in Liturgia

Traditionalistische Kritik

Die Neuordnung der Karwoche durch Pius XII. war keine schlichte Änderung der Gottesdienstzeiten. Diesem populären Irrtum war ich zunächst aufgesessen, musste mich dann jedoch durch die Wikipedia korrigieren lassen. Dieser Irrtum wird begünstigt durch die Tatsache, dass im Dekret „Maxima redemptionis nostrae mysteria“ die neugefasste („wiederhergestellte“) Liturgie selbst praktisch mit keinem Wort erwähnt, sondern nur auf eine Editio typica verwiesen wird.

Bei den weiteren Recherchen bin ich inzwischen auf mehrere Aufsätze aus traditionalistischen Kreisen gestoßen, die sich relativ ausführlich mit der gesamten Liturgiereform des XX. Jahrhunderts befassen und den Bogen zum Teil bis zum Trienter Konzil spannen. Ich will hier eine Reihe von (vermutlich leicht überprüfbaren) Fakten und (dem Urteil des geneigten Lesers zu überlassenden) Bewertungen referieren, die aus dem Artikel „Pre-Vatican II Liturgical Changes: The Road to the New Mass“ des SSPX-Bischofs Daniel L. Dolan stammen.

  1. Bereits die 1951 probeweise eingeführte reformierte Osternacht brachte drei prinzipielle Veränderungen der römischen Liturgie.
    • Das Prinzip optionaler Riten (die also im Belieben des Zelebranten stehen) kam erstmals zur Anwendung.
    • Die Landessprache wurde erstmals ins Proprium der Liturgie eingeführt.
    • Erstmals gab es eine Rubrik, die den Priester dazu aufforderte, sitzend den Lesungen zuzuhören (sedentes auscultant), statt sie am Altar stehend zu lesen.
  2. Die Neuordnung der Karwoche war eine Art Testballon für den Novus Ordo. Einige ihrer zentralen Elemente:
    • Alles soll kurz und einfach sein.
    • Wichtige Riten muss der Priester mit dem Rücken zum Altar und dem Volke zugewandt ausführen, darunter die Segnung der Palmzweige, das Schlussgebet der Palmsonntagsprozession und die Segung des Taufwassers in der Osternacht.
    • Das Stufengebet und das Schlussevangelium werden erstmals aus der Liturgie gestrichen.
    • Priester und Volk sprechen am Karfreitag gemeinsam das Vater unser.
  3. Die Palmsonntagsliturgie verlor ihren hergebrachten Ritus der Palmsegnung, der viele Gebete der Messe enthielt und so die sakramentalen Palmzweige mit dem allerheiligsten Altarssakrament in Verbindung brachte. Von sieben Orationen blieb eine, die Vormesse der Palmsegnung entfiel ganz, wie auch die Zeremonie des Gloria Laus an den Kirchentüren. Hier eine kurze Beschreibung dieser Zeremonie aus der Catholic Encyclopedia:

    All march out of the church. On the return of the procession two or four chanters enter the church, close the door and sing the hymn „Gloria, laus“, which is repeated by those outside. At the end of the hymn the subdeacon knocks at the door with the staff of the cross, the door is opened, and all enter singing „Ingrediente Domino“.

    Außerdem wurde die Passion gekürzt, unter anderem um die Salbung in Bethanien und das letzte Abendmahl.

  4. Das Officium Tenebrae, im deutschen Sprachraum auch als Trauermetten bekannt, ist so gut wie verschwunden. An drei Abenden der Karwoche – wir erinnern uns: die Messe fand stets vormittags statt – wurden Matutin und Laudes des jeweils folgenden Tages gesungen, mit der Gemeinde in der dunklen und ab Gründonnerstag schmucklosen Kirche. Die Catholic Encyclopedia schreibt dazu:

    The Office [Tenebrae] in itself presents a very primitive type in which hymns and certain supplementary formulae are not included, but the most conspicuous external feature of the service, apart from the distinctive and very beautiful chant to which the Lamentations of Jeremias are sung as lessons, is the gradual extinction of the fifteen candles in the „Tenebrae hearse“, or triangular candlestick, as the service proceeds. At the end of the Benedictus at Lauds only the topmost candle, considered to be typical of Jesus Christ, remains alight, and this is then taken down and hidden behind the altar while the final Miserere and collect are said. At the conclusion, after a loud noise emblematical of the convulsion of nature at the death of Christ, the candle is restored to its place, and the congregation disperse. On account of the gradual darkening, the service, since the ninth century or earlier, has been known as „Tenebrae“ (darkness). Tenebrae is sung on the evening of the Wednesday, Thursday, and Friday, the antiphons and proper lessons varying each day.

    Am Karfreitag wurde die hergebrachte Messe der vorgeweihten Gaben auf eine einfache Kommunionfeier reduziert. Entgegen ältestem Brauch wurde nun eine Kniebeuge beim Gebet für die Juden vorgeschrieben.

    Die Karsamstagsliturgie wurde vollständig verändert, die Zahl der Lesungen von zwölf auf vier reduziert, die Riten der Segnung des Osterfeuers und der Osterkerze drastisch verändert.

    Die ebenso ehrwürdige Pfingstvigil wurde 1955 komplett gestrichen.

Ohne Zweifel sind dies zum Teil drastische Veränderungen, in jedem Fall ein vorkonziliarer Meilenstein der Liturgiereform. Und dies ist noch nicht alles. Im Jahr 1955 gab es eine weitere Reform, von der ein weiterer Beitrag handeln soll: die der Rubriken.

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Kommentar

  1. Alles in allem hebeln diese Fakten natürlich ganz den Sedisvakantismus aus, denn hier wäre ja Pius XII als letzter Papst der „böse modernistische Schurke“.

    Und in gewisser Hinsicht untergraben sie auch den Ultra-tradionalismus insgesamt, hat es doch schon immer Änderungen (über deren Qualität damit noch nichts gesagt ist) gegeben.

    Und natürlich widerlegt es auch das (nun wirklich modernistische) Märchen der starren, unbeweglichen „vorkonziliaren“ Kirche.

  2. So, nun habe ich den Artikel gelesen und gesehen, daß sich der Verfasser gegen die Entscheidung des Ebf. Lefebrve wendet, sich an die liturgischen Vorgaben Johannes XXIII. zu halten und nicht an früheres. Das ist sicher auch eine Ironie des Traditionalismus in einer Reihe von Reformen nur die letzte abzulehnen.

    Zwar kann ich dem Verfasser zustimmen, daß man nicht grundlos Änderungen vornehmen sollte, aber durch das ganze zieht sich doch der Grundton des „Wie können sie es wagen, irgendetwas zu ändern“ mit dem teils explizit, teils implizit „was doch schon immer so war“, auch wenn es wohl ganz sicher nicht schon immer so war. Das angebliche „immemorial midnight eucharistic fast“ ist das beste Beispiel, aber das wurde auf diesem Blog ja schon angesprochen.

    Etwas fragwürdig sind auch Begriffe wie „Mass of the Presanctified on Good Friday“, wo es sich doch gar nicht um eine Messe handelt

    Was meint der Autor mit „Holy Saturday Vigil“? Handelt es sich um die Osternacht?

    Er beklagt die Neuerung der „distinction between „public“ and „private“ recitation of the Divine Office“ und begründet dies: „tradition teaches us that the Office is by its very nature a public prayer“ – nur hat nicht die vorherige Praxis nicht alle Messen zu nicht-öffentlichen gemacht?

  3. Und hat denn nicht schon Pius X. (!) das Brevier und das Offizium drastisch verändern lassen??? Die Ultra-Tradis werden zum Schluss ja nur mehr Messbücher aus dem 19. Jh. verwenden….

    Da hält man sich zur Sicherheit am besten an die „Mass of St Pius I“… 😉 (Finde leider den Link nicht – aber nur so viel: alles auf Griechisch… :-))

  4. Nur noch eine Korrektur, weil die Sache gestern in einem Gespräch Verwirrung gestiftet hat.

    Daniel Dolan war Priester bei der SSPX, entwickelte aber sedisvakantistische Überzeugungen und überwarf sich mit Ebf. Lefebrve, als dieser die Meßbücher von Johannes XXIII verbindlich machen wollte. Von einer anderen Gruppe wurde er dann zum Bischof geweiht.

    Aus dem Konflikt mit Lefebrve stammt obiger Artikel.

    Auch der zweite Artikel kommt aus dem Lager von Dolan.

Webmentions

  • Commentarium Catholicum » Die Liturgiereform des XX. Jahrhunderts 3. Januar 2007

    […] Traditionalistische Kritik […]