Die krasse Weihnachtsoktav

So wie bisher in keinem Jahr fällt mir in diesem Jahr auf, wie krass doch die Liturgie der Weihnachtsoktav ist. Es beginnt noch ganz harmlos mit der Lukanischen Weihnachtsgeschichte in der Heiligen Nacht. Wobei auch da schon das vor der Christmette gesungene Martyrologium eine Ahnung von der Tiefe des Ereignisses gibt.

Am Morgen des Weihnachtstages folgt der Johannesprolog, ein absoluter Hammertext. Von Krippenseligkeit keine Spur mehr:

Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.

Wir sind bei einem Grundthema der Heilsgeschichte und der Heiligen Schrift: Gott wendet sich an sein Volk, aber das will nichts von ihm wissen. So war es schon bei Adam und Eva, so war es bei Jesus Christus, und so ist es heute.

Der Protomartyrer Stephanus erinnert uns dann am zweiten Weihnachtstag an dreierlei: als Diakon an die Diakonie, den Dienst an den Armen, als Martyrer an den Zusammenhang von Krippe und Kreuz, als Visionär an den offenen Himmel, den der Heiland aufgerissen hat.

Der Apostel und Evangelist Johannes, dessen Prolog schon zwei Tage vorher zu Gehör kam, schließt sich am dritten Weihnachtstag an. Das Tagesevangelium berichtet von der Auferstehung. Damit haben wir nun Geburt, Kreuz und Auferstehung innerhalb von drei Tagen.

Es folgt das Fest der Unschuldigen Kinder – wieder Martyrer, wieder rot wie zwei Tage zuvor. Der Evangelist Johannes kommt nun in der Lesung zu Wort:

Wenn wir aber im Licht leben, wie er im Licht ist, haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut seines Sohnes Jesus reinigt uns von aller Sünde.

Das Evangelium, diesmal Matthäus, ruft die Verfolgung des neugeborenen Erlösers ins Bewusstsein, die zum Kindermord von Bethlehem führt. Dieses Fest findet seine Aktualisierung in der heutigen Abtreibungspraxis, der jedes Jahr allein in Deutschland und laut der offiziellen Statistik über 100.000 Kinder zum Opfer fallen.

Am fünften Tag der Weihnachtsoktav tritt eine gewisse Entspannung ein. An diesem Tag gedenkt die Kirche eines weiteren Martyrers, des Hl. Thomas Becket.

Auf den sechsten Tag fiel in diesem Jahr des Fest der Heiligen Familie, das auf den ersten Blick besser zur weihnachtlichen Stimmung passt. Allerdings auch nur, wenn wir die vielfältigen Gefährdungen der Familie außer Acht lassen, auf die nicht zuletzt Papst Benedikt nicht müde wird hinzuweisen.

Mit dem heutigen Silvestertag, dem siebten Tag der Weihnachtsoktav, und dem morgigen Hochfest der Gottesmutter endet die Weihnachtsoktav. Doch auch das Thema des morgigen Tages hat es noch einmal in sich. Dazu morgen mehr an dieser Stelle.

Eucharistiefeier

Regelmäßig begegnet mir die Bezeichnung Eucharistiefeier für die gesamte Heilige Messe. Ich frage mich, ob damit eine besondere Aussage verbunden ist, und wenn ja, welche das sein könnte.

Sprachlich ist das zunächst ein pars pro toto, denn schließlich ist die Eucharistiefeier nur ein Teil der Messe, innerhalb derer ihr der Wortgottesdienst vorausgeht. (Hier ist die Rede von der Messe nach dem Missale von 1969/70.) Soll damit also die Bedeutung der Eucharistie besonders betont werden?

Dagegen spricht, dass dort, wo gern von der Eucharistiefeier gesprochen wird, häufig auch die Gleichgewichtung der beiden Teile vertreten wird. Dies findet zum Beispiel in der geläufigen Rede vom „Tisch des Wortes“ (=Ambo) und „Tisch des Brotes“ (=Altar) seinen Ausdruck.

Ist dann vielleicht am Wort „Messe“ (oder „Heilige Messe“) irgendetwas Unzeitgemäßes, sodass es durch ein anderes Wort ersetzt werden muss? Das Wort „Eucharistiefeier“ klingt in meinen Ohren vergleichsweise akademisch-geschraubt, auch wenn ich gern zugestehen will, dass es nur eine Silbe mehr hat als „Heilige Messe“.

Für mich gehört das Wort „Eucharistiefeier“ als Bezeichnung für die Heilige Messe ganz klar in eine bestimmte Epoche, die ungefähr mit den ersten zehn Jahren meines Lebens zusammenfällt. Also in die siebziger Jahre. Das Wort „Heilige Messe“ hingegen ist zeitlos, ja ewig.

Ist die Vermutung so abwegig, dass sich „Eucharistiefeier“ langfristig nicht wird halten können?

Oscar Niemeyer und die Kathedrale von Brasilia

Am 5. Dezember starb der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer. Zu seinen bedeutendsten Werken zählt die Kathedrale von Brasilia, oder Catedral Metropolitana Nossa Senhora Aparecida.

Dieser Bau ist in jeder Hinsicht bemerkenswert. Sehr eindrucksvoll schon auf den Bildern, glaubt man allerdings der Wikipedia, doch auch mit einigen praktischen Problemen behaftet, sowohl akustischer als auch klimatischer Natur.

Die vier Figuren vor der Kirche stellen übrigens die Evangelisten dar, links die drei Synoptiker, rechts Johannes, dessen Fest wir heute begehen.

Foto: Bgabel, Lizenz

Benediktinisches Brevier im Schnelltest

Auf Empfehlung von Georg habe ich vor kurzem meiner Sammlung von Stundenbüchern das Benediktinische Brevier hinzugefügt und es auch gleich ausprobiert. Es handelt sich um eine kleine Ausgabe des umfangreichen mehrbändigen Benediktinischen Antiphonale, mit dem es demnach die meisten Stärken und Schwächen teilt.

Das Format ist fast so kompakt wie das der Kleinen Stundenbücher, allerdings gibt es nur einen einzigen Band statt derer vier. Diese Beschränkung ist Vorteil und Nachteil zugleich. Denn im Grunde handelt es sich nur um ein Äquivalent zum grünen Stundenbuch für die Zeit im Jahreskreis.

Zwar sind in der zweiten Auflage eigene Texte für die geprägten Zeiten (Advent/Weihnachtszeit und Fasten-/Osterzeit) hinzugefügt worden, jedoch fehlen nach wie vor sämtliche Heiligenfeste und -gedenktage, Herren- und Marienfeste. Diese Einschränkung ist für jemanden wie mich, der mit dem Stundenbuch, der Liturgia Horarum und dem Römischen Brevier großgeworden ist, nur schwer zu verkraften.

Dafür sind die Psalmen der schönen Übersetzung des Münsterschwarzacher Psalter entnommen, und zudem sind alle Teile des Offiziums für den Gesang eingerichtet – ein großer Vorteil gegenüber den römischen Stundenbüchern. Ich vermisse indes die Orationen, aber das ist im Antiphonale auch nicht anders. Und nach wie vor gewöhnungsbedürftig sind die neutestamentlichen Cantica, die in Laudes und Vesper an die Stelle von Benedictus und Magnificat treten.

Mit Laudes, Mittagshore, Vesper und Komplet sind die Eckpfeiler des Stundengebets enthalten, nur die für den Laien ohnehin schwer vollziehbaren Vigilien fehlen. Der Lesbarkeit ist abträglich, dass die Schriftgröße erheblich kleiner als in den deutlich größeren Ausgaben des Benediktinischen Antiphonale ist.

Mit 26,90 Euro ist das Preisleistungsverhältnis für deutsche Verhältnisse akzeptable. Allerdings muss ich sagen, dass ich mich mittlerweile an iPad und iPhone statt gedrucktem Stundenbuch gewöhnt habe. Sowohl die Liturgia Horarum als auch das Breviarium Romanum sind für beide Geräte preisgünstig oder sogar kostenlos verfügbar, und zwar durchaus ansprechend umgesetzt. Vor allem auf Reisen ist das extrem praktisch.

Wer weiß, wie lange wir noch auf deutsche Stundenbücher auf digitalen Endgeräten warten müssen? Und wenn sie dann irgendwann erscheinen sollten, welcher Preis wird dann dafür aufgerufen werden? Hier wird, das ist offensichtlich, eine große Chance vertan, das Stundengebet in die Hände einer breiten Zielgruppe zu bringen.

Die kirchliche Publizistik in Deutschland ist völlig verkorkst. Als Stichworte müssen für heute Weltbild, Kirchenzeitungen, Rheinischer Merkur genügen. Doch das ist ein anderes Thema, dem ich mich bei anderer Gelegenheit zu widmen gedenke.

Fronleichnam in Rom

Zwei Nächte in Rom, beruflich, zum ersten Mal überhaupt. Und dann Fronleichnam als Haupttag. Eine selten glückliche Fügung.

Mein erster Weg am Mittwoch führte mich gleich zu Fuß durch das Stadtzentrum zum Petersplatz. Kaum zu glauben, aber beinahe rechtzeitig zur ersten Vesper von Fronleichnam war ich nahe am Hochaltar, an der Cathedra Petri von Bernini, wo das Domkapitel des Bischofs von Rom die hochfestliche Vesper feierte.

Die Sonne tauchte den Petersdom in ein wunderbares Nachmittagslicht. Es war unbeschreiblich schön. Ich blieb nicht zur anschließenden Messe, weshalb die Ordner mich samt einer größeren Gruppe nachdrücklich hinter die Absperrungen zurück beorderte.

Überhaupt wird im Dom ein ordentliches Regiment geführt, um der Touristenströme Herr zu werden. Und das scheint im Rahmen des Möglichen auch ganz gut zu gelingen. Es gibt Platz zum Beten, die Beichte kann in zahllosen Sprachen abgelegt werden, für Gottesdienste wird der Altarraum großzügig abgesperrt.

Auch das Grab des seligen Papstes Johannes Pauls des Zweiten liegt hinter einer solchen Absperrung, unter dem Altar des Heiligen Sebastian. Auch dort konnte ich eine Zeit im Gebet verweilen.

Die Vatikanische Post war so freundlich, mir etwas Strom für den Akku des iPhones zu schenken. Damit kam ich immerhin etwas weiter, denn Stadtplan oder Reiseführer in Papierform hatte ich nicht dabei.

Das Abendessen nahm ich gegenüber der Kirche Santa Maria dell’Anima ein, die passend zu Tiramisu und Kaffee ihre Türen für ein Konzert öffnete. So konnte ich noch einen schnellen Blick in die Kirche der deutschen Gemeinde Roms werfen.

Das Pantheon sah ich an diesem Abend – wie alle weiteren Kirchen – nur von außen, denn es war inzwischen etwas später geworden. Nach einem kurzen Blick in den Trevi-Brunnen (habe ich schon die Brunnen auf der Piazza Navona erwähnt?) nahm ich die Abkürzung durch den schrecklich lauten Straßentunnel unter dem Quirinalspalast zurück zum Hotel.

Am Abend des Fronleichnamstages kam ich so rechtzeitig zur Piazza San Giovanni, dass ich dort noch einen Sitzplatz ergattern konnte. Die Wartezeit ließ sich durch die still gebetete Vesper trefflich verkürzen.

Doch von einem pünktlichen Beginn um 19 Uhr konnte keine Rede sein. Die päpstliche Festmesse begann mit einem akademischen Viertel Verspätung, was sich wie ein ironischer Wink in Richtung des Professors Ratzinger lesen lässt. Der Vorteil der kleinen Verzögerung war, dass die Sonne inzwischen hinter San Giovanni versunken war und uns nicht mehr blenden konnte.

Zur päpstlichen Liturgie gibt es wenig zu sagen. Das Ordinarium aus der Missa de Angelis konnte ich fröhlich zusammen mit dem wackeren Priester schmettern, der zu meiner Rechten Platz genommen hatte. Links saßen drei Damen reiferen Alters, die mit dem Latein weniger vertraut schienen.

Überhaupt Latein. Es gab relativ viel Italienisch für meinen Geschmack, eine Sprache, der ich leider nicht mächtig bin. Auf Latein waren das Hochgebet, das dritte in diesem Fall, und die meisten Gesänge, wenn auch bei weitem nicht alle.

Zu den liturgischen Höhepunkten möchte ich die Sequenz zählen, die in voller Länge und Schönheit im Wechsel zwischen Schola und Volk gesungen wurde. Ist die eigentlich im aktuellen Messbuch vorgesehen? Egal, es war phantastisch und übrigens durchaus anspruchsvoll zu singen, da das Volk des öfteren gerade nicht die Melodie des vorangegangenen Scholaverses wiederholen kann, sondern eine andere Melodie zu singen hat.

Die Predigt werde ich wohl mal nachlesen müssen. Was übrigens leicht nervte, waren die metallenen Absperrgitter, die der Ordner regelmäßig mit lautem Krachen zur Seite rückte, um das rege Kommen und Gehen abzuwickeln.

Der Römer an sich lässt sich auch durch eine Papstmesse nicht davon abhalten, im Straßenverkehr durch häufiges Hupen schlimmere Unfälle als kleinere Blechschäden zu vermeiden. So war immer klar, dass ich nicht träume. Denn irgendwie unwirklich war die Szene an diesem wunderbaren Frühsommerabend: die große Menschenmenge vor der festlich geschmückten Fassade der Lateranbasilika, der prächtige Altar und der zierliche Papst mit seinen weißen Haaren, alles unter einem strahlend blauen Himmel bei stetig abnehmendem Tageslicht.

Die Kommunionausteilung führte leider zu einem ziemlichen Gedränge. Der wackere Diakon, der an unserem Ende die Kommunion spendete, begann der großen Nachfrage wegen irgendwann damit, die Hostien zu halbieren. Er musste am Ende von einem Ordner zur Ordnung gerufen werden, weil er der letzte war, der noch die Kommunion spendete. Übrigens nur Mundkommunion, die scheint inzwischen bei päpstlichen Messen wieder selbstverständlich zu sein.

Dann war die Messe vorbei, und nun wurde die Lage etwas unübersichtlich. Wie ich später sah, hätte ich wohl einfach innerhalb der Absperrungen bleiben sollen, um mit den übrigen Gläubigen hinter dem Wagen mit dem Allerheiligsten und dem Papst zur Basilika Santa Maria Maggiore ziehen zu können. Der gesamte Weg dorthin war nämlich komplett abgesperrt.

Doch der Herdentrieb verleitete mich dazu, außerhalb der Absperrungen neben dem schier endlosen Zug kirchlicher Würdenträger an den zahlreichen Zuschauern vorbei zu gehen. Meine Kerze war schnell erloschen, weil ich keinen bunten Windschutz abbekommen hatte.

Von Priestermangel konnte an diesem Abend wohl keine Rede sein. Nicht nur zog eine unabsehbare Reihe von ihnen vor dem Allerheiligsten her, auch außerhalb der Absperrungen wimmelte es nur so von Römerkragen und Soutanen. Eine wahre Demonstration des Katholischen, rund um den auferstandenen Christus in der Monstranz.

Der Papst kniete dahinter, mit seinem etwas zerzaust wirkenden weißen Haar, wie von den Zeitläuften zerknittert. Die Prozession wirkte auf mich wie eine große Kundgebung der Solidarität mit dem Papst, der wiederum durch sein Knien zeigte, dass es nicht zuerst um ihn geht, sondern um Christus.

Die Texte und Gesänge zur Prozession waren nun fast ausschließlich auf Italienisch, und das Begleitheft verzichtete, anders als bei den Texten der Messe, auf Übersetzungen. Der Zug erreichte Santa Maria Maggiore, bevor der Vorrat an Wort und Musik erschöpft war. Sogar das letzte Evangelium entfiel.

Es gab auch keine Zwischenaltäre, wahrscheinlich aus Platzgründen, denn auch die Piazza Santa Maria Maggiore platzte aus allen Nähten, als der Zug dort ankam, und zwar auf beiden Seiten der Absperrgitter. Mit dem Tantum Ergo und dem Eucharistischen Segen endete die Feier.

Dem Begleitheft war zu entnehmen, dass ich einen Ablass hätte gewinnen können, wenn ich die üblichen Bedingungen erfüllen würde. Hätte ich das vorher gewusst, so wäre ich vermutlich am Vortag im Petersdom zur Beichte gegangen. Geschadet hätte das jedenfalls nicht.

Der hochfestliche Abend klang für mich im Antico Caffe Santamaria aus, das direkt gegenüber der Basilika Santa Maria Maggiore liegt. Nachdem die Feier samt Prozession rund drei Stunden gedauert und ich zuvor nichts gegessen hatte, war es Zeit für ein spätes Abendessen. Als ich Platz nahm, leuchteten noch die sechs hohen Kerzen auf dem Freialtar vor der Basilika in die warme römische Nacht.

Warum Ästhetik alles andere als unwichtig ist

Gelegentlich entsteht der Eindruck, dass ästhetische Gründe irgendwie unwichtig sind. Es kommt auf Funktion und Inhalt an, die Form ist zweitrangig. Form follows function?

Welch ein Irrtum! Ästhetik ist Wahrnehmung. Wenn wir von Ästhetik sprechen, dann sprechen wir davon, wie etwas wahrgenommen wird. Und das soll unwichtig sein?

Jede Botschaft, auch und gerade die frohe, braucht eine Form, damit sie überhaupt wahrgenommen werden kann. Martin Mosebach hat bekanntlich der Häresie der Formlosigkeit einen ganzen Essayband gewidmet.

Diese Häresie hat uns jede Menge schreiend hässlicher Kirchengebäude und eine vielfach verhunzte Liturgie beschert. Wo Hässlichkeit und liturgischer Murks zu Prinzipien erhoben werden, da lässt sich Gott nicht mehr wahrnehmen. An die Stelle Gottes tritt der Mensch mit all seinen Unzulänglichkeiten.

Wie langweilig! Die Wahrnehmung Gottes geht hingegen immer mit Schönheit einher. Kirchengebäude und Liturgie müssen schön sein, damit sie etwas vom Wahren, Guten, Schönen durchscheinen lassen. Die Wahrheit, die Christus ist, die Güte Gottes und die Schönheit seiner Verehrung liegen eng beeinander.

Neben diesen grundsätzlichen Überlegungen habe ich auch ganz persönliche Gründe für diese Ansicht. Als ich in den neunziger Jahren vor der Frage stand, ob ich Christ oder Agnostiker bin, da sagte ich mir: Um Agnostiker zu sein, müsste ich das gesamte christliche Erbe als Irrtum verwerfen, oder wenigstens als auf den Sand des Nicht-Erkennbaren gebaut.

Das schien mir unmöglich. Die herrlichen Kathedralen, die wunderbare sakrale Kunst, die unglaublich schöne geistliche Musik – das kann doch nicht das Produkt eines großen Irrtums der Menschheit sein.

Bei vielen heutigen Kirchenbauten, moderner Sakralkunst und neuem geistlichen Lied hingegen bin ich mir da nicht so sicher.

Auch wenn das eine schöne Schlusspointe wäre, so will ich doch dem Eindruck wehren, früher sei alles besser gewesen. Das denke ich nicht. Was aber die Jahrhunderte überlebt hat, das ist das Wahre, Gute, Schöne. Das Unwahre, Schlechte und Hässliche verschwindet früher oder später.

Insofern können wir das Urteil über unsere Kirchengebäude, die heutige Sakralkunst und die gegenwärtige geistliche Musik getrost späteren Generationen überlassen. Wenn sie überhaupt noch etwas davon sehen werden.

Passauer Kantorale

Seit einigen Jahren versehe ich in unserer Gemeinde regelmäßig den Kantorendienst. Da ich, von den Organisten einmal abgesehen, der einzige bin, der das regelmäßig tut, ist die genaue Ausgestaltung mehr oder weniger mir selbst überlassen.

Zusammen mit unserem Organisten habe ich in den letzten Jahren vor allem die kleinen roten Bände namens „Die Zwischengesänge der Messfeier“ verwendet. Hier wird die einfache Psalmodie aus dem Gotteslob angeboten, die auch ohne große Vorbereitung leicht singbar ist.

Nun habe ich auf Empfehlung eines unserer Subsidiare das Passauer Kantorale entdeckt. Es handelt sich um drei Bände pro Lesejahr, die derzeit zu je 3,50 Euro (plus Versandkosten) angeboten werden. Ich habe gleich den kompletten Satz bestellt. Hier sind die Psalmen in einfache, mehrteilige Melodien gesetzt. Häufig gibt es auch eigene, nicht im Gotteslob stehende Kehrverse.

Das Passauer Kantorale ist leichter zu singen als das im Moment nicht lieferbare Kantorenbuch zum Gotteslob. Es braucht etwas mehr Vorbereitung als die einfache Psalmodie, ist aber für Laiensänger wie mich gut machbar.

Der Papst setzt Maßstäbe

Den Stereotypen der in Deutschland veröffentlichten Meinung gilt Papst Benedikt XVI. als Konservativer. Doch spätestens mit seinen Reden beim jüngsten Deutschlandbesuch hat er sich eher als Reformer zu erkennen gegeben. Allerdings nicht in einem vordergründig-aktionistischen Sinn, wie er der platten Reformrhetorik vorschwebt, die trotz ihres langandauernden Niedergangs gerade ein weiteres Mal ihr hässliches Haupt erhob.

Nein, dieser Papst reformiert, indem er Maßstäbe setzt, an denen sich das konkrete Handeln messen lassen muss. So hat er mit seinen Freiburger Reden Pflöcke eingehauen, an denen der deutsche Dialogprozess nur noch um den Preis seiner eigenen Bedeutungslosigkeit vorbeikommen kann. Dem spießigen Strukturkonservatismus, der sich hinter der Reformagenda verschanzt, hat er eine an Deutlichkeit kaum zu überbietende Absage erteilt.

Ganz ähnlich verfährt er in Sachen Liturgie, indem er mit seinen päpstlichen Messfeiern ein Beispiel für die würdige und sinnerfüllte Feier in der ordentlichen Form gibt – und ihr zugleich die alte Messe als überkommenen Maßstab an die Seite stellt. Beides sind keine kurzfristigen, aktionistischen Reformen, sondern einfache Maßnahmen mit langfristiger Wirkung. Dem verbreiteten liturgischen Missbrauch hilft diese päpstliche Praxis nicht kurzfristig ab, doch entzieht er ihm Schritt für Schritt die vermeintliche Legitimation.

Maßstäbe hat Papst Benedikt auch längst für die Ökumene gesetzt, und zwar am Beispiel der Anglikaner. Während für die Orthodoxie mit den katholischen Ostkirchen längst eine Blaupause vorlag, gibt es nun auch eine für die Rückkehr der westlichen Schismatiker, die es zur Einheit mit Rom drängt. Nach dem Vorbild der anglikanischen Ordinate lassen sich in Zukunft auch Strukturen für Lutheraner denken, die ihrer ökumenischen Rhetorik endlich Taten folgen lassen wollen.

Auch dies sind keine hastigen Reformen, sondern Weichenstellungen mit Langzeitwirkung, die weit über das aktuelle Pontifikat hinausreichen werden. Dieser Papst hat es nicht nötig, irgendetwas zu überstürzen. Die Zeit arbeitet für ihn, trotz oder gerade wegen seiner 84 Jahre. Auch dies ist eine wunderbare Ironie unserer Gegenwart.

Seminarkirche in Hildesheim

Wer als an katholische Kirchen gewöhnter Mensch die Hildesheimer Seminarkirche betritt, der wähnt sich zunächst in einer evangelischen Kirche. Denn auf den ersten Blick fehlen der Tabernakel und das ewige Licht. Und am Seiteneingang, durch den ich die Kirche zuerst betrat, gibt es auch kein Weihwasserbecken.

Der Raum ist schlicht, die Wände weiß, der Boden schwarz, die Möblierung minimalistisch und größtenteils beweglich. Der Altarquader wirkt zunächst wie ein massiver Steinblock, stellt sich aber bei näherer Betrachtung als aus mehreren Elementen montiertes Werkstück heraus.

Wer die Seminarkirche von außen betrachtet, sieht eine barocke Fassade und vermutet dahinter eine ebensolche Innenausstattung. Doch eine Bombe zerstörte im Zweiten Weltkrieg den Innenraum vollständig, von der Ausstattung blieben nur wenige Schnitzfiguren erhalten.

Dazu gehört eine kleine Pieta, die nun in einer Nische hinten rechts einen merkwürdigen Kontrast zum ansonsten schmucklosen Raum bietet. Eine weitere erhaltene Figurengruppe ist heute auf dem Gang des Priesterseminars an einer Wand zu sehen.

Der Wiederaufbau nach dem Krieg hatte zu keiner wirklich überzeugenden Raumgestaltung geführt. Wer die Kirche vor ihrer jüngsten Renovierung kannte, wird den Nachkriegszustand kaum vermissen. Ich habe den Raum als etwas düster und wenig erhebend in Erinnerung.

Durch den barocken Grundriss hat das Gotteshaus eine klare Achse. Auf dieser Mittelachse sind, ausgehend vom Haupteingang, zunächst das Weihwasserbecken, sodann der Priestersitz und das Ambo angeordnet. In der Mitte des Raumes steht die Osterkerze auf einem Leuchter, und der Altar befindet sich am Ostende des Raumes.

Vor der Ostwand, die rechts und links mit zwei weißen Glastüren ausgestattet ist, steht ein schlichtes Metallkreuz, das indes mobil ist wie der größte Teil des Mobiliars. Die schlichten schwarzen Holzstühle stehen für gewöhnlich rechts und links des Priestersitzes bis hin zum Ambo, können aber auch anderswo positioniert werden.

Die Seminarkirche wird heute vor allem von Gruppen aus dem dortigen Tagungshaus und von Schulklassen genutzt. Im Grunde kann (und muss) die Möblierung an die jeweilige Gruppe angepasst werden. Fest installiert ist kein Möbel außer dem Altar und der Orgel.

Das kleine Instrument aus der Nachkriegszeit steht neben dem Haupteingang auf der linken Seite. Damit ist die Ausstattung vollständig beschrieben, von den vier Kerzenleuchtern neben Ambo und Altar einmal abgesehen. Die einzigen Farbtupfer im ansonsten streng monochromen Raum bilden die bunten, abstrakt gehaltenen Fenster und die rote Sitzfläche des Priestersitzes.

Durch die beiden Milchglastüren am Ostende gelangt der Besucher in die Sakramentskapelle. Dort ist der Tabernakel an der Rückseite der Ostwand über einem schwarzen Marmoraltar im Stil der 50er Jahre eingelassen, auf dem das ewige Licht brennt. Darüber an der Wand ist ein großes Kruzifix angebracht.

Der große Kirchenraum wirkt beim Betreten wie tot. Das dürfte am fehlenden ewigen Licht liegen, das sonst die Gegenwart des Herrn anzeigt. Dieses Manko soll demnächst behoben werden, ein zweites ewiges Licht für die Ostwand der Kirche ist bereits in Auftrag gegeben.

Des Weiteren fehlen Apostelleuchter. Dafür sind die zwölf schlichten schwarzen Apostelkreuze auf der weißen Wand zu sehen. Unter diesen Kreuzen sollen bei entsprechendem liturgischen Bedarf Kerzen aufgestellt werden.

Der Besucher vermisst zudem einen Kreuzweg. Der sei in dieser Kirche seit mindestens 30 Jahren nicht mehr gebetet worden und daher verzichtbar, lautete die Auskunft. Dies stimmt bedenklich, handelt es sich doch um die Kirche des Bischöflichen Priesterseminars. Die Seminaristen indes studieren meistenteils in St. Georgen und halten sich nur selten im Haus auf.

Die Kirche ist in der Summe praktisch schmucklos, sie wirkt streng, kalt, kahl und etwas trostlos. Die grauen Steine, die am Rande des schwarzen Fußbodens den Übergang zu den weißen Wänden bilden, passen in dieses Bild. An den Seitenwänden gibt es neben der einen Nische, in der die Pieta aufgestellt ist, weitere leere Nischen. Es könne sein, dass sich diese Nischen in Zukunft noch füllen werden, heißt es.

Der bischöfliche Auftrag für die Neugestaltung sei gewesen, einen Raum zu gestalten, der dem entspricht, wie wir heute Liturgie feiern. Daher rühren die Positionen von Ambo und Altar als “Tisch des Wortes” und “Tisch des Brotes” in den beiden Brennpunkten des Raumes, daher fehlen Bänke und Kniebänke.

Und deshalb ist das Sanctuarium ein rechteckiges Feld in der Raummitte, das vom Priestersitz bis hinter den Altar reicht und sich nur in einer farblichen Nuance und anderen Oberflächenstruktur vom übrigen Boden abhebt, der nicht mehr als eine Umrandung bildet. Hier gibt es außer der Sakramentskapelle keinen heiligen Raum, der vom übrigen Kirchenraum abgesondert wäre.

Das Konzept dieses Kirchenbaus kann ich intellektuell durchaus verstehen, bei allen Schwächen und fehlenden Ausstattungsgegenständen. Die lassen sich schließlich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nach und nach ergänzen. Doch ob sich damit das grundlegende Manko beheben lässt?

Die Seminarkirche ist einfach, aber nicht schön. Es fehlt der göttliche Glanz, die Schlichtheit ist einfach nur schlicht, nicht mehr. Es gibt Beispiele schlichter Kirchen, die in sich durchaus überzeugen und nicht so trostlos erscheinen wie die Seminarkirche.

Zudem setzt die Bestuhlung, wie auch immer sie angeordnet wird, den Besucher auf den Präsentierteller. Für das Zwiegespräch mit dem Herrn, das persönliche Gebet bleibt da wenig Raum.

Obwohl die Kirche eine klare Ostung hat, der Altar und die Sakramentskapelle im Osten liegen, erlebt der gläubige Gottesdienstbesucher sie hauptsächlich in Nord-Süd-Richtung. Dominant ist so immer der Kreis der Versammlung selbst, der sich nicht zum Herrn hin öffnet.

Dieses Problem teilen allerdings viele Kirchenneu- und Umbauten seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist kein Spezifikum der Seminarkirche, sondern ein grundlegendes Problem, das im Verlust der liturgischen Orientierung besteht.

Foto: Bistum Hildesheim

Gesetz, Glauben und Werke

Die Liturgie des 9. Sonntags im Jahreskreis stellt uns heute in den beiden Lesungen und dem Evangelium den Zusammenhang zwischen dem Gesetz, dem Glauben und den Werken vor Augen.

In der ersten Lesung aus dem Buch Deutorononium (Dtn 11, 18.26-28.32) führt Mose das Gesetz des ersten Bundes ein. Zugleich gibt er bereits einen Ausblick auf den Abfall des Volkes Israel vom Gesetz und damit vom Bund. Dieser Abfall ist von Anfang an als Möglichkeit präsent.

In der zweiten Lesung (Röm 3, 21-25a.28) steht jener berühmte Satz aus dem Römerbrief des Apostels Paulus, den Luther als Beleg für seine Theologie nahm:

Denn wir sind der Überzeugung, dass der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes.

Es ist das gleiche Gesetz, von dem hier die Rede ist, das Gesetz des Mose. Dieses Gesetz erklärt Paulus keineswegs für obsolet, im Gegenteil:

Jetzt ist unabhängig vom Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden, bezeugt vom Gesetz und von den Propheten: die Gerechtigkeit Gottes aus dem Glauben an Jesus Christus, offenbart für alle, die glauben.

Das Gesetz und die Propheten bezeugen die Gerechtigkeit Gottes, die aus dem Glauben an Jesus Christus offenbar geworden ist. Durch Glauben wird der Mensch gerecht, das war Luthers Anliegen, nicht durch die Werke des Gesetzes. Doch das heißt keinesfalls, dass es nicht auf die Werke, auf das Handeln gemäß dem Gesetz ankäme. So lesen wir im heutigen Evangelium (Mt 7, 21-27):

Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt. Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, sind wir nicht in deinem Namen als Propheten aufgetreten, und haben wir nicht mit deinem Namen Dämonen ausgetrieben und mit deinem Namen viele Wunder vollbracht. Dann werde ich ihnen antworten: Ich kenne euch nicht. Weg von mir, ihr Übertreter des Gesetzes! Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute.

Nur wer den Willen des Vaters im Himmel erfüllt, wird in das Himmelreich kommen. Wer das Gesetz übertritt, den weist Jesus zurück. In seinen Grundzügen, wie sie zum Beispiel in den zehn Geboten zum Ausdruck kommen, gilt das Gesetz des ersten Bundes auch für uns Heidenchristen.

Doch es genügt nicht, nur das Gesetz zu befolgen. Der Glaube ist es, der gerecht macht, der uns den Willen des Vaters erfüllen lässt und der die Werke hervorbringt, auf die es letztlich ankommt.