Medienterror

Aus einem Kommentar in diesem Notizbuch:

Der Medienterror bezieht sich darauf, daß die Medien aus einem Verharmlosen des Holocausts (das bei Williamson vorliegen mag) ein “Leugnen des Holocausts” machen, und darüberhinaus “die Piusbrüder” als Holocaustleugner bezeichnet. Demnächst werden sie als Neonazis in den Zeitungen stehen.

Genau dies ist jetzt geschehen. Der Spiegel geht in seiner heutigen Ausgabe gleich noch einen Schritt weiter und schlägt sämtliche Anhänger der außerordentlichen Form des römischen Ritus mehr oder weniger pauschal dem Rechtsextremismus zu:

Meisners Erzbistum im Westen der Republik ist zum Sammelbecken rechtsgläubiger Katholiken geworden, von Anhängern des Opus Dei bis hin zu den Legionären Christi. Dem emeritierten Weihbischof Max Ziegelbauer erlaubte der Kardinal, die lateinische Messe im alten Ritus in der Kölner St.-Kunibert-Kirche zu zelebrieren. Dabei sprachen die Gläubigen antisemitische Gebete gegen „die verworfene Judenschar“. Ein Kölner Pfarrer war „erschrocken über etliche kahlgeschorene Mitbeter in den Kirchbänken“.

Meisner und andere deutsche Bischöfe stellen auch Priestern aus der Petrusbruderschaft Kirchen in ihren Bistümern zur Verfügung. Dort zelebrieren diese mit Erlaubnis der römisch-katholischen Kirche ihre Messen nach dem Werk „Das vollständige römische Messbuch“ in der Fassung von 1962 – antisemitische Passagen inklusive. Gebetet wird „für die Bekehrung der Juden“, wegen der angeblichen „Verblendung jenes Volkes“. In den Karfreitagsgebeten, die von Meisner toleriert werden, heißt es über die Juden: „Gott möge den Schleier von ihren Herzen nehmen. Mögen sie das Licht Deiner Wahrheit erkennen und ihrer Finsternis entrissen werden.“

Wer so betet, versteht sich offenbar gut mit weltlichen Judengegnern.

Was ist das – Unkenntnis oder Demagogie?

Geyer vs. Mosebach

Der Spiegel hat in dieser Woche noch einmal nachgelegt und neben einer spiegeltypisch wirren Nacherzählung der stürmischen Ereignisse der letzten Woche, einem schriftlich geführten Interview mit Bischof Richard Williamson und einem unfreundlichen Portrait des künftigen Linzer Weihbischofs Gerhard Maria Wagner auch einen Essay von Martin Mosebach gedruckt. Diesen Essay wiederum demontiert kommentiert Christian Geyer in der heutigen FAZ:

Ganz am Ende seiner lesenswerten Einlassung im „Spiegel“ („Warum der Papst tun musste, was er tat“) kommt der Schriftsteller Martin Mosebach zu einer Definition dessen, was er „katholische Mentalität“ nennt. Katholische Mentalität heiße, im Blick aufs Ultramontane „mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein“. Haben wir so gewettet, als wir die Wette auf Gott abschlossen? Dass sich die Tatsache der christlichen Taufe in einer „katholischen Mentalität“ niederzuschlagen habe, lässt aufhorchen.

Scheint doch erst als Mentalität, als eine alles Säkulare überspringende Denkweise, das Katholische in Gefahr, den Bogen Gottes zu überspannen. Leszek Kolakowski sprach in diesem Zusammenhang vom Wuchern des Mythos. Auch das Bewusstsein, der Zeitgenossenschaft zu entkommen, kann doch nie anders denn als Zeitgenosse gewonnen werden. Wie sollte das möglich sein, sich aus höherer metaphysischer Einsicht aus seiner Zeitgenossenschaft zu stehlen, aus den Bezügen von Recht und Kultur und Politik – und sei es mit einem klitzekleinen Bewusstseinszipfel nur? An solche Zipfel hängen sich Esoteriker aller Couleur, politische Romantiker und hohnlachende Dezisionisten.

Bemerkt Mosebach nicht, dass es genau diese als Generalklausel gehandhabte vermeintliche „katholische Mentalität“ ist, jenes Dummstellen im Namen Gottes, welche das feist-dreiste Denken hervorgebracht hat, das auch er an den Piusbrüdern kritisieren möchte: „Weltfremdheit und Eiferertum, eine krankhafte Verengung der Geister“?

Da lohnt es sich vielleicht, Mosebach im Kontext zu zitieren:

Natürlich könnte es durchaus so weit kommen, dass Staat und Gesellschaft die Lust verlieren, in ihren Grenzen eine Korporation zu dulden, die ersichtlich unter einem anderen Gesetz steht und andere Werte verteidigt als die säkulare Mehrheit. Die Grobheit einer wahlkämpfenden Kanzlerin gibt dafür einen Vorgeschmack. Es könnte den Katholiken wieder wie unter Bismarck zum Vorwurf gemacht werden, sie seien schlechte Staatsbürger, denn ihr Herz hänge „jenseits der Berge“, ultramontan, am Papst und seiner Autorität.

Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. Bei allem Misstrauen muss das Gemeinwesen mit solchen Mitgliedern nicht schlecht fahren – Ergebnis der Dauerspannung zwischen Papst und Kaiser im Mittelalter war nichts Geringeres als die europäische Vorstellung von der Freiheit.

Eine schöne und optimistische Wende, aber ich verspüre nicht ohne Sorge den Vorgeschmack künftiger Christenverfolgung.

Doch zum Thema. Mosebach schreibt:

Strenggenommen exkommuniziert sich derjenige selbst, der gegen die Einheit der Kirche verstößt – die Aufhebung dieser Exkommunikation kann ihm nicht verwehrt werden, wenn er aufrichtig begehrt, zu dieser Einheit zurückzukehren.

Und Geyer weiß:

Hier klärt der Autor selbst über das entscheidende Kriterium auf, an dem sich die Rücknahme einer Exkommunikation zu messen hat: die Aufrichtigkeit des Begehrens, der Kirche rechtsgültig wieder eingegliedert zu werden. Es ist doch nun aber gerade die mangelnde Aufrichtigkeit, die im vorliegenden Fall ins Auge sticht und das eigentliche Thema darstellt. Ein Thema, das Mosebach in seiner Einlassung zum Verschwinden bringen möchte. Nur im schriftstellerischen Konstrukt einer „katholischen Mentalität“ geht solches vorsätzliche Verfehlen des Themas durch.

Mangelnde Aufrichtigkeit? Soll heißen: Williamson begehrt gar nicht die Wiederaufnahme in den Schoß der Kirche? Schon möglich, aber woher will Geyer das wissen?

Mosebachs blinder Fleck hat damit zu tun, dass er die Piusbruderschaft im Grunde nur aus liturgischer Perspektive beobachtet: Sie hat den tridentinischen Ritus gerettet; das war ihre historische Aufgabe; alles andere ist zweitrangig: „Ob es der Piusbruderschaft gelingt, in der Vielfalt der kirchlichen Gegenwart ihren Platz zu finden, kann nun in Ruhe abgewartet werden; ihre historische Aufgabe jedenfalls ist abgeschlossen.“

Auch dieses Zitat ließt sich im Kontext anders:

Mit diesem Nein zu einem für die Kirche hochgefährlichen Zerfallsprozess ist Lefebvre in die Kirchengeschichte eingegangen. Kraft gab ihm ein nur in Frankreich zu findendes Milieu katholischer Laien, die ihre Weltsicht im Kampf gegen den aggressiven republikanischen Laizismus erworben hatten. Das war die Tragik Lefebvres und seiner Bewegung: Sie retteten die alte Liturgie, aber sie verknüpften sie mit allem Parteienstreit der neueren französischen Geschichte. Die einzige Zuflucht, die die überlieferte Liturgie gefunden hatte, drohte ihr Gefängnis zu werden. Aus diesem Gefängnis hat Papst Benedikt sie schon mit seinem Motu proprio befreit und sie mit ihrem universellen Anspruch der ganzen Kirche zurückgegeben.

Aber musste er nicht auch gegenüber der Piusbruderschaft ein Gefühl der Verpflichtung empfinden, ein Gefühl, dass sie mit all ihren Makeln zu einem Instrument geworden war, um das Sanctissimum der Kirche über eine Krisenzeit zu bewahren? Ob es der Piusbruderschaft gelingt, in der Vielfalt der kirchlichen Gegenwart ihren Platz zu finden, kann nun in Ruhe abgewartet werden; ihre historische Aufgabe jedenfalls ist abgeschlossen.

Interessant übrigens auch die Lesermeinungen zu Geyers Kommentar.

Was vom Skandale übrigbleibt

Fast alles, was zu schreiben war über die – ja, was eigentlich? – Aufregungen der letzten Wochen, ist geschrieben, wenn auch nicht von mir. Ein paar Erkenntnisse möchte ich dennoch hier festhalten.

  • Die demographische Dimension: Sicherlich sind 600.000 Gläubige der Priesterbruderschaft Pius X. nicht besonders viele – es sind aber 500.000 mehr als beim Tod von Erzbischof Lefebvre vor 18 Jahren. Wenn 493 Priestern 215 Priesteranwärter gegenüberstehen und wenn in Frankreich schon ein Drittel aller Seminaristen Traditionalisten sind (darunter auch jede Menge Lefebvristen), dann haben wir es hier jedenfalls mit einer dynamisch wachsenden Gruppe zu tun. Und damit je nach Weltanschauung um ein wachsendes Problem oder einen Teil der Lösung.
  • Die kirchenrechtliche Dimension: Eine Exkommunikation ist im Kirchenrecht allein vorgesehen für
    1. Apostaten, Häretiker oder Schismatiker,
    2. Sakrilege,
    3. physische Gewalt gegen den Papst,
    4. Priester, die dem Mitschuldigen an einer Sünde gegen das sechste Gebot des Dekalogs eine (außer in Todesgefahr) ungültige Absolution erteilen,
    5. einen Bischof, der jemanden ohne päpstlichen Auftrag zum Bischof weiht, und ebenso, wer von ihm die Weihe empfängt,
    6. Verletzung des Beichtgeheimnisses und
    7. Abtreibung.

    Exkommunikation ist insbesondere keine Gesinnungsfrage, auch wenn manch einer das gerne so hätte.

  • Die zivilreligiöse Dimension: Dass westlich-postchristliche Gesellschaften, allen voran Deutschland, nach 1945 eine Zivilreligion herausgebildet haben, die den Holocaust (Ganzopfer) als zentralen Bezugspunkt nimmt und damit an die Stelle setzt, die das Kreuzesopfer Christi für das Christentum hat, hat sich nie so klar gezeigt wie jetzt. Und ist erfreulicherweise von hellsichtigen Kommentatoren wie zuletzt Eckhard Fuhr auch klar ausgesprochen worden. Eine trivial erscheinende Ausprägung ist die politische Korrektheit, die immer stärker totalitäre Züge trägt und längst damit begonnen hat, abweichende Meinungen und Abweichler zu sanktionieren. Dass Meinungsfreiheit in Deutschland wenig gilt, ist keine neue Erkenntnis. Doch inzwischen schlägt das Diktat der politischen Korrektheit in Terror gegen Andersdenkende um. Zu denen immer mehr Christen gehören. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, könnte das schon unserer Generation die Gelegenheit zum Martyrium geben.
  • Die demokratische Dimension: Zur Hoffnung gibt indes eine Internetumfrage der Welt Anlass: „Papst Benedikt XVI. hat mit seinen jüngsten Entscheidungen viel Kritik hervorgerufen. Wie beurteilen Sie seine Arbeit?“ 57 Prozent der Befragten antworten: „Sehr gut, er zieht seine Linie durch und macht alles richtig.“ Und weitere 13 Prozent sagen: „Er ist ein gutes Kirchenoberhaupt, auch wenn nicht jede Entscheidung glücklich ist.“ Trotz einer beispiellosen Medienkampagne erklären nur 30 Prozent: „Skandalös. Ein Papst darf Holocaust-Leugner nicht in seiner Kirche dulden.“ Das mediale Trommelfeuer hat offensichtlich nicht gefruchtet. Gut so.
  • Die theologische Dimension: Was heißt es eigentlich, das Zweite Vatikanische Konzil anzuerkennen? Geht es nur darum, das Konzil als ein legales und legitimes Konzil in der langen Reihe der Konzile zu akzeptieren? Geht es um die vollständige Akzeptanz jedes einzelnen Textes oder gar um den omninösen Geist des Konzils, der vom Buchstaben häufig nicht gedeckt ist? Was von einem Konzil wirklich bleibt, sind die Texte. Einige davon, wie das in Nizea und Konstantinopel formulierte Glaubensbekenntnis, schleppen wir bis heute mit uns herum. Andere geraten irgendwann in Vergessenheit. In unserem Fall muss erst die Generation V2 mit ihren Illusionen und Lebenslügen verschwinden, bevor ein unverstellter Blick auf die Konzilstexte möglich wird.

Genug für heute. Was noch zu sagen ist:



Entrückt und grundzufrieden

Der Spiegel 6/2009: Der Entrückte

Der Spiegel 6/2009: Der Entrückte

Die Titelseite der morgigen Spiegel-Ausgabe lässt nichts Gutes erwarten. Das Hamburger Nachrichtenmagazin kühlt wieder einmal sein religionskritisches, christenfeindliches und von Hass auf alles Katholische erfülltes Mütchen an Papst Benedikt XVI. (Oder? Ich habe die Geschichte noch nicht gelesen.)

Warum dieser Papst solch eine Reizfigur für Meinungsmacher ist, lässt sich mit einem Blick in die heutige Frankfurter Allgemeine Sonntagzeitung gut verstehen:

Was treibt denn den Joseph Ratzinger aus Marktl am Inn nur um, dass er sich mit allen anlegt? Aggressiv von Natur scheint er nicht. Salutschüsse aus Kanonen und Gewehren von Schützenvereinen erschrecken ihn noch immer. Es muss wohl daran liegen, dass Joseph Ratzinger vor allem eines ist: grundzufrieden katholisch. Dies ist im intellektuellen Europa eine relativ seltene, und wenn, dann meist verborgene Geisteshaltung; damit zieht man wie der heilige Sebastian die Pfeile bei jeder Gelegenheit auf sich.

Katholisch – und dann noch zufrieden damit. Welche Provokation. Aber so ist er. […]

Dass Traditionalisten auch krude Ideen vertreten, bis hin zu dramatisch-verwerflichen, dass sie mit rechten Politikern liebäugeln, ist nicht neu. Doch bemerkenswert erscheint, wie aus noch so verdammenswerten Äußerungen des marginalisierten Williamson – der noch nicht einmal als Bischof akzeptiert ist – eine Kampagne gegen den Papst, der Vorwurf des Antisemitismus gegen die römische Kirchenführung wurde. Dramatische Hochspielerei der Medien oder ein kleiner Kulturkampf?

Der Theologe Ratzinger ist von seinen Jugendtaten, von den Konstitutionen, Dekreten und Erklärungen des Zweiten Vaticanum kein wesentliches Jota abgewichen. Er hat immer wieder mit eindrucksvollen Worten und Gesten demonstriert, dass die katholische Kirche gleichgezogen hat mit dem modernen Geistesniveau, im Eingehen auf die neue Zeit, ohne ihr anheimzufallen. Meint der Papst. Mag man über ihn auch schimpfen.

Als PR-Mann bin ich geneigt zu sagen, dass jede Art von Medienpräsenz besser ist als keine Medienpräsenz. No News is Bad News. Und nachdem ich die Geschichte nun gelesen habe, überrrascht mich, wie wenig Substanz sie enthält – neben all jenen bekannten Klischees, Halbwahrheiten, aus dem Zusammenhang gerissenen, unvollständig oder schlicht falsch dargestellten Fakten, die wir aus der Kirchen- und Religionsberichterstattung des Spiegel seit jeher gewohnt sind.

Im Kern bleibt die Frage, die letztlich auch der Spiegel stellt, ob es sich nicht um ein gigantisches PR-Problem und vatikanisches Kommunikationsversagen handelt. Und sicher gibt es da Verbesserungspotential. Der Vatikan, aber auch die deutschen Bischöfe könnten die Kommunikationsklaviatur deutlich virtuoser bedienen als sie es heute tun.

Aber am Ende wird die Kirche gegenüber einer Moderne (oder auch Postmoderne), die in zentralen Punkten diametral dem Christentum widerspricht, immer anstößig bleiben. Denn dieser Widerspruch lässt sich nicht auflösen. Er fordert die Entscheidung des Einzelnen.

Und damit wären wir nun bei der tatsächlichen Bedeutung jenes päpstlichen Aktes angelangt, der diesmal den Anlass zum ohnehin gegebenen Widerspruch gab. Robert Spaemann erläutert in einem Leserbrief, der gestern in der FAZ erschien:

Die Aufhebung bedeutet: Sie dürfen wieder beichten und die Lossprechung von ihren Sünden empfangen. Sie dürfen wieder die Kommunion empfangen. Sie müssen nicht mehr ohne Tröstung durch die Sakramente der Kirche sterben. Das ist auch schon alles. […] Bei der Verleihung von Ämtern und der Gestaltung des kirchlichen Lebens können politische, das heißt Opportunitätserwägungen eine Rolle spielen. Bei der Aufhebung einer Exkommunikation, wo es um das Seelenheil geht, haben sie völlig außer Acht zu bleiben. Die Glaubensgemeinschaft der Kirche ist ein Vaterhaus mit vielen Wohnungen, keine Gesinnungsdiktatur.

Difficile est

Difficile est saturam non scribere.
Juvenal, Satiren I, 30

Liebe Martina Hauschild,

der Stoff schreit förmlich nach Satire, da haben Sie völlig Recht. Ich vermute allerdings, dass Ihre und meine Vorstellungen über die Rollenverteilung in Ihrem Stück leicht divergieren. Deshalb muss ich Ihr Anliegen einstweilen ablehnen. Etwaigen weiteren Versuchen Ihrerseits, mich von einer Mitwirkung zu überzeugen, sehe ich mit Interesse entgegen.

Mit freundlichen Grüßen
[unleserlich]

Fegefeuer für Protestanten

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Offensichtlich erscheint ein schmales Päckchen mit dem Katechismus der Katholischen Kirche einem protestantischen Pfarrer und Liedermacher so gefährlich, dass er es nicht selbst öffnen mag. So berichtet der Spiegel in seiner Ausgabe von morgen:

Es gibt Situationen, in denen es sinnvoll sein kann, auf eigene Rechte zu verzichten. Für Clemens Bittlinger, 49, ist es das Postgeheimnis, das er in diesen Tagen lieber nicht in Anspruch nimmt. Als der evangelische Pfarrer aus Darmstadt in der vergangenen Woche ein schmales Päckchen erhielt, übergab er es ungeöffnet den Spezialisten des Hessischen Landeskriminalamts. Behutsam nahmen sie die Sendung unter die Lupe, suchten nach Sprengstoff, Gift oder einer anderen Substanz, die dem Liedermacher und Mann Gottes gefährlich werden könnte, doch am Ende fanden sie nichts.

Die Sendung aus dem Städtchen Aschaffenburg enthielt einen Katechismus und einen Schmähbrief, in dem Bittlinger aufgefordert wurde, sich endlich zum wahren Glauben zu bekehren, dem allein selig machenden Katholizismus. Der Absender gehört zu einem Kommando von Glaubensfundamentalisten, die seit Wochen das Fegefeuer gegen Bittlinger anheizen.

Denn der hatte mit einem Song („Mensch Benedikt“) zwar die Mehrzahl seiner Zuhörer beglückt, eine papsttreue Minderheit aber gegen sich aufgebracht. Die konnte es nicht ertragen, was der Protestant dem Heiligen Vater als Sünde vorhielt: „Du verbietest die Kondome auch den Armen dieser Welt, förderst damit Aids-Verbreitung, auch wenn dir das nicht gefällt.“ Mit ähnlichen ungelenken Reimen kritisierte Bittlinger die Erklärung „Dominus Iesus“ des Papstes, andere Kirchen seien keine Kirchen im eigentlichen Sinne: „Warum schmähst du andere Christen? Wer im Glashaus wirft mit Steinen, endet schnell im Scherbenmeer, und auch viele Katholiken decken diesen Stil nicht mehr.“

Als Bittlinger das Lied im Mai auf dem Osnabrücker Katholikentag das erste Mal vortrug, applaudierten die meisten der 1500 Zuhörer. Und der Liedermacher bekam selbst von katholischen Priestern und Religionslehrern hinter vorgehaltener Hand Zuspruch, so dass er bereits auf eine „konstruktive ökumenische Auseinandersetzung auf Augenhöhe“ hoffte.

Doch seit der Hinweis auf den Song auf rechtskonservativen katholischen Internet-Seiten erscheint, ist Schluss mit Ökumene. Bittlinger wird so massiv bedroht, dass die Behörden sein Premierenkonzert zur neuen CD „Habseligkeiten“ im hessischen Rimbach vorsorglich unter Polizeischutz stellten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen einige der Drohbriefschreiber, deren Identität hinter ihren E-Mail-Adressen leicht zu entschlüsseln war.

Und das ist nur der Anfang der Spiegel-Geschichte. Eine Posse ohnegleichen. Eine Kurzfassung gibt es bei Spiegel Online.

Der liberale Normalbürger als Maß aller Dinge

Der gestern bereits erwähnte FAZ-Kommentar von Peter Lückemeier zur Absetzung des Wetzlarer Dekans ist zwar kein besonders intelligentes Stück Zeitungsprosa. Dennoch will ich mir die Mühe einer Replik machen.

Wahrscheinlich ist der am Niederrhein erzkatholisch sozialisierte neue Bischof von Limburg sich nicht im Klaren darüber, wie abstoßend, mitleidslos, realitätsfern seine Maßregelung des Wetzlarer Dekans aufs großstädtische Publikum wirken muss.

Wahrscheinlich ist er sich sehr wohl im Klaren darüber, wie wenig sich ein großstädtisches Publikum um Gott, Glaube, Kirche und Bischof schert. Und wie es höchstens dann Notiz nimmt, wenn es Widerspruch vernimmt.

Homosexuelle Lebenspartnerschaften werden in Frankfurt, Darmstadt oder Wiesbaden anders bewertet als im Westerwald.

Tatsächlich? Ich fürchte, das war einmal.

Der liberale Normalbürger wird sich sagen: Du liebe Güte, da lebt ein homosexuelles Paar seit langem zusammen, besiegelt diesen Bund vor dem Standesamt für immer und erbittet dazu göttlichen Segen – warum sollte die Kirche solch einen Akt des Wohlwollens verweigern?

Seit wann ist der liberale Normalbürger das Maß kirchlicher Dinge? Viel zu oft ist er es, aber er sollte es definitiv nicht sein. Dass homosexuelle Paare vor das Standesamt treten und dort eine Heirat simulieren können, mag zwar dem Normalbürger normal erscheinen. Aber gut und richtig ist es deshalb noch lange nicht.

Doch Bischof Tebartz-van Elst sieht die Sache anders, und zum größten Teil muss er sie so sehen, auch sein Vorgänger Franz Kamphaus hätte kaum anders handeln können. Denn Ehe und Familie stehen nicht nur laut Grundgesetz unter besonderem Schutz des Staates, die katholische Ehe zwischen Mann und Frau ist sogar ein Sakrament, allerdings gespendet von den beiden Beteiligten.

Korrekt.

In diesem Lichte kann es nicht angehen, dass die Ehe, die nach kirchlicher Sicht dem Zwecke dient, Kinder zu zeugen, gleichrangig mit einer homosexuellen Partnerschaft behandelt wird.

Der Hauptsatz ist korrekt, der die Ehe erläuternde Relativsatz ist mindestens verkürzt. Die Ehe dient nicht allein dem Zwecke, Kinder zu zeugen.

Überdies hat der Bischof in der Bestrafung des bisherigen Dekans die mildeste Form gewählt, die ihm zur Verfügung stand, denn der Wetzlarer Priester bleibt im Amt, wird weder abgesetzt noch versetzt.

Das ist richtig und ein Zeichen bischöflicher Klugheit.

Das eigentliche Problem aber bleibt ungelöst. Es lautet: Wie soll die Kirche, Repräsentant eines liebenden Gottes, mit Homosexuellen umgehen, zumal mit homosexuellen Gläubigen? Die offizielle Linie der römischen Glaubenskongregation, Homosexualität an sich sei keine Sünde, nur ihre Ausübung sei es, muss als haarspalterischer Theologismus verstanden werden.

Nur für den, der sich weder mit Theologie noch mit Moral beschäftigen möchte. Den Sünder lieben, die Sünde hassen. Das ist wirklich keine Neuigkeit.

Die katholische Kirche täte gut daran, für seriöse dauerhafte gleichgeschlechtliche Partnerschaften, die sich nicht nur die Billigung des Staates, sondern auch die Sympathie ihrer Kirche wünschen, einen Akt, eine symbolische kirchliche Handlung oder eine Feier auszudenken.

Wohl kaum. Die Sympathie der Kirche wird ein wenig frommer Wunsch bleiben.

Dass Gott die Qualität eines Menschen nach dessen sexuellen Präferenzen beurteilen könnte, muss als unwahrscheinlich gelten.

Diesen sinnlosen Satz hätte der Schlussredakteur besser gestrichen.

Und damit soll es dann auch gut sein. Ab morgen wieder andere Themen.

Zollitsch im Spiegel

Der Spiegel vom kommenden Montag hat ein Interview mit Erzbischof Robert Zollitsch, der an jenem Montag das Amt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz übernimmt. Zwei Vorabmeldungen des Spiegel dazu haben bereits Wellen geschlagen. Was steht tatsächlich im Interview? Hervorhebungen von mir.

SPIEGEL: Eine andere Tradition, die zu Ihrer Kirche gehört, ist der Zölibat. Er schreckt viele junge Männer ab, Priester zu werden. Wann fällt er?

Zollitsch: Sie werden verstehen, dass jemand, der lange in der Priesterausbildung tätig und später Personalreferent war, viel über diese Frage nachdenkt. Einerseits ist die Ehelosigkeit des Priesters ein großes Geschenk für unsere Kirche. Es ist immer wieder die Entscheidung, die Herausforderung: Ist Gott die Realität, für die ich alles auf diese Karte setze? Ohne die Verbindung zwischen Priesterweihe und Ehelosigkeit würden wahrscheinlich nur sehr wenige mit diesem Ernst darüber nachdenken. Wir merken jedoch bei uns, dass der Ordensnachwuchs weniger wird, weil die Herausforderung des Evangeliums schwer zu vermitteln ist. Und natürlich ist die Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit nicht theologisch notwendig.

SPIEGEL: Man könnte sich unter dem Verweis auf den erheblichen Nachwuchsmangel einfach vom Zölibat verabschieden.

Zollitsch: Sie merken ja, dass ich da gegen Denkverbote bin. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass sich Bischöfe etwa aus Indien oder aus Afrika wundern, dass wir in Deutschland an dieser Tradition rütteln wollen.

SPIEGEL: Würde Ihrer Kirche der Abschied vom Zölibat eher guttun oder eher schaden?

Zollitsch: Es wäre eine Revolution, bei der ein Teil der Kirche nicht mitginge.

SPIEGEL: Können Sie sich denn vorstellen, dass der Zölibat zuerst in einigen Ländern aufgehoben wird, oder muss das gleich in der ganzen Welt geschehen?

Zollitsch: So, wie sich die katholische Kirche versteht, müsste das für die ganze Welt geändert werden. Schon bei zwei Bischofssynoden in Rom war aber jedes Mal die große Mehrheit gegen eine Änderung. So etwas könnte in meinen Augen auch nicht verändert werden, ohne ein neues Konzil einzuberufen; denn das würde sehr in das innere Leben der katholischen Kirche eingreifen.

SPIEGEL: Zeit wäre es ja für ein neues Konzil, das letzte ist schon 42 Jahre her, und die Welt hat sich seitdem rapide verändert.

Zollitsch: Sie müssen aber auch sehen, dass wir vieles noch nicht umgesetzt haben, was das letzte Konzil gebracht hat. Das ist für mich die andere Seite. Ein Konzil ist ja ein gewaltiger Kraftakt.

Daraus destilliert das Nachrichtenmagazin in seiner Vorabmeldung:

Zollitsch denkt über die Gültigkeit des Zölibats nach

Der Freiburger Erzbischof und neugewählte Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, 69, hat sich „gegen Denkverbote“ beim Thema Zölibat ausgesprochen. Die Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit sei „nicht theologisch notwendig“, erklärte er im Gespräch mit dem Nachrichten-Magazin DER SPIEGEL. Ein Abschied vom Zölibat „wäre eine Revolution, bei der ein Teil der Kirche nicht mitginge“. Nötig wäre dafür ein Konzil, weil in das innere Leben der gesamten Kirche eingegriffen werden würde.

Zwar nicht falsch, aber unvollständig zitiert. Spiegel Online dreht die Geschichte gleich einen Zahn weiter:

Oberster deutscher Katholik hält Zölibat für „nicht notwendig“

Für Katholiken wäre es eine Revolution: Robert Zollitsch, der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, denkt über ein Ende des Zölibats nach. Dass Priester ehelos leben, sei „nicht theologisch notwendig“, sagt er im SPIEGEL – und lässt Sympathie für SPD und Grüne erkennen.

Hamburg – Erst wenige Tage im Amt – und schon wagt er sich an ein Mammut-Projekt: Der Freiburger Erzbischof und neugewählte Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, spricht sich „gegen Denkverbote“ beim Thema Zölibat aus. Im Gespräch mit dem SPIEGEL sagt der 69-Jährige, die Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit sei „nicht theologisch notwendig“.

Für die katholische Kirche bedeutet diese Aussage eine radikale Abkehr von der bisherigen Praxis. Das ist auch Zollitsch bewusst: Ein Abschied vom Zölibat „wäre eine Revolution, bei der ein Teil der Kirche nicht mitginge“, sagt er. Nötig wäre dafür ein Konzil, weil in das innere Leben der gesamten Kirche eingegriffen werden würde.

Zu den theologischen Aussagen hat Scipio bereits mehr als das gesagt, was mir zu sagen einfiele:

Das sind einmal keine großen Neuigkeiten: Denn ein „Denkverbot“, wenn man es einmal für jetzt so nennen will, gibt es lehramtsseitig nur beim „Priestertum der Frau“, und daß der Zölibat „theologisch notwendig“ sei, sagt das Magisterium auch nicht.

Die Schlagzeilen des Spiegel entstehen durch Verkürzung und Überspitzung. Dem Erzbischof kann ich jedoch auch eine gewisse Naivität nicht absprechen. Klarere Aussagen, weniger „einerseits – andererseits“ – das wäre sicher nicht von Schaden.

Beim zweiten Thema, der K-Frage, sieht es ganz ähnlich aus. Dazu später mehr, Freude und Pflicht des Sonntags rufen.

Was von Luther übrigblieb

Reformationstag, 31. Oktober 2007, im Jahre 490 nach dem Thesenanschlag Dr. Martin Luthers. Der Deutschlandfunk meldet in seinen Nachrichten:

Die evangelischen Kirchen in Deutschland begehen heute den Reformationstag. In Wittenberg, wo der Augustinermönch Martin Luther vor 490 Jahren seine 95 Thesen an die Schlosskirche angeschlagen hat, findet ein Reformationsfest statt. Die Hannoversche Landesbischöfin Käßmann sagte, Luthers Erkenntnis, dass man in Glaubensdingen weder Papst noch Kaiser brauche, sei nach wie vor wegweisend und modern. Frau Käßmann sagte der „Hannoverschen Neuen Presse“, ein innerer Aufbruch und ein kritisches Betrachten der eigenen Traditionen täten auch dem Islam gut.

Luthers Erkenntnis? These 38:

Doch ist des Papstes Vergebung und Austeilung mit nichten zu verachten; denn wie ich gesagt habe, ist seine Erklärung eine Erklärung göttlicher Vergebung.

Aber das sind freilich Feinheiten, die in mediengerechter Verkürzung die Bischöfin nicht vorzutragen wusste. Die Botschaft jedenfalls ist klar: Auch 490 Jahre nach der Publikation jener Thesen definiert sich der Protestantismus allein über die Abgrenzung zu anderen, insbesondere zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Von mir aus. Aber dann bitte die ökumenischen Lippenbekenntnisse einstellen.