Warum ich nicht an das bedingungslose Grundeinkommen glaube

Erstaunlich viele intelligente Menschen glauben an das bedingungslose Grundeinkommen. Mir will dies einfach nicht gelingen. Wahrscheinlich habe ich mich nicht genug darum bemüht.

Neuen Auftrieb, gerade in der digitalen Szene, bekommt das Thema derzeit durch die Erwartung oder Befürchtung, dass durch Automatisierung in den nächsten Jahren zahllose Jobs verloren gehen werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen soll dieser neuen Welle der Arbeitslosigkeit begegnen.

Nun ist es ja durchaus so, dass wir uns in den letzten 150 Jahren allmählich an einen expandierenden Sozialstaat gewöhnt haben, der immer größere Teile des Bruttoinlandsprodukts in Anspruch nimmt und innerhalb der Bevölkerung nach mehr oder weniger sinnvollen Kriterien umverteilt. Historisch entstand er als Antwort auf die soziale Frage, die sich mit der Massenarbeitslosigkeit der frühen Industrialisierung verband.

Massenarbeitslosigkeit ist in Deutschland heute kein Thema mehr. Wir sind heute nicht mehr überwiegend Landwirte oder Handwerker, und selbst Industriefacharbeiter arbeiten heute mehr am Schreibtisch als in der Produktion. Die Art der Beschäftigung hat sich verschoben, aber in der Summe jagt in Deutschland seit Jahren ein absoluter Beschäftigungsrekord den nächsten.

Ein Teil dieser Jobs liegt aus Gründen statistischer Logik im unteren Einkommensbereich, wo das Einkommen aus Erwerbsarbeit mit dem Einkommen aus staatlichen Transferleistungen konkurriert. Das ist ein Grundproblem des Sozialstaats und nur schwer zu lösen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird daran wenig ändern.

Es gibt jedoch einen starken Zusammenhang zwischen der Schaffung von Wohlstand und dem daraus erzielten Einkommen. Wer eine Leistung erbringt oder ein Produkt herstellt, für die andere zu zahlen bereit sind, der hat gute Chancen auf ein gutes Einkommen. Auch daran wird ein bedingungsloses Grundeinkommen wenig ändern.

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die nächste Automatisierungswelle diesen Zusammenhang aufheben wird. Dass bestimmte Produkte und Dienstleistungen durch die technische und wirtschaftliche Entwicklung entwertet werden, ist kein neues Phänomen.

Dass hingegen der menschliche Erfinder- und Unternehmergeist aufhören würden, neue Produkte und Dienstleistungen zu erfinden, die auf neuen, bis dahin ungekannten Möglichkeiten basieren, steht nicht zu erwarten. Menschen werden weiterhin Werte und Wohlstand schaffen und daraus Einkommen erzielen.

Es gibt allerdings einen Punkt, der an der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens plausibel erscheint: die mögliche Abschaffung großer Teile unserer Sozialsysteme. Ob das allerdings gewollt und bis in die letzte Konsequenz durchdacht ist? Ich weiß es nicht und bezweifle es.

Die Causa Westerwelle und das System Hartz IV

Selbst auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise haben wir in Deutschland noch fast eine Rekordbeschäftigung. Jeder zweite Bürger, vom Kleinkind bis zum Greis, geht einer Erwerbstätigkeit nach. Arbeitslosigkeit existiert nur, weil die Erwerbsneigung noch höher ist. Und die Erwerbsneigung ist höher, weil die früher stabilen Familien als Lebens- und Erwerbsgemeinschaften mehr und mehr aufgelöst werden. Diese Auflösung ist überhaupt nur möglich, weil sie staatlich subventioniert wird. Diese Subvention heißt Hartz IV. Man kann das gut finden oder schlecht, aber der Zusammenhang ist offensichtlich.

Vor der Erfindung des modernen Sozialstaats gab es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten: Erwerbsarbeit oder Leben in einer Familie, deren Auskommen durch Erwerbsarbeit oder Besitz gesichert ist. Der moderne Sozialstaat ist als dritte Möglichkeit hinzugekommen. Nun gibt es Menschen, und ihre Zahl wächst, die ohne Erwerbsarbeit und ohne Familie leben können. Ob sie das wollen oder nicht, ist erst einmal unerheblich. Sie können es, und sie tun es.

Laut einer Studie des DGB aus dem Jahr 2008 bekommen 42 Prozent der Alleinerziehenden Hartz IV. Anders als die klassische Familie, unter denen der Anteil der Hartz-IV-Empfänger deutlich geringer ist, ist das Modell der Alleinerziehenden also offensichtlich auf die Finanzierung durch den Staat angewiesen. Nur diese Finanzierung macht es (in 42 Prozent aller Fälle) überhaupt möglich. Wie ich oben schon schrieb, kann man das gut oder schlecht finden, aber der Zusammenhang lässt sich nicht leugnen.

Je kleiner die familiären Einheiten, desto größer die Erwerbsneigung in der Gesamtbevölkerung. Denn in jeder familiären Einheit muss oder will tendenziell mindestens eine Person einer Erwerbsarbeit nachgehen. Deshalb haben wir trotz annähernder Rekordbeschäftigung immer noch Arbeitslosigkeit. Das Angebot an Arbeitskräften ist dauerhaft größer als die Nachfrage.

In einer solchen Situation wird das Kapital strukturell knapper als die Arbeitskraft. Der Preis des Kapitals steigt, der Preis der Arbeitskraft fällt. Sinkende oder stagnierende Reallöhne führen am Arbeitsmarkt aber nur begrenzt zu sinkendem Arbeitskräfteangebot, da tendenziell nur die untersten Lohngruppen als Nachfrager ausfallen und zu Hartz IV wechseln. Für sie lohnt es sich nicht mehr zu arbeiten.

Der Arbeitsmarkt funktioniert also nicht wie ein Gütermarkt. Sinkende Löhne verringern die Erwerbsneigung kaum, im Gegenteil: Sie fördern den Trend zum Zusatzeinkommen. Familien sind auf ein zweites Einkommen angewiesen, wollen sie ihren Lebensstandard halten. So erhöhen sinkende Löhne sogar noch das Arbeitskräfteangebot. Das Ergebnis ist strukturelle Arbeitslosigkeit mit einem Sockel aus Hartz-IV-Empfängern.