28. Februar 2013, 20 Uhr

Warum beendete Papst Benedikt XVI. sein Pontifikat gerade um 20 Uhr? Wie über die Gründe des Amtsverzichts ist auch darüber viel gerätselt worden. Die offizielle Antwort seines Sprechers Federico Lombardi enthüllt nur eine mögliche Deutung dieser Entscheidung: Um 20 Uhr ende gewöhnlich der Arbeitstag des Papstes, so der Sprecher.

Formal betrachtet war gestern Ultimo, der Februar zuende, und so beendete der Papst sein Amtszeit wie einen zum Monatsende gekündigten Arbeitsvertrag mit dem Ablauf der täglichen Arbeitszeit. Resturlaub steht einem Papst offensichtlich nicht zu.

Doch Scherz beiseite. Wir kommen den Gründen näher, wenn wir an die Komplet denken, die in vielen Klöstern um 20 Uhr gebetet wird.

Nunc dimittis servum tuum Domine, * secundum verbum tuum in pace.
Quia viderunt oculi mei salutare tuum, * quod parasti ante faciem omnium populorum,
lumen ad revelationem gentium * et gloriam plebis tuae Israel.

„Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, * wie du gesagt hast, in Frieden scheiden.“ Das sind Worte, die das Amtsverständnis des nun emeritierten Papstes treffend beschreiben, gerade wie es sich in den letzten drei Wochen noch einmal deutlich gezeigt hat. Der Diener der Diener Gottes, der Knecht darf nun in Ruhe und Frieden scheiden und sein Amt zurücklegen in die Hände dessen, der es ihm anvertraut hatte.

Viel deutlicher lässt sich nicht zeigen, dass es um Dienst und Dienen geht, nicht um Macht. Auch wenn die Medien, deren Weltsicht nur die Machtperspektive kennt und die ihre eigene Macht mehr missbrauchen als sie zum Wohl der Gesellschaft einzusetzen, dies niemals verstehen werden.

In der Wahl der Uhrzeit liegt noch eine weitere Botschaft. Nach jüdischer Tradition beginnt mit Sonnenuntergang bereits der neue Tag. Das alte Brevier kannte diese Regel auch noch – dort begann täglich mit der Vesper, die bei Einbruch der Dunkelheit gebetet wird, der nächste liturgische Tag.

Dies hat sich in der ersten Vesper der Sonntage und Hochfeste noch erhalten, die somit liturgisch am Vorabend beginnen. Und auch die nachkonziliare Innovation der Vorabendmesse kann sich auf diesen alten Brauch berufen.

Eine gute Nacht wünschte der Papst am Ende seiner letzten öffentlichen Worte der in Castel Gandolfo versammelten Menge. Gut vorstellbar, wenn nicht wahrscheinlich, dass er anschließend die Vesper gebetet hat, seine letzte Hore als Papst, bevor dann um 20 Uhr die Tore der Residenz geschlossen wurden.

Um die gleiche Uhrzeit begann in der Nacht des Todes von Papst Johannes Paul II. die Messe, die an seinem Sterbebett zelebriert wurde. Er starb um 21.37 Uhr.

Das Pontifikat seines Nachfolgers endete gut eineinhalb Stunden früher. Und dennoch in höherem Alter und bei relativer Gesundheit, wenn auch nachlassenden Kräften.

Wie alles, was Papst Benedikt XVI. sagte und tat, hat auch die Wahl der Uhrzeit, zu der er sein Amt zurückgab, eine Bedeutung.

Pontifex emeritus

Unterdessen wurde bekannt, dass Papst Benedikt XVI. nach seinem Amtsverzicht am kommenden Donnerstag den Titel „Pontifex emeritus“ beziehungsweise „Papst emeritus“ tragen wird. Angesprochen werden soll er als „Seine Heiligkeit, Benedikt XVI.“, wie der Sprecher des Vatikans, Lombardi, am Dienstag bekanntgab.
FAZ

Damit wäre auch dies geklärt. Georg Ratzinger war am besten informiert.

Die Gründe des Amtsverzichts

Wie im Grunde immer während seines achtjährigen Pontifikates und auch schon zuvor spricht Papst Benedikt sehr klar und deutlich über die Gründe seines Amtsverzichtes. Insofern müsste es eigentlich verwundern, dass darüber allenthalben solch ein großes Rätselraten veranstaltet wird.

Schon 2011 hatte er auf eine Frage Peter Seewalds eine Antwort gegeben, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig ließ:

“Wenn ein Papst zur klaren Erkenntnis kommt, dass er physisch, psychisch und geistig den Auftrag seines Amtes nicht mehr bewältigen kann, dann hat er ein Recht und unter Umständen auch eine Pflicht, zurückzutreten.”

Sehr ähnlich formulierte er dann am 11. Februar seinen Amtsverzicht:

Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewißheit gelangt, daß meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben. […] Um […] das Schifflein Petri zu steuern und das Evangelium zu verkünden, ist sowohl die Kraft des Körpers als auch die Kraft des Geistes notwendig, eine Kraft, die in den vergangenen Monaten in mir derart abgenommen hat, daß ich mein Unvermögen erkennen muß, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen.

In der lateinischen Originalfassung spricht er von der „vigor quidam corporis et animae“, also der Kraft gleichermaßen des Körpers wie des Geistes, die „necessarius est, qui ultimis mensibus in me modo tali minuitur, ut incapacitatem meam ad ministerium mihi commissum bene administrandum agnoscere debeam“. Dass er diese Erklärung am Welttag der Kranken abgab, der in diesem Jahr in Altötting in seiner bayerischen Heimat begangen wurde, und zugleich Gedenktag Unserer Lieben Frau in Lourdes ist, ist ein weiterer deutlicher Hinweis.

Im letzten Satz kündigt er dann an, was seitdem wie ein roter Faden durch seine letzten öffentlichen Ansprachen läuft:

Was mich selbst betrifft, so möchte ich auch in Zukunft der Heiligen Kirche Gottes mit ganzem Herzen durch ein Leben im Gebet dienen.

In seiner vorletzten Generalaudienz zwei Tage später formulierte er:

Ich bin mir des Ernstes dieses Aktes sehr bewußt, aber ich bin mir ebenso bewußt, nicht mehr in der Lage zu sein, das Petrusamt mit der dafür erforderlichen Kraft auszuüben. Mich trägt und erleuchtet die Gewißheit, daß es die Kirche Christi ist und der Herr es ihr nie an seiner Leitung und Sorge fehlen lassen wird.

Auf sein künftiges Leben im Gebet kommt er einige Tage später vor dem römischen Klerus zurück:

Auch wenn ich mich jetzt zurückziehe, bin ich doch im Gebet euch allen immer nahe, und ich bin mir sicher, dass auch ihr mir nahe sein werdet, auch wenn ich für die Welt verborgen bleiben werde. […] Ich werde immer bei euch sein, auch wenn ich im Gebet zurückgezogen sein werde. Der Herr siegt.

Das Motiv des Gebets rückt in der Ansprache zum letzten Angelus dann in den Mittelpunkt:

Der Herr ruft mich, den ‚Berg hinaufzusteigen’, mich noch mehr dem Gebet und der Betrachtung zu widmen. Doch dies bedeutet nicht, die Kirche zu verlassen, im Gegenteil. Wenn Gott dies von mir fordert, so gerade deshalb, damit ich fortfahren kann, ihr zu dienen, mit derselben Hingabe und mit derselben Liebe, mit denen ich es bis jetzt versucht habe, aber in einer Weise, die meinem Alter und meinen Kräften angemessener ist.

Diese theologische Deutung baut Benedikt XVI. in seiner letzten Generalaudienz schließlich weiter aus:

„In diesen letzten Monaten habe ich gefühlt, wie meine Kräfte nachlassen, und ich habe Gott im Gebet inständig gebeten, mich mit seinem Licht zu erleuchten, damit ich die beste Entscheidung nicht zu meinem Wohl, sondern zum Wohl der Kirche treffe. Ich habe diesen Schritt im vollen Bewusstsein darum, wie schwerwiegend und auch wie neu er ist, getan, aber mit tiefer Gelassenheit. Die Kirche lieben heißt auch, schwierige, harte Entscheidungen zu treffen und sich dabei immer das Wohl der Kirche vor Augen zu halten, nicht das eigene Wohl.“

Benedikt XVI. kam noch einmal auf den 19. April 2005 zurück – den Tag, an dem er im Konklave zum Papst gewählt worden war. „Die Schwere der Entscheidung lag auch an der Tatsache, dass ich von diesem Moment an völlig und für immer im Einsatz für den Herrn war. Immer – wer den Petrusdienst übernimmt, hat keine Privatsphäre mehr. Er gehört immer und völlig allen, der ganzen Kirche. Seinem Leben wird sozusagen die private Dimension völlig genommen. Aber ich konnte erfahren und erfahre es genau jetzt, dass einer das Leben gewinnt, wenn er es gibt.“ Ein Papst habe „Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter in der ganzen Welt“ und fühle sich „sicher in der Umarmung der Gemeinschaft“. Er gehöre „nicht mehr sich selbst, sondern allen, und alle gehören ihm“.

„Das „Immer“ ist auch „Für immer“: Es gibt keine Rückkehr ins Private. Meine Entscheidung, auf die aktive Ausübung des Dienstes zu verzichten, widerruft das nicht. Ich kehre nicht ins Privatleben zurück, in ein Leben der Reisen, Begegnungen, Empfänge, Konferenzen usw. Ich verlasse nicht das Kreuz, ich bleibe auf eine neue Weise beim gekreuzigten Herrn. Ich habe nicht mehr die Amtsgewalt für die Regierung der Kirche, aber ich bleibe im Dienst des Gebets sozusagen im Bereich des heiligen Petrus. Der heilige Benedikt, dessen Namen ich als Papst trage, wird mir darin immer ein großes Beispiel sein. Er hat uns den Weg gezeigt zu einem Leben, das – aktiv oder passiv – doch vollständig dem Werk Gottes gehört.“

Er danke „allen und jedem einzelnen für den Respekt und das Verständnis“, auf das seine Entscheidung zum Rücktritt gestoßen sei, fuhr Benedikt XVI. fort. „Ich werde den Weg der Kirche weiter mit dem Gebet und der Meditation begleiten, mit derselben Hingabe an den Herrn und an die Kirche, um die ich mich bis heute bemüht habe. Ich bitte euch, vor Gott an mich zu denken und vor allem für die Kardinäle zu beten, die zu einer so wichtigen Aufgabe aufgerufen sind, und für den neuen Nachfolger des Apostels Petrus. Der Herr begleite ihn mit dem Licht und der Kraft seines Geistes.“

Ist dem noch etwas hinzuzufügen? Wer Ohren hat zu hören, der höre.

Papst Benedikt vor dem Aufstieg auf den Berg

Noch immer beschäftigt viele Menschen die Frage nach dem Grund für den Amtsverzicht von Papst Benedikt XVI. Er selbst gab heute in der Ansprache zum letzten Angelus seines Pontifikates eine theologische Deutung, die Bezug nahm auf das heutige Evangelium von der Verklärung des Herrn (Lk 9, 28b-36):

„Liebe Brüder und Schwestern, ich fühle, wie dieses Wort Gottes in diesem besonderen Augenblick meines Lebens besonders an mich ergeht. Der Herr ruft mich, den ‚Berg hinaufzusteigen’, mich noch mehr dem Gebet und der Betrachtung zu widmen. Doch dies bedeutet nicht, die Kirche zu verlassen, im Gegenteil. Wenn Gott dies von mir fordert, so gerade deshalb, damit ich fortfahren kann, ihr zu dienen, mit derselben Hingabe und mit derselben Liebe, mit denen ich es bis jetzt versucht habe, aber in einer Weise, die meinem Alter und meinen Kräften angemessener ist.“

Dieser Aufstieg auf den Berg wird noch einmal konkret sichtbar, wenn auch verborgen vor den Augen der meisten Menschen und der Medien, wenn er in einigen Wochen seinen Rückzugsort auf dem Vatikanhügel beziehen wird. Ganz nah am Herzen der Weltkirche, im kleinen Vatikanstaat und im Schatten des Petersdomes wird er seinen Dienst in Gebet und Betrachtung fortsetzen.

Er verlässt die Kirche nicht, „im Gegenteil“! Er spricht von einer Forderung Gottes, also einer neuen Berufung für den letzten Abschnitt seines Lebens. Über den sprach er bereits in einer Predigt zu seinem 85. Geburtstag im vergangenen April:

Ich stehe vor der letzten Wegstrecke meines Lebens und weiß nicht, was mir verhängt sein wird. Aber ich weiß, daß das Licht Gottes da ist, daß er auferstanden ist, daß sein Licht stärker ist als alles Dunkel; daß Gottes Güte stärker ist als alles Böse dieser Welt. Und das läßt mich in Gewißheit weitergehen. Das läßt uns weitergehen, und allen, die dieses „Ja“ Gottes immer wieder durch ihren Glauben auch mir gewiß machen, danke ich von ganzem Herzen in dieser Stunde.

In gewisser Weise schließt sich jetzt ein Kreis, aber nicht ganz. Sein Pontifikat begann mitten in der Osterzeit, nachdem sein Vorgänger am Vorabend des Sonntags der Göttlichen Barmherzigkeit gestorben und er kurze Zeit später zum Papst gewählt worden war. Es endet mitten in der Fastenzeit, also der österlichen Bußzeit, in der violetten Farbe der Buße. Der letzte Sonntag seines Pontifikates steht im Zeichen der Verklärung, die zugleich Vorschau auf die österliche Vollendung wie auf das Leiden Christi ist.

Das nahe Osterfest überlässt Papst Benedikt seinem Nachfolger. Den Kardinälen, die den Nachfolger zu wählen haben, wird er vermutlich in den kommenden Tagen noch die Freiheit geben, über den richtigen Zeitpunkt für das Konklave zu entscheiden. Sie stehen dann vor der Entscheidung, sich entweder die vorgeschriebenen 15 bis 20 Tage Zeit zu nehmen, um die Wahl gründlich vorzubereiten, in Gesprächen und Begegnungen, in Fasten und Gebet. Oder das Konklave vorzuziehen, um eventuell mehr Zeit für die nötigen Wahlgänge zu haben und trotzdem rechtzeitig vor Beginn der Heiligen Woche das „Habemus Papam“ von der Loggia des Petersdomes ausrufen zu können.