Neu-Autoritarismus

Peter Sloterdijk ist uns hier kein Unbekannter. Ähnlich wie Norbert Bolz hat auch er die Lizenz zum Universalgelehrtentum. Heute befragt ihn der Tagesspiegel zur Krise Europas (die ja ein bemerkenswertes Timing aufweist, so kurz nach Amtsantritt eines Papstes, der einen analytisch scharfen Blick auf eben jene Krise hat):

Werden wir zur Kapitalismusdebatte möglicherweise eine Demokratiedebatte dazubekommen? Müssen wir auf europäischem Hintergrund den Abstand zur direkten Demokratie neu definieren? Auch der Papst beschwört mit seiner Kritik am „Relativismus“ die Optionsmöglichkeit der Mehrheit.

Ratzinger wäre falsch interpretiert, wenn man ihn als Antidemokraten beschriebe. Er plädiert für eine christliche Demokratie. Ich würde das übersetzen in ein Theorem, an dem ich seit längerer Zeit arbeite: Was uns demnach bevorsteht, ist die globale Wende in den „autoritären Kapitalismus“ – und zwar auf der Grundlage eines neo-autoritären WerteDenkens. Ratzingers Visionen lassen sich mühelos in einen solchen Kontext einordnen. Das 21. Jahrhundert wird zum Labor des Neu-Autoritarismus, das heißt des Kapitalismus, der die Demokratie nicht mehr nötig hat. [via Perlentaucher]

Typisch für Sloterdijk ist die an sich klare, aber zugleich kryptische Sprache, die stets mehrere Interpretationsmöglichkeiten eröffnet. Christliche Demokratie (ein Begriff, der zumindest mir bei Joseph Ratzinger noch nicht begegnet ist) wäre also gleich Neu-Autoritarismus? Aber kann das sein, wenn er Neu-Autoritarismus als Kapitalismus ohne Demokratie definiert?

Geburt des hl. Johannes des Täufers

In Wahrheit ist es würdig und recht, dir, allmächtiger Vater, zu danken und am Fest des heiligen Johannes das Werk deiner Gnade zu rühmen. Du hast ihn geehrt vor allen, die je eine Frau geboren hat, schon im Mutterschoß erfuhr er das kommende Heil, seine Geburt erfüllte viele mit Freude. Als Einziger der Propheten schaute er den Erlöser und zeigte hin auf das Lamm, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Im Jordan taufte er Christus, der seiner Kirche die Taufe geschenkt hat, so wurde das Wasser zum heiligen Quell des ewigen Lebens. Bis an sein Ende gab Johannes Zeugnis für das Licht und besiegelte mit dem Blut seine Treue.

Quellen des Glaubens

In volle Länge sei zitiert, was die Kongregation Meßner zur Annahme vorlegte:

I
DIE QUELLEN DES GLAUBENS

Die Weitergabe der apostolischen Predigt

1. Die gesamte Weitergabe der von den Aposteln empfangenen Offenbarung in der Kirche kann Tradition im weiteren Sinn, oder –wie der Verfasser sagt– «das eine Überlieferungsgeschehen» genannt werden.

2. Diese Weitergabe erfolgt in zwei Formen, die eine, geschriebene, ist die Heilige Schrift, die andere, nicht geschriebene, ist die Tradition oder Überlieferung im strengen Sinn. Denn die apostolische Predigt geht zwar in besonderer Weise in die Heilige Schrift ein,[1] aber nicht völlig in ihr auf. Deshalb ist der Begriff der apostolischen Tradition, die unter dem Beistand des Heiligen Geistes in der Kirche weitergegeben wird, weiträumiger als das in der Schrift ausdrücklich Niedergelegte.[2] Apostolische Predigt und Tradition, die von den Aposteln kommt, dürfen nicht einfach gleichgesetzt werden.

Die Heilige Schrift und ihre Aussage

3. Die Heilige Schrift ist Erkenntnisquelle für den katholischen Glauben, in dem Sinn und in der Heilsaussage, wie sie vom Heiligen Geist durch den menschlichen Verfasser im heutigen Text niedergelegt sind.[3]

Die Tradition und die Traditionen

4. Neben der Schrift steht die Tradition im engeren Sinn. Sie zeigt uns die Inspiration und den Kanon der Schrift, und ohne sie ist eine umfassende Deutung und Vergegenwärtigung der Schrift nicht möglich.[4] Der katholische Glaube wird nicht bloß aus dem Text der Schrift erhoben; denn die Kirche schöpft ihre Gewißheit über alles Geoffenbarte nicht aus der Schrift allein.[5]

5. Die Tradition ist die Weitergabe der Offenbarung, die von Christus und vom Heiligen Geist den Aposteln anvertraut worden ist, in Leben und Lehre der katholischen Kirche durch die Generationen hindurch bis heute[6]. Nur diese Tradition ist Glaubensnorm.

6. Die «Traditionen», von denen das I. Vatikanische Konzil[7] und auch «Dei Verbum» (Nr. 8) sprechen, sind Einzelelemente der «Tradition».[8] Daneben hat es in der katholischen Kirche immer langdauernde Bräuche («Traditionen» im weitesten Sinn) gegeben, die nicht verpflichtend sind, sondern veränderlich.

Das Lehramt

7. In der Auslegung des in Schrift und Tradition überlieferten Gotteswortes kommt der theologischen Wissenschaft eine wichtige Bedeutung zu. Es verbindlich für Glauben und Leben der Kirche zu deuten, überschreitet die Möglichkeiten der Theologie. Diese Aufgabe ist dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut.[9] Das Lehramt steht nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm. Es steht aber über den Deutungen des Wortes Gottes, indem es urteilt, ob eine solche Deutung dem überlieferten Sinn des Wortes Gottes entspricht oder nicht.[10]

Die Liturgie

8. In der Liturgie wird das Werk unserer Erlösung vollzogen.[11] Sie ist «der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt».[12] So vergegenwärtigt sie das «Geheimnis des Glaubens» und ist zugleich dessen vornehmste Bezeugung. Die von der Kirche anerkannten liturgischen Riten sind daher auch normative Ausdrucksformen des Glaubens, in denen die apostolische Überlieferung der Kirche erscheint.

9. Zwischen den lehramtlichen Formen der Definition des Glaubens (Regula fidei, Symbolum, Dogma) und ihrer Vergegenwärtigung in der Liturgie kann es daher keinen Widerspruch geben. Der definierte Glaube ist verbindlich für jede Liturgie, für Deutung und Neugestaltung von Liturgie.

II
ZUR GLAUBENSLEHRE ÜBER DIE SAKRAMENTE

Die Einsetzung der Eucharistie

10. Gemäß dem Glauben der Kirche hat Christus die sieben Sakramente eingesetzt. Der Begriff der Einsetzung muß nicht besagen, daß Christus in seinem irdischen Leben jedes einzelne Sakrament als solches ausdrücklich angeordnet habe. Die Kirche hat in ihrem vom Heiligen Geist geführten Erinnern, das ein Reifen über längere Zeit hin einschließen konnte,[13] erkannt, welche ihrer Zeichenhandlungen im Willen des Herrn verankert sind und daher zum Wesen ihres Auftrags gehören. Sie hat so im großen Bereich der sacramenta die «Sakramente» im engeren Sinn von den Sakramentalien zu unterscheiden gelernt: Nur die ersteren gehen auf den Herrn selbst zurück und tragen daher die besondere Wirksamkeit in sich, die aus der Einsetzung rührt.[14]

11. Die Kirche ist im Glauben gewiß, daß Christus selbst –wie es die Evangelien (Mt 26, 26-29; Mk 14, 22-25; Lk 22, 15-20) und der heilige Paulus aus apostolischer Überlieferung (1 Kor 11, 23-25) berichten– im Abendmahl vor seinem Leiden den Jüngern in Brot und Wein seinen Leib und sein Blut reichte und damit die Eucharistie einsetzte, die wirklich seine eigene Gabe an die Kirche aller Zeiten ist.[15]

12. Es reicht daher nicht anzunehmen, daß Christus im Abendmahlssaal –als Fortsetzung seiner Mahlgemeinschaft– eine ähnliche symbolische Mahlhandlung mit eschatologischem Ausblick vorgenommen habe. Es ist Glaube der Kirche, daß Christus beim letzten Mahl seinen Leib und sein Blut –sich selbst– seinem Vater dargebracht und unter den Zeichen von Brot und Wein seinen Jüngern zum Genuß gereicht hat.[16]

Das Amt in der Kirche

13. In der Berufung und Sendung der zwölf Apostel hat nach dem Glauben der Kirche Christus zugleich das Amt der Nachfolge grundgelegt, das in seiner vollen Form den Bischöfen als Nachfolgern der Apostel zukommt. Das dreigestufte Dienstamt –Bischof, Priester, Diakon– ist eine in der Kirche rechtmäßig gewachsene und daher für die Kirche selbst verbindliche Form der Entfaltung des Amtes der apostolischen Nachfolge.[17] Dieses auf dem Stiftungswillen des Herrn beruhende Amt wird durch die sakramentale Weihe weitergegeben.

14. Das II. Vatikanische Konzil hält fest: Der Amtspriester vollzieht «kraft seiner heiligen Gewalt» in der Person Christi das eucharistische Opfer.[18]

Die Eucharistie und der Glaube

15. Der Heilige Geist wirkt durch den geweihten Priester und die von ihm gesprochenen Worte Christi die Gegenwart des Herrn und seines Opfers.[19]

Nicht aus eigenem Vermögen und nicht durch einen menschlichen Auftrag, etwa von der Gemeinde her, sondern nur kraft der vom Herrn im Sakrament gegebenen Ermächtigung kann das Gebetswort des Priesters wirksam den Heiligen Geist und seine verwandelnde Kraft herbeirufen. Dieses Gebetshandeln des Priesters nennt die Kirche ein Handeln «in persona Christi».[20]

Das Bußsakrament und die Schrift

16. Im Glauben weiß die Kirche und lehrt daher verbindlich, daß Christus über das Sakrament der Taufe und seine vergebende Kraft hinaus das Bußsakrament als Sakrament der Vergebung eingesetzt hat. Dieses Wissen stützt sich vor allem auf Joh 20, 22f. Auch hier kann der Priester nur aus der Vollmacht des Sakraments heraus, aufgrund seiner Weihe, «in persona Christi» sprechen und Vergebung vollmächtig vermitteln.

Schrift und Tradition

Das Verhältnis von Schrift, Überlieferung, lehramtlicher Auslegung des Glaubens und historisch-kritischer Exegese ist ja nun wahrlich kein neues Thema. Einige aufschlussreiche Überlegungen finden sich in einer Notifikation der Kongregation für die Glaubenslehre bezüglich einiger Veröffentlichungen von Professor Dr. Reinhard Meßner aus dem Jahr 2000.

Der Verfasser ist sich der Problematik des „sola scriptura“, wie es in der Reformationszeit formuliert wurde, wohl bewußt. Er anerkennt, daß die «Tradition ursprünglicher ist als die Schrift und die Schrift Teil der Tradition» (Seite 13). Aber er ist gleichzeitig überzeugt, daß alle wirkliche apostolische Tradition in der Schrift gesammelt ist und daß daher die Schrift als «nicht hinterfragbare Norm… kritische Instanz jeglicher weiteren Tradition» ist (Seite 14). «Tradition ist somit die immer neu gesprochene Verwirklichung des Kerygmas, das in ein für allemal gültiger Weise in der Schrift vorliegt» (Seite 16). Bei dieser Reduzierung der Tradition auf die kerygmatische Vergegenwärtigung der Schrift «unter den jeweiligen Denkvoraussetzungen und Lebensbedingungen» (Seite 14) ist es durchaus folgerichtig, wenn Meßner erklärt: «Das „sola scriptura” als unaufgebbarer Bestandteil des „reformatorischen Propriums” scheint mir in der skizzierten Auffassung gewahrt» (Seite 14). Es scheint in der Tat gewahrt, nicht gewahrt „scheint” jedoch die Lehre des Konzils von Trient und des Vaticanum II (Dei Verbum) über Schrift und Tradition. Meßner ist sich selber der Gefahr bewußt, daß der «Glaube dem jeweiligen Stand der theologischen Wissenschaft» (Seite 15) ausgeliefert werden könnte und daß dies vermieden werden muß. Faktisch jedoch führt seine Auffassung unvermeidlich genau zu diesem Ergebnis, denn für die Auslegung der Schrift bleibt schließlich keine andere Instanz als die wissenschaftliche Exegese. Er selber sagt dazu: «Im Konfliktsfalle ist zweifellos immer die Tradition bzw. die Theologie nach der Schrift zu korrigieren, nicht die Schrift im Licht einer späteren Tradition (oder lehramtlichen Entscheidung) zu interpretieren; letzteres würde zu einem verderblichen Dogmatismus führen» (Seite 16). Hier fällt auf, daß durch die Kopula «beziehungsweise» Tradition und Theologie gleichgesetzt oder jedenfalls auf die gleiche Stufe gestellt werden; Tradition figuriert nur als «spätere Tradition» und «lehramtliche Entscheidung» wird wiederum durch «oder» auf eine Stufe mit «späteren Traditionen» gestellt, so daß der Gehorsam diesen gegenüber wie überhaupt das Hören auf die Tradition zu verderblichem Dogmatismus führt. Es ist nicht zu sehen, wie bei dieser Einstufung von Tradition und Lehramt die Schrift anders Instanz sein könnte als durch die wissenschaftliche Exegese, die damit zur letzten Autorität erhoben wird – entgegen der erklärten Intention des Verfassers. […]

Die Konsequenzen dieser Sichtweise von Schrift, Tradition und Lehramt werden in den Grundlegungsfragen des eucharistischen Glaubens deutlich. Daß die Tradition inhaltlich nichts verbürgen kann und uns daher den jeweiligen historischen Hypothesen überläßt, wird sichtbar, wenn Meßner über den Ursprung der Eucharistie sagt: «Was uns überliefert ist, spiegelt letztlich die katechetische Praxis der Gemeinden. Es ist also nicht möglich, eine Theologie der Eucharistie aus einem absoluten Stiftungswillen Jesu abzuleiten, der dann jede liturgische Tradition normiert» (Seite 17). Was Jesus selber wirklich wollte, wissen wir also nicht, und auf eine Einsetzung der Eucharistie durch Jesus können wir nach dieser Darstellung nicht rekurrieren. Meßner greift daher für die frühe Zeit der Kirche mit leichten Modifikationen auf die bekannte These von H. Lietzmann (Messe und Herrenmahl. 1926) zurück und glaubt für diese Periode zwei unterschiedliche Typen von «Eucharistie» feststellen zu können: zum einen «vor allem eschatologisch ausgerichtete Mahlzeiten» (im Sinn von Didache 9 und 10) und «eine liturgische Feier, die wesentlich an das Abschiedsmahl Jesu anknüpft» (Seite 27). Ausdrücklich sagt er, daß «vom urchristlichen „Brotbrechen” keine direkte Linie zu unserer Eucharistiefeier führt» (Seite 32). Zwei Verbindungen zwischen dem urchristlichen «Herrenmahl» und der Eucharistie der katholischen Kirche sieht er allerdings: «die eschatologische Ausrichtung… und die Gemeinschaft (Koinonia)…» (Seite 33). Nur das könnte man demgemäß als bis in die Frühzeit zurückreichenden wesentlichen Kern der «Eucharistie» ansehen.

Bei solchen –heute weit verbreiteten– Auffassungen wird sichtbar, daß das neue „sola scriptura” nicht die Normativität der Schrift verbürgt, die ausdrücklich in den vier überlieferten Einsetzungsberichten davon spricht, daß der Herr in der Nacht vor dem Verrat den Seinen in Brot und Wein sich selbst –Leib und Blut– schenkte und in diesen Gaben den neuen Bund begründete. Die Hypothesen über die Entstehung der Texte paralysieren das Bibelwort als solches. Umgekehrt wird sichtbar, daß Tradition in ihrem von der Kirche definierten Sinn nicht die Übermächtigung der Schrift durch spätere Lehren und Gebräuche bedeutet, sondern im Gegenteil die Gewähr dafür darstellt, daß das Schriftwort in seinem Anspruch stehenbleibt.

Im zweiten Jahrhundert erkennt Meßner dann eine «tiefe Zäsur», den «Übergang vom fundamental charismatischen, prophetischen, zentral von der Naherwartung bestimmten Christentum zur „frühkatholischen Kirche”» (Seite 17). Nun erfolgt nach Meßner ein liturgischer «Paradigmenwechsel vom urchristlichen Paradigma „Herrenmahl” zum altchristlichen Paradigma „Messe”» (Seite 42). Mit dem Schwinden der Naherwartung entsteht in der Mitte des zweiten Jahrhunderts –so erklärt uns Messner– etwas Neues, die frühkatholische Kirche, deren wesentliche Inhalte so beschrieben werden: «Es bildet sich langsam der Kanon des Neuen Testaments, es entsteht ein kirchliches Amt, das in dieser Form der Urchristenheit nicht eigen war, zur Wahrung der apostolischen Paradosis, und – das Verständnis des Gottesdienstes wandelt sich» (Seite 42). Diese Thesen sind nicht neu, wenn sie auch von der klassischen Beschreibung der konstitutiven Elemente des «Frühkatholizismus» durch Harnack, der regula fidei, Kanon und Bischofsamt zusammenordnet, durch die Herausstellung des liturgischen «Paradigmenwechsels» charakteristisch abweicht. Neu ist allenfalls, daß diese klassische Vision protestantischer Dogmengeschichtsschreibung hier als katholische Theologie vorgetragen und mit einem tiefgehenden Bruch im sakramentalen Zentrum der Kirche verbunden wird, wobei zur Änderung dieses Zentrums nicht nur die Umformung vom Herrenmahl zur Messe, sondern –damit verbunden– die Bildung des priesterlichen (bischöflichen) Amtes als Grundelement der neuen Gestalt von «Eucharistie» gehört. Obwohl Meßner von einem deutlichen Bruch in der Geschichte von Glaube und Liturgie ausgeht, will er doch das Neue nicht als Verrat am biblischen Zeugnis gewertet wissen (Seite 43ff.), sondern erkennt ihm –so wie es erstmals bei Hippolyt vorliegt– eine gewisse Normativität zu, an der er dann die Entwicklungen des Mittelalters, das Konzil von Trient und die Theologie Luthers mißt. Daß er dabei das Mittelalter und Trient im wesentlichen nur als Mißverständnis und Abstieg beurteilen kann, braucht nicht zu verwundern. Viel tiefer reicht die These des doppelten Bruchs in der Geschichte des Glaubens, der hier statuiert wird: zwischen Jesus und der charismatischen Urkirche zunächst, zwischen dieser und der frühkatholischen Kirche dann.

Marx

Hans D. Barbier und Frank Schirrmacher sprechen (in der FAZ, 1,50 EUR) mit dem Trierer Bischof Reinhard Marx „über Werte, die unter Druck geraten“. Was damit gemeint ist, fasst der Perlentaucher so zusammen: zur katholischen Soziallehre, Hartz IV und demografischen Verwerfungen der nahen Zukunft.

Moralisten

Aus dem Manifest des Relevanten Realismus, das vier Schriftsteller heute in der Zeit veröffentlichen („Was soll der Roman?“):

„Relevanz. Wir leben nicht auf den Schultern, sondern auf den versatzstückhaften Trümmern von Riesen, doch was da von manchen als postmodernes Spiel des Anything goes betrieben wird, ist nach wie vor todernst: Erzählen ist die verkappte Äußerungsform des Moralisten, ausgeübt mit dem Pathos dessen, der darin nicht etwa nur der Lust zu fabulieren frönt, sondern sich der Pflicht entledigt, Zeitgenossenschaft aus der Mitte seiner Generation heraus zu betreiben, von einem ästhetischen Standpunkt aus, der immer auch ein moralischer ist. Wer als Kritiker die existenzielle Dimension der Literatur nicht einklagt und stattdessen weiterhin das Lob der Bastelware singt, macht sich mitschuldig an der grassierenden Irrelevanz, die unser kulturelles Leben lähmt.“ [via Perlentaucher]

Girard

Mit dem Wort von der Diktatur des Relativismus hatte Joseph Ratzinger in seiner letzten Predigt als Kardinal schon seine päpstliche Agenda anklingen lassen. Nun bin ich erstaunt, dass ausgerechnet die Zeit (namentlich Thomas Assheuer) bereits vor Ostern die Dinge ganz ähnlich auf den Begriff gebracht hatte, als sie von dogmatischem Relativismus sprach.

In der gleichen Ausgabe der Wochenzeitung war ein Interview mit René Girard zu lesen. Der Religionsphilosoph hat sich nach der Wahl Benedikts XVI. in einem (seinerzeit von Ralf entdeckten) Welt-Interview mit der an Rüttgers gemahnenden Überschrift „Das Christentum ist allen anderen Religionen überlegen“ erneut zu Wort gemeldet:

„Der Relativismus greift immer weiter um sich. Und es gibt immer mehr Leute, die jede Art von Glauben hassen. Besonders an den Universitäten ist das der Fall – und es schadet dem intellektuellen Leben. Weil es keine objektive Wahrheit gibt, werden alle Wahrheiten gleich behandelt – und das zwingt einen, banal und oberflächlich zu bleiben. Man kann sich nicht wirklich einer Sache verschreiben, für etwas sein – auch nicht für kurze Zeit. Wie Ratzinger glaube ich jedoch fest an die Hingabe an eine Sache. Wir sind beide davon überzeugt, daß die Verantwortung verlangt, daß wir uns einer Position verschreiben und sie zu Ende führen.“

Ich kann hier nicht alles zitieren, was zitabel wäre. Zu unserem vorgestrigen Thema sagt Girard:

Der Postmodernismus ist drastisch, wenn er sagt, es gebe keine absoluten Werte, keine allgemeingültige Wahrheit, und daß Sprache die Wahrheit niemals wiedergeben kann. Wie auch Papst Johannes Paul in der Enzyklika, die Sie erwähnten, nimmt Papst Benedikt den Kampf auf, indem er gegen diese Mode des Unglaubens in der heutigen Welt und besonders in Europa angeht. Wie Johannes Paul II weiß er aus persönlicher Erfahrung, daß eine Gesellschaft ohne Religion vor die Hunde geht. Und er zögert nicht, dies zu sagen. Ich hoffe, diese Botschaft findet ihren Nachhall. Seine Herausforderung des Relativismus ist nicht nur für die Kirche und Europa wichtig, sondern für die ganze Welt.

Eindeutig auch seine Antwort auf die Friedman-Frage:

Warum sollte man Christ sein, wenn man nicht an Christus glaubt? Paradoxer Weise sind wir in unserem Relativismus derart ethnozentrisch geworden, daß wir es in Ordnung finden, wenn andere – aber nicht wir selbst – ihren Glauben als überlegen ansehen!

René Girard: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Eine kritische Apologie des Christentums. Hanser, München. 253 S., 21,50 EUR.

Das Heilige und die Gewalt. Fischer, Frankfurt/M.

John Fisher und Thomas Morus

FISHER, John, Bischof von Rochester und Kardinal, Heiliger, * um 1459 in Beverley (Yorkshire), † (enthauptet) 22.6. 1535 in London, beigesetzt im Tower. – F. studierte an der Universität Cambridge und wurde dort 1487 Bakkalaureus, 1491 magister artium, 1497 Beichtvater der Königinmutter Lady Margaret, 1501 Dr. theol. und Vizekanzler, 1503 Professor der Theologie und 1504 Kanzler der Universität Cambridge und Bischof von Rochester. F. war neben Thomas Morus (s. d.) der bedeutendste Humanist seiner Zeit. Er stand mit Johannes Reuchlin (s. d.) in Verbindung und war ein Freund des Erasmus von Rotterdam (s. d.). F. zählte zu den schärfsten Gegnern Martin Luthers (s. d.) in England und hielt 1521 bei der öffentlichen Verbrennung von Lutherschriften in London die Rede. Der Ehescheidung Heinrichs VIII. (s. d.) von Katharina von Aragonien widersprach er heftig, verfiel darum der Ungnade des Königs und wurde im April 1534 im Tower eingekerkert. Während seiner Gefangenschaft erhob ihn Paul III. (s. d.) am 20.5. 1535 zum Kardinal. Das Suprematsgesetz von 1534 erklärte den König zum Oberhaupt einer von Rom losgelösten, eigenständigen Kirche. Da er den Suprematseid verweigerte, erlitt F. den Märtyrertod für den römischen Katholizismus. Er wurde am 20.12. 1886 selig- und am 19. 5. 1935 heiliggesprochen. Sein Fest ist der 22. Juni.
Quelle: Bautz

Untergang

Vielleicht ein guter Zeitpunkt für einen kurzen Rückblick. Das neue Technorati zeigte mir heute dieses Zitat:

„Der westeuropäische Protestantismus wird dem Untergang geweiht sein, wenn sich nicht bald eine Bewegung bemerkbar macht, die mit der Reformation des 16. Jahrhunderts vergleichbar ist.“

Es stammt von keiner Geringeren als Isabelle Graessle, der Leiterin des Genfer Museums der Reformation. Und es rief mir ein anderes Zitat in Erinnerung:

„Sydneys anglikanischer Erzbischof Peter Jensen hat die Idee des klassischen Protestantismus für ‚weitgehend tot‘ erklärt. Der Erzbischof rief in einer Rede vor dem Kirchenrat von New South Wales ‚alle Christen‘ auf, sich mit der römisch-katholischen Kirche in einem ‚Protestantismus des Gewissens‘ gegen den ’säkularistischen Humanismus‘ als ‚gemeinsamen Feind‘ zusammenzutun. Das Etikett ‚Protestantismus‘ sei passend, so Jensen, solange es für ein ‚durch die Bibel geformtes Gewissen‘ stehe. Der letzte Beweis für das Ende des Protestantismus alter Prägung sei die Hochzeit zwischen dem britischen Thronfolger Prinz Charles und Camilla Parker-Bowles, sagte der anglikanische Erzbischof. Jetzt werde eine königliche Hochzeit wegen eines Papstbegräbnisses verschoben: ‚Eine unausweichliche Entscheidung, aber sie markiert das Ende des protestantischen England‘.“

Natürlich bleibt dies nicht unwidersprochen. Doch gehen wir noch einmal zurück zum Start. Das dritte Zitat stammt von mir und diagnostiziert ebenfalls das Ende des Protestantismus:

„Seine ursprünglichen Anliegen sind erfüllt, seine intellektuelle Kraft erschöpft. Was bleibt, ist nur noch Häresie. Wäre nicht 2017 ein guter Termin, die Reformation ad acta zu legen?“

Klar, es mangelt an begrifflicher Schärfe der Unterscheidung zwischen Protestantismus, Anglikanismus, Reformierten, Lutheranern und Freikirchlern. Es gibt aber durchaus einen gemeinsamen Punkt, was die Krise der evangelischen und anglikanischen Kirchen betrifft: Diese Kirchen sind aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus Staatskirchen (Landeskirchen deutscher Prägung unterscheiden sich nur graduell) und damit auf die Unterstützung seitens des Gemeinwesens angewiesen. Darin unterscheiden sie sich fundamental von der katholischen Kirche – denn die wird auch in Deutschland nicht untergehen, wenn sie keine Körperschaft des öffentlichen Rechts mehr sein kann.

Postmoderne

Ralf gibt uns den guten Rat, die fruchtlose Debatte bleiben zu lassen. Seine messerscharfe Analyse:

„Der Protestantismus in seiner mehrheitlich real existierenden Variante diesseits der Alpen (und diesseits des Teiches) ist postmodern par excellence. Da ist jeder auf sich selbst gestellt vor Gott, jeder allein. Es gibt keinen wirklich gemeinsamen Glauben bei zwei sich treffenden Personen, der über einen KGN (Matheunterricht der Grundschule, na?) hinausgeht. Nun ist Christus als KGN ja schon mal einiges, aber wenn man sich über dessen ganz real-leibliche Wirkung im Jahr 2005 nicht einigen kann, bleibt Er doch sehr entweder bloß eine Gestalt der Historie oder der privaten Frömmigkeit.

Es ist ein Hauptmerkmal der Postmoderne, daß sich jeder absolut allein weiß oder fühlt, auch allein vor Gott.“

Schön und tröstlich ist, was er im Anschluss an diese Worte schreibt. Danke!