in Catholica

Neu-Autoritarismus

Peter Sloterdijk ist uns hier kein Unbekannter. Ähnlich wie Norbert Bolz hat auch er die Lizenz zum Universalgelehrtentum. Heute befragt ihn der Tagesspiegel zur Krise Europas (die ja ein bemerkenswertes Timing aufweist, so kurz nach Amtsantritt eines Papstes, der einen analytisch scharfen Blick auf eben jene Krise hat):

Werden wir zur Kapitalismusdebatte möglicherweise eine Demokratiedebatte dazubekommen? Müssen wir auf europäischem Hintergrund den Abstand zur direkten Demokratie neu definieren? Auch der Papst beschwört mit seiner Kritik am „Relativismus“ die Optionsmöglichkeit der Mehrheit.

Ratzinger wäre falsch interpretiert, wenn man ihn als Antidemokraten beschriebe. Er plädiert für eine christliche Demokratie. Ich würde das übersetzen in ein Theorem, an dem ich seit längerer Zeit arbeite: Was uns demnach bevorsteht, ist die globale Wende in den „autoritären Kapitalismus“ – und zwar auf der Grundlage eines neo-autoritären WerteDenkens. Ratzingers Visionen lassen sich mühelos in einen solchen Kontext einordnen. Das 21. Jahrhundert wird zum Labor des Neu-Autoritarismus, das heißt des Kapitalismus, der die Demokratie nicht mehr nötig hat. [via Perlentaucher]

Typisch für Sloterdijk ist die an sich klare, aber zugleich kryptische Sprache, die stets mehrere Interpretationsmöglichkeiten eröffnet. Christliche Demokratie (ein Begriff, der zumindest mir bei Joseph Ratzinger noch nicht begegnet ist) wäre also gleich Neu-Autoritarismus? Aber kann das sein, wenn er Neu-Autoritarismus als Kapitalismus ohne Demokratie definiert?

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Kommentar

  1. Nein, da siehst Du S. falsch, denk ich. „Christliche Demokratie“ vielmehr als Gegengewicht zum autoritären Kapitalismus, das meint Sloterdijk.
    Seine Denklinie scheint so zu verlaufen: in der Prädemokratie-Ära hatten nur wenige materiellen Wohlstand, die Demokratie kam und ermöglichte dies der Mehrheit (ohne jemals dafür erdacht worden zu sein, sie war nie materiell konzipiert worden). Die Mehrheit ist zufrieden, weil bekanntermaßen Brot meilenweit vor Moral kommt. Erfüllt nun die autoritative Form des Kapitalismus den gleichen Zweck – Wohlstand für die Mehrheit – so braucht „man“ (die Mehrheit) die Demokratie nicht mehr. Für die Mehrheit ist eben Wohlstand das eigentliche Ziel.

    Und BXVI setzt dagegen das christliche Bild vom Menschen, in der die Demokratie nicht verzweckt wird.

    Interessant wird es sein zu sehen, ob China den „Umweg“ über Demokratie überhaupt nötig hat oder nicht, wie es jetzt scheint, direkt in den autoritativen K. landet, da das Ziel ja lautet: Wohlstand. Wenn bei Erreichen dieses Zieles der Demokratiedrang der Bevölkerung merklich nachläßt, dann wird es bei uns ähnlich sein.