Immer die Familie

Alan Posener referierte in der Welt vom 1. Oktober die Thesen eines Buches von James D. Tabor („Die Jesus-Dynastie“), demzufolge Jesus Christus nicht der Sohn Gottes war ist, sondern das Königtum Israels wiederherstellen wollte und dessen Familie nach seinem Tod die christlichen Gemeinden leitete.

Tabor und Posener greifen zwei wohlbekannte Topoi auf. Da sind zum einen die „Brüder Jesu“, die selbstverständlich nur leibliche Brüder gewesen sein können. Und da ist Paulus als Erfinder des Christentums respektive als Umdeuter des historischen Jesus – ein spätestens mit Nietzsche populär gewordener Gedanke.

Um der Geschichte noch etwas mehr Schwung zu verleihen, reißt Posener ein Ratzinger-Zitat aus dem Zusammenhang der „Einführung in das Christentum“. Ratzinger selbst hat zu dieser beliebten Fehldeutung später in „Die Tochter Zion“ alles gesagt, was zu sagen war.

Der Quotenkritiker

Warum der Deutschlandfunk nun gerade Christian Weisner zur abschließenden Bewertung des Papstbesuches befragt [MP3], das wird wohl auf ewig das Geheimnis der Redaktion bleiben. Was immerhin auffällt: Er schlägt bisweilen leisere Töne an.

Und natürlich kann er wie eh und je die gängigen Schlagworte aufrufen, ohne sich kritische Fragen vom Gesprächspartner gefallen lassen zu müssen. Offensichtlich ist die Stelle des Kritikers mit Weisner besetzt, und der Journalist begnügt sich mit der Rolle des Stichwortgebers. Peinlich.

Der Relativist

Am Sonntagmorgen spricht der Deutschlandfunk derzeit über die Wiederkehr der Religion. Heute mit Gianni Vattimo [MP3], über den die Wikipedia lapidar schreibt:

Er bezeichnet sich selbst als homosexuell und ist bekennender Katholik.

Entsprechend bekennt er sich auch zum Relativismus als unlösbarem Kennzeichen einer liberalen Gesellschaft und ist enttäuscht vom Papst, den er als Intellektuellen eigentlich schätzt. Seinen Glauben beschreibt er so:

Das neue Christentum, das ich glaube zu glauben, ist ein Christentum ohne metaphysische Gründe, ohne Objektivitäten.

Sein Gesprächspartner Jochen Rack macht es ihm sehr leicht, indem er auf Nachfragen zu seinen Thesen quasi vollständig verzichtet und sich stattdessen als Stichwortgeber hervortut: Schwangerenberatung („die Kirche ist immer noch dagegen“), Homosexualität, Frauenpriestertum. Fazit Rack:

Es gibt eine Reihe von Normen, die die Kirche nicht bereit ist, zur Disposition zu stellen.

Vattimo bekennt, dass er zur Kommunion gehe, ohne zu beichten.

Ich glaube nicht mehr an diese Administration der Sakramente.

Eine meiner Lieblingsthesen aus dem Munde Vattimos: Die Kirche behindere die aktuelle Wiederkehr der Religion, weil viele Leute zwar religiös sein, aber nichts mit dieser Kirche zu tun haben wollten. Selbstverständlich fordert Vattimo die Abschaffung des Zölibats und der Unfehlbarkeit des Papstes.

In einem der raren lichten Momente des Gespräches fragt der Journalist nach Liturgie und Sakramenten. Wenn es so sei, dass die Kirche sich reformieren und die letzten Wahrheiten abschaffen müsse, die ihre Struktur und die Sakramente begründen, wie könne sie dann noch verbindliche Praktiken ausbilden? Wie kann ein Gottesdienst aussehen, der diesen reformistischen Ansprüchen entspricht? Seine Antwort: Die Kirche solle – sola scriptura – nur das Neue Testament predigen. Die wache Gegenfrage: Kein Glaubensbekenntnis? Darauf Vattimo:

Ich kann zwar das Glaubensbekenntnis sagen, aber ich sage es wie eine allgemeine Mythologie. Ich glaube nicht, dass Jesus sitzt zur Rechten des Vaters. Ich glaube nicht, dass Gott existiert irgendwo.

An dieser Stelle, gegen Ende des Gespräches, wird klar, dass hier wieder einmal ein Kranker dem Arzt zur Therapie raten will. Nicht die Gesunden brauchen den Arzt…

In der Summe ein unglaublich dummes Gespräch. Ein schwadronierender Philosoph und ein Journalist als sein Steigbügelhalter.