Teil 1 der zweiten Runde meiner kleinen Reihe zur Liturgiereform
In den Debatten um die Liturgiereform des XX. Jahrhunderts wird gern vergessen, dass sie nicht erst mit dem Konzil begonnen hat. Papst Pius XII. legte schon 1945 ein neu aus dem Urtext übersetztes Psalterium vor. (Das Brevier selbst war bereits 1911 durch Pius X. reformiert worden.) Vom 20. November 1947 datiert die Enzyklika „Mediator Dei“ über die heilige Liturgie, die ein Kapitel für sich wäre.
1951 begann Pius XII. mit der Neuordnung der Karwoche. Das Dekret „Dominicae Resurrectionis“ vom 9. Februar 1951 stellte die Ostervigil als nächtliche Feier wieder her, zunächst ad experimentum. Meine Eltern berichten, wie die Osternacht bis dahin am Vormittag des Karsamstags zelebriert wurde, praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Dieser heute skurril anmutende Termin hatte seinen tieferen Grund. Denn so stand die Ostervigil in einer mehrtägigen, ja im Grunde immerwährenden Reihe von morgendlichen Gottesdiensten. Auch die Messe vom Gründonnerstag, die Karfreitagsliturgie und natürlich die Messen am Ostersonntag und Ostermontag wurden schließlich am Vormittag gefeiert.
Wie übrigens jede Messe. Denn erst 1953 führte Pius XII. mit der Apostolischen Konstitution „Christus Dominus“ die Abendmesse ein, zunächst nur für bestimmte Tage. In diesem Zusammenhang lockerte er auch das eucharistische Fasten, das bis dahin nach ältestem Brauch von Mitternacht an vorgeschrieben war.
Da es kaum möglich erschien, einen ganzen Tag ohne Wasser (!) und feste Nahrung zu verbringen, erließ Pius XII. eine dreistündige Abstinenz von fester Nahrung und Alkohol vor abendlichen Messen. Eine Stunde vor der Messe waren auch keine nichtalkoholischen Getränke mehr erlaubt.
Damit erst war es möglich geworden, die Abendmahlsmesse auf den Abend des Gründonnerstags (nicht früher als 17 und nicht später als 20 Uhr) zu verlegen, was mit dem Dekret „Maxima redemptionis nostrae mysteria“ vom 16. November 1955 geschah.
Dieses Dekret beruft sich einerseits auf frühesten Brauch, die Riten der Karwoche jeweils an jenem Tag und zu jener Stunde zu feiern, in der Leiden, Tod und Auferstehung des Herrn geschahen. Andererseits argumentiert es auch mit praktischen Erwägungen, insbesondere dem – unter dem Druck der gesellschaftlichen Verhältnisse – schon durch Urban VIII. mit der Apostolischen Konstitution “Universa per orbem” vom 24. September 1642 zurückgestuften Rang der Tage des Triduums, was den Weg zur Abschaffung oder Reduzierung der arbeitsfreien Zeit ebnete und damit die Beteiligung der Gläubigen stark einschränkte.
So kann seit 1956 aus pastoralen Gründen die Karfreitagsliturgie spätestens um 18 Uhr gefeiert werden, auch wenn nun 15 Uhr die empfohlene Zeit ist. 1957 erweiterte die Ritenkongregation diesen Zeitrahmen auf spätestens 21 Uhr und legte auch für die Gründonnerstagsmesse ein größeres Zeitfenster fest.
Die Neuordnung der Karwoche war also vor allem – neben umfangreichen liturgischen Veränderungen – auch eine Änderung des zeitlichen Ablaufs. Die Begründung dafür kann indes nur teilweise überzeugen. Denn interessanterweise verzichtet Pius XII. auf eine genauere Darlegung der verschiedenen Gründe, die zur Verlegung in die Morgenstunden geführt hatten, wenn er schreibt:
But in the middle ages, for various concomitant reasons, the time for observing the liturgy of these days began to be anticipated to such a degree that — toward the end of the middle ages — all these liturgical solemnities were pushed back to the morning hours; certainly with detriment to the liturgy’s meaning and with confusion between the Gospel accounts and the liturgical representations referring to them. The solemn liturgy of the Easter Vigil especially, having been torn from its own place in the night hours, lost its innate clarity and the sense of its words and symbols. Furthermore, the day of Holy Saturday, invaded by a premature Easter joy, lost its proper sorrowful character as the commemoration of the Lord’s burial. (Dekret „Maxima redemptionis nostrae mysteria“)
So schwerwiegend diese Nachteile auch sein mögen – fraglos dürfte einer der Hauptgründe für den morgendlichen Termin das eucharistische Fasten gewesen sein, das derselbe Papst noch 1953 wie folgt beschrieben hatte:
From the very earliest time the custom was observed of administering the Eucharist to the faithful who were fasting. Towards the end of the fourth century fasting was prescribed by many Councils for those who were going to celebrate the Eucharistic Sacrifice. So it was that the Council of Hippo in the year 393 issued this decree: „The Sacrament of the altar shall be offered only by those who are fasting.“ Shortly afterwards, in the year 397, the Third Council of Carthage issued this same command, using the very same words. At the beginning of the fifth century this custom can be called quite common and immemorial. Hence St. Augustine affirms that the Holy Eucharist is always received by people who are fasting and likewise that this custom is observed throughout the entire world. (Apostolische Konstitution „Christus Dominus“)
Ich mag mich irren, aber ich nehme an, dass die Vorverlegung im Verlaufe des Mittelalters aus ähnlich praktischen Gründen geschah wie die Rückverlegung in der Mitte des XX. Jahrhunderts. Vermutlich erleichterte es damals einfach das eucharistische Fasten, wenn die Liturgie vormittags gefeiert wurde.
Dieses Fasten tritt bei Pius XII. nun in seiner Bedeutung offensichtlich hinter den Wunsch nach stärkerer und leichterer Beteiligung der Gläubigen an der Liturgie zurück. Wer am Gründonnerstag, Karfreitag (der in vielen Ländern kein Feiertag ist) und Karsamstag arbeiten muss, der kann dann trotzdem an abendlichen Feiern teilnehmen.
Die Berufung auf ältesten Brauch hingegen wird weniger glaubhaft, wo sie selektiv wird. Denn auch das eucharistische Fasten kann sich schließlich auf ebensolchen ältesten Brauch berufen.
Womöglich – aber das ist Spekulation – zeigen sich hier bereits frühe Spuren jenes liturgischen Ärchäologismus, der frühchristliche Liturgie zu rekonstruieren und daraus moderne Liturgie zu konstruieren versucht. Doch dies ist ein anderes Thema und soll zu anderer Zeit behandelt werden.