

SPIEGEL: Ist die evangelische Kirche nun aus Ihrer Sicht Kirche?

Zollitsch: Ja, sie ist eine Kirche, aber eine andere. Nach katholischem Verständnis ist sie nicht im vollumfassenden Sinne Kirche. Sie ist Kirche. Ich kann ihr das nicht absprechen.

Was wollen uns diese leicht kryptischen Sätze sagen? Wir haben uns daran gewöhnt, jede kirchliche Gemeinschaft, die sich selbst Kirche nennt, im landläufigem Sinne als solche zu bezeichnen und damit anzuerkennen. Mit einer signifikanten Ausnahme übrigens – Scientology.

Das katholische Verständnis von Kirche steht dem landläufigen Verständnis entgegen. Demnach ist Kirche im Singular der Leib Christi, in Einheit mit dem Papst und den Bischöfen, die ihrerseits den örtlichen Kirchen im Plural vorstehen und ihre Priester in die zahllosen Gemeinden entsenden. Die Kirche lebt aus der Feier der Eucharistie, dem Sakrament des Leibes Christi.

Also nur ein semantischer Streit? Nicht nur, aber auch. Dahinter liegt ein Problem, dass sich die protestantischen Gemeinschaften in Deutschland mit ihrem Konzept der Ökumene selbst geschaffen haben. Wer jahrzehntelang das Einende betont und das Trennende marginalisiert und verdrängt hat, steht früher oder später vor der Frage, was eigentlich noch die Trennung von Rom rechtfertigt. Denn vom Trennenden darf ja nicht gesprochen werden.

Wolfgang Huber versucht, dieses Problem mit seiner Parole von der Ökumene der Profile zu lösen. Zu spät. Denn dazu fehlt es dem deutschen Protestantismus längst an Substanz, an theologischer wie materieller. Die demographischen Trends weisen auf protestantischer Seite sehr viel deutlicher nach unten als auf katholischer.

Ein Beispiel: Die hiesige Landeskirche will mittelfristig im Alten Land noch genau zwei von heute neun Kirchengebäuden erhalten und ebenfalls zwei (statt heute fünf, vor kurzem noch sechs) Pfarrstellen unterhalten. Rapide schwindende Kirchensteuereinnahmen und leere Kirchen zwingen dazu. Im Vergleich dazu nimmt sich das derzeit diskutierte Kirchenschließungsprogramm des Bistums Hildesheim harmlos aus.

Der deutsche Protestantismus kämpft inzwischen um seine Existenz. Sein Programm der vergangenen Jahrzehnte hat den Weg in die Marginalisierung nicht aufgehalten, sondern eher beschleunigt. Es wird Zeit, das Scheitern einzugestehen. 2017 wäre ein gutes Datum dafür.

Zollitsch im Spiegel

Der Spiegel vom kommenden Montag hat ein Interview mit Erzbischof Robert Zollitsch, der an jenem Montag das Amt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz übernimmt. Zwei Vorabmeldungen des Spiegel dazu haben bereits Wellen geschlagen. Was steht tatsächlich im Interview? Hervorhebungen von mir.

SPIEGEL: Eine andere Tradition, die zu Ihrer Kirche gehört, ist der Zölibat. Er schreckt viele junge Männer ab, Priester zu werden. Wann fällt er?

Zollitsch: Sie werden verstehen, dass jemand, der lange in der Priesterausbildung tätig und später Personalreferent war, viel über diese Frage nachdenkt. Einerseits ist die Ehelosigkeit des Priesters ein großes Geschenk für unsere Kirche. Es ist immer wieder die Entscheidung, die Herausforderung: Ist Gott die Realität, für die ich alles auf diese Karte setze? Ohne die Verbindung zwischen Priesterweihe und Ehelosigkeit würden wahrscheinlich nur sehr wenige mit diesem Ernst darüber nachdenken. Wir merken jedoch bei uns, dass der Ordensnachwuchs weniger wird, weil die Herausforderung des Evangeliums schwer zu vermitteln ist. Und natürlich ist die Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit nicht theologisch notwendig.

SPIEGEL: Man könnte sich unter dem Verweis auf den erheblichen Nachwuchsmangel einfach vom Zölibat verabschieden.

Zollitsch: Sie merken ja, dass ich da gegen Denkverbote bin. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass sich Bischöfe etwa aus Indien oder aus Afrika wundern, dass wir in Deutschland an dieser Tradition rütteln wollen.

SPIEGEL: Würde Ihrer Kirche der Abschied vom Zölibat eher guttun oder eher schaden?

Zollitsch: Es wäre eine Revolution, bei der ein Teil der Kirche nicht mitginge.

SPIEGEL: Können Sie sich denn vorstellen, dass der Zölibat zuerst in einigen Ländern aufgehoben wird, oder muss das gleich in der ganzen Welt geschehen?

Zollitsch: So, wie sich die katholische Kirche versteht, müsste das für die ganze Welt geändert werden. Schon bei zwei Bischofssynoden in Rom war aber jedes Mal die große Mehrheit gegen eine Änderung. So etwas könnte in meinen Augen auch nicht verändert werden, ohne ein neues Konzil einzuberufen; denn das würde sehr in das innere Leben der katholischen Kirche eingreifen.

SPIEGEL: Zeit wäre es ja für ein neues Konzil, das letzte ist schon 42 Jahre her, und die Welt hat sich seitdem rapide verändert.

Zollitsch: Sie müssen aber auch sehen, dass wir vieles noch nicht umgesetzt haben, was das letzte Konzil gebracht hat. Das ist für mich die andere Seite. Ein Konzil ist ja ein gewaltiger Kraftakt.

Daraus destilliert das Nachrichtenmagazin in seiner Vorabmeldung:

Zollitsch denkt über die Gültigkeit des Zölibats nach

Der Freiburger Erzbischof und neugewählte Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, 69, hat sich „gegen Denkverbote“ beim Thema Zölibat ausgesprochen. Die Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit sei „nicht theologisch notwendig“, erklärte er im Gespräch mit dem Nachrichten-Magazin DER SPIEGEL. Ein Abschied vom Zölibat „wäre eine Revolution, bei der ein Teil der Kirche nicht mitginge“. Nötig wäre dafür ein Konzil, weil in das innere Leben der gesamten Kirche eingegriffen werden würde.

Zwar nicht falsch, aber unvollständig zitiert. Spiegel Online dreht die Geschichte gleich einen Zahn weiter:

Oberster deutscher Katholik hält Zölibat für „nicht notwendig“

Für Katholiken wäre es eine Revolution: Robert Zollitsch, der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, denkt über ein Ende des Zölibats nach. Dass Priester ehelos leben, sei „nicht theologisch notwendig“, sagt er im SPIEGEL – und lässt Sympathie für SPD und Grüne erkennen.

Hamburg – Erst wenige Tage im Amt – und schon wagt er sich an ein Mammut-Projekt: Der Freiburger Erzbischof und neugewählte Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, spricht sich „gegen Denkverbote“ beim Thema Zölibat aus. Im Gespräch mit dem SPIEGEL sagt der 69-Jährige, die Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit sei „nicht theologisch notwendig“.

Für die katholische Kirche bedeutet diese Aussage eine radikale Abkehr von der bisherigen Praxis. Das ist auch Zollitsch bewusst: Ein Abschied vom Zölibat „wäre eine Revolution, bei der ein Teil der Kirche nicht mitginge“, sagt er. Nötig wäre dafür ein Konzil, weil in das innere Leben der gesamten Kirche eingegriffen werden würde.

Zu den theologischen Aussagen hat Scipio bereits mehr als das gesagt, was mir zu sagen einfiele:

Das sind einmal keine großen Neuigkeiten: Denn ein „Denkverbot“, wenn man es einmal für jetzt so nennen will, gibt es lehramtsseitig nur beim „Priestertum der Frau“, und daß der Zölibat „theologisch notwendig“ sei, sagt das Magisterium auch nicht.

Die Schlagzeilen des Spiegel entstehen durch Verkürzung und Überspitzung. Dem Erzbischof kann ich jedoch auch eine gewisse Naivität nicht absprechen. Klarere Aussagen, weniger „einerseits – andererseits“ – das wäre sicher nicht von Schaden.

Beim zweiten Thema, der K-Frage, sieht es ganz ähnlich aus. Dazu später mehr, Freude und Pflicht des Sonntags rufen.

Heilige Einfalt

Da wählt die Deutsche Bischofskonferenz einen neuen Vorsitzenden, und wen befragt dazu der Deutschlandfunk aus dem katholischen Köln? Christian Weisner, Sprecher einer verschwindend kleinen Minderheit, die von sich kontrafaktisch und untheologisch behauptet, Kirche zu sein. [MP3]

Das Deutschlandradio Kultur aus dem heidnischen Berlin hingegen spricht am gleichen Tag mit dem Hamburger Erzbischof Dr. Werner Thissen – allerdings über die Kritik des Hilfswerks Misereor an der Verwendung von Entwicklungshilfegeldern. [MP3]

Fasten

Mit dem Fasten ist es so eine Sache. Nicht jeder versteht, was Fasten bedeutet. Das heute verbreitete Unverständnis ist nicht zuletzt ein Erbe der Reformation und der reformatorischen Kritik am Fasten. Doch Fasten widerspricht auch zwei heute verbreiteten Grundhaltungen, die sich exemplarisch in diesem kleinen Ratgeber finden.

Die erste Grundhaltung: Ich selbst mache alles richtig, also habe ich keine Umkehr nötig. Ich ernähre mich immer gesund, warum sollte ich an meinen Ernährungsgewohnheiten etwas ändern? Fasten heißt demgegenüber: Umkehr. Fasten heißt, einen realistischen, selbstkritischen Blick auf das eigene Tun und Treiben zu werfen und schlechte Gewohnheiten abzulegen. Wer glaubt, er habe keine schlechten Gewohnheiten, der belügt sich selbst.

Die zweite Grundhaltung: Wenn das, was ich tue, dem Herrn nicht gefällt, hat er eben Pech gehabt. Ich selbst setze mir das Maß und messe Gott an meinem Maßstab. Fasten heißt demgegenüber: Buße. Fasten heißt, sich mit Gott zu versöhnen, Gott als den Höchsten anzuerkennen und auf sein Wort zu hören. „Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.“ (Mt 4, 10b)

Mein bewährtes Fastenprogramm:

  • kein Alkohol
  • keine Süßigkeiten
  • weniger Fleisch
  • regelmäßigeres Gebet

Punkt 3 ist mir am Donnerstag prompt misslungen, als ich mit Kollegen einen Döner essen ging. In diesem Jahr kommt ein Punkt dazu, den ich auch in früheren Jahren schon des öfteren pflegte:

  • weniger Kaffee

Am Aschermittwoch und Karfreitag gibt es morgens nur Kaffee, ein einfaches Mittagessen und für den Rest des Tages nur Saft und Wasser, zwischendurch höchstens einen Apfel.

Als Fastenlektüre nehme ich mir wie in den Vorjahren Romano Guardini vor.

An Sonntagen und Hochfesten wird selbstverständlich nicht gefastet. Dies betrifft in diesem Jahr den 15. März. Auf jenen Sonnabend wird das Hochfest des Hl. Josef vorverlegt.